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Veröffentlicht am 03.03.2019

Ein absolut gelungener Abschluss der Trilogie!

Die Krone der Sterne
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Zweieinhalb Jahre sind vergangen, seit der Piratenplanet Noa vom Haus Cador zerstört wurde. Seither ist die Gruppe rund um Shara, Kranit und Iniza in der „Nachtwärts“ beständig unterwegs, stets darauf ...

Zweieinhalb Jahre sind vergangen, seit der Piratenplanet Noa vom Haus Cador zerstört wurde. Seither ist die Gruppe rund um Shara, Kranit und Iniza in der „Nachtwärts“ beständig unterwegs, stets darauf bedacht, sich vor den Hexen zu verstecken. Denn diese möchten nach wie vor Inizas Tochter Tanys in ihre Gewalt bringen. Bei einem Zwischenstopp auf Sharas Heimatplaneten kommt es schließlich zu einem folgenschweren Zwischenfall. Unterdessen ist Hadrath auf einem Kreuzer der Maschinen unterwegs und hofft auf neue Antworten im Hinblick auf die STILLE. Doch die Maschinen verfolgen ihre eigenen Pläne.

Zu Beginn dieses letzten Teils der Trilogie erhält man als Leser eine kurze Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse, sodass mir das erneute Eintauchen in die Geschichte leicht fiel. Seit den aufreibenden Ereignissen im zweiten Band sind über zwei Jahre vergangen, in welchen die Charaktere neue Kraft tanken konnten. Das die Ruhe nun nicht mehr lange anhalten wird sollte jeden klar sein, der die beiden Vorgänger kennt.

Der erste Halt ist Sharas Heimat Taragantum IV, die Welt der brennenden Regenbogen. Die „Nachtwärts“ braucht nämlich dringend eine Reparatur, nachdem sie vor kurzem in ein Scharmützel hineingeraten ist. Den Gefährten ist bewusst, dass dieser Zwischenstopp Gefahren birgt. Dennoch erleben sie vor Ort eine böse Überraschung. Es werden schon bald Szenen voller Action und Dramatik geboten, die den Ernst der Lage mehr als deutlich machen.

Nach diesem fulminanten Start geht es etwas ruhiger, aber keineswegs ereignislos weiter. Hadrath muss den Maschinen seine Loyalität beweisen und dazu folgenschwere Entscheidungen treffen. Die anderen Charaktere steuern unterdessen neue Ziele an, um Geheimnisse zu lüften. Dass sich die gesamte Galaxie im Krieg befindet, bleibt dabei stets präsent: Immer wieder wird geschildert, wie Tausende Menschen diesem in wenigen Augenblicken zum Opfer fallen.

Vor einer bildgewaltigen Kulisse versuchen die Charaktere, ihre persönlichen Ziele zu erreichen. Dabei erfährt man noch einmal neue Details über die Vergangenheit von Shara und Kranit, die mich überraschen konnten. Die Unterdrückung des technischen Fortschritts spielt diesmal nur eine kleine Rolle. Stattdessen wird stückweise aufgedeckt, welche Ziele die unterschiedlichen Kriegsparteien verfolgen. Die gewonnenen Erkenntnisse lassen das Machtverhältnis kurz vor dem Finale in neuem Licht erscheinen. Schließlich wird es noch einmal spektakulär, actionreich und emotional. Ein absolut gelungener Abschluss dieser Trilogie! Wen die beiden Vorgänger begeistern konnten, für den ist „Die Krone der Sterne. Maschinengötter“ ein Must Read.

Veröffentlicht am 02.03.2019

Ein Buch, das mich hin- und hergerissen zurücklässt

Cows
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Tara ist Anfang vierzig und versucht, ihre Rollen als erfolgreiche Dokumentarfilmerin und alleinerziehende Mutter unter einen Hut zu bekommen. Dabei merkt sie an ihrem männerdominierten Arbeitsplatz und ...

