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Veröffentlicht am 04.02.2019

8. Fall für Marina und Phil und ein echter Gänsehaut-Thriller

Jetzt gehörst du mir (Ein Marina-Esposito-Thriller 8)
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Der 8. Fall für Marina Esposito und DI Phil Brennan: In und um Colchester, nordöstlich von London, werden kurz hintereinander drei Männerleichen gefunden, alle erhängt. Allen wurde die Tarotkarte des Gehängten ...

Der 8. Fall für Marina Esposito und DI Phil Brennan: In und um Colchester, nordöstlich von London, werden kurz hintereinander drei Männerleichen gefunden, alle erhängt. Allen wurde die Tarotkarte des Gehängten beigelegt mit Phil Brennans Namen darauf und alle sehen Phil sehr ähnlich. Phil soll nach Colchester reisen, um die dortigen Ermittler zu unterstützen. Er wird zwar von einem der Polizisten abgeholt, kommt aber nie in Colchester an. Marina Esposito ahnt Böses: Phil wurde entführt! Sie setzt alle Hebel in Bewegung um ihren Mann zu finden!

Die Autorin versteht es auch im 8. Fall des Ermittler-Duos meisterhaft, eine komplexe Geschichte zu konstruieren und die Spannung bis zum fulminanten Finale stetig zu steigern. Ihre dem Leser ans Herz gewachsenen Hauptfiguren sind einmal mehr aufs Intensivste persönlich betroffen und stecken tief drin in einem verstörenden Fall, der bis in Phils Vergangenheit reicht. Diesmal ermittelt Marina alleine, denn ihr Ehemann ist in die Fänge einer gefährlichen Psychopathin geraten, die zudem eine Meisterin der Verkleidung ist. Hilfe erhält sie von unerwarteter Seite: von ihrer Freundin Anni, die noch immer den Tod ihres Freundes verarbeitet, sowie der Polizistin Imani, die nach Colchester berufen wurde, um die dortigen Ermittlungen zu unterstützen.

Der vorliegende Band ist in bewährter Manier verfasst. Flüssig und fesselnd und teilweise sehr unter die Haut gehend beschreibt die Autorin die Geschehnisse, wobei sie tief in die Gedanken- und Gefühlswelt der Protagonisten eindringt. Beeindruckend ist, wie sie sich in die unterschiedlichsten Personen hineinversetzen kann, Täter wie Opfer, Ermittler und Privatpersonen, aus deren Perspektive einzelne Handlungsstränge erzählt werden, und deren Motive und Handlungen sie plausibel macht, dabei immer einfühlsam auf die Persönlichkeit eingeht, Schwarzweiß-Malerei vermeidend. Ich finde überhaupt besonders den psychologischen Aspekt des Falles hochinteressant, bei aller Grausamkeit und schockierenden Details sind ihre Figuren komplexe Charaktere, die oftmals schwer traumatisiert sind, Entwicklungen durchmachen und auch mal falsche Entscheidungen treffen. Phils Erlebnisse und psychische Belastung in der Hand der Psychopathin machen Gänsehaut, trotzdem neigt man an manchen Stellen dazu, deren Intelligenz zu bewundern. Mitunter konnte ich allerdings Marinas Entscheidungen nicht nachvollziehen, zum Beispiel begibt sie sich ganz bewusst alleine zu einem psychisch labilen Zeugen, da war die „Falle“ schon vorprogrammiert. Dennoch ist man stark auf Marina fokussiert, dadurch dass Phil als Mitermittler wegfällt und selbst in Gefahr ist, hat Marina – und mit ihr der Leser – ein starkes persönliches Interesse an der Aufklärung des Falles. Auch wenn das eine oder andere Ereignis vorhersehbar ist, sind die Handlungsstränge aus Vergangenheit und Gegenwart auf das Feinste miteinander verwoben und fügen sich am Ende als großes Ganze wunderbar zusammen.

