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Veröffentlicht am 23.10.2018

Eindringliche Geschichte mit beeindruckender Erzählweise, die mich betroffen machte

Die Katze und der General
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Die junge Georgierin Katze lebt in Berlin und arbeitet als Schauspielerin. In ihrem Leben läuft vieles gerade nicht nach Plan: Sie steht kurz vor der Trennung, das Verhältnis zu ihrer Familie ist belastet, ...

Die junge Georgierin Katze lebt in Berlin und arbeitet als Schauspielerin. In ihrem Leben läuft vieles gerade nicht nach Plan: Sie steht kurz vor der Trennung, das Verhältnis zu ihrer Familie ist belastet, sie muss ihre Wohnung räumen und hat noch kein nächstes Engagement in Sicht. Da wird sie von einem Handlanger Alexander Orlows, genannt „Der General“, angesprochen. Der russische Oligarch will sie für ein Video engagieren, in dem sie ein totes Mädchen spielt, dem sie zum Verwechseln ähnlich sieht. Gemeinsam mit dem Journalisten Onno Bender, der seit Jahren die Wahrheit darüber veröffentlichen will, welches Verbrechen Orlow im Tschetschenien-Krieg tatsächlich begangen hat, ist sie bald Teil eines umfassenden Plans rund um Abrechnung, Schuld und Sühne.

Beim Blick aufs Buchcover fällt sofort der abgebildete Zauberwürfel auf. Er spielt im Buch eine zentrale Rolle, denn er gehört Nura, die man im Prolog kennenlernt. Im Jahr 1995 lebt sie mit ihrer Familie in Tschetschenien in einem abgelegenen Tal bei Grosny. Den Zauberwürfel hat sie von der Lehrerin Natalia erhalten, einer zugezogenen Russin, die zu ihrer Vertrauten wird. Diese ist es auch, die Nura in ihrem Wunsch bestärkt, das Tal und im selben Zug das Mittelmaß eines Tages hinter sich zu lassen. Doch dann kommt der Krieg in ihr Dorf.

Lange erfährt man keine Details über Nuras Schicksal. Stattdessen lernt man in der Gegenwart drei zentrale Personen kennen. Der Schauspielerin Katze fehlt eine Orientierung, wie es für sie weitergehen soll. Vieles läuft nicht so, wie sie es gern hätte, doch in was soll sie ihre Energie stecken? Das Angebot des Generals klickt merkwürdig und gefährlich, aber auch verlockend. Er scheint bereit, ihr für ihre Mitarbeit eine große Summe zu zahlen, die ihr eine neue Perspektive gibt. Davon kann sie jedoch erst Onno Bender überzeugen. Der auf Russland spezialisierte Journalist möchte seit Jahren ein Buch über Orlow schreiben, was im Tschetschenien-Krieg tatsächlich vorgefallen ist und warum dieser sich selbst anzeigte und es doch nie zu einem richtigen Prozess kam.

Das Buch nimmt sich Zeit, die drei Protagonisten ausführlich vorzustellen und ihre Vergangenheit zu beleuchten. Man erfährt zum Beispiel, dass der General nie in den Krieg wollte und dass seine Verachtung für Onno nicht nur von dessen Buchambitionen herrührt, sondern viel tiefer greift. Sehr interessant fand ich auch die Einblicke in Katzes Kindheit in Georgien und das Leben von ihr und ihrer Familie als Einwanderer in Berlin. Es machte mir begreiflich, warum sie Orlows Angebot annimmt und Nura für sie bald nicht mehr nur die Person ist, die sie in einem Video verkörpern soll, sondern viel mehr.

Die Sprache der Autorin ist klar und feinfühlig, während sie den Leser allmählich mit der grausamen Wahrheit konfrontiert. Sie nimmt den Leser mit in die Vergangenheit nach Tschetschenien, wo die russische Armee lagert und der Oberst die ausbleibenden Kämpfe nicht aushält, überall Verschwörer sehen will. Ein schreckliches Verbrechen und weitreichende Vertuschungsversuche werden beschrieben, die meinen Wunsch nach Gerechtigkeit immer weiter stärkten. Was genau hat der General nun mit seinem Video an die Personen vor, die mit ihm in die Sache verstrickt sind?

