Profilbild von Nabura

Nabura

Lesejury Star
offline

Nabura ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Nabura über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.01.2017

Über zwei gänzlich verschiedene Charaktere, Zufälle und Schicksale

Dein perfektes Jahr
0

Jonathan N. Grief entstammt einer Verlegerdynastie und wohnt seit seiner Scheidung allein in seiner großen Villa. Im Verlag erfüllt er hauptsächlich repräsentative Aufgaben, sodass ihm genug Zeit für ein ...

Jonathan N. Grief entstammt einer Verlegerdynastie und wohnt seit seiner Scheidung allein in seiner großen Villa. Im Verlag erfüllt er hauptsächlich repräsentative Aufgaben, sodass ihm genug Zeit für ein umfassendes Sportprogramm und das Verfassen von Leserbriefen an Presse und Behörden bleibt, mit denen er auf Fehler und Versäumnisse hinweist. Doch dann findet er am Neujahrstag ein Filofax für das kommende Jahr – komplett ausgefüllt mit den verschiedensten kreativen, lustigen und schönen Aufgaben. Jonathan macht sich auf die Suche nach dessen Besitzer. Voller Neugier kommt er aber nicht umhin, selbst ausführlicher darin zu lesen.

Hannah Marx ist Erzieherin und steht kurz vor der Verwirklichung ihres großen Traums: Gemeinsam mit ihrer Freundin Lisa will sie die „Rasselbande“ eröffnen, ihr eigenes Angebot zur Kinderbetreuung auch außerhalb der normalen Kindergarten-Zeiten. Auch ihr Freund Simon, von dem sie sich sehnlichst einen Heiratsantrag wünscht, wird voll eingebunden. Doch dann werfen schlechte Nachrichten all ihre Pläne durcheinander.

Das Buch ist mit seinem bunten Titel, kleinen Sternen auf blauem Grund und seinem lila Buchschnitt ein echter Hingucker. Mir suggerierte diese Aufmachung eine unterhaltsame, lockere Liebesgeschichte. Der Klappentext, der die Frage nach dem Sinn des Lebens stellt, lässt hingegen vermuten, dass es auch etwas tiefgründiger werden könnte. Neugierig, was denn nun wirklich zwischen den Buchdeckeln steckt, tauchte ich in die Geschichte ein.

Das Buch ist abwechselnd aus der Perspektive von Jonathan und Hannah geschrieben. Jonathans Geschichte beginnt am Neujahrsmorgen mit dem Fund des Filofax. Er wirkte auf mich nicht sonderlich sympathisch: Er liebt das Meckern, ruht sich auf dem Geld und Ruhm seiner Vorfahren aus und ist in seiner täglichen Routine gefangen. Erst die Aufgaben im Filofax bringen ihn ins Nachdenken. Hannah hingegen ist eine lebenslustige Person, die mitten im Leben steht und mit ihrem Schritt in die Selbstständigkeit Mut beweist. Jetzt fehlt nur noch ein Heiratsantrag zum vollkommenen Glück. Dann schlägt jedoch das Schicksal zu und der Leser begleitet sie durch eine schwere Zeit.

Die Geschichten der beiden laufen lange komplett getrennt voneinander und auch zeitlich um einige Wochen versetzt. Sehr schnell ist klar, was das verbindende Element zwischen beiden Geschichten ist, trotzdem kommt es erst mal nicht zu einer Begegnung. Die beiden suchen aneinander vorbei und die Zufälle, die diesen Zustand weiter in die Länge zogen, wurden zunehmend unwahrscheinlich. Das fand ich schade, doch die beiden Handlungsstränge konnten auch für sich überzeugen. Jonathan wurde mir zunehmend sympathisch, ich konnte seine Entscheidungen gut nachvollziehen und fand die charakterliche Wandlung, die er durchmacht, gelungen. Hannahs Geschichte wird hingegen bald traurig. Der Auslöser ist realistisch, damit wird allerdings eine wirklich deprimierende Nachricht gesendet. Weil ich Hannah von Beginn an mochte, hoffte ich, dass sie sich trotzdem ins Leben zurückkämpfen wird.

