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Veröffentlicht am 02.06.2021

Größte Erkenntnisse über das Leben

Der alte Mann und das Meer
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„Der alte Mann und das Meer“ von Ernest Hemingway ist im Jahre 1952 erschienen und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Hemingway mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde.
Auf den ersten Blick ...

„Der alte Mann und das Meer“ von Ernest Hemingway ist im Jahre 1952 erschienen und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Hemingway mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde.
Auf den ersten Blick handelt die Geschichte von einem alten Fischer namens Santiago. Er hat seit 84 Tagen keinen nennenswerten Fisch mehr gefangen. Früher hat ihn der Junge Manolin beim Fischen begleitet, aber seine Eltern haben ihm das nun verboten, da der alte Mann vom Pech verfolgt sei. Dennoch kümmert sich Manolin um den alten Mann, wenn dieser abends wieder heimkehrt oder morgens, wenn er hinaus fährt. Meist sprechen die beiden dabei über Baseball. Später am Abend legt sich Santiago schlafen und träumt von den Löwen an der Küste Afrikas, die er einst bereiste.

Auch an dem Tag, an dem Geschichte beginnt, hilft Manolin dem alten Mann. Am kommenden Morgen fährt der alte Mann ganz früh bereits auf die See hinaus – weit, sehr weit fährt er hinaus. Im Gegensatz zu den moderneren Fischern, die Motorboote und Fangnetze benutzen, hat Santiago noch eine hohe Achtung vor den Fischen, die er fängt. Dabei macht er in seiner Einsamkeit die Bekanntschaft von fliegenden Fischen, einem kreisenden Vogel, der ihm den Weg zu den großen Fischen weisen soll, einem kleineren Vogel, der zu weit hinaus geflogen scheint und schließlich fängt er einen kleineren Tunfisch, den er später verzehren wird. Nach langem Warten beißt ein sehr großer Marlin in den Haken. Es wird für den alten Mann ein Kampf auf Augenhöhe werden, der beide stark verletzen und schwer zeichnen wird. Er erkennt die große Leistung des Fischs voller Bewunderung an, sieht sich selbst und den Fisch sogar als Brüder. Als beide am Ende ihrer Kräfte angelangt sind, gewinnt letztlich der Fischer den Kampf.

Allerdings ist der Fisch zu groß, um ihn an Bord nehmen zu können, und wird am Boot vertäut. Nun kommen nach und nach immer mehr Haie, die sich große Stücke aus dem Fisch herausreißen und fressen. Der alte Mann sieht den Kampf gegen die Haie immer mehr aus der Sicht des Fisches und versucht diesen so gut wie möglich zu verteidigen – er ist letzten Endes damit jedoch erfolglos. Nur noch mit dem Gerippe des Fisches erlangt der Fischer das Ufer und sein Heimatdorf. Und dennoch bringt ihm das große Bewunderung der anderen Fischer ein. Völlig entkräftet und ermüdet fällt er an jenem Abend ins Bett und versinkt in Schlaf. Der Junge Manolin, der beschlossen hat von nun an wieder mit dem alten Mann zur See zu fahren, kümmert sich nun wieder um ihn, da er ihn voller Bewunderung für einen ganz großen Fischer hält.

Angelegt in der literarischen Form einer Parabel ist die sehr detaillierte Beschreibung des Fischfangs, wie bei Hemingway üblich, nur die Oberfläche seiner Geschichte. Der wahre Kern der Botschaft liegt verborgen zwischen den Zeilen und stellt eine tiefe und vielschichtige Einsicht über Geduld, Alter, Kampf, Verlust, Einsamkeit, Durchhalten und den Glauben dar. Für mich persönlich gehören sowohl die Geschichte selbst, als auch die Erkenntnissen, zu denen der Leser durch Interpretation gelangen kann, zu den besten literarischen Werken Hemingways.

Das Hörbuch ist recht angenehm von Kurt Ebbinghaus gesprochen und erinnert an alte Aufnahmen der Wochenschau, die man hin und wieder im Fernsehen mal zu sehen und hören bekommt.

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Veröffentlicht am 31.05.2021

Hommage an „Die große Zelda“ im Schatten des literarischen Genies

Tage mit Gatsby
10

Wer kennt ihn nicht, Francis Scott Key Fitzgeralds weltberühmten „Der Große Gatsby“. Mit seinen Protagonisten Daisy, Tom, Jay, Jordan, George und Myrtle, einer Reihe von Nebencharakteren sowie dem Erzähler ...

