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Veröffentlicht am 26.08.2019

Neues aus dem Grishaverse - Nikolai, Zoya und Nina rücken in den Fokus

King of Scars
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Nikolai Lantsov ist der Zar von Rawka, doch er hat ein dunkles Geheimnis. In einigen Nächten verwandelt er sich in ein geflügeltes Ungeheuer, das der Bevölkerung gefährlich werden könnte. Die mächtige ...

Nikolai Lantsov ist der Zar von Rawka, doch er hat ein dunkles Geheimnis. In einigen Nächten verwandelt er sich in ein geflügeltes Ungeheuer, das der Bevölkerung gefährlich werden könnte. Die mächtige Grisha Zoya, die als eine der wenigen sein Geheimnis kennt, kettet ihn deshalb Abend für Abend an sein Bett. Doch das Monster wird mächtiger, und der Frieden in Rawka steht auf wackligen Füßen. Große Festaktivitäten mit den Verbündeten sollen ihn weiter sichern. Doch kann Nikolai seine dunkle Seite kontrollieren, während er im Mittelpunkt steht?

Nina Zenik ist unterdessen als Agentin Rawkas in Fjerda unterwegs und hilft Grisha dabei, außer Landes und in Sicherheit zu fliehen. Aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten hört sie Stimmen, die sie in den Ort Gäfvalle führen, wo Mädchen verschwinden und das Wasser vergiftet ist. Was passiert wirklich in der gut bewachten Fabrik auf dem Berg? Sie ist fest entschlossen, das herauszufinden.

Ich bin ein großer Fan des Grishaverse, weshalb „King of Scars“ für mich ein Must Read war. Es ist der erste Band einer neuen Dilogie, in welcher Nikolai Lantsov im Mittelpunkt steht, den Leser der anderen Bücher bereits kennen. Auch mit Zoya Nazyalensky und Nina Zenik gibt es ein Wiedersehen. Ein Neueinstieg ins Grishaverse ist mit diesem Buch möglich, jedoch versteht man die Charaktere ohne Vorwissen nicht so gut.

Gleich zu Beginn der Geschichte begegnet man Nikolai in seiner Monstergestalt. Er hat es wieder einmal geschafft, aus dem Palast zu entkommen und auf die Jagd zu gehen. Zoya kann ihn mit ihren Fähigkeiten immer wieder aufspüren, doch die Gefahr ist groß, dass sie irgendwann zu spät kommen wird und er einen Menschen getötet hat. Nikolai lässt die Sicherheitsvorkehrungen immer weiter erhöhen, doch das Monster in ihm erstarkt mit beunruhigendem Tempo. Gleichzeitig ist die politische Situation heikel und diplomatische Beziehungen müssen gepflegt werden. Doch wie kann das bewerkstelligt werden, ohne Nikolais Geheimnis zu lüften?

Schnell konnte ich mich in das Dilemma hineindenken, vor dem Nikolai steht. Die politische Lage wird gut verständlich gemacht und ebenso die Gefahr, die von dem Monster in Nikolai ausgeht. Er ist sich seiner Verantwortung bewusst und hat gleichzeitig eine herrlich selbstironische Art, die ich sehr sympathisch finde. Bald nimmt er gemeinsam mit Zoya und einigen weiteren Vertrauten eine gefährliche Reise auf sich, durch welche die Spannung ansteigt.

Ein zweiter Handlungsstrang im Buch dreht sich um Nina Zenik, die in Fjerda unterwegs ist. Sie lenkt sich mit der Rettung von Grisha von ihrer Trauer ab. Ihr Beschluss, das Geheimnis der Fabrik in Gäfvalle zu lüften, macht einen umfassenden Plan erforderlich, der Geduld und Vorsicht erfordert. Schade fand ich, dass ihr Handlungsstrang und der rund um Nikolai zwar zeitlich parallel geschehen, sie sich aber nicht kreuzen. Ich hoffe, dass sie im zweiten Teil zusammengeführt werden - ich hätte zumindest eine Idee, was dazu passieren könnte...