Tara ist Anfang vierzig und versucht, ihre Rollen als erfolgreiche Dokumentarfilmerin und alleinerziehende Mutter unter einen Hut zu bekommen. Dabei merkt sie an ihrem männerdominierten Arbeitsplatz und dem Warten am Schultor immer wieder, wie schwer es ist, den Erwartungen der anderen gerecht zu werden. Dass man auf die Meinung der anderen jedoch nicht viel geben sollte propagiert die Mittdreißigerin Cam auf ihrem populären Blog. Cam lebt allein, will keine Kinder und hat gelegentlich Sex mit einem jüngeren Mann – ein Lebenswandel, an dem sie ihre Leser teilhaben lässt und der bei ihrer Mutter und ihren Schwestern seit Jahren auf Unverständnis stößt. Stella, Ende zwanzig, spürt beim Lesen von Cams Artikeln vor allem Wut. Sie hat das Brustkrebsgen und die Rückmeldung der Ärzte für sich so interpretiert, dass sie sofort schwanger werden muss oder es zu spät ist. Doch ihr Freund reagiert zurückhaltend auf ihren Wunsch. Schließlich gerät Tara in eine pikante Situation, die sie über Nacht zum Gespött der Nation macht. Ihr Leben scheint zerstört, und in den Medien gibt es nur eine Person, die zu ihr hält: Cam.

Zu Beginn des Buches lernt der Leser die drei Protagonistinnen kennen. Sie stehen mitten im Leben, müssen aber mit ganz unterschiedlichen Herausforderungen kämpfen: Tara arbeitet mit Männern zusammen, deren Verhalten man nur als frauenfeindlich bezeichnen kann. Obwohl sie früher als alle anderen anfängt erntet sie missbilligende Blicke, wenn sie zeitig geht, um ihre Tochter von der Schule abzuholen, nur um dort als Alleinerziehende ähnlichen Blicken der anderen Mütter ausgesetzt zu sein. Cams Lebenswandel stößt hingegen bei vielen ihrer Leserinnen auf positive Resonanz, nur ihre Mutter und ihre Schwestern wollen ihr Bekenntnis zur Kinderlosigkeit nicht verstehen. Und Stella fühlt sich wie eine tickende Zeitbombe, nachdem ihre Zwillingsschwester und ihre Mutter an Krebs gestorben sind und auch sie das Brustkrebsgen trägt. Obwohl es verschiedene Optionen für sie gibt kommt bei ihr nur eines an: Sie muss sich einer Operation unterziehen und davor schnellstmöglich ein Kind bekommen.

Die drei Frauen haben sich nie gesehen, das verbindende Element ist zu Beginn nur die Tatsache, dass Tara und Stella den Blog von Cam lesen. Die Perspektive wechselte jeweils nach wenigen Seiten und so tauchte ich schnell in die drei gänzlich unterschiedlichen Leben ein. Ich wurde ins Nachdenken gebracht darüber, dass eine Frau zwar die Wahl hat, was sie mit ihrem Leben anstellen will, aber es immer jemanden gibt, der mehr oder weniger explizit und lautstark andere Erwartungen an sie heranträgt.

Schließlich kommt es in Taras Leben zu einer katastrophalen Entwicklung. Sie ist über Nacht mit einer pikanten Story in allen Medien vertreten. Kann sie sich überhaupt noch in die Öffentlichkeit wagen? Was denken nun alle anderen über sie? Wie soll sie reagieren? Sie ist gänzlich mit der Situation überfordert, ihr Leben ist völlig aus den Fugen geraten. Auch Cam und Stella bekommen die ganze Geschichte mit und reagieren jeweils auf ihre spezielle Weise. Mit diesem ungewöhnlichen, provokativen Twist stieg mein Neugier auf den weiteren Handlungsverlauf zunächst an. Doch im Laufe des Romans wird das Thema so lang und breit diskutiert, dass es für mich irgendwann seinen Reiz verloren hatte, Tara beim Aufarbeiten des Geschehens zu begleiten.

Auch in Cams Abschnitten hatte ich irgendwann das Gefühl, dass die Diskussion rund um ihre bewusste Entscheidung zur Kinderlosigkeit sich im Kreis dreht und zu wenig Neues geschah. Tara und Cam blieben mir trotzdem weiterhin sympathisch, ganz im Gegensatz zu Stella. Ihre Geschichte ist wirklich traurig und hart, doch ihre Entscheidungen entsetzten mich ab einem gewissen Punkt nur noch und sie hätte meiner Meinung nach dringend psychologische Betreuung gebraucht, um ihre Situation aufzuarbeiten. Die Reaktionen ihres Umfelds hingegen… nun ja. Zum Ende hin kommt schließlich rasant Bewegung ins Geschehen. Ich fand die Entwicklungen dabei zu überzogen und den Abschluss irgendwie erzwungen.

