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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 31.10.2019

Lesevergnügen

Walter muss weg
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Hannelore Huber ist froh, als sie ihren Mann beerdigen kann: Endlich frei! Leider offenbart ein Unfall bei dieser Beerdigung, dass ein anderer als ihr Walter im Sarg liegt. Frau Huber fühlt sich betrogen ...

Hannelore Huber ist froh, als sie ihren Mann beerdigen kann: Endlich frei! Leider offenbart ein Unfall bei dieser Beerdigung, dass ein anderer als ihr Walter im Sarg liegt. Frau Huber fühlt sich betrogen und ermittelt in dem kleinen Dorf Glaubenthal.

Auf dieses Buch bin ich aufmerksam geworden, weil der Autor Thomas Raab im Verlauf der Aachener Krimitage eine Lesung über den ersten Fall von Frau Huber hält. Obwohl es hier um Ermittlungen geht und auch einige Leichen auftauchen, möchte ich Walter muss weg nicht als Krimi bezeichnen. Aber das will er auch gar nicht sein, so steht schon Roman auf dem Buchumschlag. Vielmehr liegt hier eine bitterböse Studie vor. Eine Studie über das Leben auf dem Land, in einem kleinen Dorf. Da blieb mir manches Lachen im Hals stecken. Aber der Roman möchte nicht nur witzig sein. Gleichzeitig wirft er Themen auf, die immer aktuell sind, wie z.B. Leben im Alter, Vernachlässigung von Kindern. An manchen Stellen bin ich schon nachdenklich geworden, vor allem dann, wenn Frau Huber über ihr Leben nachdenkt, ob sie immer die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Aber ich war nicht lange nachdenklich, zu schnell hat mich der Autor immer wieder geweckt...

Ein zweiter Fall für Frau Huber wird schwierig, denn Glaubenthal ist halt nur ein kleines Dorf und ich weiß auch nicht, ob man den Witz in dieser Souveränität in einen zweiten Band retten kann. Aber dieser Fall hat mich voll und ganz überzeugt. Für alle Fans von schwarzem Humor geeignet. Hardcore-Krimi-Fans werden hier keine große Freude haben.

Veröffentlicht am 30.10.2019

Leise und trotzdem eindringlich

Winterbienen
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Egidius Arimond lebt in einem kleinen Dorf in der Eifel. Ich habe ihn von Winter 1944 bis Frühjahr 1945 begleitet. Er schreibt in Tagebuchform von seinen Liebesgeschichten, seiner Arbeit als Fluchthelfer, ...

Egidius Arimond lebt in einem kleinen Dorf in der Eifel. Ich habe ihn von Winter 1944 bis Frühjahr 1945 begleitet. Er schreibt in Tagebuchform von seinen Liebesgeschichten, seiner Arbeit als Fluchthelfer, seinen Bienenstöcken, von seinem Leben und Überleben während des Zweiten Weltkrieges.

Winterbienen ist ein leises Buch. Leise und gleichzeitig sehr eindringlich lässt der Autor seine Hauptfigur erzählen. Von seinem Leben, das nicht so trostlos verläuft, wie man annehmen sollte. Wegen Epilepsie als nicht wehrtauglich eingestuft, verbringt Egidius seine Zeit in der Heimat u.a. als Tröster der alleingelassenen Frauen. Er kümmert sich um seine Winterbienen, die dem Roman den Namen geben. Das Bienenvolk, das der Autor zum Spiegelbild des Deutschen Volkes macht. Richtig gut gemacht!

"Überall in den dunklen Gängen der Stöcke haben die Arbeiterinnen jetzt mit dem Schlachten begonnen. Auf dem Rücken liegend, versuchen die einstigen Günstlinge der Königin, die wütenden Angriffe abzuwehren, aber es nützt ihnen nichts. Die zarten Flügel werden ihnen abgerissen, die wie Diamantsplitter glitzernden Augen ausgestochen. Erbarmungslos werden sie wie fremdartige, nicht mehr zu ihrem Volk gehörende Eindringlinge angegriffen und getötet." (Seite 195)

Die Schrecken des Krieges werden zunächst nur zwischen den Zeilen vermittelt; doch je länger die Lesedauer, desto offensichtlicher werden der Terror, der Mangel an Essen, die Gefahren und die Angst. Mit jeder Seite wird die Situation beklemmender, bis ich am Ende Egidius im Mai 1945 verlasse.

Der Roman hat mich sehr berührt. Ohne die Beschreibungen von Schlachten wird ein Krieg lebendig, werden die Gefahren, in die sich Menschen begeben, deutlich. Der Autor erzählt fast nebenbei von Zerstörung, aber auch von der Hoffnung auf Frieden, auf ein Leben danach.

Winterbienen ist das fünfte (und letzte) Buch, das ich von der Shortlist 2019 gelesen habe. Eine Rangfolge möchte ich nicht erstellen, kann aber sagen, dass ich es deutlich besser als den Siegertitel fand. Uneingeschränkte Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 25.10.2019

(Fast) Nix zu meckern

Böse Leute
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Weil der neue Polizeichef auf Sylt eine Reihe von Einbrüchen nicht aufklären kann, bildet sich ein Quartett um Hauptkommissar a.D. Karl Sönnigsen. Undercover ermittelt die Rentnercrew zwischen Eierlikör, ...

Weil der neue Polizeichef auf Sylt eine Reihe von Einbrüchen nicht aufklären kann, bildet sich ein Quartett um Hauptkommissar a.D. Karl Sönnigsen. Undercover ermittelt die Rentnercrew zwischen Eierlikör, Chorproben und Kochwettbewerben.

