Thema mit viel Potential, dem etwas mehr Fokus bei der Geschichte gutgetan hätte
Anatomie eines SkandalsAnkündigungstext und auch die ersten Kapitel von Sarah Vaughans „Anatomie eines Skandals“ versprechen dem Leser eine toughe Staatsanwältin, die einen hochkarätigen Politiker wegen Vergewaltigung in die ...
Ankündigungstext und auch die ersten Kapitel von Sarah Vaughans „Anatomie eines Skandals“ versprechen dem Leser eine toughe Staatsanwältin, die einen hochkarätigen Politiker wegen Vergewaltigung in die Mangel nimmt und die Sicht seiner Ehefrau, die zwischen Zweifel und Loyalität hin- und hergerissen ist. Die Geschichte nimmt dann leider eine völlig andere Richtung, was nicht schlecht wäre, wenn der beschrittene Pfad wenigstens interessant oder nachvollziehbar wäre. Wer auf ein Gerichtsdrama, einen Polit-Thriller oder eine psychologische Studie, was ein Skandal mit den Angehörigen der Beteiligten anrichtet, gehofft hat, wird sehr enttäuscht werden.
Der Roman beginnt mit der Anwältin Kate, die sich als Ich-Erzählerin den Lesern als kompromisslose Staatsanwältin vorstellt. Sie übernimmt nach einem enttäuschenden Freispruch in einem Vergewaltigungsfall die Anklage gegen den hochrangigen Politiker James Whitehouse, der außerdem ein enger Freund des Premierministers ist. Whitehouse wird von einer ehemaligen Untergebenen vorgeworfen, sie vergewaltigt zu haben. Im nächsten Kapitel springen wir ein paar Monate zurück und in die Perspektive von James´ Frau Sophie, die an diesem Abend von ihrem Mann erfahren muss, dass er eine Affäre hatte und die Presse davon weiß. Sophie fürchtet um ihren Mann und fühlt sich an dunkle Ereignisse aus der Vergangenheit erinnert.
Im Laufe der Geschichte wechseln wir mehrfach zwischen Ereignissen vor 20 Jahren und dem Gerichtsprozess sowie den Perspektiven von noch drei weiteren Personen hin und her. Wenn die Zusammenfassung wirr klingt, liegt es daran, dass die Geschichte wirr und springend erzählt wird. Ein Großteil der Geschichte (das Ereignis vor 20 Jahren) ist im Nachhinein ziemlich unnötig und zieht die Aufmerksamkeit von dem, was der Kern der Geschichte hätte sein können: James´Wort gegen das von Olivia (der Klägerin) und der schwierigen Position, in der sich Jury und Angehörige befinden. Wem soll man glauben? Dazu hätten die verschiedenen Perspektiven gepasst, aber keine davon ist zum Beispiel aus Sicht von Olivia, dem mutmaßlichen Opfer.
Das Buch fängt sehr stark an, hätte ich es im Buchladen angelesen, hätte ich es gekauft und mich dann anschließend im weiteren Verlauf geärgert, wie schnell die Geschichte unnötige Nebenschauplätze aufmacht und die Figuren immer unglaubwürdiger werden.
Es gibt einen Punkt für das Thema und einen für den starken Anfang. Schade, dass die Geschichte danach so abgleitet. Thema, Setting und die beteiligten Personen hatten so viel Potential zu einem packenden Polit-Thriller (der Premierminister will Freund schütze, Zeugen werden eingeschüchtert, Presse manipuliert) oder einem packenden Gerichtsdrama (Aussage gegen Aussage, Anwälte, die jedes Wort auf die Goldwaage legen) oder ein Drama, das die Zweifel und Verunsicherung der Familie des Beschuldigten behandelt (hat er es getan, kenne ich ihn überhaupt), aber alles wird nur lauwarm angeschnitten und zugunsten einer wirren Nebengeschichte nicht weiter behandelt.
Ich konnte das Buch im Rahmen der Lesejury vorab lesen und bekam ein Exemplar vom Verlag, das hat jedoch keinen Einfluss auf meine Wertung.