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Veröffentlicht am 16.10.2017

Klamaukige Dystopie

QualityLand
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Deutschland in nicht allzu ferner Zukunft: im mittlerweile zu „QualityLand“ umbenannten Staat wurden alle Bereiche des täglichen Lebens optimiert. Jeder noch so kleine Gedanke oder Handgriff wird von Maschinen ...

Deutschland in nicht allzu ferner Zukunft: im mittlerweile zu „QualityLand“ umbenannten Staat wurden alle Bereiche des täglichen Lebens optimiert. Jeder noch so kleine Gedanke oder Handgriff wird von Maschinen übernommen. Maschinenverschrotter Peter führt ein recht unspektakuläres Leben in QualityCity, bis passiert, was nicht passieren dürfte: eine Drohne liefert ihm ein unerwünschtes Produkt von The Shop, und das, obwohl der beliebteste Versandhändler doch ganz genau weiß, was der Kunde will- besser als dieser selbst!

Umgeben von lauter Kling-Fans habe ich trotz wärmster Empfehlungen bisher keinen der Känguru-Romane gelesen, doch meine Erwartungshaltung war dadurch natürlich riesig.
Auch, aber nicht nur vor diesem Hintergrund konnte mich der Roman leider nicht packen.

Zunächst bereitete der Schreibstil mir kleinere Probleme. Kurze, abgehackte Sätze im Präsens fand ich für einen Roman eher unpassend; es kam mir streckenweise vor, als hätte Kling hier für seine Hörbuch-Fans und nicht für den Leser geschrieben.

Über den Humor lässt sich wohl streiten. Meiner wurde nicht ganz getroffen. Stellenweise wurde ich wirklich gut unterhalten, manche Stellen hingegen waren für mein Empfinden eher bemüht und ein bisschen platt. Vielleicht wäre weniger mehr gewesen.

Ebenfalls habe ich mich an den häufigen Erklärungen gestört. Natürlich ist Peter ziemlich unbedarft, und so kann man ihm – und, oh, wie praktisch, auch dem Leser! – alles Mögliche erläutern. Meist geschieht das auf eine unterhaltsame Art und Weise, dennoch war ich etwas pikiert, wie wenig Kling seinen Lesern manchmal zutraut. Auch mir war nicht alles bekannt, so habe ich mich gefreut, ein paar Dinge dazuzulernen, doch manche Ausführungen wären in meinen Augen nicht nötig gewesen. Immerhin merkt man, dass der Autor großes Interesse mitbringt und sich ausführlich belesen hat.

Der Autor bringt viele gute Ideen zusammen und steuert auch selbst einige interessante Überlegungen bei, doch für sich genommen erfahren wir hier wenig Neues. Wer ein wenig technik- und internetaffin ist, kennt die grundsätzlichen Probleme um Filterblasen, Echokammern, Datenkraken, gläserne Bürger und ähnliche Schattenseiten des modernen Lebens. Immerhin werden diese Aspekte konsequent weitergedacht und taugen doch für ein paar Lacher. Ebenfalls positiv aufgefallen sind mir die zahlreichen Anspielungen und Details, die der Autor gern einstreut.

Gefallen hat mir die Aufmachung des Romans und die Idee, zwei verschiedene Versionen mit unterschiedlichen Zwischenseiten (Werbung und Alltägliches aus QualityLand) herauszugeben.

Wenn man sich keinen bitterbösen, subtilen, augenöffnenden Roman erhofft, sondern auch mit stellenweise klamaukiger, netter Unterhaltung klarkommt, sicher keine schlechte Wahl.
Ein spärlicherer Gebrauch des Zeigefingers wäre für meinen Geschmack aber angenehmer gewesen. Ich persönlich habe aus dieser dystopischen Satire daher nicht viel Nachdenkenswertes mitgenommen, aber immerhin war es eine kurzweilige und im Großen und Ganzen witzige Lektüre.

Veröffentlicht am 09.10.2017

"Sonderbare Nachrichten aus Essex"

Die Schlange von Essex
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Nach dem Tod ihres tyrannischen Ehegatten ist die Londonerin Cora nicht gerade unglücklich über ihr neues Witwendasein. Frei von den Zwängen ihrer Ehe legt sie wenig Wert darauf, wie eine Frau sich in ...

