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Veröffentlicht am 23.01.2021

Einblicke ins Leben der Frauen auf der russischen Halbinsel Kamtschatka

Das Verschwinden der Erde
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An einem Augusttag besuchen die beiden Schwestern Sofija und Aljona, sechs und neun Jahre alt, die Bucht von Petropawlowsk, der Hauptstadt der Halbinsel Kamtschatka im Osten Russlands. Sie haben Sommerferien, ...

An einem Augusttag besuchen die beiden Schwestern Sofija und Aljona, sechs und neun Jahre alt, die Bucht von Petropawlowsk, der Hauptstadt der Halbinsel Kamtschatka im Osten Russlands. Sie haben Sommerferien, doch ihre Mutter muss arbeiten. Auf dem Heimweg helfen sie einem Mann, der zum Dank anbietet, sie nach Hause zu fahren. Dort kommen sie nie an. Monatelang ist das Verschwinden der beiden Thema, Suchtrupps ziehen immer wieder los. An das Schicksal der beiden denken ganz unterschiedliche Frauen auf der Halbinsel, die sich den Herausforderungen ihres Alltags stellen.

Das erste Kapitel des Buches ist aus der Perspektive von Aljona beschrieben, die gemeinsam mit ihrer Schwester ins Auto eines Fremden steigt und nicht mehr gesehen wurde. Es endet in dem Moment, als ihr klar wird, dass der Mann sie nicht nach Hause fährt. Was ist aus den Schwestern geworden? Diese Frage steht anschließend im Raum.

Die folgenden Kapitel beschäftigten sich jedoch nicht mit den Ermittlungen im engeren Sinne. Stattdessen wird jedes Kapitel aus der Sicht einer anderen Frau erzählt. Jede von ihnen weiß vom Verschwinden der Mädchen und kennt den Stand der Dinge - Suchtrupps wurden losgeschickt, der Vater der Mädchen ohen Ergebnis befragt. Im Leben der jeweiligen Erzählenden spielt das jedoch nur eine untergeordnete Rolle, denn sie hat andere Sorgen.

Julia Phillips zeigt dem Leser ganz unterschiedliche Facetten des Lebens auf Kamtschatka. Auf den Erfahrungen der Frauen, die dort leben, liegt das Hauptaugenmerk des Romans. Die Autorin sagt selbst, dass sie mit den unterschiedlichen Perspektiven das Spektrum von Gewalt in den Leben von Frauen untersuchen wollte - von der Entführung bis hin zu alltäglichen Situationen. Ihr ist es gelungen, mich mit diesen höchst unterschiedlichen Einblicken nachdenklich zu stimmen.

Nach jedem Kapitel ist ein weiterer Monat vergangen und von den Mädchen fehlt weiterhin jede Spur. Aufgrund des zuvor genannten Ziels, das die Autorin mit diesem Roman verfolgt, gibt es im Buchverlauf auch wenig neue Informationen zum Fall. Die Kapitel hängen nur lose miteinander zusammen und enden oft vor einem entscheidenden Moment. Dieser Mangel an Antworten ließ mich mit der Zeit ungeduldig werden. Erst ganz zum Schluss wurde ich mit einigen Enthüllungen belohnt.

„Das Verschwinden der Erde“ von Julia Philipps nahm mich mit auf die russische Halbinsel Kamtschatka, einen entlegenen Winkel der Erde, wo ein Vermisstenfall der Aufhänger ist, um Einblicke in die Leben ganz unterschiedlicher Frauen zu geben. Ein atmosphärisch erzähltes Debüt, das ich gerne weiterempfehle.

Veröffentlicht am 16.01.2021

Auseinandersetzung mit den verschiedensten Facetten des Schenkens

Die Kunst der Großzügigkeit
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Schenkt ihr gerne oder ist das Aussuchen von Präsenten für Euch eher mit Stress und Zweifeln verbunden? Eine, die sich selbst als leidenschaftliche Schenkerin bezeichnet, ist Susanne Kippenberger. Die ...