Fazit: Solider, sehr spannender Thriller, bei dem diesmal Marina als Ermittlerin im Vordergrund steht und ihre Brillanz trotz persönlicher Involviertheit einmal mehr unter Beweis stellt. Die Autorin hat nichts von ihrer Schreibkunst eingebüßt und beweist auch im 8. Fall ein Händchen für persönliche Abgründe und psychologische Finessen. Jeder Protagonist ist ein ausgereifter Charakter und wichtig für den Fortgang der Geschichte. Einsteigern empfehle ich das Lesen in chronologischer Reihenfolge – zu stark und zu häufig sind die Bezüge auf frühere Fälle. Und da auch Marinas und Phils persönliche gemeinsame Geschichte stark im Vordergrund steht, versteht man diese Bezüge und Verweise einfach besser, wenn man die Hintergründe aus vorherigen Bänden kennt. Alles in allem aber natürlich ein sehr lesenswertes Buch!

Veröffentlicht am 28.01.2019

Toller 2. Fall für Friederike Matthée von der weiblichen Polizei im Nachkriegsköln

Der Hunger der Lebenden (Friederike Matthée ermittelt 2)
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Köln, 1947: Die Stadt liegt in Trümmern, die Menschen leiden Hunger und lehnen die britischen Besatzer ab. Friederike Matthée von der Weiblichen Polizei lebt mit ihrer Mutter in einer winzigen Wohnung, ...

Köln, 1947: Die Stadt liegt in Trümmern, die Menschen leiden Hunger und lehnen die britischen Besatzer ab. Friederike Matthée von der Weiblichen Polizei lebt mit ihrer Mutter in einer winzigen Wohnung, ihr Bruder wird vermisst, und doch hat sie inzwischen durchaus Freude an ihrer Aufgabe. Im Hochsommer wird sie zu einem Mord hinzugezogen: Die schöne und wohlhabende Gutsbesitzerin Ilse Röder wurde brutal erschlagen. Für die Polizei steht die Schuldige fest: Die Streunerin Franziska wurde mit der Waffe in der Hand neben der Toten gefunden. Sie beteuert ihre Unschuld, gibt aber mit ihren Zornesausbrüchen ein denkbar schlechtes Bild von sich selbst ab. Friederike soll mit ihr sprechen und ihr ein Geständnis entlocken. Je mehr sie sich jedoch mit der Sache befasst, desto mehr ist sie von der Unschuld der jungen Frau überzeugt. Obwohl von ihren Vorgesetzten ausgebremst, beginnt sich zu stochern. Hilfe erhält sie unerwarteterweise aus dem Lager der britischen Besatzer, mit denen sie von ihrem ersten Fall verbunden ist. Als auch noch Richard Davies auftaucht, dem sie im ersten Fall behilflich und dabei nähergekommen war, gerät Friederikes Gefühlswelt endgültig aus den Fugen.

Der Autorin ist nach „Das Echo der Toten“ ein hervorragender, packender und spannender zweiter Fall für Friederike Matthée gelungen. Aus mehreren Perspektiven schildert die Autorin nicht nur einen fesselnden Kriminalfall, sondern auch die Schrecken des Krieges, die Angst, den Hunger und die Verzweiflung der Menschen, ihre teilweisen elenden Lebensumstände, aber auch ihre Hoffnung und ihren Lebenswillen. Sie gibt dabei tiefe Einblicke in die Gefühlswelt sowohl von Erwachsenen als auch von Kindern, von Tätern und Opfern, von Männern wie von Frauen und schafft es immer, die Figuren authentisch und menschlich wirken zu lassen. Die Schicksale lassen einen allesamt nicht kalt, es gibt auch keinerlei schwarz-weiß-Malerei, jeder kämpft auf seine Weise ums Überleben und hat Schicksalsschläge zu verkraften. Friederike ist als Hauptfigur natürlich am meisten präsent, auf ihr, ihrer Vergangenheit und ihrer Ermittlungsarbeit liegt der Hauptteil der Geschichte. Sie ist ein starker und dennoch sehr verletzlicher Charakter, oft voller Zweifel und starker Gefühle. Sie ist aus gutem Hause und hat alles verloren, dennoch kämpft sie für sich und ihre Mutter für ein besseres Leben. Gleichzeitig hat sie einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und ist sehr empathisch mit ihren Mitmenschen, daher kann sie es nicht akzeptieren, wenn ein Mensch verurteilt wird, ohne dass seine Schuld ausdrücklich erwiesen ist. Damit bringt sie sich mitunter in brenzlige Situationen und muss wegen ihrer Alleingänge um ihren Job fürchten. Nicht jeder ist ihr wohlgesonnen und manch einer hat viel zu verbergen und noch mehr zu verlieren.

