Auf der falschen Seite der Revolution
POSTER GIRL - Wer bist du, wenn dir niemand zusieht?Poster Girl hatte mich schon gereizt, als es erschienen ist, war ja auch damals auf meiner Must-Have Liste. Auf dieser weit nach oben ist es aber vor allem durch Julias aka Seiten_hiebs Begeisterung für ...
Poster Girl hatte mich schon gereizt, als es erschienen ist, war ja auch damals auf meiner Must-Have Liste. Auf dieser weit nach oben ist es aber vor allem durch Julias aka Seiten_hiebs Begeisterung für das Buch gewandert. Wenn Rant Queen Julia von einem Buch begeistert ist, ist es automatisch für mich ein ganzes Stück interessanter geworden, also beschloss ich nicht lange zu warten und Poster Girl einziehen zu lassen. Doch kann ich mich Julias Begeisterung anschließen?
Auf der falschen Seite der Revolution
Die Prämisse des Buches ist genial, wie ich finde: Vor zehn Jahren wurde ein diktatorisches Regime namens Die Delegation von Rebellen gestürzt. Hohe VerteterInnen des alten Systems, die nicht bei dem Umsturz ums Leben kamen, wurden in eine kleine spartanische “Siedlung” zusammengetrieben und werden dort seitdem festgehalten. Dazu gehört auch Protagonistin Sonya Kantor, denn nicht nur war ihr Vater ein hohes Tier in der Delegation, sie selbst war das gesicht der Delegation, denn ihr Bild zierte das am weitesten verbreitete Propagandabild, zusammen mit der Aufschrift “Was Recht ist, ist richtig“.
Die Geschichte startet also an einem Punkt, an dem der große Befreiungskampf gegen das tyrannisierende Regime längst vorbei ist. Doch was, wenn man eben auf der falschen Seite der Gerechtigkeit stand? Das ist eine interessante Ausgangslage und wieder eine tolle Idee von der Autorin, die in Die Erwählten auch schon der Frage nachging, was Helden tun, wenn die Welt gerettet ist. Nun befinden wir uns also genau auf der anderen Seite und ich war sehr neugierig, welche Fragen und Probleme das aufwirft und wie die Autorin damit umgehen würde.
Und hier komme ich leider auch schon zu meinem ersten Kritikpunkt an dem Buch, denn während die Ausgangslage spannend und das Potenzial riesig ist, wird es in meinen Augen nicht wirklich ausgeschöpft. Was mit gut gefallen hat, um mit dem Positiven zu beginnen, war vor allem die Protagonistin. Sonya hat mit 27 fast ein Drittel ihrer Lebenszeit in Gefangenschaft verbracht, hat ihre Familie, Freund und Bekannte sterben sehen und sich eigentlich schon damit abgefunden, nie wieder frei zu sein. Sie ist eine ruhige, etwas resignierte Frau, die häufig ihren Gedanken nachhängt. Das macht sie vielleicht nicht für alle zu einer angenehmen Protagonistin, aber ich mochte sie sehr.
Besonders gut hat mir gefallen, wie Veronica Roth Sonyas Denkweise schildert. Sie ist von klein auf mit den Lehren der Delegation aufgewachsen und in Gefangenschaft war sie ja auch nur mit AnhängerInnen der Delegation zusammen, es fällt ihr dementsprechend schwer, sich von dem, was ihr beigebracht wurde zu lösen. Das fand ich sehr authentisch und nachvollziehbar dargestellt. Denn, ich sag es bei Dystopie Büchern immer wieder: Eine jahrelange Indoktrinierung von klein an, durchgeführt von Menschen, denen man als Kind vertraut, wirft man nicht mal eben über Bord, nur weil da irgendein Rebell ankommt und sagt, alles, was man bisher für wahrhaftig gehalten hat, ist falsch.
Diesen inneren Kampf Sonyas und ihre Probleme sich in einer Welt, die ihr völlig fremd geworden ist, zurechtzufinden, hat Roth wirklich gut umgesetzt und zählen für mich zu einer der Stärken des Buches.
Und doch ging es mir nicht weit genug. Ich hatte noch so viel mehr Fragen zum Umgang der Rebellen mit ihren alten Gegnern, zu ihren Methoden, die manchmal doch denen des alten Systems gleichen oder zu der wieder neuen Rebellengruppe. Hier wird viel angeschnitten, aber nur am Rande. Es geht speziell um Sonya, nicht das System als Ganzes, das versteh ich schon, schade finde ich es trotzdem.
Eine Spurensuche in Slow Motion
Vielleicht hätte ich diesen Umstand besser verziehen, wenn mich stattdessen die Handlung mitgerissen hätte, aber so ganz hat sie es nicht geschafft. Ich war zwar beim Lesen nicht uninteressiert oder gelangweilt, kann aber auch nicht sagen, dass ich voller Spannung die Seiten weiter blätterte. Die Suche nach dem verlorenen Kind dümpelte für meinen Geschmack ein wenig zu sehr vor sich hin. Dabei geht es mir gar nicht darum, dass ich mehr “Action” gebraucht hätte, ich kann normalerweise recht gut mit ruhigen Handlungen umgehen, aber ich hatte trotzdem lange das Gefühl, dass irgendwie Motivation fehlte, wohl auch, weil lange nicht klar war, warum Sonya überhaupt sich auf die Suche begibt (gleichzeitig wurden ihre Motive aber auch nicht so ominös dargestellt, dass es als Geheimnis für sich für Spannung gesorgt hätte). Dadurch hatte ich das Gefühl, dass der Handlung eine wirklich treibende Kraft fehlt.
Wiederum gefallen, hat mir das Ende, vor allem auch im Hinblick auf die Lovestory. Es ist ein passender Ausklang der Geschichte und passt gut zur Protagonistin und ihrer Art. Etwas anderes hätte ich wahrscheinlich unrealistisch gefunden.
Fazit:
Poster Girl ist ein Buch, dass ich gerne gelesen habe, dass mich aber nicht so mitreißen konnte, wie ich es bei der Ausgangslage der Geschichte gedacht hätte. Zwar mochte ich die Protagonistin und viele Ideen und Ansätze im Buch, doch oft ging es mir einfach nicht weit genug, fehlte mir eine gewisse Energie in der Handlung. Trotzdem halte ich das Buch für lesenswert, schon allein, um sich mal mit einer anderen Art von “Dystopieheldin” auseinanderzusetzen.
(Info: 4/6 im eigenen Bewertungssystem)