Nach der grandiosen Krähen-Dilogie waren meine Erwartungen an das nächste Buch hoch. Das Wiedersehen mit einigen bereits bekannten und liebgewonnenen Charakteren hat mir sehr gefallen. Indem sie in den Vordergrund rücken erfährt man viel Neues über sie und ihre Vergangenheit. Das Buch stellt die Charaktere vor so manche Herausforderung und konnte mich unterhalten. In Sachen Tempo und Spannung reicht es aber nicht ganz an die Vorgänger heran. Die letzten Seiten stellen die Weichen für den zweiten Band, der verspricht, in dieser Hinsicht eine Steigerung zu bieten. Fans des Grishaverse sollten sich das Buch nicht entgehen lassen!

Veröffentlicht am 25.08.2019

Ein Buch übers Heimkehren, Zurückblicken und Neuanfänge planen

Es wird Zeit
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Mit der Asche ihrer Mutter im Gepäck macht sich Judith auf den Weg in ihre Heimat Jülich bei Aachen. Dort trifft sie nach einem misslungenen Versuch sich zu verstecken ihre ehemals beste Freundin Anne ...

Mit der Asche ihrer Mutter im Gepäck macht sich Judith auf den Weg in ihre Heimat Jülich bei Aachen. Dort trifft sie nach einem misslungenen Versuch sich zu verstecken ihre ehemals beste Freundin Anne wieder. Die beiden haben zwanzig Jahre nicht miteinander geredet. Zwanzig Jahre, in denen Judith in Wedel bei Hamburg einen Kompromiss-Mann geheiratet und mit ihm drei Kinder großgezogen hat, ohne je darüber zu sprechen, was damals überhaupt passiert ist. Jetzt bietet sich Judith und Anne die Gelegenheit, ihre Freundschaft vorsichtig wieder aufleben zu lassen. Doch Anne ist schwer krank und weiß nicht, wie lange ihr noch bleibt. Als dann auch noch Judiths Jugendliebe Heiko auftaucht und manche Dinge nicht länger verheimlicht werden können ist es für sie an der Zeit, sich zu fragen, wie es weitergehen soll.

Das Buch beginnt mit einer skurrilen Szene, die mich ins Schmunzeln brachte: Seit Jahren fürchtet sich Judith davor, ihre ehemals beste Freundin wiederzutreffen, und nun liegt sie bei ihrer Begegnung auf einem Grab zwischen zerbrochenen Engeln, weil sich ihr Versteck als unzureichend erwiesen hat. Judith ist eine sympathisch unperfekte Person, bei der ein Besuch in der Heimat so einiges in Bewegung setzt.

Schnell erhält man als Leser einen groben Überblick. Judith ist vor zwanzig Jahren in den Norden verschwunden und hat alle alten Kontakte gekappt, nur um eine Ehe einzugehen, die sie als Kompromiss bezeichnet und bei der augenscheinlich keine romantische Liebe im Spiel ist. Nun sind die drei Kinder aus dem Haus, weshalb sie bis zur Urnenbeisetzung ihrer Mutter eine Weile in Jülich bleiben kann. Die Frage, was damals überhaupt passiert ist, steht dabei als Elefant im Raum.

Bevor es darauf Antworten gibt taucht man jedoch im Nu ein in eine ganze Reihe turbulenter Ereignisse. Zum Beispiel findet sich Judith plötzlich mit ihrem besten Freund Erdal und Anne in einem Schweigekloster wieder, nur um bald festzustellen, dass Regeln dazu da sind, gebrochen zu werden. Erdal bringt als emotionaler und expressiver Charakter Schwung und eine große Portion Humor in die Geschichte.