Die Geschichte ist keine leichte Kost – daran ändert sich auch nichts, wenn man sie mit lila Zuckerguss, Verzeihung, Buchschnitt überzieht. Es regt zum Nachdenken an darüber, was das Leben eigentlich lebenswert macht. Geld, Liebe, Selbstverwirklichung? Kann man aus den Fehlern seine Vergangenheit lernen und ein anderer werden? Was macht ein Schicksalsschlag mit dir, und wie geht es danach weiter? Das Buch bereitet den Schlüsselmoment der Geschichte sorgfältig vor. Danach zieht das Tempo allerdings ordentlich an. Die Autorin hat sich selbst vor die große Aufgabe gestellt, in der Geschichte eine große Bandbreite an Emotionen abzudecken. Das ist ihr durchaus gelungen, führt zur Verwässerung der einzelnen emotionalen Phasen und gerade die schönen Momente waren für mich zu schnell vorbei. Insgesamt hat mich das Buch bis zum zufriedenstellenden Schluss gut unterhalten können.

„Dein perfektes Jahr“ erzählt die Geschichte von Jonathan und Hannah, die sehr unterschiedlich sind und deren Wege sich nur aufgrund eines Zufalls kreuzen. Während Jonathan beginnt, seine Routine und sein Handeln zu hinterfragen, muss Hannah mit der Tatsache umgehen, dass das Schicksal ihre Pläne durchkreuzt. Die Geschichte ist nachdenklich und melancholisch, es gibt aber auch viele schöne, romantische und lustige Momente. Ein Buch für alle, für die die Geschichte über einen Mann und eine Frau mehr als rosarote Seifenblasen bieten soll.

Veröffentlicht am 04.01.2017

Monumentaler Abschluss der Trilogie

Red Rising - Tag der Entscheidung
0

Monatelang hat Darrow als Gefangener des Schakals eingesperrt in völliger Isolation und Dunkelheit verbracht. Doch seine engsten Freunde haben ihn nicht aufgegeben, obwohl seine angebliche Exekution überall ...

Monatelang hat Darrow als Gefangener des Schakals eingesperrt in völliger Isolation und Dunkelheit verbracht. Doch seine engsten Freunde haben ihn nicht aufgegeben, obwohl seine angebliche Exekution überall ausgestrahlt wurde. In einer waghalsigen Aktion wird er gerettet und findet sich in einer Welt wieder, in der ein erbitterter Krieg ausgebrochen ist. Kann er weitere Verbündete gewinnen und seinen Traum eines neuen Zeitalters verwirklichen?

Mit „Red Rising. Tag der Entscheidung“ ist endlich das große Finale rund um den Minenarbeiter Darrow, der sich als Mitglied der Oberschicht ausgegeben hat, um diese von innen heraus zu zerstören, erschienen. Ein wenig schlucken musste ich aufgrund der Seitenzahl, denn dieser letzte Teil ist mit 650 Seiten noch einmal fast 100 Seiten dicker als seine Vorgänger. Gespannt startete ich in die Geschichte und begegnete einem Darrow, der nach Monaten der Isolation völlig entkräftet, aber ungebrochen ist. Weil das ganze Buch aus seiner Perspektive geschrieben ist war für mich klar, dass zügig etwas geschehen muss. Und so las ich mich schon bald durch eine actionreiche Befreiungsaktion.

Größer, höher, schneller, weiter – das war wohl die Devise des Autors, als er dieses Buch schrieb. Denn in diesem letzten Teil geht es um nicht weniger als die Herrschaft über das gesamte Sonnensystem. Dem Leser werden viele spektakuläre Schlachten und Kämpfe auf Raumschiffen und Himmelskörpern geboten, außerdem politische Machtkämpfe, Verhandlungen und Intrigen. Bündnisse schmieden und werden gebrochen, Loyalität bewiesen und Vertrauen missbraucht. Pierce Brown erzählt hier eine monumentale Geschichte vor beeindruckender Kulisse. Für meinen Geschmack hätte er allerdings oftmals etwas weniger ausholen und ins Detail gehen müssen. Obwohl eigentlich ständig etwas geschah, zogen sich die Beschreibungen für mich in die Länge. Gerade seitenlänge Kämpfe und Gespräche hätte man stark kürzen können.