Der Plan des Generals bleibt undurchschaubar, Otto eine Schachfigur auf seinem Feld, Katze eine unberechenbare Variable, die eine Ahnung zu haben scheint. So strebt die Geschichte unaufhaltsam einer Konfrontation mit ungewissen Ausgang entgegen. Auf dem Weg dahin sog ich jedes Wort auf, um die Konsequenzen der über ein Jahrzehnt zurückliegenden Schicksalsnacht zu begreifen. „Die Katze und der General“ ist eine eindringliche, dramatische Geschichte, die mich betroffen machte und deren Erzählweise mich beeindrucken konnte. Ich gebe eine klare Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 23.10.2018

Ein spurlos verschwundener Ehemann und ein Neuanfang in Paris

Ich erfinde dir Paris
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Leah lebt in Wisconsin und arbeitet als Redenschreiberin, nachdem sie ihr Studium der Filmwissenschaft aufgegeben hat. Sie hat das Land noch nie verlassen und träumt davon, eines Tages Paris zu erkunden, ...

Leah lebt in Wisconsin und arbeitet als Redenschreiberin, nachdem sie ihr Studium der Filmwissenschaft aufgegeben hat. Sie hat das Land noch nie verlassen und träumt davon, eines Tages Paris zu erkunden, denn dort spielt ihr Lieblingsfilm, „Der rote Luftballon“. Ihren Mann Robert hat sie kennengelernt, als sie das Buch zum Film klauen wollte, weil sie knapp bei Kasse war, und er es für sie bezahlt hat. Er ist Schriftsteller und sehnt sich ebenso nach Paris wie sie. Fast zwei Jahrzehnte später sind die beiden verheiratet und haben zwei Töchter im Teenageralter, da verschwindet Robert plötzlich spurlos. Der einzige Hinweis: Vier Flugtickets nach Paris. Leah macht sich mit ihren beiden Töchtern auf den Weg nach Frankreich und bleibt doch länger als gedacht. Doch wird Robert sie dort tatsächlich finden? Und wann sollte man die Suche und Hoffnung aufgeben?

Zu Beginn des Buches lernt der Leser Leah kennen, die schon seit einer Weile in Paris lebt und dort eine Buchhandlung besitzt und ihren Mann sucht. Danach springt die Geschichte erst einmal in die Vergangenheit und erzählt, die Leah und Robert sich kennengelernt haben. Die beiden verbindet von Beginn an ihre Leidenschaft für Paris, wobei sie unterschiedliche Favoriten haben. Leah verehrt als Filmstudentin „Der rote Luftballon“ von Albert Lamorisse, Robert als Kinderbuchautor die Madeleine-Reihe von Ludwig Bemelman. Doch die Stadt ihrer Sehnsüchte scheint unerreichbar, denn beiden fehlt das Geld für einen Flug. Stattdessen machen sie Ausflüge nach Paris, Wisconsin, das es gleich zwei Mal gibt, verlieben sich und heiraten, nachdem Leah Robert um einen Antrag gebeten hat.

Doch Robert ist ein labiler Charakter, der ständig an sich selbst und seinem Tun zweifelt und immer wieder unangekündigt auf „Schreibfluchten“ flüchtet. Jedoch hinterlässt er immer eine Nachricht. Das ist anders, als er eines Tages spurlos verschwindet und deutlich länger wegbleibt als je zuvor. Leahs Entschluss, die Flugtickets zu nutzen und ihn in Paris, Frankreich zu suchen, wurde für mich nachvollziehbar gemacht, auch wenn das Ticket, das Robert für sich selbst gebucht hat, ungenutzt zurückbleibt.