„Cows. Folge nicht der Herde“ vermittelt die wichtige Nachricht, dass es völlig okay ist, als Frau mit dem eigenen Leben zu machen, was man will, dafür aber nicht immer Applaus erhalten wird. Der Autorin gelingt es gut, drei verschiedene Lebensentwürfe und Lebensgefühle darzustellen und verschiedene Reaktionen des Umfelds darauf. Das Buch lässt mich hin- und hergerissen zurück, denn trotz vieler guter Appelle hatte ich irgendwann das Gefühl, dass manche Themen zu sehr ausgewalzt wurden und die Handlung zunehmend effekthascherisch wurde. Was der Geschichte auf jeden Fall gelingt ist, Redebedarf zu erzeugen. Lest den Roman am besten selbst, um euch ein Bild zu machen.

Veröffentlicht am 28.02.2019

Eine riesige Skulptur und ein Video, das Aprils Leben für immer ändert

Ein wirklich erstaunliches Ding
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April May staunt nicht schlecht, als sie mitten in der Nacht in New York über eine drei Meter große Skulptur in massiver Rüstung stolpert. Instinktiv klingelt die dreiundzwanzigjährige Produktdesignerin ...

April May staunt nicht schlecht, als sie mitten in der Nacht in New York über eine drei Meter große Skulptur in massiver Rüstung stolpert. Instinktiv klingelt die dreiundzwanzigjährige Produktdesignerin ihren Kumpel Andy wach, der mit einer Kamera anrückt. Er filmt ihre Berichterstattung und lädt es auf YouTube hoch. Doch was die beiden für ein innovatives Kunstprojekt hielten, sind in Wahrheit mysteriöse Roboter aus unbekanntem Material, die gleichzeitig an vierundsechzig Orten auf der ganzen Welt aufgetaucht sind. Über Nacht wird April, deren Video das erste war, zum gefragtesten Talkshow-Gast Amerikas. Für sie, die wenig Fernsehen schaut und bislang nicht mal einen Twitter-Account hatte, eine ganz neue Erfahrung, auf die sie sich zunächst mit gemischten Gefühlen einlässt. Doch allmählich findet sie Gefallen an ihrem neuen Ruhm. Was kann sie tun, um nicht so schnell wieder in Vergessenheit zu geraten? Als sich ein neues Rätsel rund um die Skulpturen herauskristallisiert, will sie wieder die erste sein, die das Geheimnis lüftet. Doch wer steckt hinter der Erschaffern der Figuren? Und wie klug ist es, ihre Rätsel im Alleingang anzugehen?

Das Buchcover zeigt eine ganze Horde Roboter, welche die sogenannten Carls symbolisieren, die über Nacht auf der ganzen Welt auftauchen. Von einem Moment auf den nächsten sind sie da, und keiner Überwachungskamera ist es gelungen, die Installation der Skulpturen aufzuzeichnen. Protagonistin April wendet sich im Plauderton an den Leser und weist gleich darauf hin, dass es später noch spektakulär wird, sie aber erst beschreiben will, wie es so weit kam. Ihr Tonfall vermittelt den Eindruck, als wäre man selbst einer ihrer zahlreichen Follower, die sich in wenigen Tagen um sie geschart haben, nachdem sie mit ihrem Video der mysteriösen Skulptur berühmt wurde.

Für April ist auf einen Schlag alles anders. Zuerst kann sie gar nicht realisieren, dass sie im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, weil sie als erste von den Skulpturen berichtet hat, die nun alle Welt die Carls nennt wie sie in ihrem Video. Der Rummel um ihre Person interessiert sie anfangs gar nicht, sie nimmt an den Talkshows teil um mit der Gage ihre Studienschulden zu begleichen und registriert sich auf Twitter, damit andere aufhören, sich für sie auszugeben.