Die meisten wichtigen Charaktere sind schon aus den ersten beiden Bänden bekannt, sodass es an vielen Stellen Wiedersehen der erfreulichen und der weniger erfreulichen Sorte gab. Vor allem bei denen, die schon mit Darrow am Institut waren, wird deutlich, welch gewaltige Entwicklung sie seither durchgemacht haben. Die unflätige Sprache, in der sie miteinander reden, bleibt aber dieselbe. Etwas schwer getan habe ich mich mit der großen Zahl an Nebencharakteren, denn das vorangestellte Personenverzeichnis ist hilfreich, aber gerade die Personen, an die ich mich nicht mehr so gut erinnerte, fehlten hier.

Alle Fans der Sci Fi Action werden bei diesem Buch sicherlich auf ihre Kosten kommen. Ob Mann gegen Mann, im Waffengefecht mit vielen Kämpfern oder im All mit zwei verfeindeten Flotten, hier werden immer wieder entscheidende Kämpfe ausgetragen. Dabei geht es in gewohnter Manier äußerst brutal zu – Gließmaßen werden abgetrennt, Bäuche aufgeschlitzt und Köpfe zerquetscht. Zudem ist niemand sicher, es sterben wieder Hauptfiguren und ich zitterte um das Überleben meiner liebsten Charaktere. Vor allem zum Ende hin spielt der Autor damit geradezu und hatte noch einige Überraschungen im Ärmel, dank derer die letzten Kapitel für mich die besten des Buches waren.

„Red Rising. Tag der Entscheidung“ ist der monumentale Abschluss der Trilogie, in welcher es um nicht weniger als die Herrschaft über das Sonnensystem und den Umsturz der gesamten Gesellschaftsstruktur geht. Brutale Kämpfe und Schlachten werden dem Leser ebenso geboten wie politische Verhandlungen und Machtspiele. Für meinen Geschmack hätte das an vielen Stellen deutlich straffer erzählt werden können. Fans von düsterer, actionreicher Science Fiction sind bei dieser Trilogie genau richtig!

Veröffentlicht am 04.01.2017

Jetzt muss Lila zeigen, was wirklich in ihr steckt

Black Blade
0

Lila Merriweather ist Mitglied des Hauses Sinclair, einer der mächtigen Familien, die den magieerfüllten Ort Cloudburst Falls kontrollieren. In den letzten Wochen hat sie getan, was sie am Besten kann: ...

Lila Merriweather ist Mitglied des Hauses Sinclair, einer der mächtigen Familien, die den magieerfüllten Ort Cloudburst Falls kontrollieren. In den letzten Wochen hat sie getan, was sie am Besten kann: Stehlen. In diesem Fall Schwarze Klingen, mit denen Victor Draconi, Erzfeind der Sinclairs und Mörder ihrer Mutter, alle Familien zu vernichten plante. Damit hat sie ihn entscheidend geschwächt, kann einen Angriff aber nicht verhindern. Wird es Lila gelingen, die zu beschützen, die sie liebt?

Endlich ist mit „Die helle Flamme der Magie“ der große Abschluss der Black Blade Trilogie erschienen! Ich habe mich riesig auf dieses Buch gefreut, das optisch bestens zu den beiden Vorgängern passt und dessen Beschreibung verheißungsvoll klang. Neugierig startete ich in die Geschichte und fand auf einer Diebestour von Lila wieder. Sie hat gemeinsam mit Davon und Felix in den letzten zwei Wochen Victors mächtigste Waffen gestohlen, um zu verhindern, dass er mühelos alle Mitglieder anderer Familien töten, die sich ihm nicht unterwerfen.