Schenkt ihr gerne oder ist das Aussuchen von Präsenten für Euch eher mit Stress und Zweifeln verbunden? Eine, die sich selbst als leidenschaftliche Schenkerin bezeichnet, ist Susanne Kippenberger. Die Journalistin hat in ihrem Buch zahlreiche Geschichten über das Schenken und Beschenktwerden zusammengestellt. Sie setzt sich mit der Frage auseinander, warum Menschen einander überhaupt beschenken und blickt auf verschiedene Anlässe, Lebensphasen und Arten von Geschenken, die nicht immer materieller Natur sein müssen. Das Buch ist kurz vor Weihnachten erschienen, doch dieser Anlass nur ein Kapitel unter vielen. Ich habe es im Januar dennoch viel entspannter lesen können, als ich es vor den Feiertagen getan hätte mit der Frage im Kopf, ob die ausgesuchten Geschenke wohl passend und kreativ genug sind. Die Autorin teilt ihre eigenen Erlebnisse mit dem Leser und hat zu vielen Themen eine klare Meinung, die nicht immer mit meiner übereinstimmte. Zusätzlich hat sie zahlreiche Freunde und Kollegen befragt, deren Erfahrungen und Ansichten ebenfalls eingeflossen sind und die zeigen, dass Menschen ganz unterschiedlich an das Thema herangehen. Einigkeit herrscht vor allem in einer Sache: Schenken ist gar nicht so einfach und kann ordentlich schief gehen, dafür aber auch viel Freude bereiten! „Die Kunst der Großzügigkeit“ setzt sich mit den verschiedensten Facetten des Schenkens auseinander, unterhält mit amüsanten Anekdoten, bringt aber auch ins Nachdenken.

Veröffentlicht am 11.01.2021

Wo nehmen Schriftsteller die Ideen zu ihren Geschichten her?

Die Geschichte eines Lügners
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Im Jahr 1988 lernt der erfolgreiche Schriftsteller Erich Ackermann in einem Hotel in Westberlin den Kellner Maurice Swift kennen, der sich als großer Bewunderer seines Werks zu erkennen gibt. Maurice ist ...

Im Jahr 1988 lernt der erfolgreiche Schriftsteller Erich Ackermann in einem Hotel in Westberlin den Kellner Maurice Swift kennen, der sich als großer Bewunderer seines Werks zu erkennen gibt. Maurice ist Anfang zwanzig und würde gerne Literatur studieren, doch dafür fehlt ihm das Geld. Erich, der sich zu dem attraktiven jungen Mann hingezogen fühlt, bietet ihm an, ihn als Assistent durch Europa und bis nach New York zu begleiten. Doch Maurice plant nicht, sich dauerhaft von einem Förderer abhängig zu machen. Er knüpft neue Kontakte und nutzt das, was Erich ihm im Vertrauen erzählt, um seine Karriere als Schriftsteller zu starten und Erichs zu zerstören. Damit hat Maurice jedoch noch lange nicht genug...

Schon der Titel des Buchs verkündet, dass wir es hier mit einem Protagonisten zu tun haben, der ein Lügner ist. Wie weitreichend die Lügen sind, auf denen Maurice Swift sein Leben aufbaut, wird im Laufe der Geschichte immer deutlicher. Das Buch ist in drei Teile und zwei Zwischenspiele unterteilt, welche die verschiedenen Stationen in Maurices Leben beleuchten und von seinen Taten erzählen.

Los geht es mit Maurices Bekanntschaft zu Erich Ackermann, der ihm als Mentor zur Seite stehen will. Erich ist sehr viel älter als Maurice und hat seine Homosexualität nie ausgelebt. Zu Maurice fühlt er sich stark hingezogen und erhofft sich mehr, bleibt jedoch zurückhaltend. Er ahnt nicht, dass Maurice mit ihm spielt und sein Vertrauen ausnutzt. Ich fand diesen Einstieg und das folgende Zwischenspiel weniger spannend als erhofft, da er sehr auf Männer und ihre lüsternen Gedanken fokussiert war.

Im zweiten Teil ist Maurice einige Jahre älter und die Geschichte wird aus der Perspektive einer Frau erzählt. Nach dem, was ich bislang über Maurice erfahren hatte, konnte ich kaum glauben, dass er sich klaglos in das geschilderte Leben fügt. Gespannte wartete ich auf den nächsten Twist, den ich früh kommen sah und dessen Umsetzung ich gelungen fand. Er macht Maurice von einem höchst unangenehmen Charakter zu einem Menschen, den man einfach verabscheuen muss.