Nach dem Tod ihres tyrannischen Ehegatten ist die Londonerin Cora nicht gerade unglücklich über ihr neues Witwendasein. Frei von den Zwängen ihrer Ehe legt sie wenig Wert darauf, wie eine Frau sich in den Augen der viktorianischen Gesellschaft zu kleiden und zu geben hat und beschließt, von großem naturwissenschaftlichen Interesse getrieben, ins ländliche Essex zu reisen um dort den Gerüchten über eine mythische Schlange nachzugehen. Dabei wird sie von ihrem Sohn Francis und ihrer guten Freundin Martha, welche auch Francis‘ Kindermädchen ist, begleitet. Kaum hat sie sich ein wenig eingelebt, erhält sie Einblick in das Leben der Dorfbewohner sowie deren Ängste, Probleme und Eigenarten.

Hatte ich aufgrund der Kurzbeschreibung einen größeren Fokus auf Naturwissenschaften, auf leidenschaftliche Streitgespräche zwischen Darwin-Anhängerin und Geistlichem erhofft, so fand all dies nur am Rande und ohne wirkliche Debatten statt. Im Mittelpunkt stehen die Beziehungsgeflechte, das Familienleben, die Freundschaften und die (oft unerwiderte) Liebe der Protagonisten. Viel handelt von Alltäglichem, den Leser erwartet keine spannende Jagd auf ein Fabelwesen. Auch, wenn ich diese nicht erwartet hatte- einen Hauch ereignisreicher hätte die Geschichte für mich gern sein können.

Sarah Perry schildert all dies aber in einer wunderschönen, unaufgeregten Sprache, sodass ich allein aus diesem Grund viel Freude an dem Roman fand. Eingestreute Briefwechsel zwischen den Hauptfiguren sorgen für einen guten Zugang zu diesen.
Zudem scheint die Autorin sich intensiv mit dem Zeitgeist der Epoche und den geschilderten Details auseinandergesetzt zu haben, alles wirkt handfest recherchiert. In vielen kleineren Feinheiten und Anspielungen zeigt sich ihr Wissensschatz; im Nachwort erwähnt sie Literatur zur Vertiefung, von der ich mir einiges notiert habe.

Die Figuren machen einen authentischen Eindruck, große Freude hatte ich an Coras Art, aus der ihr angedachten Rolle zu fallen und an Martha, welche mit glühendem Eifer sozialistische Gedanken vertritt und sich für die Ärmsten der Armen in London einsetzt.

Was die Übersetzung angeht, sind mir wenige krumme Formulierungen aufgefallen (z.B. „Zahlenkolumne“ wo vermutlich eine Spalte gemeint war), aber alles in allem wirkt sie recht gelungen, sofern ich das in Unkenntnis des Originals einschätzen kann.

„Die Schlange von Essex“ hat mich gut unterhalten, ließ mich aber wegen der zuvor geschürten Erwartungshaltung und der nicht immer temporeichen Handlung etwas unbefriedigt zurück.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Handlung
  • Figuren
  • Originalität
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 03.10.2017

Großartiger Auftakt der Draconis-Memoria-Reihe

Das Erwachen des Feuers
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Schwere Zeiten für den Arradsianischen Kontinent: die Drachen verhalten sich immer rätselhafter. Außerdem kündigt sich ein Konflikt mit dem Corvantinischen Kaiserreich an. Aus dem Blut der Drachen wird ...

Schwere Zeiten für den Arradsianischen Kontinent: die Drachen verhalten sich immer rätselhafter. Außerdem kündigt sich ein Konflikt mit dem Corvantinischen Kaiserreich an. Aus dem Blut der Drachen wird ein Elixier hergestellt, welches den wenigen Blutgesegneten übermenschliche Kräfte verleiht. Doch es geht langsam zur Neige…

Zwei dieser Blutgesegneten sind Lizanne Lethridge- eine junge Spionin mit der Mission, eine geheimnisvolle Apparatur zu beschaffen – sowie Claydon Torcreek, ein Dieb aus dem Blinden Viertel, welcher auf eine Expedition ins gefährliche Inland Arradsias geschickt wird. Hilemore hingegen ist kein Blutgesegneter, sondern Leutnant auf einem der modernsten Schiffe seiner Zeit. Alle drei stehen im Auftrag der Eisenboot-Gesellschaft: Arradsia hat sich von den Fesseln des Kaisertums befreit, um sich ganz der Herrschaft der Konzerne, allen voran Eisenboot, zu unterwerfen.