Rasch war ich wieder mittendrin in der Geschichte und fieberte mit Lila mit, wann Victor angreifen wird und ob die Familien stark genug sein werden, um sich zu wehren. Nach einigen ruhigen Momenten, in denen man in Lilas Überlegungen eingeweiht wird, geht es auch schon zur Sache. Für diesen letzten Teil zieht die Autorin alle Register und schreckt vor einem Blutvergießen nicht zurück. Bei ihren Ausführungen geht sie nicht zu sehr ins Detail, aber wenn man alle Leichen in diesem Buch stapeln würde, ergäbe das wohl einen ordentlichen Haufen. Lila ist zwar schockiert, bewahrt für die Situation aber einen außerordentlich kühlen Kopf. Sie interessiert sich vor allem für die Sicherheit der Menschen, die ihr wirklich etwas bedeuten, und Rache an Victor. Alles drum herum scheint eher Kollateralschaden zu sein.

Der interessanteste Charakter in diesem Buch war für mich Deah. Nach den Enthüllungen des letzten Bandes steht sie vor einem Dilemma und muss sich entscheiden, wen sie unterstützen will und was das für ihr Wohlergehen und das ihrer Mutter bedeutet. Mit ihren Entscheidungen kann sie großen Einfluss nehmen, weshalb ich immer wieder gespannt war, was sie tun wird. Aber auch Lila, Devon und Felix zu begleiten hat wieder großen Spaß gemacht. Trotz des Actionschwerpunkts gab es auch kurze romantische Momente, die mir gefallen haben. Neben Victor tritt vor allem sein Sohn Blake als Bösewicht in Erscheinung, er blieb für meinen Geschmack allerdings blass und eindimensional.

Wer Action und Kampf mag, der wird in diesem Finale auf jeden Fall auf seine Kosten kommen. Vor allem Lila kann noch einmal richtig zeigen, was in ihr steckt. Die Seiten verflogen im Nu, während ich mitfieberte. Immer wieder erfüllte das kalte Brennen der Magie Lilas Adern – diesen Ausdruck konnte ich ehrlich gesagt irgendwann nicht mehr hören – und sie stürzte sich in wagemutige Aktionen. Das große Finale schließt die Geschichte rund um Lila für mich gelungen und zufriedenstellend ab, sodass ich die Trilogie mich mit einem lachenden und einem weinenden Auge beende.

In „Black Blade. Die helle Flamme der Magie“ steht für Lila und die Sinclairs alles auf dem Spiel. Können sie die düsteren Pläne von Victor Draconi durchkreuzen, welcher der alleinige Beherrscher von Cloudburst Falls werden will? Trotz kleinerer Kritikpunkte kann ich sagen, dass ich genau das bekommen habe, was ich erwartete: Eine rasante, actionreiche Erzählung, nicht zu tiefgründig oder dramatisch, in welcher das magische Wundertalent Lila ihr Können unter Beweis stellt. Ein tolles Finale für diese magische Reihe, die ich sehr gerne an Fantasy-Fans weiterempfehle!

Veröffentlicht am 04.01.2017

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht...

Das Paket
0

Emma ist als Psychiaterin tätig und hält auf einer Konferenz einen aufsehenerregenden Vortrag. Erschöpft vom Tag nimmt sie das Angebot des Veranstalters an und schläft im Hotel in der eigenen Stadt. Doch ...

Emma ist als Psychiaterin tätig und hält auf einer Konferenz einen aufsehenerregenden Vortrag. Erschöpft vom Tag nimmt sie das Angebot des Veranstalters an und schläft im Hotel in der eigenen Stadt. Doch die Nacht soll zum grauenhaften Albtraum werden: Emma wird Opfer des „Frisörs“ einem Serienmörder, der ihr die Haare schert, sie vergewaltigt und einen Abbruch ihrer Schwangerschaft auflöst. Doch die Polizei zweifelt an, dass Emma wirklich ein Opfer ist. Der „Frisör“ hat alle anderen Opfer getötet und ein Zimmer mit der Nummer 1904 und einem Porträt Ai Weiweis gibt es im Hotel nicht. Doch Emma bleibt bei ihrer Version der Ereignisse. Traumatisiert von ihren Erfahrungen sichert sie ihr Haus umfassend ab und verlässt es monatelang nicht mehr. Bis ihr Postbote sie eines Tages bittet, ein Paket für den Nachbarn anzunehmen…

Endlich wieder ein neuer Fitzek! Jedes Jahr aufs Neue fiebere ich auf den Moment hin, in dem ich ein neues Buch des Autors in den Händen halten darf. Zum Jubiläum „10 Jahre Fitzek“ kommt die Neuheit in besonders herausstechender Aufmachung daher: Sie ist tatsächlich als Paket verpackt, unter der Umverpackung hat das Buch selber noch einmal die gleichen Paket-Aufmachung. Das sieht richtig toll aus und erhöhte noch einmal meine Vorfreude auf die Lektüre.