Böse Leute hat mir ausgesprochen gut gefallen. Vielleicht liegt es daran, dass der Krimi auf meiner zweiten Heimat Sylt spielt; vielleicht daran, dass das Personal ausnahmslos sympathisch bei mir angekommen ist; vielleicht liegt hier aber auch einfach ein guter Regionalkrimi vor. Miträtseln konnte ich zwar nicht, dafür war alles von Anfang an zu leicht zu durchschauen, aber ich war sehr gut unterhalten. Charmant, witzig und solide führte mich die Autorin durch die Einbrüche, durch ein Familiengeheimnis und vor allem über die Insel Sylt. Bitte kein Gemetzel erwarten, auch keine konstruierte und raffinierte Krimihandlung, aber richtig gute Unterhaltung.

Einen kleinen Abzug gibt es leider auch, denn die Autorin betreibt schamlose Werbung für das Restaurant mit dem großen S. Erstens glaube ich nicht, dass das Lokal überhaupt Werbung braucht und zweitens gibt es auf Sylt schönere und bessere Gastronomie.

Die Ermittler auf Sylt werden wieder in meinem Bücherregal landen.

Veröffentlicht am 22.10.2019

Intensiv und emotionslos zugleich

HERKUNFT
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"Herkunft" ist ein Buch über den ersten Zufall unserer Biografie: irgendwo geboren werden. Und was danach kommt. (Klappentext)

Ich habe den Roman erst gelesen, nachdem er den Deutschen Buchpreis erhalten ...

"Herkunft" ist ein Buch über den ersten Zufall unserer Biografie: irgendwo geboren werden. Und was danach kommt. (Klappentext)

Ich habe den Roman erst gelesen, nachdem er den Deutschen Buchpreis erhalten hatte...für mich überbewertet!

Sasa Stanisic reiht hier viele Anekdoten aneinander und da liegt das erste Problem für mich: Viele Geschichten waren sehr unterhaltsam und informativ; bei manchen musste ich aufpassen, dass meine Aufmerksamkeit nicht weniger wurde, sie haben mich einfach gelangweilt (liegt vielleicht an mir). Aber in jedem Roman gibt es Längen, das Problem hier ist, dass ich oft nicht wusste, was ist real erlebt, was ist Fiktion, was passiert wirklich. Dazu kommt mein zweites Problem, die Emotionsarmut im größten Teil des Romans. Die Flucht der Familie aus dem ehemaligen Jugoslawien, die Probleme in der neuen Heimat, das Abschieben der Eltern...das hat mich alles kalt gelassen, so steril ist der Erzählstil teilweise.

Aber Sasa Stanisic kann auch ganz anders erzählen. Die Begleitung seiner dementen Großmutter bis zu deren Tod hat mich dagegen sehr berührt. Auch das Ende finde ich sehr gelungen. Als Kind hat der Autor selber gerne solche Geschichten gelesen, in denen der Leser selbst bestimmen kann, wie es weitergeht; und hier gibt er mir die Möglichkeit, das Ende selber zu gestalten. Ich habe verschiedene Wege ausprobiert und so spielerisch und nebenbei vom Tod der Großmutter gelesen. Das ist wirklich gut gemacht.

Insgesamt hätte ich mir ein etwas "runderes" Buch gewünscht. Einen Roman, der nicht zwischen den verschiedenen Zeiten hin und her springt und die zahlreichen Anekdoten harmonischer zusammenbringt. Vielleicht ist es auch einfach nicht das richtige Buch für mich!

Veröffentlicht am 16.10.2019

Von Liebe, von Freundschaft, von Menschen, vom Leben

Was man von hier aus sehen kann
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Immer wenn Selma von einem Okapi träumt, stirbt jemand im Dorf. Wie Menschen handeln, wenn sie befürchten, es könnte sie treffen, davon erzählt Mariana Leky. Mehr noch, sie erzählt vom Dorf, von Menschen, ...

Immer wenn Selma von einem Okapi träumt, stirbt jemand im Dorf. Wie Menschen handeln, wenn sie befürchten, es könnte sie treffen, davon erzählt Mariana Leky. Mehr noch, sie erzählt vom Dorf, von Menschen, von Verlusten, von Gefühlen und von der großen Liebe.

Es hat relativ lange gedauert, bis ich Was man von hier aus sehen kann gelesen habe. Dann habe ich es erst schnell gelesen und dann mein Lesetempo immer mehr verlangsamt. Weil es so gut ist, weil ich noch lange von den Menschen auf dem Dorf lesen wollte, weil die Autorin von großen Gefühlen schreibt, ohne kitschig zu sein. Sie erzählt manchmal witzig, manchmal unglaublich traurig. Die Menschen in ihrem Roman sind Menschen wie Du und ich, auch wenn sie teilweise sehr skurrile Eigenschaften haben, mit ihren Stärken und Schwächen. Da wird auch mal eine große Liebe bis zum Sterbebett verschwiegen, oder es werden drei Besen in einen Ofen gesteckt, damit man Besuch bekommt. Die Hauptfigur und Erzählerin Luise kämpft um ihre große Liebe gegen alle Widerstände, die Zeitverschiebung und ihren Anrufbeantworter. Meine Lieblingsfigur ist allerdings die griegrämige Marlies, die in Unterwäsche und Norwegerpulli nur nachts Erbsen aus der Dose isst, weil sie den ganzen Tag das Essen vergessen hat.

Mariana Leky trifft auf jeder Seite, in jedem Abschnitt, in jedem Satz den richtigen Ton. Darüber, wie unterschiedlich Menschen mit der Liebe, dem Leben und dem Tod umgehen. Darüber möchte ich mehr lesen!