Von ihren Erlebnissen erzählt April in einem lockeren, sarkastischen Tonfall, mit dem sie sich nahbar macht. Rückblickend gibt sie zu, so manche Dummheit begangen zu haben, und macht sich dadurch nahbar. Dadurch wurde sie mir sympathisch, obwohl sie oft tatsächlich sehr kurzsichtig handelt und so manche Ecken und Kanten hat. Beispielsweise vermeidet sie klare Bekenntnisse, weshalb sie immer noch eine Matratze im Wohnzimmer hat, obwohl sie seit Jahren mit ihrer Mitbewohnerin Maya zusammen ist, und agiert immer wieder ziemlich selbstbezogen.

Der Roman greift auf, dass man in der heutigen Zeit dank YouTube und Co. über Nacht berühmt werden kann. April kümmert das zunächst wenig, doch es wird gelungen beschrieben, wie sie schrittweise in die Welt der Berühmten hineingesogen wird, die viel Reizvolles zu bieten hat. Als Leser konnte ich gut nachvollziehen, was das mit April macht und warum sich diese schließlich überlegt, wie sie ihren Status noch ein wenig länger behalten kann und sich wie sie es im Studium gelernt hat selbst in eine erfolgreiche Marke verwandeln kann.

Die unbeweglichen und unverrückbaren Carls geben der Menschheit ein Rätsel auf. Doch bald entdeckt April ein neues Rätsel, das in Zusammenhang mit ihnen steht. Sie muss sich entscheiden: Was behält sie für sich, was teilt sie mit ihrer wachsenden Followerschaft und damit der ganzen Welt, und worüber unterhält sie sich im Vertrauen mit Freunden oder gar hochrangigen Persönlichkeiten? Rat erhält sie dabei von Maya, die mit ihrer ausgeglichenen Art mein Lieblingscharakter war, Andy, der als Kameramann von Beginn an mit involviert ist und Miranda, von der sie online ganz zu Beginn einen entscheidenden Tipp erhält. Doch mit dem wachsenden Druck fällt es April schwer, andere an sich heranzulassen und gedanklich einen Schritt zurückzutreten, bevor sie handelt. So nehmen die Dinge schließlich ihren fatalen Lauf und konnten mich bis zum Schluss fesseln.

„Ein wirklich erstaunliches Ding“ erzählt die Geschichte von April, die über Nacht ins Zentrum der weltweiten Aufmerksamkeit rückt. Die sarkastische Mittzwanzigerin, die auf ihre Bekanntheit zunächst mit einem Schulterzucken reagiert, wird bald hineingesogen in eine Welt des Ruhms, die sie schließlich nicht mehr missen will. Gleichzeitig gilt es, neue Rätsel der Carls zu lösen und ihre Absichten zu verstehen. Ein wirklich gelungener Roman über Freundschaft und Fame, über wachsende Followerschaften und der damit einhergehenden Verantwortung, über richtige und falsche Entscheidungen und natürlich über mysteriöse riesige Skulpturen, deren Geheimnis es zu lüften gilt.

Veröffentlicht am 21.02.2019

Gegen das Vergessen: Liens Geschichte

Das Mädchen mit dem Poesiealbum
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Bart van Es wusste schon immer, dass seine Großeltern während des Zweiten Weltkriegs in den Niederlanden jüdische Kinder versteckt haben. Doch nach den Einzelheiten hat er nie gefragt, und niemand erzählte ...

Bart van Es wusste schon immer, dass seine Großeltern während des Zweiten Weltkriegs in den Niederlanden jüdische Kinder versteckt haben. Doch nach den Einzelheiten hat er nie gefragt, und niemand erzählte sie ihm. Der Tod seines Onkels bringt ihn schließlich ins Nachdenken. Er möchte mehr über seine Großeltern herausfinden, vor allem aber über die Geschichte des Mädchens, das sie versteckten: Lien. Über seine Mutter erhält er ihre Mailadresse und trifft sie kurz darauf in Amsterdam. Der Professor für englische Literatur lauscht ihren Erinnerungen, beginnt zu recherchieren und begibt sich auf eine Spurensuche.