Wer kennt ihn nicht, Francis Scott Key Fitzgeralds weltberühmten „Der Große Gatsby“. Mit seinen Protagonisten Daisy, Tom, Jay, Jordan, George und Myrtle, einer Reihe von Nebencharakteren sowie dem Erzähler Nick stellt der Roman eines der bedeutendsten Werke der amerikanischen Literatur und eines der wichtigsten Gesellschaftsporträts der Nachkriegsjahre nach dem ersten Weltkrieg dar. Insbesondere in den USA ist es die Zeit der Prohibition, der „Roaring Twenties“, des „Jazz Age“, der „Lost Generation“ und natürlich auch der „Flappers“, die mit viel Selbstbewusstsein, ihren ersten Emanzipationsversuchen und ihrer Mode eine ganz eigene, neue Lebensphilosophie etablieren wollen. Eine der herausragendsten und schillerndsten Persönlichkeiten dieser Epoche ist die Stil-Ikone und Frau des großen Schriftstellers - Zelda Sayre Fitzgerald. Sie ist die Hauptfigur in Joséphine Nicolas‘ Erstlingswerk „Tage mit Gatsby“, in welchem uns die Autorin sehr faszinierend und emotional mitreißend die Zusammenhänge und Hintergründe zur Entstehungsgeschichte des „Großen Gatsby“ näher bringt. Joséphine Nicolas lässt dem Leser dabei auf allerhöchstem sprachlichen Niveau die gesamte Handlung so authentisch und lebensnah aus Sicht von Zelda Fitzgerald erzählen, dass man das Gefühl bekommt, ständiger Begleiter Zeldas zu sein, Zelda direkt zuzuhören und auch an ihren Gedanken und Emotionen teilzuhaben. Der Sprachstil wurde dazu perfekt an die „Zwanziger“ adaptiert; sämtliche Orte, an denen sich die Fitzgeralds damals aufhielten, wurden von der Autorin aufgesucht, um sich noch besser in ihre Charaktere hinein versetzen zu können.

Das Buch beginnt mit der Widmung „Once again to Zelda“, gefolgt von einem Zitat Francis S. Fitzgeralds, in dem er Zweifel äußert, ob Zelda und er überhaupt real seien oder vielmehr Figuren in einer seiner Geschichten. Es wird genau diese interessante Frage sein, die sich der Leser am Ende des Buches im Hinblick auf die Vorlage „Der Große Gatsby“ auf die eine oder andere Art ebenso stellen wird.
Wir erfahren im Verlauf des Buches, wie sich die beiden gegen die Einwände von Zeldas Familie kennen und lieben gelernt haben, wie Zelda aus dem Elternhaus ausbricht, (nach Scotts Ideen) zum „Flapper“, Party- und It-Girl geformt wird, gleichzeitig aber auch Scotts Muse und engste Beraterin ist. Skrupellos bedient Scott sich der Ideen und Emotionen in ihren Tagebüchern und ihrem Alltagsleben, veröffentlicht teils mit, teils ohne ihre Zustimmung Zeldas Texte. Darüber hinaus versucht er Zeldas Talent zum Schreiben kleinzureden und sie am Veröffentlichen ihrer eigenen Literatur zu hindern.
Die beiden lieben sich, die beiden hassen sich; sie können nicht ohne einander, aber genauso wenig miteinander – es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Hassliebe. Wir erfahren von Alkoholexzessen, unzähligen Partys, Ehekrisen, Fremdgehen, Geldnot, Scotts Schreiben von Kurzgeschichten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes, Treffen und Flirten mit allerlei Prominenz jener Epoche, der Reise von den USA nach Paris, weiter nach Südfrankreich (hierzu wurde auch das wunderschön passende Buchcover gewählt), nach Rom und Capri und wieder zurück in die USA. Wir lesen auch vom französischen Piloten Jozan, der Zelda das Herz bricht und sie in eine tiefe Krise stürzt. Schließlich hören wir auch von Zeldas und Scotts kleiner Tochter Scottie, die zeitweise in kleinen Hotelzimmern zwischen Alkoholflaschen und Exzessen oder bei befreundeten Familien aufwächst, vorwiegend von der Nanny betreut wird und von ihren überforderten Eltern nie die Aufmerksamkeit und Liebe bekommt, die eine Zweijährige unbedingt benötigt. Und zu guter Letzt erfahren wir auch von Scotts und Zeldas bitterem Ende.