Leah hängt oft ihren Erinnerungen an Robert nach. Sie denkt an all die schönen Momente zurück, die die beiden gemeinsam erlebt haben und sucht gleichzeitig nach Anzeichen und Hinweisen, die sein Verschwinden erklären. In der französischen Hauptstadt lebt sie sich bald ein, sucht aber nicht so aktiv nach Robert wie ihre Töchter. Sie ist in vielerlei Hinsicht unentschlossen: Soll sie weiter nach Robert suchen? Oder ihn aufgeben? Will sie dieses Leben in Paris? Was soll sie ihren Töchtern sagen? Sie beschäftigt sich hauptsächlich mit sich selbst und fühlt sich von Robert im Stich gelassen. Sie auf ihren Gedankenwegen zu begleiten zog sich für mich zunehmend in die Länge. Ich fand keinen richtigen Zugang zu ihr als Protagonistin. Auch mit den ständigen Verweisen auf Lamorisse und Bemelmann konnte ich wenig anfangen, da ich beide Werke nicht kenne.

Leahs Töchter Ellie und Daphne haben mir deutlich besser gefallen. Sie werden im Buchverlauf immer eigenständiger und gewöhnen sich bald an ihr neues Pariser Leben. Der Leser wird häufig mitgenommen auf Spaziergänge durch Paris, auch abseits der beliebtesten Ecken, was sich vor allem für Fans der Stadt lohnt. Doch die Geschichte kommt lange nicht wirklich voran und verharrt im Status Quo. Erst zum Ende hin überschlagen sich die Ereignisse. Sie konnten mich trotzdem nicht so recht packen und einiges traf bei mir auf Unverständnis.

In „Ich erfinde dir Paris“ zieht Leah mit ihren beiden Töchtern von Wisconsin in die französische Hauptstadt, nachdem ihr Ehemann spurlos verschwunden ist und außer Flugtickets keinen Hinweis hinterlassen hat. Das Buch ist eine schöne Hommage an die Stadt. Leider kannte ich die Werke nicht, auf die ständig verwiesen wird, und die Geschichte rund um die zweifelnde, verlassene und unentschlossene Leah kam nicht richtig in Schwung. Für mich eine durchwachsene Lektüre, die interessanter sein könnte für Paris-Liebhaber, die auch die oben genannten Werke kennen.

Veröffentlicht am 23.10.2018

Wilkommen im Slough House bei den Slow Horses

Slow Horses
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Slough House, das ist das Abstellgleis für MI5-Agenten, die aus irgendeinem Grund ihre Karriere vermasselt haben. River Cartwright ist einer der Slow Horses, die so unspannende Dinge tun wie Unterlagen ...

Slough House, das ist das Abstellgleis für MI5-Agenten, die aus irgendeinem Grund ihre Karriere vermasselt haben. River Cartwright ist einer der Slow Horses, die so unspannende Dinge tun wie Unterlagen auf der Suche nach verdächtigen Zusammenhängen zu durchforsten. Er ist fest davon überzeugt, nur bei der Truppe gelandet zu sein, weil man ihn hereingelegt hat. Als ein pakistanischer Jugendlicher entführt wird mit der Drohung, ihn nach achtundvierzig Stunden zu enthaupten, wittern die Slow Horses ihre Chance auf Ruhm und Rehabilitation. Durch ihre Nachforschungen stolpern sie mitten hinein in ein gefährliches Netz aus Lügen und Fanatismus.

Die Slough House-Reihe von Mick Herron umfasst im englischen Original bereits fünf Bände – jetzt ist der erste Teil der Agentenserie auch auf Deutsch verfügbar. Im ersten Kapitel lernt man River Cartwright und seine Geschichte kennen, die ihn zu den Slow Horses gebracht hat. Er ist bei seiner Aufstiegsprüfung beim MI5 ist spektakulär gescheitert. Immer wieder durchlebt er die fatalen Momente und ist sich sicher, dass alles nur passiert ist, weil ein Kollege ihm falsche Informationen hat zukommen lassen. Doch dafür gibt es keine Beweise, und so sitzt er wie die anderen Slow Horses im Slough House fest.