Durch die Nachricht von Annes Krebserkrankung erhält der Roman eine nachdenkliche Note. Das Thema spielt eine wichtige Rolle, dominiert die Handlung aber nicht, sodass die Stimmung nie gänzlich kippt. Für den Moment freuen Judith und Anne sich über das Wiederaufleben der Freundschaft, doch die Ungewissheit, wie lange sie noch Zeit miteinander verbringen könnten, ließ mich das Geschehen mit einem lachenden und einem weinenden Auge verfolgen.

Judith kommentiert ihre aktuelle Lebenssituation als knapp vor dem 50. Geburtstag stehende Frau, deren Kinder aus dem Haus sind und die mit ihren Bifokallinsen mehr schlecht als recht sieht, mit sarkastischen Ton. Immer wieder bringt sie Dinge überaus treffend auf den Punkt. In der persönlichen Reflektion und beim gemeinsamen Schwelgen in Erinnerungen mit Anne erfährt man auch immer mehr über Judiths altes Leben vor ihrem Weggang. Schließlich gelangt sie an den Punkt, an sie die Wahrheit aussprechen muss. Nach und nach werden Geheimnisse gelüftet, die vieles in neuem Licht erscheinen lassen und mich bis zum Schluss überraschen konnten.

„Es wird Zeit“ ist ein Roman voller verrückter Zufälle und amüsanter Ereignisse, bei dem vieles anders kommt als gedacht. Aber auch ernste Töne werden angeschlagen rund um Annes Erkrankung und die Frage, ob die Zeit gekommen und die Kraft vorhanden ist, sein Leben grundlegend zu ändern. Der Roman richtet sich vor allem an Frauen im Alter der Protagonistin, also rund um die 50. Aber auch mich konnte die Geschichte unterhalten und ins Nachdenken bringen.

Veröffentlicht am 24.08.2019

Das brave Mädchen vom Lande trifft auf die Realität der großen Stadt

OMG, diese Aisling!
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Die achtundzwanzigjähige Aisling wohnt im irischen Dörfchen Ballygobbard bei ihren Eltern und pendelt jeden Tag für ihren Job in die Hauptstadt Dublin. Sie hofft sehr darauf, dass ihr langjähriger Freund ...

Die achtundzwanzigjähige Aisling wohnt im irischen Dörfchen Ballygobbard bei ihren Eltern und pendelt jeden Tag für ihren Job in die Hauptstadt Dublin. Sie hofft sehr darauf, dass ihr langjähriger Freund John ihr endlich einen Heiratsantrag macht und mit ihr zusammenzieht. Um der Sache einen Schubs zu geben, arrangiert sie extra einen Teneriffa-Urlaub im Winter. Dort macht John ihr aber deutlich, dass er ihr die Frage der Fragen in absehbarer Zeit nicht stellen wird. Wütend und enttäuscht trennt Aisling sich von ihm und nimmt kurze Zeit später das Angebot ihrer Kollegin Sadhbh an, in ihre WG zu ziehen. Sadhbh ist ebenso wie die zweite Mitbewohnerin Elaine ganz anders als die Frauen im Dorf. Doch während Aisling noch dabei ist, sich an ihr neues Leben als Stadtbewohnerin zu gewöhnen, erhält sie schlechte Nachrichten aus der Heimat.

Die Geschichte beginnt mit einem Prolog, in dem sich zwei Frauen auf einer Hochzeitsfeier über Aisling und Frauen wie sie unterhalten: Vernünftige Mädchen vom Land, die Ordnung, Praktikabilität und Sicherheit schätzen. Die beiden finden solch ein Leben nett, aber langweilig, und machen sich darüber lustig, während Aisling sie in der Toilettenkabine belauscht.

Danach lernte ich Aisling ausführlicher kennen. Sie führt ein durchschnittliches, braves Leben und manche ihrer Ansichten brachten mich zum Schmunzeln. Zum Beispiel verschenkt sie Supermarkt-Chips, weil sie so praktisch sind, lässt keine Rabattaktion aus und sucht auch in der Stadt wirklich immer einen ordnungsgemäßen Parkplatz. Allerdings wird ihr ganzer Charakter so stark überzeichnet, dass ich nicht richtig warm mit ihr wurde. Zum Beispiel fand ich ihre Versuche, ihren Kollegen in Sachen Büroverhalten Manieren beizubringen, eher nervig. Sie treibt Ordnungswahn und Gewissenhaftigkeit auf die Spitze und hat für ihr Alter eine wirklich naive Weltsicht.