Im Prolog des Buches berichtet der Autor von seinem allerersten Treffen mit Lien in Amsterdam. Er ist neugierig auf die Frau, die scheinbar lange ein Teil seiner Familie war und zu welcher der Kontakt vor fast dreißig Jahren abgebrochen wurde. Ein Mailaustausch ging dem Treffen voraus, und Lien ist bereit, ihre Geschichte mit ihm zu teilen. Auch einige Fotos hat sie aufbewahrt, und einen ganz besonderen Schatz: Ihr altes Poesiealbum.

Liens Geschichte wird in diesem Buch chronologisch erzählt und beginnt im Jahr 1941 in Den Haag. Zu dieser Zeit ist der Krieg in den Niederlanden angekommen und Lien erfährt als jüdisches Mädchen die ersten Schritte der Ausgrenzung: Sie muss einen Judenstern tragen, auf eine jüdische Schule gehen und darf die meisten öffentlichen Orte nicht mehr betreten. Als sich die Lage immer weiter zuspitzt, möchten ihre Eltern sie retten und geben sie fort. Sie soll bei einer anderen Familie und an einem anderen Ort leben kann, wo niemand weiß, dass sie Jüdin ist.

Liens Geschichte ist ein Beispiel für das Schicksal vieler jüdischen Kinder, die während des Zweiten Weltkriegs in den Niederlanden versteckt wurden. Im Gegensatz zur bekanntesten von ihnen, Anne Frank, muss Lien während des Krieges mehrfach das Versteck wechseln. Zum Glück findet sich immer jemand, der bereit ist, ihr Unterschlupf zu gewähren. Doch die Familien, die sie aufnehmen, gehen ganz unterschiedlich mit ihr um. So gibt es in den Kriegsjahren manche schöne, aber auch beklemmende und höchst traumatische Erlebnisse.

Die Rückblicke werden immer wieder unterbrochen durch Kapitel, in denen Bart van Es von seiner Recherche erzählt. Er besucht zahlreiche Orte, an denen Lien sich aufgehalten hat, und berichtet, wie es dort heute aussieht. Außerdem versorgt er den Leser mit Hintergrundinformationen zur Situation der Juden in den Niederlanden zu Beginn und während des Krieges, dem Kriegsverlauf und kurzen Einblicken in die Schicksale von weiteren Opfern, Helfern und Tätern. So lernt man zum einen die sehr persönliche Geschichte einer Überlebenden kennen, zum anderen erfährt man mehr über das Schicksal der niederländischen Juden im Allgemeinen. Mir hat diese Mischung gut gefallen, allerdings fand ich Abschnitte, in denen die geschichtlichen Fakten dargestellt werden, etwas überladen.

Der Autor versucht, möglichst neutral über Liens Schicksal zu berichten. Seine Großeltern stellt er nicht als unantastbare Helden hin, sondern setzt sich auch mit ihrer Rolle kritisch auseinander. Der Tonfall ist eher nüchtern, man merkt, dass er sonst wissenschaftliche Artikel verfasst und keine rührenden Storys. Für mich passte das gut zu dem, was er berichten möchte. Gleichzeitig machten die abgedruckten Fotos und Einträge aus Liens Poesiealbum ihre Geschichte für mich noch greifbarer.

In „Das Mädchen mit dem Poesiealbum“ erzählt der Professor Bart van Es die Geschichte der Jüdin Lien, die als Kind während des Zweiten Weltkriegs in den Niederlanden unter anderem von seinen Großeltern versteckt wurde. Dabei erhält der Leser sowohl Einblicke in Liens persönliches Schicksal als auch in die Geschichte der niederländischen Juden während des Krieges. Der Schreibstil ist nicht perfekt, doch ich bin froh, dass der Autor Liens Geschichte aufbereitet und aufgeschrieben hat. Ein gutes und wichtiges Buch gegen das Vergessen, dem ich noch viele Leser wünsche.

Veröffentlicht am 17.02.2019

Was verbergen die Menschen hinter ihren Masken?

Deine kalten Hände
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Die Schriftstellerin H. besucht die Premiere des neuen Dramas einer Studienfreundin. Doch sie kann der Handlung nicht mehr folgen, nachdem sie auf der Bühne eine besondere Skulptur entdeckt: Den Abdruck ...