Der Fall reicht weit zurück in die Vergangenheit und ist verquickt mit dem zweiten großen Erzählstrang, dem Auffinden von getöteten Kriegsgefangenen auf dem Feld in der Nähe des Anwesens der ermordeten Ilse Röder. Sehr geschickt verbindet die Autorin die vielen Perspektiven, die Erzählstränge und die Verbrechen und gibt immer nur so viel Informationen preis wie nötig sind, um die Spannung aufrecht zu erhalten beziehungsweise weiter zu steigern. Anfangs muss man sich schon sehr konzentrieren, um bei den vielen Akteuren den Überblick zu behalten, praktischerweise ist jedes größere Kapitel mit Datums- und Ortsangabe versehen und alles in allem erstreckt sich das Ganze über einen Zeitraum von etwa einem Monat. Die Handlung ist also sehr kompakt, doch jeder der Personen trägt etwas zur Aufklärung bei und das Buch ist ein echter Pageturner und die Personen und die Geschichte sind einfach zu fesselnd, als dass man das Buch aus der Hand legen könnte. Dazu kommt noch der immens flüssige Schreibstil, der einen die Geschichte richtig gut herunterlesen lässt. Das eine oder andere Mal bin ich über kleine Sprünge im Handlungsablauf gestolpert (z.B. liegt Davies eben noch im Krankenhaus, im nächsten Absatz stößt er zu Friederike und hilft ihr bei einer Ermittlung), dies jedoch tat letztlich dem Lesevergnügen keinen Abbruch. Die Handlung ist geradlinig, die Fäden entwirren sich nach und nach und die Lösung, wie alles zusammenhängt, ist sehr gut nachvollziehbar.

Fazit: Sehr gelungener zweiter Fall für Friederike Matthée im Nachkriegsköln. Für Fans des Genres sowieso ein Muss, Einsteigern empfehle ich das erste Buch zuerst zu lesen, denn auch wenn man dem Fall sehr gut folgen kann, so sind einfach Andeutungen auf vorherige Erlebnisse in ausreichender Zahl vorhanden und man kann Friederikes Handeln und ihre Gefühle einfach besser nachvollziehen. Sehr gelungen finde ich auch die Beschreibungen des historischen Kontextes, der sehr authentisch vermittelt wird und sich gut in die Kriminalgeschichte einfügt. Und außerdem sind es einfach tolle und spannender Bücher, die sich zu lesen lohnt! Ich jedenfalls freue mich auf die weiteren Bände.

Veröffentlicht am 31.12.2018

Tolles Krimidebüt mit originellem Setting und super sympathischer Ermittlerin!

Doggerland. Fehltritt (Ein Doggerland-Krimi 1)
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Nach schwerem Schicksalsschlag kehrt die Polizistin Karen Eiken Hornby aus London in ihre Heimat Doggerland zurück, um dort als Kriminalassistentin zu arbeiten. Sie lebt zurückgezogen und erträgt stoisch ...