Grandios gelingt es Joséphine Nicolas die gesamte Handlung zusammen mit der damit verbundenen Gefühlswelt dem Leser, eingefärbt durch Zeldas Blick auf das Geschehen, sehr glaubhaft und authentisch zu vermitteln. Gleichermaßen erkennt der Leser, wie Scott Fitzgerald sein gesamtes Umfeld detailliert beobachtet und instrumentalisiert, sich die Emotionen und Eigenschaften aller zu Nutze macht und all das auf wunderbarste Weise in seine Geschichten zu integrieren vermag. Selbst die vernachlässigte kleine Scottie wurde von ihm in seinen Roman übernommen. Zum Abschluss wartet „Tage mit Gatsby“ dann auch noch mit einem beeindruckenden Epilog auf, der sich tief in die Erinnerungen des Lesers eingräbt.

Fazit: Mit ihrem Debüt-Roman hat Joséphine Nicolas sicherlich einen der aktuell allerbesten deutschsprachigen Romane geschrieben, der den Leser vom Anfang bis zum Ende mitreißt und in dessen Geschichte Realität und Fiktion ideal miteinander verwoben sind. Sprachlich, informativ und emotional ist „Tage mit Gatsby“ auf allerhöchstem Niveau. Wer „Der große Getsby“ mag, wird „Tage mit Gatsby“ lieben. Nach Joséphine Nicolas Roman liest man den „Großen Gatsby“ nochmal mit einem ganz neuen und frischen Blick auf das dortige Geschehen, möglicherweise ja sogar durch die Augen des mysteriösen Dr. T. J. Eckelburg. Für mich persönlich zählt „Tage mit Gatsby“ bereits jetzt zu den absoluten Lesehighlights des Jahres 2021.

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Veröffentlicht am 30.05.2021

Tod und späte Einsichten eines unvollendeten Schriftstellers

Schnee auf dem Kilimandscharo
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(Anmerkung: Da es sich um eine Kurzgeschichte handelt, scheint es mir unmöglich eine vernünftige aussagekräftige Rezension schreiben zu können, ohne dabei zu SPOILERN.)

„Schnee auf dem Kilimandscharo“ ...

(Anmerkung: Da es sich um eine Kurzgeschichte handelt, scheint es mir unmöglich eine vernünftige aussagekräftige Rezension schreiben zu können, ohne dabei zu SPOILERN.)

„Schnee auf dem Kilimandscharo“ ist vermutlich die bekannteste Kurzgeschichte des großen Ernest Hemingway. Die Geschichte wurde 1936 veröffentlicht und handelt von dem Schriftsteller Harry, der sich zusammen mit seiner Lebensgefährtin Hellen auf einer Fotosafari in Afrika befindet und sich beim Fotografieren einer Herde Wasserböcke im Grunde genommen nur leicht verletzt. Allerdings wurde die Wunde nur unzureichend versorgt, der Wundbrand hat sich entzündet und Harry hat das Gefühl daran sterben zu müssen. Anfangs hatte die Wunde geschmerzt, aber nun sind die Schmerzen vorbei. Da ihr Lastwagen defekt ist, müssen sie ihr Lager mitten in der Wildnis aufschlagen. Harry nutzt die Zeit um, unterbrochen von Fieberschüben, nochmals über sein Leben zu sinnieren. Dabei fällt ihm auf, dass er seine Lebensgefährtin, die sich liebevoll um ihn kümmert, nicht mehr wirklich liebt, vielleicht nie wirklich geliebt hat, sondern lediglich aus Bequemlichkeit mit ihr zusammen ist und sich von der Witwe aushalten lässt, da sie einerseits gut im Bett ist und andererseits reich ist und nie eine Szene macht. Er hat das Gefühl von den Geiern bereits beobachtet zu werden und eine Hyäne schleicht, angezogen vom Geruch seiner Wunde, unentwegt um das Lager herum. Verschiedene Frauen aus seinem Leben fallen ihm wieder ein und Lebensabschnitte aus seiner Kindheit, aus dem Schwarzwald, aus Paris, aus den Alpen, aus Nordamerika und aus seiner Kriegszeit kommen ihm wieder ins Gedächtnis, u.a. eine Geschichte über einen Jungen, der jemanden erschossen hat und dafür ins Gefängnis musste, das aber nicht nachvollziehen konnte. Kurz gesagt: Ganz viele Erinnerungen, die für ihn immer das Potenzial zum Aufschreiben gehabt hätten, die er aber nie zu Papier gebracht hat, was er nun sehr bedauert. Dazwischen immer wieder wirre Gedanken und Dialoge mit Hellen.