Die Geschichte beginnt gleich mit einem echten Gänsehaut-Prolog. Man lernt die kleine Emma kennen, in deren Schrank ein Geist namens Arthur lebt. Bislang hat sie mit Arthur nur durch die geschlossene Tür gesprochen, doch in jener Nacht steigt er zum ersten Mal aus dem Schrank. 28 Jahre später hat Emma dank einiger Therapiestunden nur noch eine blasse Erinnerung an ihren imaginären Freund von damals. Doch dem Leser wird nur ein winziger Moment des Durchatmens gegönnt, bevor ich das nächste Grauen in Form des „Frisörs“ erwartet, der Emma einen grausigen Besuch abstattet.

Das Buch weist ein hohes Tempo auf und riss mich von der ersten Seite an mit, um mich bis zum Schluss nicht mehr loszulassen. Ich wollte unbedingt wissen, was hinter Emmas Geschichte steckt – ist sie wirklich ein Opfer des „Frisörs“, und warum lebt sie dann noch? Doch damit nicht genug, der Autor wirft fleißig weitere Fragen auf. Warum ist Emma Monate später selbst angeklagt? Immer tiefer taucht der Leser in Emmas Erinnerungen ein und durchlebt mit ihr einen anderen schlimmen Tag einige Wochen zuvor.

An diesem Buch gefällt mir richtig gut, dass es mit recht einfachen Mitteln auskommt: Ein simples Paket wird zum Auslöser schockierender Ereignisse und die meiste Zeit über spielt die Geschichte im Haus der Protagonistin. Zudem konnte ich mich dank der eindringlichen Beschreibungen gut in Emmas paranoide Gedankenwelt hineinversetzen. Ich habe ihre Emotionen und damit verbundenen Handlungen nachvollziehen können, während mein rationaler Blick auf das Geschehen deren Irrationalität aufdeckte. Als Psychiaterin ist Emma zum Teil sogar selber zu dieser Leistung imstande und trotzdem nicht in der Lage, sich anders zu verhalten. Ihre hohe Selbstreflexion fand ich besonders interessant, durch sie wird noch einmal deutlich, dass eins bei Emma zwingend zum anderen führen musste. Natürlich bewegt sich Fitzek wieder am Limit der Plausibilität und hat für meinen Geschmack hier und da mal einen größeren Schritt über deren Grenze gemacht. Insgesamt bot das Buch aber bis zum überraschenden und befriedenden Schluss beste spannende Unterhaltung.

10 Jahre Fitzek! Zum Jubiläum beweist Sebastian Fitzek wieder einmal, dass er ein Meister auf dem Gebiet des Psychothrillers ist. „Das Paket“ bietet eine eindringliche, beklemmende Geschichte, die immer wieder die Richtung ändert und den Leser zu fesseln weiß. Das Buch ist vielschichtig, zugleich rasant erzählt und einfach verständlich, sodass ich mühelos in Emmas Gedankenwelt eintauchen konnte. Ein klares Muss für alle Fans des Psychothrillers!

Veröffentlicht am 04.01.2017

Warum ist Johannas Vater damals wirklich verschwunden?

Familie der geflügelten Tiger
0

Statt nach ihrem Abitur im mütterlichen Sinne ein Studium zu beginnen, ist Johanna von der Uckermark nach Berlin gezogen, um Straßenbahnfahrerin zu werden. Bei ihrem ersten Heimatbesuch nach ihrem Auszug ...