Nach schwerem Schicksalsschlag kehrt die Polizistin Karen Eiken Hornby aus London in ihre Heimat Doggerland zurück, um dort als Kriminalassistentin zu arbeiten. Sie lebt zurückgezogen und erträgt stoisch die sexistischen Sprüche und Diskriminierungen ihres Chefs und ihrer Kollegen. Ab und an gönnt sie sich alkoholische Exzesse und One-Night-Stands. Den absoluten Tiefpunkt erreicht sie am Morgen nach dem Volksfest Oistra, als sie in einem Stundenhotel neben ihrem Chef aufwacht. Leider kann sie ihren Rausch kaum ausschlafen: Später am selben Tag wird sie zu einem brutalen Tatort gerufen. Eine Frau in Karens Wohnviertel wurde tot aufgefunden. Und diese Woche Frau ist ausgerechnet die Ex ihres Chefs. Karen bekommt die Leitung der Ermittlungen übertragen und ist fortan nicht nur in einen undurchsichtigen Fall verstrickt, der weit in die Vergangenheit zu reichen scheint, sondern auch ängstlich bemüht ihre eigene Involviertheit vor ihren Kollegen und Vorgesetzten zu verbergen...

Sehr solider, spannender und fesselnder Krimi, der durch seine starke Hauptfigur und dem originellen Lokalkolorit glänzt. Der Schreibstil ist sehr eingängig und gut zu lesen und fesselt von der ersten Zeile an. Man lebt sofort mit Karen mit, sie ist durch und durch eine sympathische und zutiefst menschliche Hauptfigur mit all ihren Schwächen. Durch ihren Schicksalsschlag ist sie traumatisiert und hat eine Mauer um sich errichtet, hinter der sie sich verschanzt und keine tieferen Gefühle mehr zulässt. Sie ist eine gute Polizistin, doch hat sie keinen Ehrgeiz mehr und weder Lust noch Kraft, gegen die sexistischen Äußerungen ihrer Kollegen zu kämpfen. Bis sie diese Chance erhält die Leitung zu übernehmen, da ihr Chef aufgrund der persönlichen Betroffenheit freigestellt wird. Auch wenn sie große Zweifel plagen und sie sich manchmal nach ihrem gewohnten Trott zurücksehnt, wächst sie doch über sich hinaus und emanzipiert sich nicht nur gegenüber den Kollegen, sondern reift auch selber, ihre Mauern werden nach und nach dünner und schließlich eingerissen. Auch dadurch, weil sie sich Menschen gegenüber öffnet, bei denen man es spontan überhaupt nicht für möglich gehalten hätte und was einen sehr berührt.

Der Fall als solcher ist vertrackt und verlangt Karen einiges ab, zumal sie sehr bemüht ist ihre Verstrickung wegen der Affäre mit ihrem Chef zu verbergen. Das macht sie sehr geschickt und clever und muss trotzdem jede Minute fürchten, dass es publik wird. Außerdem muss sie sich als Leiterin erst einmal gegenüber ihren Kollegen durchsetzen. Die Perspektive ist weitgehend die Karens, daher erfährt man von ihrem Innenleben am meisten. Je mehr sie sich den Mitmenschen öffnet, desto mehr erfährt auch der Leser, was sie quält. Kurze Perspektivwechsel machen die Sache interessant, dienen aber oft nur zu näheren Beschreibung. Bei alle Emotionalität und privaten Krisen bleibt der Fall doch immer im Vordergrund und wird dabei immer undurchsichtiger. Karens Theorie, dass die Wurzel allen Übels in einer Kommune aus dem Jahr 1970 liegt, wird von ihren Kollegen ignoriert, von den Einschüben im Text jedoch untermauert. In kürzeren Kapiteln wird aus dieser Kommune gerade immer nur soviel preis gegeben, wie es zum Ermittlungsstand passt, so dass auch dies den Spannungsbogen langsam aber sicher zum fulminanten Finale voran treibt.