Er bittet Hellen, die nicht an seinen nahenden Tod glaubt, ihn seine letzte Nacht im Freien verbringen zu lassen. Hellen jedoch lässt Harry, den sie fälschlicherweise im Schlaf wähnt, ins Zelt tragen. Harry macht sich noch allerlei Gedanken über den Tod, der sich ihm immer mehr zu nähern scheint, schläft aber dann doch ein. Am anderen Morgen kommt er zu sich und das Flugzeug, das ihm letzte Hoffnung auf seine Rettung verspricht, ist eingetroffen. Er wir verladen und der Flug beginnt. Allerdings steuert der Pilot schließlich auf den gleißend hellen Gipfel des Kilimandscharo zu.

Mit der Beschreibung dieses Gipfel und einem kurzen Abriss über den Kilimandscharo, der schneebedeckt sei, eine Höhe von 6000 Metern besitzt und als der höchste Berg von Afrika gilt, hat die Geschichte genau genommen eingangs begonnen: Die Einheimischen nennen seinen Gipfel „Das Haus Gottes“. Knapp unter dem Gipfel wurde das gefrorene Gerippe eines Leoparden gefunden, von dem aber niemand weiß, was der Leopard in dieser Höhe überhaupt wollte. Und Harry wird nun klar, was geschehen ist. Hellen wird an diesem Morgen durch das klagende Heulen einer Hyäne geweckt, schaut zu Henry und sieht, dass sein Bein aus dem Lager heraushängt und der Verband komplett abgewickelt ist. Sie kann nicht hinschauen und versteht nun, dass Harry tatsächlich tot ist.

Aber Hemingway wäre nicht Hemingway, wenn da nicht noch eine tiefsinnige Botschaft dahinter stecken würde. Was auf den ersten Blick eher als eine zusammenhangslose, verwirrende Geschichte, die den Fieberwahn von Harry widerspiegelt, angesehen werden kann, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung, als eine geniale Vernetzung von Leben, Genuss, Zeit, Erinnerungen, Bequemlichkeiten, Glaube, Hoffnung, Liebe und Tod. Jede noch so kleine Beobachtung und Randnotiz entpuppt sich für das Verständnis als essentiell wichtig. Obwohl die Geschichte ungewöhnlich kurz ist, trägt sie zu viel Information und Interpretation in sich, all dass man dies alles beim ersten Lesen erfassen kann. Sie ist allerdings kurz genug, als dass sie sich nach einem ersten Lesen und darüber Nachdenken problemlos nochmals lesen lässt.

Fazit: Obwohl „Schnee auf dem Kilimandscharo“ beim ersten Lesen als eine verwirrende, fast schon belanglose Geschichte erscheint, bei der der Leser kaum erfasst, wo die Handlung überhaupt hinführen soll, handelt es sich bei genauer Betrachtung um eine vielschichtige Auseinandersetzung mit Leben und Tod. Nicht umsonst hat sie völlig verdient Weltruhm erreicht. In vielen äußerst kurzen Sätzen teilt Hemingway detailreich seine Beobachtungen mit. Die wahre Bootschaft des Textes liegt allerdings verborgen zwischen den Zeilen und der Leser muss sie für sich selbst entdecken. Von meiner ganz persönlichen Warte aus gesehen, handelt es sich bei „Schnee auf dem Kilimandscharo“ um ein literarisches Meisterwerk.

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Veröffentlicht am 30.05.2021

Tod und späte Einsichten eines unvollendeten Schriftstellers

Schnee auf dem Kilimandscharo
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(Anmerkung: Da es sich um eine Kurzgeschichte handelt, scheint es mir unmöglich eine vernünftige aussagekräftige Rezension schreiben zu können, ohne dabei zu SPOILERN.)

