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Nadines_Buecher

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.09.2017

Entfaltet sich elegant

Ein Gentleman in Moskau
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Ein wenig anstrengend zu lesen - genau wie die russischen Klassiker, auf die an vielen Stellen Bezug genommen wird. Die unendliche Eleganz entfaltet sich jedoch mit dem geduldigen, genauen und genießenden ...

Ein wenig anstrengend zu lesen - genau wie die russischen Klassiker, auf die an vielen Stellen Bezug genommen wird. Die unendliche Eleganz entfaltet sich jedoch mit dem geduldigen, genauen und genießenden Lesen.

Ein Roman mit vielen Seiten, der langsam genossen und nicht als Pageturner weggelesen werden möchte, denn dafür ist der Schreibstil zu schwer und blumig - wie ein elegantes Parfum, das seine Kopfnote erst nach einiger Zeit entfaltet. Es gibt Zeitsprünge, die einen vor veränderte Tatsachen stellen, deren Ursache man erst viel später verraten bekommt. Man kann also eine leichte Ungeduld entwickeln. Doch folgt man Rostov, seinen Gedankengängen und seinen Erlebnissen beharrlich und geduldig, wird man belohnt.
Die Charaktere sind dreidimensional gestaltet, rufen unterschiedlichste Emotionen hervor und machen es nachvollziehbar, ob der charmante, gewitzte und nur ein Mal ein wenig depressive Graf sich mit ihnen befreundet, ihnen vertraut oder eben nicht. Die Vielzahl der Personen erinnert an die russischen Klassiker, an die sich Alexander Rostov an vielen Stellen erinnert. Dennoch behält man in diesem Fall den Überblick.
Eine emotionale, eindringliche aber eben auch anstrengende Geschichte.

Veröffentlicht am 08.08.2017

Mehr Sozialdrama denn Kriminalroman

Eine von uns
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Der Fox geht um im englischen Dorf Heathcote, bricht in die Häuser der Dorfbewohner ein, entwendet das ein oder andere, hiinterlässt Spuren von Wald und Vandalismus, stößt den ein oder anderen dadurch ...

Der Fox geht um im englischen Dorf Heathcote, bricht in die Häuser der Dorfbewohner ein, entwendet das ein oder andere, hiinterlässt Spuren von Wald und Vandalismus, stößt den ein oder anderen dadurch auf seine tiefsten Geheimnisse und fördert sie so, für alle sichtbar werdend und damit brachial, ans Tageslicht. Doch wer ist der Fox, den die Polizei im Jahr 1984 aufgrund der noch in den Kinderschuhen steckenden Ermittlungsmöglichkeiten anhand DNA- und weiterer Spuren, nicht fangen kann? Und was will er von der ruhigen, allein lebenden, gottesfürchtigen Anna, die er offenbar entführt hat, was das Dorf nur noch mehr in Aufruhr versetzt?
Abschnittsweise aus der Perspektive einzelner Dorfebwohnerinnen und -bewohner, die auf unterschiedliche Weise Kontakt zu Anna hatten, wird die Suche nach ihr und dem Fox erzählt, wobei das Geheimnis des im Fokus stehenden Charakters langsam enthüllt wird und die Reaktion des Dorfes daraus schonungslos dargelegt wird. Am Ende bleibt die Verzweiflung desjenigen, dem zu viel anvertraut wurde und der deshalb erkannte, wie wenig Leben er selbst hat, obwohl er am Leben vieler teilhatte. Schuld und Schuldzuweisung, Egoismus und Abschottung, deren Auswirkungen, spielen ebenfalls eine Rolle.
So entfaltet sich ein Sozialdrama, das in seinen Abgründen fesselnder nicht sein könnte. Ein besonderes Lese-Gefühl!
Das Cover kommt recht harmlos daher, mit der Zeichnung der Dorfhäuschen und der Spur eines Fuchses. Dennoch weckt es Aufmerksamkeit.

Veröffentlicht am 15.07.2017

Zukunftssthriller mit kleinen Schwächen

Die Lieferantin
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Großbritannien nach dem Brexit. Die Regierung manipuliert wo es nur geht, greift stark in die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen ein. Rechtsextremismus wird geschürt, indem Studenten als radikale Demonstranten ...