Zu Beginn nimmt sich das Buch Zeit, die insgesamt acht Slow Horses und ihren Chef Jackson Lamb vorzustellen. Jeder von ihnen hat seine eigene Geschichte, die ihn an diesen Ort gebracht hat. Der IT-Spezialist Roderick Ho kennt sie alle bis auf zwei. Und während sich einige mit ihrem Dasein im Slough House abgefunden haben, wollen andere um jeden Preis wieder zurück in die MI5 Zentrale am Regent’s Park. Die Ausführlichkeit, mit der die Charaktere vorgestellt werden, weckte den Eindruck, dass hier schon früh alles für eine mehrbändige Story vorbereitet wird. Es dauerte eine Weile, bis ich mir einen Überblick verschafft hatte und endlich Bewegung in die Sache kam.

Im Fall des entführten Jugendlichen, der die Nation vor die Bildschirme fesselt, wollen einige Slow Horses unbedingt mitmischen. Sie haben eine Idee, wo sie dazu ansetzen können. Doch damit bringen sie sich selbst mitten in die Schusslinie. Viele Charaktere verfolgen ihre eigene Agenda und sind bereit, dafür einiges in Kauf zu nehmen. Nach dem ruhigen Start nimmt die Geschichte zunehmend an Tempo auf.

Mir hat es Spaß gemacht, die Slow Horses zu begleiten. Sie sind keine glattgestriegelten Agenten, sondern haben alle ihre Macken und Eigenheiten. Trotzdem arbeiten sie nach wie vor für einen Zweig des MI5 und haben einiges auf dem Kasten. Deshalb laufen Dinge mal so richtig schief, und mal sind sie absolut in ihrem Element. Eine gelungene Mischung, die für unvorhersehbare Entwicklungen sorgt. Mit der Zeit wird immer klarer, was eigentlich hinter dem Fall steckt. Neue Erkenntnisse und Zwischenfälle lassen die Handlung wiederholt die Richtung wechseln, sodass ich bis zum spannenden Schluss neugierig blieb und schließlich Antworten auf alle drängenden Fragen erhielt.

In „Slow Horses“ lernt man die gleichnamige Truppe ausrangierter MI5-Agenten kennen, die hauptsächlich Aktenkram erledigen. Eine aufsehenerregende Entführung bringt einige von ihnen auf den Plan, durch eine Lösung des Falls ihren Ruf wieder herzustellen. Nach einem ruhigen Start mit einer ausführlichen Vorstellung der Charaktere konnte mich die Handlung zunehmend fesseln. Ein gelungener Reihenauftakt für alle, die Lust auf einen ganzen Haufen nicht so perfekter, aber ambitionierter Agenten in Aktion haben.

Veröffentlicht am 23.10.2018

Vom Hauptstadtzoo ins Zentrum der russischen Macht

Guten Morgen, Genosse Elefant
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Der zwölfjährige Juri Zipit wohnt im Jahr 1954 mit seinem Vater, der als Tierarzt arbeitet, in einer Personalwohnung des Hauptstadtzoos in Moskau. Mit sechs Jahren hatte er einen schweren Unfall. Seither ...

Der zwölfjährige Juri Zipit wohnt im Jahr 1954 mit seinem Vater, der als Tierarzt arbeitet, in einer Personalwohnung des Hauptstadtzoos in Moskau. Mit sechs Jahren hatte er einen schweren Unfall. Seither vergisst er häufiger Dinge und hat gelegentlich Anfälle. Eines Abends wird sein Vater vom Geheimdienst abgeholt, um einen Patienten zu behandeln. Juri begleitet ihn als Assistent. Die Überraschung ist groß, als der Patient kein Tier ist, sondern der Stählerne höchstpersönlich, der überzeugt ist, dass alle Humanmediziner Verschwörer sind. Er ist von Juris liebem Gesicht und scheinbar einfachen Charakter so angetan, dass er ihn auf der Stelle zu seinem neuen Vorkoster ernennt. So erlebt Juri hautnah, was im Zentrum der russischen Macht vor sich geht.