Das Niveau bleibt danach hoch und gespannt verfolgte ich Maurices weitere Schritte. Im Zentrum steht immer Frage, wo Schriftsteller die Ideen zu ihren Geschichten hernehmen. Maurice ist ein Meister der Manipulation und scheint nicht aufzuhalten zu sein. Bis zum Schluss konnte mich die Geschichte mit ihren Wendungen überraschen. Wer Lust auf einen gelungenen Roman mit einem Protagonist hat, den man so richtig verabscheuen kann, der ist hier genau richtig!

Veröffentlicht am 28.12.2020

Überzeugt durch den Aufbau psychologischer Spannung

Hinter diesen Türen
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Als Rowan Caine die Stellenanzeige des Ehepaars Elincourt sieht, klingt das ganze für sie geradezu perfekt. Die beiden leben im schottischen Hochland und suchen eine Nanny für ihre vier Kinder, die mit ...

Als Rowan Caine die Stellenanzeige des Ehepaars Elincourt sieht, klingt das ganze für sie geradezu perfekt. Die beiden leben im schottischen Hochland und suchen eine Nanny für ihre vier Kinder, die mit im Haushalt leben soll und dafür ein großzügiges Gehalt bezieht. Was für ein Unterschied zu ihrem Job in der Kleine-Strolche-Kita in London! Nach dem Vorstellungsgespräch erhält sie zügig eine Zusage und zieht schon kurz darauf ins Heatherbrae House ein. Dort wartet eine herbe Überraschung auf sie: Die Elincourts verkünden, dass sie sich schon am nächsten Morgen auf eine mehrtägige Dienstreise begeben müssen. Ohne Eingewöhnungsphase ist Rowan allein mit den Kindern in einem Haus, dessen Smart Home Funktionen sie nicht beherrscht und in dem unheimliche Dinge vor sich gehen. Da Rowan die Geschichte aus dem Gefängnis heraus erzählt ist klar, dass etwas Schreckliches geschehen wird...

Die Protagonistin Rowan lernt man als Leser aus den Briefen kennen, die sie an einen Anwalt namens Mr Wrexham schreibt in der Hoffnung, dass er sich Zeit für ihren Fall nimmt und ihr beim anstehenden Prozess zur Seite steht. Jemand ist gestorben, und Rowan beharrt auf ihre Unschuld. Sie bittet darum, ihr zuzuhören und die ganze Geschichte zu verstehen. An Rowans Seite reist man zurück zu ihrer Bewerbung auf die Stelle, dem Vorstellungsgespräch und schließlich dem Moment, in dem sie ihren neuen Job antritt.

Schon in der schriftlichen Einladung zum Vorstellungsgespräch wird Rowan darauf hingewiesen, dass in den letzten vierzehn Monaten vier Nannys gekündigt haben. Angeblich haben die Spukgeschichten, die sich um das abgelegene Heatherbrae House ranken, sie zu sehr beunruhigt. Was steckt dahinter? Rowan ist skeptisch, doch dann verschwinden Gegenstände, sie hört nachts komische Geräusche und das Smart Home spielt verrückt. Das Ehepaar Elincourt ist nur schwer zu erreichen und sie weiß auch nicht so recht, wie sie all das erklären soll, ohne hysterisch zu klingen. Zum Glück gibt es noch Jack, der ebenfalls im Heatherbrae House arbeitet und Verständnis zeigt. Aber kann sie ihm wirklich vertrauen?

Die Atmosphäre der Geschichte ist schnell angespannt, ohne dass die Situation eskalieren würde. Es geschehen lauter merkwürdige und unheimliche Dinge, welche für psychologische Spannung sorgen und mich miträtseln ließen, was wohl dahinter steckt. Hinzu kommt das Verhalten der Kinder, die alles andere als kleine Engel sind. Die achtjährige Maddie verweigert die Kooperation und stiftet ihre fünfjährige Schwestern Ellie an, das gleiche zu tun. Das zerrt zusätzlich an den Nerven der übernächtigten Rowan und lässt sie unbedacht agieren, was die Situation weiter verschärft. Das Wissen, dass die Eltern jederzeit über die installierten Kameras zuschauen könnten, setzt sie zusätzlich unter Druck.