Besonders interessant und skurril fand ich das Setting. Das ist echt mal originell. Doggerland, eine fiktive Insellandschaft, ist eine Mischung aus England und Skandinavien, wobei skandinavische Einflüsse meines Erachtens überwiegen. Die Menschen sind zumeist in der Fischerei tätig, trinken und feiern gern, haben kalte Winter, Fährverbindungen in alle Richtungen und bleiben doch am liebsten auf ihrem Eiland und beklagen wie alle den Niedergang ihrer Kultur. Man kennt sich untereinander und Fremde will man nicht haben. Wobei fremd jeder ist, der nicht auf Doggerland geboren ist. Über diesen zumeist recht skurrilen Menschenschlag hätte ich sehr gerne mehr erfahren. Die Szenen, in denen Karen, die zum Glück weiß, wie man diese eigenwilligen Leute zu nehmen hat und dies auch für ihre Ermittlungen sehr klug nutzt, fand ich mit am besten und sie zeugten zumeist von einer großen Portion Humor. Durch das Jahrzehnte alte Wissen der einheimischen Bevölkerung bekommt Karen, die heimgekehrte Tochter, die besten Hinweise. Auch wenn man irgendwann eine vage Ahnung hat, was passiert sein könnte, überschlagen sich die Ereignisse zum Ende hin doch mehr und mehr und man kann einfach nicht mehr aufhören zu lesen. Die Lösung ist denn auch gut herausgearbeitet und befriedigend und auch der emotionale Aspekt kommt nicht zu kurz.

Fazit: Großartiges Krimidebüt einer Autorin, die man sich unbedingt merken sollte. Für Fans des (Skandinavien-)Krimis ein Muss, aber auch für Einsteiger ins Genre sehr gut geeignet. Mit Karen Eiken Hornby ist der Autorin eine sehr authentische Ermittlerfigur gelungen, die super sympathisch ist und die das Potential hat um sich weiter zu entwickeln und uns noch mit vielen weiteren Fällen zu erfreuen. Auch ihre Mitstreiter und die Menschen von Doggerland sind charakterlich gut herausgearbeitet und machen Lust mehr über sie zu erfahren. Ich jedenfalls freue mich schon auf den nächsten Band!

Veröffentlicht am 30.11.2018

Spannender und kompakter historischer Roman aus der Bremer Stadtgeschichte

Gredje von Essen
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Bremen, 16. Jahrhundert: Die bis dahin bei ihrer Großmutter, einer Kräuterfrau und Hebamme, in sehr einfachen Verhältnissen aufgewachsene Wübke kommt als 6jährige als Dienstmädchen zur reichen Kaufmannswitwe ...

Bremen, 16. Jahrhundert: Die bis dahin bei ihrer Großmutter, einer Kräuterfrau und Hebamme, in sehr einfachen Verhältnissen aufgewachsene Wübke kommt als 6jährige als Dienstmädchen zur reichen Kaufmannswitwe Gredje von Essen. Deren Regiment ist streng aber gerecht, und vor allem anderen lehrt sie Wübke lesen und schreiben, eine eher seltene Fähigkeit in jener Zeit. Die Witwe macht sich mit ihrer Art nicht überall Freunde und weist außerdem die Avancen ihres neuen Nachbarn ab, was dieser nicht verwinden kann. Die nächstbeste Gelegenheit nutzend, denunziert er sie beim Rat als Hexe, und Gredje wird, samt Wübke, ins Verlies geworfen und einer peinlichen Befragung unterzogen. Mehr tot als lebendig kann sie durch eine List befreit werden und auch Wübke entkommt dem Verlies. Können die Frauen ihre Dämonen besiegen und ein neues Leben anfangen?

Atmosphärisch dichter, komplexer Roman über die im Ursprung wahre Geschichte der „Hexe“ Gredie von Essen, aus der Sicht ihres Dienstmädchen Wübke erzählt. Das relativ dünne Buch kommt als sehr gut gebundenes Paperback mit wunderbar gestaltetem Umschlag daher. Die Geschichte ist kompakt erzählt und zeugt von ungeheurem detailliertem historischen Wissen der Autorin, die die mitunter verwirrenden politischen Verhältnisse und Ränke jedoch in eine kompakte, gut zu lesende Sprache packt. Die Geschichte ist spannend, fesselt von der ersten Zeile an und ist gerade durch ihre Kompaktheit nicht eine Sekunde langweilig. Direkt, kompromisslos und ohne Effekthascherei führt uns die Autorin in eine Welt im Umbruch, voller Aberglaube und Gottesfurcht. Mit klarer Sprache beschreibt sie sehr authentisch Lebensumstände der Menschen, politische und religiöse Geschehnisse, aber auch große Gefühle wie Freundschaft, Liebe und Verrat.