Juri ist ein ganz besonderer Charakter, der sich dem Leser zu Beginn des Buches selbst vorstellt. Er lebt mit seinem Vater im Zoo und hat sich damit abgefunden, dass er seit seinem Unfall sechs Jahre zuvor oft Wörter oder Erinnerungen vergisst und an Epilepsie leidet. Denn gleichzeitig ist er sehr wissbegierig und kennt sich mit vielen Dingen aus, von denen seine Klassenkameraden keine Ahnung haben. Außerdem hat er ein liebes, stets lächelndes Gesicht, das dazu führt, dass ihm Fremde ständig vertrauliche Dinge erzählen, die er gar nicht hören will. Seine Mutter war Ärztin und einfach verschwunden, als er fünf Jahre alt war. Auch sein Vater lebt in ständiger Angst, eines Tages abgeholt zu werden und hat Juri eingeschärft, im Ernstfall so wenig wie möglich zu sagen.

Als die Geheimpolizei Juri und seinen Vater eines abends tatsächlich mitnimmt, passiert das aus ganz anderen Gründen als erwartet. Sie werden zum kranken Stählernen geführt, der von Juris Vater begutachtet werden soll. Dessen Diagnose gefällt ihm nicht, doch Juri will er als Vorkoster behalten. So gerät Juri völlig unvorbereitet in ein Schlangennest, in dem alle einander hintergehen und ihre eigene Agenda verfolgen. Von seiner Arglosigkeit wollen verschiedene Personen profitieren und versuchen ihn für ihre persönlichen Zwecke einzuspannen.

Juri sieht und erlebt vieles, dass er nicht ganz versteht. Zu Beginn realisiert er nicht einmal, dass er tatsächlich für Stalin arbeitet. Von seinem neuen Umfeld als einfältig abgestempelt erlebt er als stummer Zuhörer manch streng geheime Szene mit. Seine erschreckenden Schilderungen machten mich als Leser betroffen und zeigen die Willkürlichkeit, mit der in totalitären Systemen Entscheidungen über Leben und Tod getroffen werden.

Das Leben als Vorkoster ist ein Tanz auf Messers Schneide, denn viele sind schon an Gift gestorben. Er schwebt in ständiger Gefahr und ist auf sich allein gestellt. Seine Erlebnisse als Vorkoster enthielten für mich jedoch zu viele wiederkehrende Beschreibungen von Saufgelagen und Schimpftiraden. Auf der anderen Seite gibt es viele skurrile Szenen, zum Beispiel bei der Vorführung amerikanischer Filme, die mich trotz der ernsten Gesamtsituation zum Schmunzeln brachten.

Bei „Guten Morgen, Genosse Elefant“ handelt es sich um eine fiktive Geschichte, welche vieles ganz bewusst überspitzt und es mit den historischen Fakten nicht immer so genau nimmt. Trotzdem vermittelt sie einen Eindruck davon, wie es im innersten politischen Kreis Russlands in der Zeit vor Stalins Tod zugegangen sein könnte, wo niemand dem anderen traut und niemand sich in Sicherheit wägen kann. Juris Geschichte ist tragisch, sein Optimismus und seine kindliche Gutgläubigkeit rührend. Ich empfehle diese ungewöhnliche, dramatische Geschichte mit vielen satirischen Elementen sehr gerne weiter!

Veröffentlicht am 23.10.2018

Spinster Girl sein jetzt, sich für niemanden zu ändern und seine Meinung zu sagen

Spinster Girls – Was ist schon normal?
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Endlich geht Evie aufs College, wo sie einen ganz normalen Neuanfang wagen kann. Sie möchte tolle Freundinnen haben und sich verlieben, ohne dass jemand von ihrer Zwangserkrankung weiß, in deren schlimmster ...