Das erste Drittel des Buches dreht sich vor allem darum, dass Aisling einen Heiratsantrag von ihrem Freund will, obwohl für den Leser schon nach den ersten Seiten klar ist, dass dieser nicht kommen wird. Später geht es hauptsächlich um Aislings Liebeskummer. So zieht sich der Start in die Länge, während ich auf den im Klappentext angekündigten WG-Einzug wartete und hoffte, dass er eine Weiterentwicklung bei Aisling auslöst.

Endlich zieht Aisling in die WG, doch schon nach den ersten unterhaltsamen Gesprächen mit ihren neuen Mitbewohnerinnen rückt ein Handlungsstrang in den Vordergrund, mit dem ich nicht gerechnet habe. Ich möchte an dieser Stelle eine Triggerwarnung für das Thema schwere Erkrankung im engsten Familienkreis aussprechen. Hier gab es viele traurige und bedrückende Momente.

Schließlich geht es für eine Weile mehr um die WG und Aisling wird ein bisschen lockerer, bleibt im Kern aber das brave Mädchen, das staunt, was andere für verrückte Dinge tun. Auf eine richtige Liebesgeschichte wartete ich leider vergebens. Es gibt viel Hin und Her und die Konsequenz aus all dem hat mich enttäuscht. Kurz vor dem Ende erwischte mich die Handlung rund um die Erkrankung noch einmal so eiskalt, dass ich Seiten überspringen musste.

Letztendlich hatte ich das Gefühl, dass sich die Geschichte nicht entscheiden kann, was sie sein will: Emotionaler Liebesroman? Humorvoller WG-Roman? Rührende Familiengeschichte? So ist es von allem etwas und nichts so richtig geworden. Aisling ist ein braves Mädchen mit einigen Ticks, in denen man sich hier und da selbst wiederfindet. Doch ihre geballte Naivität ließ mich immer wieder die Augen verdrehen. Für mich war es eine stellenweise amüsante, aber insgesamt sehr durchmischte Lektüre.

Veröffentlicht am 21.08.2019

Mein Miroloi muss ich mir selber singen

Miroloi
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Auf einer abgeschiedenen Insel lebt eine Dorfgemeinschaft nach ihren eigenen strengen Regeln, die der Ältestenrat basierend auf der heiligen Khorabel vorgibt. Frauen dürfen nicht lesen und schreiben lernen, ...

Auf einer abgeschiedenen Insel lebt eine Dorfgemeinschaft nach ihren eigenen strengen Regeln, die der Ältestenrat basierend auf der heiligen Khorabel vorgibt. Frauen dürfen nicht lesen und schreiben lernen, Männer dürfen nicht kochen und singen. Moderne Geräte gibt es nur wenige, denn der Rat entscheidet, welche vom Händler gebrachten Waren auf der Insel bleiben dürfen. Auch dass die junge Frau, die einst vom Bethaus-Vater gefunden wurde, keinen Namen haben darf, wurde von ihm bestimmt. Die Dorfgemeinschaft grenzt sie aus und lässt sie ihre Verachtung spüren, denn sie soll Unglück bringen. Doch ihre Neugier ist groß und sie beginnt heimlich, die Regeln zu brechen.

Der Roman ist aus der Sicht namenlosen Frau geschrieben, die beim Bethaus-Vater aufgewachsen ist. Ihre Tage sind angefüllt mit harter Arbeit: Felder müssen bestellt, Gärten gepflegt, Holz gesammelt, Gerichte gekocht und Kleider genäht werden. Sie gibt dem Leser zahlreiche Einblicke in das Dorfleben, das an die Amish People erinnert, denn jeglicher Fortschritt wird abgelehnt. Zudem besteht der Ältestenrat nur aus Männern und die Gesetze unterdrücken die Frauen auf verschiedenste Weise.