Formal teilt sich der Roman in zwei Teile – die Zeit in Bremen bis 1565 und die Zeit bis 1580. Dabei springt die Erzählung oft zwischen den Jahren vor und zurück, hilfreicherweise sind die einzelnen Kapitel mit Orts- und Zeitangaben versehen. Aus der Sicht Wübkes in der Ich-Form erzählt, gibt die Geschichte tiefe Einblicke in das Seelenleben vor allem in die Gefühlswelt des Dienstmädchens. Sie ist die eigentliche Hauptfigur der Handlung, ihr Charakter macht die größte Wandlung durch. Durch ihre schrecklichen Erlebnisse wird sie erwachsen und entwickelt sich von der reinen Befehlsempfängerin in eine Frau, die mit gewitztem Verstand ihr Vermögen zu vermehren versteht. Dennoch ist und bleibt sie empathisch und emotional, ihre Familie geht ihr über alles und ihre Gefühlswelt ist alles andere als abgestumpft. Wübkes Charakter ist am ausgefeiltesten, mit ihr lebte ich von Anfang an intensiv mit. Doch auch die anderen Figuren sind gut gezeichnet und vielschichtig. Am interessantesten und sympathischsten findet man ja zumeist diejenigen, die nicht einseitig schwarz und weiß dargestellt werden, die sowohl gute als auch schlechte Eigenschaften haben, das macht sie menschlich, sie haben Persönlichkeit und sind authentisch, wie zum Beispiel in diesem Fall vor allem Hinrich Lütz und natürlich Gredje von Essen. Über diese will man als geneigter Leser am liebsten viel mehr erfahren, als es der Fall ist, und deswegen sowie aufgrund des recht offenen Endes werde ich sicherlich nach weiteren Büchern der Autorin Ausschau halten.

Fazit: sehr guter historischer Roman, der förmlich nach einer Fortsetzung ruft! Der Autorin ist ein überzeugendes Debüt gelungen, die spannende Darstellung einer sehr speziellen Begebenheit aus der Bremer Geschichte. Wer als Leser ein gewisses Interesse an detailliert und fundiert dargestellten historischen Ereignissen besitzt, wird sicherlich tief in dieses Buch eintauchen und sehr viel neues Wissen daraus gewinnen. Für Einsteiger in das Genre eher nicht geeignet, ist das Buch für geschichtsbegeisterte ein wahrer Lesegenuss sowie für alle, die starke Frauenfiguren lieben.

Veröffentlicht am 18.10.2018

Psychogram, eines Mörders

Das Geheimnis der Grays
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Jedes Jahr an Weihnachten lädt der grantige Landadlige Adrian Gray seine Familie zu sich ins Herrenhaus ein. Diese fügen sich, schließlich muss man den Schein wahren. In diesem Jahr 1931 jedoch geschieht ...

Jedes Jahr an Weihnachten lädt der grantige Landadlige Adrian Gray seine Familie zu sich ins Herrenhaus ein. Diese fügen sich, schließlich muss man den Schein wahren. In diesem Jahr 1931 jedoch geschieht etwas Unfassbares: Adrian Gray wird tot in seiner Bibliothek gefunden, ermordet von einem seiner Angehörigen. Die Ermittlungen und anschließenden Verhandlungen ruinieren nicht nur eine Existenz….