Endlich geht Evie aufs College, wo sie einen ganz normalen Neuanfang wagen kann. Sie möchte tolle Freundinnen haben und sich verlieben, ohne dass jemand von ihrer Zwangserkrankung weiß, in deren schlimmster Phase sie das Haus für acht Wochen nicht verlassen hat. Jetzt ist sie zwar noch in Therapie, hat die Krankheit aber ganz gut im Griff. Ihr erstes Date stellt sich leider als Vollkatastrophe heraus, und der zweite Kandidat scheint noch verrückter zu sein als sie. Evie und ihre neuen Freundinnen Lottie und Amber ernennen sich zu Spinster Girls: Sie sind fest entschlossen, sich für Jungs nicht zu ändern und möchten bei ihren Clubtreffen über feministische Themen sprechen. Jungs bleiben natürlich ebenfalls Thema – und die stellen Evies Leben bald ganz schön auf den Kopf.

In diesem ersten Band der Spinster Girls Trilogie begleitet der Leser Evie bei ihrer ersten Zeit auf dem College. Für sie ist das eine große Sache, denn dort weiß kaum jemand von ihrer Zwangserkrankung. Eine Ausnahme ist ihre ehemals beste Freundin Jane, doch klebt nur noch an ihrem Freund, hat ihren Stil für ihn komplett verändert und für nichts anderes mehr Zeit. Evie ist fest entschlossen, nun ein Leben zu führen, dass so „normal“ ist wie das aller anderen.

Ich fühlte mich Evie schnell nahe, denn sie lässt den Leser intensiv an ihren Gedanken teilhaben. Immer wieder sind es Ausschnitte aus ihrem Genesungstagebuch abgedruckt, in welchem sie ihre Gedanken festhält und Hausaufgaben von ihrer Therapeutin notiert sind, an denen sie arbeiten soll. Außerdem sind ihre unguten Gedanken, die durch die Erkrankung entstehen, hervorgehoben. So wird begreiflich gemacht, zu welchen Handlungen sie durch diese getrieben wird. Dadurch wird greifbar gemacht, was es heißt, mit einer Zwangserkrankung zu leben. Das klingt bedrückend, ist es aber nicht. Evie erzählt unterhaltsam aus ihrem Leben, der Ton ist locker und frech. Es gibt immer wieder ernstere Momente, durch welche die Atmosphäre jedoch nicht kippt. Denn Evie ist eine Kämpferin, die vor ihrer Krankheit nicht mehr so leicht kapitulieren will.

Die beiden weiteren großen Themen des Buchs sind Jungs und Feminismus. Durch die Gründung des Clubs der Spinster Girls werden die Themen gelungen kombiniert. In Lottie und Amber findet Evie zwei tolle neue Freundinnen, mit denen sie über vieles reden kann. Nur über ihre Erkrankung will sie mit ihnen nicht sprechen. Dafür tauschen sie sich intensiv über Jungs aus und erinnern sich gleichzeitig gegenseitig an die Clubregeln, die besagen, dass man sich bei aller Verliebtheit selbst treu bleiben muss. Evies erste Dating-Erfahrungen sind schräg und zeigen, was in ihrem Alter so passieren kann. Bei den Clubtreffen kommen auch feministische Themen nicht zu kurz und geben dem Leser kleine Einblicke in unterschiedliche Aspekte des Feminismus.

„Spinster Girls: Was ist schon normal?“ ist eine kurzweilige Lektüre, die gelungen Einblicke in das Leben von Evie gibt, die an einer Zwangserkrankung leidet, diese aber nicht über ihr Leben bestimmen lassen will. Am College findet sie neue Freundinnen, mit denen sie über ihre ersten Dating-Erfahrungen und feministische Themen reden kann. Der Tonfall ist meist locker, doch nicht alles läuft nach Plan, sodass es auch bedrückende Momente gibt. Ich empfehle das Buch gern an jugendliche Leser weiter!