Die Dorfbewohner kennen kein anderes Leben, denn es ist nicht gestattet, die Insel zu verlassen. Die Erzählerin ist gefangen in einem Leben als Außenseiterin. Sie wird beschimpft, beschuldigt und immer wieder abgewiesen. Und es bleibt nicht immer bei Worten, das musste sie schon vor Jahren schmerzlich erfahren. In ihre Welt einzutauchen und sie zu begleiten tut weh und brachte mich als Leser ins Nachdenken über Recht und Ungerechtigkeit.

Die Frau gibt jedoch nicht auf, denn sie ist klug und neugierig und hat zum Glück einige wenige Menschen, die sie nicht abweisen. Der Bethaus-Vater als ihr Finder lässt sie bei sich wohnen, versucht sie zu schützen und teilt heimlich verbotenes Wissen mit ihr. Das gleiche gilt für Mariah, die für den Bethaus-Vater kocht. Offene Gespräche mit ihnen sind immer wieder kleine Hoffnungs-Inseln im Alltag der Protagonistin.

Das Dorfleben wird ausführlich beschrieben. Für mich hätten einige Parts straffer erzählt sein können, da ich mir das Leben in solch einer Gemeinschaft bald gut vorstellen konnte. Was sich hingegen schleichend ändert ist das Leben der Erzählerin. Neues Wissen und eine überraschende Begegnung lassen sie immer stärker die Regeln hinterfragen. Sie lehnt sich still und immer umfassender auf, während Ereignisse im Dorf die Situation weiter verschärfen. Wie lange kann das noch gut gehen?

„Mein Miroloi muss ich mir selber singen“, das sind die Worte der Protagonistin. Denn sie will nicht auf ihren Tod warten, nach dem die Hinterbliebenen üblicherweise das Leben des Verstorbenen besingen. Und wer sollte das dann schon für eine Namenlose tun? Deshalb legt sie in Form dieses Romans ein Miroloi für sich selbst vor. Ihre Sprache ist einfach und gleichzeitig sehr poetisch und berührend. Das steht in Kontrast zu den beklemmenden Ereignissen im Dorf. Ich bangte mit der Erzählerin und meine Wut wuchs immer weiter, denn was passiert ist nicht fair und lässt sich trotzdem nicht aufhalten. Ein wichtiger Roman über Ausgrenzung, Feindseligkeiten und Unterdrückung ebenso wie Mitgefühl, Zusammenhalt und Auflehnung.

Veröffentlicht am 04.08.2019

Die Geschichte einer Außenseiterin, weit draußen im Marschland

Der Gesang der Flusskrebse
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North Carolina, 1969: Im Marschland lebt Kya Clark allein in einem abseits gebauten Haus. Als sie sechs war, hat ihre Mutter ihren gewalttätigen Ehemann und die Kinder ohne ein Wort verlassen, kurz darauf ...

North Carolina, 1969: Im Marschland lebt Kya Clark allein in einem abseits gebauten Haus. Als sie sechs war, hat ihre Mutter ihren gewalttätigen Ehemann und die Kinder ohne ein Wort verlassen, kurz darauf folgten alle vier Geschwister. Zurück blieb nur Kya, die von ihrem Vater gerade genug Geld für die allernötigsten Lebensmittel erhielt, während er den Rest in Alkohol investierte. Inzwischen ist die Mittzwanzigerin seit vielen Jahren auf sich selbst gestellt. Die Flora und Fauna des Marschlandes kennt sie besser als jeder andere. Als Chase Andrews, der beste Quarterback der Stadt, tot am Fuß des Feuerwachturm gefunden wird, tappt die Polizei zunächst im Dunkeln. Ist er allein vom Turm gefallen oder wurde er gestoßen? Bald bringt jemand das Marschmädchen ins Spiel, das häufiger mit Chase gesehen wurde. Ist nicht gerade die Abwesenheit jeglicher Spuren ein Beweis dafür, dass sie den Mord verübt hat?!