Statt nach ihrem Abitur im mütterlichen Sinne ein Studium zu beginnen, ist Johanna von der Uckermark nach Berlin gezogen, um Straßenbahnfahrerin zu werden. Bei ihrem ersten Heimatbesuch nach ihrem Auszug findet sie auf dem Anrufbeantworter ihrer Mutter eine Nachricht von ihrem Vater Jens. Dieser hat nichts mehr von sich hören lassen, seit er im Oktober 1989 verschwunden ist und ein halbes Jahr später eine Postkarte geschickt hat. Als sie sich dazu durchringt, zurückzurufen, erfährt sie von ihrer Halbschwester die traurige Neuigkeit: Jens ist schwer krank. Johanna beschließt, ihn zu besuchen und endlich die Wahrheit über sein Verschwinden kurz vor dem Fall der Mauer herauszufinden. Wird sie zufriedenstellende Antworten finden?

Von der ersten Seite an ist es mit leicht gefallen, in die Geschichte einzutauchen. Die Protagonistin Johanna lässt den Leser ganz offen an ihrem Leben und ihren Gedanken teilhaben. Erst vor wenigen Monaten hat sie sich über den Willen ihrer Mutter hinweg gesetzt und eine Ausbildung zur Straßenbahnfahrerin in Berlin begonnen. Raus aus der Provinz, rein in die Großstadt und einen Job, der eng mit ihrer Sammel-Leidenschaft für Landkarten verbunden ist. Von einer Karte in ihrer Sammlung leitet sich auch der Buchtitel ab: Sie betrachtet immer wieder gern einen Nachdruck der Ebstorfer Weltkarte, auf der ihr ein geflügelter Tiger besonders gut gefällt.

Die Kartenzeichner von damals wandten bei dieser Karte wohl genauso viel Fantasie an, um Lücken zu schließen, wie es Johanna schon lange tut, wenn es um die Frage geht, warum ihr Vater damals verschwunden ist. Hat er sich in den Westen rübergemacht, wie ihre Mutter behauptet? Oder ist er von der Stasi als Musiker aufgrund seiner Texte verhaftet worden? Sehr gut konnte ich ihren Wunsch verstehen, endlich Gewissheit zu haben und gleichzeitig ihre Unsicherheit, wie sich ein Aufeinandertreffen mit Jens nach so einer langen Zeit wohl anfühlen wird.

Johannas Verhältnis zu ihrer Mutter Astrid ist gut, aber nicht sonderlich innig. Astrid kümmert sich am liebsten voller Liebe um verletzte Tiere, die sie findet. Warum sie aber einst Veterinärmedizin studiert und ein Tierheim geleitet hat, sich jetzt aber mit einem Job in einem Streichelzoo zufrieden gibt, sagt sie nicht. Überall trifft Johanna auf Verschwiegenheit, die sie endlich überwinden will. Doch wie weit kann man gehen, um etwas herauszufinden? Welchen Preis ist man bereit, dafür zu zahlen? Während der Lektüre dachte ich intensiv über diese Fragen nach, unterstützte Johannas Entscheidungen manchmal und fand meine persönliche Grenze, ab der ich ihr Verhalten kritisch sah.

Der Ton der Erzählung ist ruhig und die Konversationen werden ausschließlich in indirekter Sprache beschrieben. Das bestärkte die melancholische Atmosphäre des Romans. Auch wenn der Roman im Jahr 2007 spielt, hat Johanna sich intensiv mit der Zeit kurz vor der Wende auseinandergesetzt und kehrt gedanklich immer wieder zu möglichen Szenarien des Verschwindens ihres Vaters zurück. Diese Kontrastierung fand ich gelungen. Fantasie und Fakten sind nicht eindeutig trennbar, doch genau wie die Protagonistin lernte ich allmählich, genau das zu akzeptieren. Den Schluss erlebte ich deshalb als genau richtig für diesen Roman.

In „Familie der geflügelten Tiger“ begleitet der Leser Johanna, die zum ersten Mal seit 18 Jahren etwas von ihrem Vater hört. Jetzt will sie endlich wissen, warum er damals wirklich verschwunden ist. Die Geschichte erzählt von der Suche nach Wahrheit, dem Umgang mit Schweigen, wo Antworten erwartet werden und dem Einsatz von Fantasie, wo Lücken bleiben. Für mich ein eindringliches Leseerlebnis, das mich ins Nachdenken gebracht hat. Sehr gern empfehle ich das Buch weiter.