„Schnee auf dem Kilimandscharo“ ...

(Anmerkung: Da es sich um eine Kurzgeschichte handelt, scheint es mir unmöglich eine vernünftige aussagekräftige Rezension schreiben zu können, ohne dabei zu SPOILERN.)

„Schnee auf dem Kilimandscharo“ ist vermutlich die bekannteste Kurzgeschichte des großen Ernest Hemingway. Die Geschichte wurde 1936 veröffentlicht und handelt von dem Schriftsteller Harry, der sich zusammen mit seiner Lebensgefährtin Hellen auf einer Fotosafari in Afrika befindet und sich beim Fotografieren einer Herde Wasserböcke im Grunde genommen nur leicht verletzt. Allerdings wurde die Wunde nur unzureichend versorgt, der Wundbrand hat sich entzündet und Harry hat das Gefühl daran sterben zu müssen. Anfangs hatte die Wunde geschmerzt, aber nun sind die Schmerzen vorbei. Da ihr Lastwagen defekt ist, müssen sie ihr Lager mitten in der Wildnis aufschlagen. Harry nutzt die Zeit um, unterbrochen von Fieberschüben, nochmals über sein Leben zu sinnieren. Dabei fällt ihm auf, dass er seine Lebensgefährtin, die sich liebevoll um ihn kümmert, nicht mehr wirklich liebt, vielleicht nie wirklich geliebt hat, sondern lediglich aus Bequemlichkeit mit ihr zusammen ist und sich von der Witwe aushalten lässt, da sie einerseits gut im Bett ist und andererseits reich ist und nie eine Szene macht. Er hat das Gefühl von den Geiern bereits beobachtet zu werden und eine Hyäne schleicht, angezogen vom Geruch seiner Wunde, unentwegt um das Lager herum. Verschiedene Frauen aus seinem Leben fallen ihm wieder ein und Lebensabschnitte aus seiner Kindheit und aus seiner Kriegszeit kommen ihm wieder ins Gedächtnis, u.a. eine Geschichte über einen Jungen, der jemanden erschossen hat und dafür ins Gefängnis musste, das aber nicht nachvollziehen konnte. Kurz gesagt: Ganz viele Erinnerungen, die für ihn immer das Potenzial zum Aufschreiben gehabt hätten, die er aber nie zu Papier gebracht hat, was er nun sehr bedauert. Dazwischen immer wieder wirre Gedanken und Dialoge mit Hellen.

Er bittet Hellen, die nicht an seinen nahenden Tod glaubt, ihn seine letzte Nacht im Freien verbringen zu lassen. Hellen jedoch lässt Harry, den sie fälschlicherweise im Schlaf wähnt, ins Zelt tragen. Harry macht sich noch allerlei Gedanken über den Tod, der sich ihm immer mehr zu nähern scheint, schläft aber dann doch ein. Am anderen Morgen kommt er zu sich und das Flugzeug, das ihm letzte Hoffnung auf seine Rettung verspricht, ist eingetroffen. Er wir verladen und der Flug beginnt. Allerdings steuert der Pilot schließlich auf den gleißend hellen Gipfel des Kilimandscharo zu.

Mit der Beschreibung dieses Gipfel und einem kurzen Abriss über den Kilimandscharo, der schneebedeckt sei, eine Höhe von 6000 Metern besitzt und als der höchste Berg von Afrika gilt, hat die Geschichte genau genommen eingangs begonnen: Die Einheimischen nennen seinen Gipfel „Das Haus Gottes“. Knapp unter dem Gipfel wurde das gefrorene Gerippe eines Leoparden gefunden, von dem aber niemand weiß, was der Leopard in dieser Höhe überhaupt wollte. Und Harry wird nun klar, was geschehen ist. Hellen wird an diesem Morgen durch das klagende Heulen einer Hyäne geweckt, schaut zu Henry und sieht, dass sein Bein aus dem Lager heraushängt und der Verband komplett abgewickelt ist. Sie kann nicht hinschauen und versteht nun, dass Harry tatsächlich tot ist.