So ist jedes Kapitel im Roman aus der Sicht eines dieser drei Protagonisten geschildert, und natürlich bietet das jede Menge Spielraum für Cliffhanger. War der Spannungsaufbau so schon überzeugend, hat diese Dreiteilung das Ganze noch verstärkt, denn natürlich wollte ich unbedingt erfahren, wie es in den anderen Handlungssträngen weiterging.

Dabei ist alles sehr kunstvoll miteinander verwoben, frühere Passagen ergeben plötzlich noch mehr Sinn, viele Andeutungen werden später erneut aufgegriffen. Zunächst mag es ein wenig dauern, sich in die feinsinnig erdachte Welt mit ihrer Fülle an Details, ihren Bevölkerungsgruppen und Strukturen hineinzufinden, die ganzen Informationen und Handlungssprünge erfordern Konzentration, aber man wird für die Ausdauer belohnt. Außerdem handelt es sich um den Auftakt der „Draconis Memoria“-Trilogie, welche vor diesem Hintergrund umso vielversprechender wirkt.

Gelegentlich blitzen Steampunk-Elemente auf, teilweise bleibt der technische Stand Arradsias hinter unserer Welt zurück, dafür gibt es viele liebevoll erdachte mechanische Gerätschaften. Ein großer Teil der Handlung findet auf Schiffen statt, man sollte nautischen Themen also nicht abgeneigt sein und sich von ein paar Seefahrtsbegriffen nicht abschrecken lassen. Auch gibt es etliche Gefechte und Schlachten, wovon ich sonst kein allzu großer Fan bin, aber hier lasen sich auch diese Szenen recht gut. Freunde von Agenten- und Spionageromanen kommen in Ms. Lethridges Kapiteln auf ihre Kosten. Positiv fiel mir ebenfalls auf, dass kleinere Liebeleien authentisch und unaufdringlich am Rande stattfinden, ohne ins Kitschige abzudriften.
Überhaupt hat Ryan überzeugende facettenreiche Figuren geschaffen, die auf den 720 Seiten jede für sich eine beachtliche Entwicklung durchleben und nicht den gängigen Klischees entsprechen. Insbesondere die zahlreichen starken Frauenfiguren haben mich positiv überrascht.

Auch sprachlich haben mich Ryan und die Übersetzung in ihren Bann gezogen.

Ein stimmiger, spannender Roman; ich freue mich auf die Nachfolger!

Veröffentlicht am 07.09.2017

Bewegende Suche nach Freiheit

Underground Railroad
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Cora, sie schätzt sich selbst auf 16 oder 17 Jahre, lebt als Sklavin auf einer Baumwollplantage, so wie ihre Mutter und ihre Großmutter vor ihr.
Als Ausgegrenzte, nicht nur vom Leben der freien Menschen, ...

Cora, sie schätzt sich selbst auf 16 oder 17 Jahre, lebt als Sklavin auf einer Baumwollplantage, so wie ihre Mutter und ihre Großmutter vor ihr.
Als Ausgegrenzte, nicht nur vom Leben der freien Menschen, sondern auch von der Gemeinschaft ihrer Mitgefangenen, bietet sich ihr die Möglichkeit zur Flucht.
Um der Plantage vollständig zu entkommen, ist allerdings viel mehr vonnöten als das Weglaufen an sich. Sklavenjäger, der allgegenwärtige Rassismus und die psychischen Nachwirkungen der Sklaverei sind nur einige der Übel, die den Entlaufenen ein Leben in Freiheit erschweren.
Auch, wer als Weißer das System der Sklaverei ablehnt und abzuschaffen versucht, tut dies oft unter Einsatz seines Lebens.
In diesem feindlichen, menschenverachtenden Klima versucht Cora, ihren Platz für ein unbehelligtes Leben zu finden.

Gefallen hat mir, dass das Leseexemplar eine historische Einordnung sowie ein Interview mit dem Autor beinhaltet. Allerdings wurde dort für meinen Geschmack etwas zu viel vorweggenommen, ich hätte es lieber später gelesen. Auch eine Karte wäre eine nette Zugabe gewesen, da ich nicht alle US-Bundesstaaten aus dem Gedächtnis verorten konnte, aber es ist ja kein Problem, das Ganze nachzuschlagen.