Die Lage verschärft sich immer weiter und ich wartete gespannt auf den Moment, in dem endgültig alles schief geht. Eine überraschende Enthüllung wirft viele neue Fragen auf und schließlich kommt es zur erwarteten Katastrophe. Aber wie hängt nun alles zusammen, was steckt wirklich dahinter? Das wird erst auf den allerletzten paar Seiten erklärt. Auch wenn ich mir eine ausführlichere Aufarbeitung gewünscht hätte werden alle wichtigen Fragen schlüssig beantwortet.

„Hinter diesen Türen“ nimmt den Leser mit in ein unheimliches Haus in den schottischen Highlands, wo die Protagonistin Rowan als neue Nanny nach einem einzigen Tag mit den Kindern allein gelassen wird. Die Geschichte konnte mich zunehmend packen, weil ich wissen wollte, was hinter den mysteriösen Vorfällen und dem merkwürdigen Verhalten der Kinder steckt. Ich gebe eine klare Leseempfehlung für alle Fans psychologischer Spannungsromane!

Veröffentlicht am 28.12.2020

Interessante Einblicke in Form eines Spiegelbuchs

Im Bauch der Königin
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In „Im Bauch der Königin“ von Karosh Taha wächst Younes ohne seinen Vater auf. Seine Mutter ist den anderen kurdischen Frauen ein Dorn im Auge, weil sie sich freizügig kleidet, grell schminkt und mit verschiedenen ...

In „Im Bauch der Königin“ von Karosh Taha wächst Younes ohne seinen Vater auf. Seine Mutter ist den anderen kurdischen Frauen ein Dorn im Auge, weil sie sich freizügig kleidet, grell schminkt und mit verschiedenen Männern schläft. Seit er zu einem Berg herangewachsen ist traut sich allerdings niemand mehr, ihn deshalb zu beschimpfen oder zu schlagen.

Raffiq ist Younes bester Freund. Bald hat er sein Abitur, doch er weiß nicht, was er danach machen soll, ganz im Gegensatz zu seiner Freundin Amal, die große Pläne ohne ihn schmiedet. Sein Vater würde gerne mit seiner ganzen Familie in den Iran zurückkehren, um dort als Architekt zu arbeiten, aber dorthin will Raffiq nicht, das weiß er sicher.

Amal ist Yournes beste Freundin. Von dem gemeinen Raffiq und seiner Gruppe halten die beiden sich fern. Ihr Vater hat die Familie verlassen, um im Iran wieder als Architekt zu arbeiten. Sie vermisst ihn und fragt sich, wie ihr Leben im Iran wohl aussehen würde.

Die Autorin hat gemeinsam mit dem Verlag ein Wendebuch gestaltet, das zwei ähnliche und doch unterschiedliche Geschichten erzählt. Der Dreh- und Angelpunkt ist Younes, dessen Mutter Shahira wechselnde „Onkel“ in ihr Heim und Bett holt und dessen Vater in Frankfurt lebt. In der einen Geschichte ist Raffiq sein engster Freund, in der anderen Amal. Sowohl auf Raffiq als auch auf Amal übt die Andersartigkeit von Shahira, die von den anderen kurdischen Frauen verachtet wird, eine seltsame Art der Faszination aus.

Ich fand es interessant, die Überlegungen der Charaktere zu verfolgen, wo in der Welt ein Platz für sie ist. Vor allem im Hinblick auf ein mögliches Leben im Iran unterscheiden sich die Erfahrungen und Standpunkte von Raffiq und Amal in den beiden Geschichten. Raffiq schließt ein Leben dort kategorisch aus, während Amal sich Gedanken macht, wie es ihr dort wohl ergehen würde.

Als Leser wird man jeweils mitten in die Geschichten hineingeworfen und ich brauchte einige Zeit, um mich zu orientieren. Belohnt wurde ich mit vielfältigen Einblicken in die Welt der Charaktere. Ein Buch über Familie und Freundschaft, Erwachsenwerden und Heimat, das ich gerne weiterempfehle.