Das Leben im Westen kann nur gut sein... oder etwa nicht?
Das Jahr ohne SommerDanke an Vorablesen und den Ullstein Verlag, die mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt haben. Meine Meinung ist davon unabhängig.
Das Jahr ohne Sommer ist ein Buch, das keinem ähnelt, was ...
Danke an Vorablesen und den Ullstein Verlag, die mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt haben. Meine Meinung ist davon unabhängig.
Das Jahr ohne Sommer ist ein Buch, das keinem ähnelt, was ich je gelesen habe. Es erzählt die Geschichte von einem namenlosen Kind, das in der DDR geboren wird und nach einer gescheiterten Flucht in einem Kinderheim und bei seiner Oma lebt, bis die Eltern es in den Westen nachholen können. Die Geschichte begleitet die Familie in ihrem Alltag zwischen dem verheißungsvollen, goldenen Westen und dem einengenden, grauen Osten, bis 1989 schließlich die Mauer fällt. Dabei stellt das Buch aber genau diese Dualität und Gegensätze von BRD und DDR in Frage, und stellt die Suche nach Heimat in den Mittelpunkt.
„Unser Leben musste gut sein, es konnte gar nicht anders als gut sein, hier im äußersten Westen des Landes, nach allem, was uns passiert war.“ (S. 154)
Da ich erst nach dem Mauerfall geboren bin, sind solche Geschichten für mich immer wie ein Blick in eine andere Realität, fast dystopisch kommen mir die Geschehnisse rund um die DDR vor. Und dabei sind sie alle war. Genau wie diese Geschichte, die autobiographisch von der Autorin geprägt ist (was mir beim Lesen erst nicht so klar war).
Die kurzen Kapitel sind leicht und zugänglich zu lesen trotz den teils sehr langen Sätzen, haben aber auch etwas Episodenhaftes an sich, sodass es sich mehr wie eine Aneinanderreihung von Begebenheiten liest als eine richtige Geschichte. Ich bin zwar durch die Seiten geflogen (es ist auch ein kurzes Buch), aber richtig in die Tiefe ist die Geschichte für mich leider nicht gegangen.
Inhaltlich hat es mir gut gefallen. Es fällt mir auch schwer, hier etwas Schlechtes zu sagen, weil es sich ja um echte Lebensrealitäten von der Autorin und ihrer Familie handelt. Der Kontrast zwischen Ost und West, genauer gesagt Leipzig und Aachen, wird in Anekdoten sichtbar. Familienurlaube und Alltag dominieren die Erzählung, und immer wieder auch die Musik, da die Eltern beide Musiker sind. Die Mutter wird arbeitsunfähig, depressiv, während der Vater in Aachen aufzublühen scheint. Auch hier wird wieder ein spannender Kontrast geschaffen, der zeigt, wie unterschiedlich Personen auf die gleichen Umstände reagieren.
„Die Dur-Welt meines Vaters, seine Heiterkeit und Lautheit waren eine Zumutung. […] Die Moll-Welt meiner Mutter war mir vertrauter, ich fühlte mich zu Hause in ihr.“ (S. 155)
Es ist ein teils sehr melancholisches Buch, weil wie erwartet doch nicht alles im Westen perfekt ist, die Familie immer noch von Problemen verfolgt wird und die depressive Traurigkeit der Mutter auch auf die Tochter überschwappt. Diese authentischen Einblicke in die Konflikte von Menschen aus der DDR haben mir gut gefallen.
Leider ist die emotionale Distanz bis zum Ende geblieben, und das Ende mochte ich irgendwie gar nicht. Dort ist mir erst bewusst geworden, dass hier die Autorin biographische Elemente eingebaut hat, weil sie plötzlich den kompletten weiteren Verlauf ihres Lebens beschrieben hat, inklusive ausführlicher Erzählungen zu ihrer Herzkrankheit und irgendwie hat mich das thematisch sehr rausgerissen, und ich habe den Zusammenhang zu dem vorherigen Teil nicht gesehen. Ich glaube, ich hätte es stimmiger gefunden, wenn die Autorin ihre Erzählungen kurz nach dem Mauerfall beendet, dann wäre das irgendwie ein guter natürlicher Abschluss gewesen, der einem noch Raum für Fantasie lässt.
Ich gebe insgesamt 3.5 ⭐️und fand die Einblicke in das Leben eines Kindes, das zwischen DDR und BRD aufwächst, wirklich sehr interessant, aber hätte mir mehr Nähe und Emotionalität gewünscht.