Das Cover zeigt ein Mädchen im einem Boot, das durch eine weitläufige Landschaft fährt und der dabei nur die Vögel Gesellschaft leisten. So sieht das Leben von Kya Clark aus, auf die man als Leser zum ersten Mal trifft, als ihre Mutter gerade die Familie verlässt. Einfühlsam wird beschrieben, wie Kya sich durch ihren Weggang fühlt. Auch ihre älteren Geschwister halten es nicht länger zu Hause aus, sie alle suchen anderswo ihr Glück, wo sie nicht vom Vater geschlagen werden.

Zurück bleibt eine Siebenjährige, die sich und ihren Vater mit einem verschwindend geringen Geldbetrag versorgen soll. Schließlich steht ihr nicht einmal der mehr zur Verfügung. Doch vor der Vorstellung, irgendwo anders untergebracht zu werden, graut es ihr. Sie ist entschlossen, um ihre Unabhängigkeit zu kämpfen. Hilfe erhält sie nur von wenigen Menschen. Zum einen von Jumper, einem Schwarzen, der ihr Muscheln gegen Benzin und Lebensmittel abkauft. Zum anderen von Tate, einem ehemaligen Freund ihres Bruders, der selbst oft im Marschland unterwegs ist und der von Kyas Wesen fasziniert ist.

Ich wurde mitgenommen in die 1950er und 1960er Jahre, in denen ich Kya aufwachsen sah. Es war interessant, ihre Entwicklung zu verfolgen. Sie ist eine soziale Außenseiterin, die nie irgendwo dazugehört hat und stark davon geprägt wurde, immer wieder verlassen zu werden. Ich konnte gut verstehen, dass sie hin- und hergerissen ist, ob sie Tate wirklich vertrauen kann. Hat er dabei Hintergedanken oder ist er wirklich nur freundlich? Gleichzeitig zeichnet sie ihre Klugheit und Naturverbundenheit aus. Sie lässt sich in ihren Entscheidungen von ihrem Instinkt und dem leiten, was die Natur ihr zeigt, denn gesellschaftliche Normen sind ihr fremd. Ihre Beobachtungen sind dabei überaus treffend, denn sie ist alles andere als auf den Kopf gefallen. Die Beschreibungen von Kyas Streunen durch das Marschland werden intensiv und sehr atmosphärisch beschrieben, sodass ich tief in die Geschichte eintauchen konnte.

Die Kapitel rund um Kyas Erwachsenwerden wechseln sich ab mit solchen aus dem Jahr 1969, in denen es um den Tod von Chase Andrews geht. Zwei Polizisten nehmen hier die Ermittlungen auf, wobei nichts eindeutig darauf hindeutet, dass es sich wirklich um Mord handelt. Bald werden Stimmen laut, die Kya für verdächtig halten. Das es das Marschmädchen war, an dessen Tür zu klopfen früher als Mutprobe galt und mit der Chase eine Zeit lang etwas hatte, erscheint vielen plausibel.

Während mir der Coming of Age-Part des Romans sehr gut gefallen hat, zogen sich die Ereignisse rund um den Tod von Chase Andrews für mich zunehmend in die Länge. Sie dominieren vor allem das letzte Drittel des Buches mit einem ausführlichen Ausflug ins amerikanische Rechtssystem. Das Ende konnte mich überraschen, lässt mich aber mit einigen Fragezeichen zurück.

Insgesamt überzeugt „Der Gesang der Flusskrebse“ mit einer besonderen Protagonistin, die als Außenseiterin um Unabhängigkeit, Sicherheit und Erfüllung kämpft. Kya ist eins mit der Natur des Marschlandes, das durch die gelungenen Beschreibungen der Autorin greifbar wird. Ein gelungener Entwicklungsroman, den ich gerne weiterempfehle!