Die Schriftstellerin H. besucht die Premiere des neuen Dramas einer Studienfreundin. Doch sie kann der Handlung nicht mehr folgen, nachdem sie auf der Bühne eine besondere Skulptur entdeckt: Den Abdruck eines Menschen. Werke dieses Künstlers konnten sie schon in der Vergangenheit fesseln. Auf der Premierenfeier begegnet H. dem Bildhauer Jang Unhyong zum ersten Mal und wechselt ein paar Worte mit ihm. Monate später meldet sich dessen Schwester bei ihr: Jang ist verschollen, und H. ist die einzige in seinen Aufzeichnungen erwähnte Person, mit der sie noch nicht gesprochen hat. Trotz ihrer ausweichenden Reaktion hat H. kurze Zeit Jangs Manuskript im Briefkasten. Ihre Neugier siegt, und sie taucht ein in seine Erinnerungen.

Zu Beginn lernt der Leser den Bildhauer Jang Unhyong aus der Perspektive der Schriftstellerin H. kennen. Sie ist fasziniert von seinen Werken, menschlichen Abdrücken, bei denen einige Stellen abgerissen wurden und den Blick ins hohle Innere freigeben. Deshalb erkennt sie sofort, dass es sich um eine weitere Skulptur von Jang Unhyong handelt, als sie diese auf der Bühne erblickt. Die anschließende Begegnung mit ihm ist kurz und für sie nicht von weiterer Bedeutung. Doch ihre Frage an ihn, warum er solche Werke schafft, scheint etwas in ihm ausgelöst zu haben. Er erwähnt diese Situation in seinem Manuskript, das er vor seinem Verschwinden hinterlassen hat und das nun H. in die Hände fällt.

Nach diesem kurzen Intro wechselt die Perspektive und besagtes Manuskript ist abgedruckt. Es nimmt den Großteil des Buches ein und endet erst wenige Seiten vor dessen Ende. Es beginnt mit H.s Frage nach dem Warum, die Jang ins Grübeln bringt und ihn zu einem Rückblick anregt. In seiner Kindheit suchte er als einziger Sohn von drei Kindern nach Anerkennung und Zuneigung von seinen Eltern. Doch insbesondere sein Vater ist ihm gegenüber kühl und streng. Diverse Szenen beleuchten Jangs Position in der Familie und in der Schule. In dieser Zeit entwickelt sich auch eine erste Faszination für von der Norm abweichende Körperteile: Immer wieder versucht er, einen Blick auf die durch einen Unfall verstümmelten Finger seines Onkels zu erhaschen.

Als Leser verfolgt man Jangs Entwicklung und erlebt mit, wie er zum ersten Mal Gipsabdrücke von L. nimmt. Diese ist stark übergewichtig, doch ihre Hände findet Jang besonders schön und engagiert sie als Modell. Nach anfänglichen Bedenken von L.s Seite verbringen zunehmend Zeit miteinander. Ihre Beziehung ist kompliziert und wird Jang nachhaltig prägen. Aber findet sich darin auch eine Antwort auf sein Verschwinden?

Jangs Faszination für Körperteile und dessen Entschluss, sie als Gipsabdrücke in unterschiedlichen Haltungen festzuhalten, wird mit poetischer Sprache gelungen beschrieben. Sein Schaffen ist voller Symbolik. Wie viel Mensch fängt ein Abdruck ein? Was verbirgt sich hinter ihren Masken? Wer ist bereit, sie abzulegen? Der Leser begegnet Charakteren, die ihre wahren Gefühle nicht nach außen tragen können oder wollen. Der Künstler Jang hat derweil immer wieder den Eindruck, selbst hohl zu sein. Er sehnt sich danach, hinter die Maske eines anderen zu blicken. Das Buch lässt den Leser tief blicken und begreifen, was in ihm vorgeht. Trotzdem gelang es mir nie, seinen Charakter in Gänze zu fassen. So blieben bei mir am Ende viele Fragezeichen, an denen das kurze Outro aus H.s Perspektive nichts änderte.

„Deine kalten Hände“ ist ein Künstler- und Gesellschaftsroman, der starke Bilder schafft und Raum zur Interpretation gibt. Er brachte mich ins Nachdenken, konnte mich auf der emotionalen Ebene aber nicht packen. Ein Buch für alle, die gern symbolträchtige Werke lesen.