Aber Hemingway wäre nicht Hemingway, wenn da nicht noch eine tiefsinnige Botschaft dahinter stecken würde. Was auf den ersten Blick eher als eine zusammenhangslose, verwirrende Geschichte, die den Fieberwahn von Harry widerspiegelt, angesehen werden kann, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung, als eine geniale Vernetzung von Leben, Genuss, Zeit, Erinnerungen, Bequemlichkeiten, Glaube, Hoffnung, Liebe und Tod. Jede noch so kleine Beobachtung und Randnotiz entpuppt sich für das Verständnis als essentiell wichtig. Obwohl die Geschichte ungewöhnlich kurz ist, trägt sie zu viel Information und Interpretation in sich, all dass man dies alles beim ersten Lesen erfassen kann. Sie ist allerdings kurz genug, als dass sie sich nach einem ersten Lesen und darüber Nachdenken problemlos nochmals lesen lässt.

Fazit: Obwohl „Schnee auf dem Kilimandscharo“ beim ersten Lesen als eine verwirrende, fast schon belanglose Geschichte erscheint, bei der der Leser kaum erfasst, wo die Handlung überhaupt hinführen soll, handelt es sich bei genauer Betrachtung um eine vielschichtige Auseinandersetzung mit Leben und Tod. Nicht umsonst hat sie völlig verdient Weltruhm erreicht. In vielen äußerst kurzen Sätzen teilt Hemingway detailreich seine Beobachtungen mit. Die wahre Bootschaft des Textes liegt allerdings verborgen zwischen den Zeilen und der Leser muss sie für sich selbst entdecken. Von meiner ganz persönlichen Warte aus gesehen, handelt es sich bei „Schnee auf dem Kilimandscharo“ um ein literarisches Meisterwerk.

Ich habe sowohl das Buch gelesen, als auch das Hörbuch in der hier vorliegenden sowie in einer weiteren Version gehört. Inhaltlich sind sie natürlich alle gleich. Anzufügen bleibt aber für das Hörbuch, dass sowohl das Lesetempo als auch die Stimmen von Rosemarie Fendel und Peter Lieck nicht schlecht gewählt sind. Allerdings gefällt mir persönlich die Hörbuchversion mit Otto Sander als Sprecher um ein Vielfaches besser.

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Veröffentlicht am 06.05.2021

Geschichte über die welt-hübscheste Kuh, einen pedantischen Fasan und einen Stalker mit unwiderstehlich sinnlicher Stimme

Laudatio auf eine kaukasische Kuh
9

Der Roman „Laudatio auf eine kaukasische Kuh“ von Angelika Jodl setzt sich mit der interessanten Thematik „Deutsche mit Migrationshintergrund“ auseinander. In diesem Fall handelt es sich um die sympathische ...

Der Roman „Laudatio auf eine kaukasische Kuh“ von Angelika Jodl setzt sich mit der interessanten Thematik „Deutsche mit Migrationshintergrund“ auseinander. In diesem Fall handelt es sich um die sympathische Olga Evgenidou mit ihrer Familie. Die Familie mit ursprünglich pontos-griechischen Wurzeln kam aus Georgien nach Deutschland. Von nahezu jeder Region, in der die Großfamilie eine gewisse Zeitspanne verbrachte, hat sie kulturelle und sprachliche Einflüsse mitgebracht. Olga fühlt sich selbst aber durch und durch als Deutsche – zumindest vorwiegend. Sie gehört der Generation an, die das Gefühl besitzt, in Deutschland manchmal als Ausländerin angesehen zu werden und in Georgien wiederum als Deutsche. Als Konsequenz verschweigt sie zumeist ihre Herkunft und vermeidet grundsätzlich ein Aufeinandertreffen ihrer Freunde mit ihrer Familie. Hierbei kommt ihr zupass, dass sie in Bonn Medizin studiert, ihre Familie aber in München lebt.