Der Roman wirkt auf mich sehr gut recherchiert, die offenkundigen absichtlichen Abweichungen natürlich ausgenommen. Das erfundene Element der Underground Railroad im wörtlichen Sinne- und ihre Möglichkeit zu operieren, ohne dass das Netz als Gesamtes auffliegt- hinzunehmen, fiel mir anfangs etwas schwer.
Stilistisch konnte Whitehead mich überzeugen, der Lesefluss war angenehm und auch die Übersetzung empfand ich als recht gelungen, aber manchmal hätte ich mir etwas weniger Betonung des Offensichtlichen gewünscht. Die ungeschönte Geschichte spricht für sich. Die handelnden Personen hingegen sind durchweg glaubwürdig und oft auch vielschichtig angelegt und in Cora sehe ich eine sympathische, enorm willensstarke Hauptfigur.
Sich komplett in die Gefühlswelt der Protagonisten hineinzuversetzen ist natürlich schier unmöglich, aber Whitehead schafft es bestens, dem Leser eine Ahnung davon zu verschaffen.
Ebenfalls anschaulich beschrieben waren die von Staat zu Staat enorm unterschiedlichen Arten des Umgangs mit Sklaverei und schwarzen Mitmenschen, auch die Gräueltaten an der indigenen Bevölkerung werden nicht ausgelassen. Auf wessen Rücken der Staat aufgebaut wurde, wird nicht vergessen; Widersprüche zwischen der Verfassung, dem Freiheitsstreben sowie den religiösen Überzeugungen eines Großteils der damaligen Bevölkerung einerseits und den traurigen Tatsachen andererseits werden evident.

Ein bewegender Roman, der hoffentlich noch etliche Leser erreichen kann.

Veröffentlicht am 21.08.2017

Das letzte Fest auf Le Pluvier

Töte mich
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Der 68-jährige Graf Henri Neville ist bankrott. Das Familienschloss in den belgischen Ardennen, Le Pluvier, kann er nicht mehr länger halten; aber bevor seine Familie es endgültig verlassen muss, möchte ...

Der 68-jährige Graf Henri Neville ist bankrott. Das Familienschloss in den belgischen Ardennen, Le Pluvier, kann er nicht mehr länger halten; aber bevor seine Familie es endgültig verlassen muss, möchte er noch ein letztes seiner legendären Feste abhalten.
Kurz vor dieser Garden Party aber wird seine Tochter Sérieuse von einer Wahrsagerin im Wald aufgegriffen. Bei dieser Gelegenheit wird im prophezeit, er werde auf der Feier einen seiner Gäste töten – wirklich unerhört.

Viel mehr Details möchte ich nicht nennen, denn das nur 110 Seiten starke Büchlein (großzügig bedruckt) soll noch ein paar Überraschungen offenhalten.
Leider finde ich, dass der Klappentext schon viel zu viel verrät, denn natürlich lässt sich auf so begrenztem Platz nicht wesentlich mehr erzählen – ich fühlte mich sehr an Kurzgeschichten erinnert.

Gut gefallen hat mir hingegen Nothombs Art zu schreiben – nicht anspruchslos, wozu die ein oder andere Anspielung beitragen mag, aber nichtsdestotrotz sehr angenehm und flüssig zu lesen - und der leise, trockene Humor, der gelegentlich trotz des ernsten Problems, mit dem sich Graf Neville herumplagte, durchklang.

Leider war der Fokus etwas anders gesetzt als ich es erwartet hatte: sehr viel Raum wird darauf verwendet, Graf Nevilles Leidenschaft für das Gastgeben, die Fesseln seines Standes und seine Bemühungen, den Schein zu wahren, zu beschreiben.
Wegen des Titels, des Covers und der Inhaltsbeschreibung ging ich davon aus, wesentlicher Bestandteil des Romans wäre Sérieuses Empfindungslosigkeit und ihr Wunsch, getötet zu werden. Allerdings wurden diese Punkte nur am Rande thematisiert, wodurch ihr Handeln eher bizarr und unnachvollziehbar wirkte. Einen wirklichen Einblick in ihre Gedanken- und (Nicht-)Empfindungswelt erhält man nicht.
Auch mit dem Grafen konnte ich nicht so recht warm werden, was aber sicher so beabsichtigt ist – immerhin ist er auch der Einzige, der konsequent beim Nachnamen genannt wird.
Durch diese Erwartungshaltung wurde mein Lesevergnügen leider etwas geschmälert. Wer sich von dem Roman aber nicht erhofft, allzu viel über Sérieuse zu erfahren, wird mit dem kauzigen, in seiner Rolle des Adligen gefangenen Grafen sicher gute Unterhaltung finden.