Sehr durchdachte Darstellung über den Zerfall einer Familie und die Auswirkungen einer einzelnen unbedachten Handlung. Ein Psychogramm nicht nur des Mörders, sondern aller Charaktere, die man jeden einzelnen tiefenpsychologisch analysieren möchte. Das Buch ist wahrlich kein klassischer Whodunnit-Krimi, denn schon im zweiten Teil erfährt man alles über Mörder und Tathergang, insofern ist der deutsche Titel etwas irreführend. Der englische, „Portrait of a Murderer“, passt sehr viel besser, denn man erfährt ungeheuer viel über die innere Zerrissenheit, die Motive, die Lebensumstände und geheimen Wünsche des Mörders. Ich persönlich fand aber nicht unbedingt seine Persönlichkeit am Faszinierendsten. Die Charaktere sind durchweg alle sehr ausgefeilt und bis hin zu Nebenfiguren vielschichtig und wichtig für die Handlung. Einige stechen natürlich besonders heraus, unter anderem der Mörder, der mir aber ehrlich gesagt nicht genug sympathisch war und dessen Handlungen ich oftmals nicht recht nachvollziehen konnte, obwohl seine „geistige Größe“ mehrfach hochgelobt wurde. Das ist aber sicherlich Geschmackssache. Mir gefielen der ermittelnde Polizist, der einen interessanten familiären und beruflichen Hintergrund hat, und Isobel, eine der Schwestern, sehr gut, über diese hätte ich gerne mehr erfahren. Außerdem und ganz besonders mochte ich das aufklärende Familienmitglied, den angeheirateten Anwalt Miles, dessen Zwiespalt, ob er den Mörder wirklich an den Pranger liefern soll, sehr überzeugend vermittelt wird. Miles ist hochintelligent, aber wenig ehrgeizig, er ist empathisch und menschenfreundlich und hat einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Schon vorher grübelt er über den Fall und wälzt mehrere Möglichkeiten hin und her. Der Lösung kommt er aber letztendlich durch mehrere zufällig erhaltene Informationen auf die Spur, doch diese verknüpft er so geschickt und clever mit seinen eigenen Überlegungen, dass er alleine durch Logik alles vollständig aufklärt und schließlich doch für Gerechtigkeit sorgen kann. Insofern ist es wiederum tatsächlich eine Detektivgeschichte, bei der dem Leser nur eben „im Nachhinein“ alles dargelegt wird.

Die Geschichte ist sehr strukturiert in sieben Teile aufgeteilt, welche wiederum in einzelne Kapitel durchnummert werden. Im ersten Teil wird vollumfänglich die Familie vorgestellt, was schon eine sehr gute Charakterstudie darstellt und zeigt, wie die Persönlichkeiten der Kinder Grays sowie der Angeheirateten gepolt sind. Alles in allem ist die Geschichte sehr kompakt und besticht auch weniger durch große Action, ständigen Handlungsabläufen oder weitreichender Ermittlungsarbeit, sondern in hohem Maße an psychologischer Raffinesse. Die Beschreibung der einzelnen Eigenschaften der Protagonisten nehmen den größten Raum ein, ihr überbordender Egoismus, Skrupellosigkeit und Gier auf der einen sowie die Träume und Wünsche und innere Zerrissenheit auf der anderen Seite werden überdeutlich. Und so zerfällt mit dem Tod des Vaters ihre Scheinwelt komplett zu Trümmern. Diejenigen jedoch, die vorher schon bescheiden und zufrieden waren, wie zum Beispiel Isobel, leben auf und sind befreit von der Last den Schein um jeden Preis zu wahren. So erwächst sich für einige wenige doch noch etwas Gutes aus der Geschichte.

Fazit: Psychogramm eines Mörders und einer Familie, schriftstellerisch auf höchstem Niveau. Sehr gehobener Schreibstil, dennoch fesselnd und gut zu lesen. Mir persönlich gefallen Whodunnit-Krimis besser, und wer diese Form der klassischen (englische) Detektivgeschichte bevorzugt, ist hier falsch, der sollte lieber, als Weihnachtskrimi, „Geheimnis in rot“ von Mavis Doriel Hay lesen. Wer allerdings Sinn hat für tiefschürfende Charaktere vor der geheimnisvoll-düsteren Kulisse englischer Herrenhäuser, der ist hier genau richtig.