Bereits im Prolog darf der Leser miterleben wie Olga entsprechend der kulturellen Wurzeln ihrer Familie als Teenager von ihrer Mutter zur Heirat versprochen werden soll, dessen sie sich aber mit allen ihr möglichen Mitteln entschieden widersetzt. Mit einem kleinen Zeitsprung landen wir sodann in ihrem Praktischen Jahr, welches sie in einem Krankenhaus vorwiegend als „Vampir“ mit Blutabnehmen verbringt. Nach einer gescheiterten Kurzzeitbeziehung, von der wir erfahren, dass ihr Ex vorwiegend die Wand angeschrien hat, hat sie dort nach zwei Jahren Abstinenz inzwischen ihren aus einer traditionsreichen Arztfamilie abstammenden Traummann Felix van Saan kennengelernt, der super sportlich, gut aussehend, erfolgreich, aber vielleicht ein wenig zu versnobt, pedantisch, kühl und kontrolliert ist. Die beiden scheinen dennoch ideal für einander geschaffen, lieben sich sehr, heiraten, bekommen Kinder und leben, abgesehen von kleineren kulturellen Schwierigkeiten, dann glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage in Kiel, der Heimat von Felix. Ähm … nein ..., so hätte es im Prinzip weitergehen können, aber leider gibt es nun zwei kleinere Probleme: Das eine ist, dass Olga ihrem Prinzen ihre Familie aufgrund der georgischen 'Roots' nicht vorstellen möchte. Das zweite, viel größere ist aber, dass Olga von einem Stalker namens Jack Jennerwein, der mehr oder weniger von einer Art Wilddieben wie Robin Hood abstammt und dann eben doch wieder nicht, ausspioniert und verfolgt wird, sogar in Olgas Familie schleicht er sich ein. Der arbeitslose „Tschäk“ ist gleichermaßen Lebenskünstler, Hochstapler, 'Ghost' und Nervensäge in einem und wirklich über der Maßen hartnäckig und macht alles, was bei Olga (und dem Leser) eigentlich nicht gerade sympathisch ankommen kann. Nichtsdestotrotz ist Olga hin und weg und vibriert innerlich, wenn Jack auch nur ein Wort spricht - jawohl, wenn er spricht. Und dann steht wegen Olgas Mutter, die aus ungeklärten Gründen mal mehr, mal weniger krank ist, noch eine Reise nach Georgien an, bei der sowohl ihr Stalker als auch ihr zukünftiger Verlobter Olga hinterher reisen. Für weiter Details sollte man dann aber das Buch konsultieren.

Angelika Jodls Schreibstil ist sprachlich wirklich klasse und mitreisend und auch die Aufteilung in recht kleine Kapitel lässt die Geschichte beim Leser nie langweilig werden. Das Cover des Buches ist mindestens so interessant gestaltet wie die Thematik „Deutsche mit Migrationshintergrund“. Leider wurde aus dieser Basis für meinen Geschmack viel zu wenig gemacht, das Potential dieses Plots bei weitem nicht ausgeschöpft. Alle Charaktere sind zu überzeichnet dargestellt, was sie fast als Karikaturen erscheinen lässt. Und dennoch hat das Buch etwas, das mich auf eine nicht-beschreibbare Art fasziniert. Am glaubwürdigsten kommen sicherlich der Prolog, die Schilderungen zum Praktischen Jahr im Krankenhaus und die Reise nach Tiflis herüber – letztere wurde wiederum so gut beschrieben, dass ich als Leser zusammen mit Olgas Verwandtschaft am Tisch saß, deren Gastfreundschaft genossen habe und Einblicke in die Kultur und das Leben am Kaukasus bekam. Einige Charaktere habe ich gewissermaßen ins Herz geschlossen, darunter Olga, ihre coole Großmutter, ihren Studienkollegen Hamed und ihre Cousine Salome. Mit anderen Charakteren, wie beispielsweise Jack, Medi, Fotis oder Olgas Mutter Chrysanthi konnte ich hingegen leider nie warm werden.

Fazit: Ein sprachlich wirklich toller Roman mit einer aktuellen und interessanten Fragestellung und einer Liebesgeschichte, die mich als Leser allerdings spätestens bei Olgas und Jacks Zugfahrt nach Bonn zum verzweifeln bringt. Der absolute Höhepunkt des Buches ist sicherlich die Reise nach Georgien. Ich muss gestehen, selten war ich bei einem Buch so hin und her gerissen, selten lagen für mich Licht und Schatten eines Romans so nahe beieinander. Eine etwas abgewandelte Story mit Jack nicht als Stalker und Ghostwriter, sondern meinetwegen als ehrlicher Blumenverkäufer, Bäcker oder Metzger am Münchner Bahnhof oder als bescheidener Gastwirt zusammen mit einem kaukasischen Hund in Passau ... ja, das wäre es vermutlich gewesen, was mich begeistert hätte.

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