Vorab sei gesagt: der englische Titel „Copycat“ passt viel besser zu diesem Buch als der Deutsche. Denn er deutet schon an, worum es geht. Der Klappentext ist ebenfalls etwas vage und zeigt gar nicht, um was für ein wichtiges Thema es sich hier handelt.
Sarah Havenant, Ärztin, dreifache Mutter und Ehefrau, lebt im beschaulichen Städtchen Barrow in Maine. Eines Tages entdeckt sie auf facebook ein Profil mit ihrem Namen. Die Fotos dort zeigen ihr Leben: Ausflüge mit den Kindern, Dates mit ihrem Mann Ben. Das Problem: dies ist weder ihr Profil, noch hat sie die Fotos gemacht. Ein paar Tage später ist das Profil verschwunden, und als sie gerade aufatmet, flattert ein Paket ins Haus. Darin Bücher über dissoziative Störungen und eine Nachricht, in der sie sich selbst um Hilfe bittet. Die Bestellung wurde von ihrem Amazon-Konto getätigt, aber Sarah ist überzeugt, sie nicht aufgegeben zu haben. Genauso wie die Emails, die auf einmal in ihrem Namen verschickt werden, oder die Notizen, die Ben hinterlassen werden, in ihrer Handschrift. Sarah verzweifelt,.
„Bisher war ihr gar nicht klar gewesen, wie angreifbar sie und jeder andere tatsächlich waren. Durch facebook, Twitter, Craigslist, E-Mails, Online-Konten mit knackbaren Passwörtern und dem ganzen restlichen digitalen Fingerabdruck katapultierte man sich mitten ins Auge der Öffentlichkeit, und zwar auf eine Weise, die man noch vor zehn Jahren für töricht und sogar unverantwortlich gehalten hätte. […] Social Media war für die ganze Welt verfügbar.“ Pos. 3189
Dies wird Sarah dann langsam bewusst. Wie so viele ihrer Freundinnen nutzt sie facebook schließlich nur, um mit losen Bekannten in Verbindung zu bleiben. Man gibt ein paar Updates über sein Leben, wie sich die Kinder machen, das ist doch harmlos. Wer sollte daraus Kapital schlagen können?
Sarah ist authentisch gezeichnet. Auf der einen Seite versucht sie, ruhig zu bleiben um der Panik nicht die Oberhand zu geben, doch auf der anderen Seite weiß sie, dass sie ihre Kinder schützen muss – aber vor wem? Vor sich selber? Das meint zumindest Ben, ihr Mann. Nach und nach entfaltet Sarah sich für mich als komplexer Charakter, als auch noch die Beziehungsdynamik ins Spiel kommt. Ihre Handlungen sind nachvollziehbar. Langsam beginnt sie, angefangen bei ihren Patienten bis hin zu ihrer Schwiegermutter im fernen England alle zu verdächtigen. Wer würde das nicht?
„Nichts wird sich klären, im Gegenteil. Bald wird sie sich wünschen, dass alles wieder so sein könnte, wie es momentan ist. In ihrer Erinnerung werden das jetzt goldenen Zeiten sein. Und das sind sie irgendwie auch. Denn besser wird es nicht mehr für Sarah Havenant.“ Pos. 2829
Und dann, langsam kann Sarah aufatmen. Sie ist fest davon überzeugt, dass sie einen Weg gefunden hat, die Ereignisse aufzuklären. Doch ihr Leben beginnt wieder zu bröckeln, als sie erkennt, wie fest Ben daran glaubt, dass sie eine Persönlichkeitsstörung hat und alle Ereignisse Hilferufe ihres Unterbewusstseins sind. Sie muss Ben davon überzeugen, dass sie nichts mit alledem zu tun hat, dass sie keine Persönlichkeitsstörung hat. Aber das kann sie nicht, denn sie hat keine Beweise.
Langsam verwandelt sich ihre Welt in einen nicht endenden Alptraum – und die dunkle Spirale zieht sie immer weiter nach unten. Allerdings sind auch Bens Zweifel absolut nachvollziehbar. Auch wenn er seine Frau unterstützen will und ihr den Rücken stärken möchte, er ist sich nicht sicher, was er glauben kann. Und dann sind da noch seine Kinder, die er notfalls vor ihrer Mutter schützen muss.
„Endlich. Denn jetzt, nach all dem Planen und Warten und Beobachten, geht es richtig los. Das dichte Netz wird schon lange gesponnen. Und nun hat sie einen Faden davon in die Hand bekommen und wird daran ziehen. Und wenn sie es tut, wird sich das Netz auf eine Art und Weise auftrennen, die sie sich bisher überhaupt nicht vorstellen kann. Es gibt viele Fäden darin. [….] Durch den Versuch des Entwirrens verwickelt sie sich lediglich. Sie steckt fest. Ist gefangen.“ Pos. 402
Die Geschichte wird in drei Teilen erzählt. Anfangs eine kurze Rückblende, dann überwiegend aus Sarahs Sicht. Zwischendurch kommt der Täter zu Wort. Man erfährt nichts über seine Identität, über seine Beweggründe. Das trägt zur unterschwelligen Spannung bei. Denn so, wie man Sarah kennen lernt, hat man nicht den Eindruck, dass sie jemandem etwas Böses angetan hat. Nachdem ich den dritten Teil begonnen hatte, konnte ich gar nicht schnell genug lesen. Auch der Schreibstil hat viel zur Spannung beigetragen. Klare Sätze, wenig drumherum. Ich habe mit Sarah mitgefiebert, wollte nicht, dass sie selbst hinter all dem steckt, habe ihre Verzweiflung gespürt und wollte ihr helfen.
Fazit: Eine spannende Geschichte, die uns noch einmal ermahnt, nicht zu leichtfertig mit unserem digitalen Fußabdruck umzugehen.