Großbritannien nach dem Brexit. Die Regierung manipuliert wo es nur geht, greift stark in die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen ein. Rechtsextremismus wird geschürt, indem Studenten als radikale Demonstranten angeheuert werden. Nächster Coup des Parlaments ist der Druxit, eine strikte Anti-Drogen-Politik mit allen Konsequenzen. Drogenbaron Boyce und seine Mannen hören ihre im Darknet aufgestellten Kassen klingeln, die Unterwelt begrüßt den Druxit. Die selbst kontrolliert konsumierende schwarze Programmiererin Mo, die sich in einer Welt voller Rassenhass wiederfindet und ein starkes Gefühl trotz der Adoption durch eine wohlhabende weiße Familie und eine sehr gute Bildung doch nicht dazuzugehören betäuben muss, arbeitet für Ellie, die sich zum Ziel gesetzt hat anonym per Drohne im Darknet bestellbaren reinen Stoff anzubieten, um ihren Mitmenschen den Rausch zu ermöglichen, sie aber gleichzeitig vor einem elenden Drogentod zu bewahren, wie ihn ihr Bruder Eddie starb. Restaurantbesitzer Leigh, ein Freund von Ellie, hat vor Verzweiflung den Schutzgelderpresser Gonzo, der für den Boyce-Clan arbeitete, getötet. Doch die Unterwelt macht einen Fehler, richtet den Falschen als vermeintlichen Mörder, einen Polizeiinformanten, gleichzeitig Ellies Drogenlieferant. Als sich der jüngste Boyce-Sohn Declan seinem Vater beweisen will, laufen die Dinge endgültig aus dem Ruder. Es gibt weitere Opfer eines wirren Drogenkrieges.
Die Geschichte ist nüchtern und dennoch mitreißend geschrieben, die Geschichten der Charaktere entfalten sich nach und nach, der Effekt der kleinen Ursache mit großer Wirkung ist meisterhaft ausgeführt. Allerdings habe ich Mo und Ellie zunächst, warum auch immer, für ein und dieselbe Person gehalten. Auch fehlt mir irgend etwas in der heftigen Zukunfts-Story, was ich nicht deutlich benennen kann.
Schade, dass im Klappentext von einer Elliot die Rede ist (Name im englischsprachigen Original?), im Buch dann von einer Ellie (Abkürzung des Vornamens, über die die Leser nicht aufgeklärt werden?).
Das Cover gefällt mir sehr gut! Die Spiegelung einer Treppe in einen U-Bahntunnel, die in zwei verschiedenen Farben erscheint, und der haptisch hervorgehobene Titel und der Name der Autorin sind sehr gut gelungen! Das Buch wird damit zum Hingucker.

Veröffentlicht am 02.07.2017

So viele Themen

Swing Time
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Sind es zu viele Themen, die Zadie Smith in ihren Roman packt, in die Geschichte der Ich-Erzählerin, deren Namen wir nicht erfahren, wohl weil sie sich ausnahmslos über andere - ihre Freundin Tracy aus ...

Sind es zu viele Themen, die Zadie Smith in ihren Roman packt, in die Geschichte der Ich-Erzählerin, deren Namen wir nicht erfahren, wohl weil sie sich ausnahmslos über andere - ihre Freundin Tracy aus Kindheitstagen, ihre Chefin Aimee, den Ehrgeiz ihrer Mutter, den Wunsch nach familiärer Harmonie ihres Vaters, den Ideologien ihrer Studienfreunde, der Afrikanerinnen und Afrikanern denen sie in deren Heimatland begegnet - definiert und abgrenzt. In einem Londonder Sozialbau aufgewachsen liebt das Mischlingsmädchen das Tanzen und Musicalfilme, doch ihre Freundin Tracey - ähnlich und doch wiederum anders aufgewachsen - hat das Talent, ihre Passion beruflich auszuüben. Zumindest eine zeitlang. Unsere Protagonistin dagegen stolpert durch die 1990er, Gruftiphase und Kiffen, studiert, wird schließlich und alles irgendwie zufällig Assistentin eines Popstars, einer australischen Tänzerin und Sängerin, deren Leben deutliche Parallelen zu Madonna aufweist. Das Interesse von Aimee an Afrika ermöglicht der Erzählerin, das Land und ihre Mutter, deren politische Ambitionen, wenn auch nicht zu verstehen, so doch ein wenig nachzuvollziehen. Dies wiederum, indem sie sich gegen vieles was ihr begegnet innerlich wehrt statt es zuzulassen. So auch die Liebe. In zahlreichen Rückblicken werden Themen wie Sklaverei, Apartheid, soziale Misstände in Großbritannien und an Schulen, Musik, Mode und Lebensgefühl, der 90er Jahre, die Auflösung der Kernfamilie, sexueller Missbrauch, Ehrgeiz in all seinen Facetten, die Maschinerie der Musikindustrie und ihrer Göttinnen und Götter, die Privilegien der Reichen bis hin zu krassen Adoptionen afrikanischer Babys, Radikalisierung, der Menschen als Produkt ihrer Erziehung, Bildung und ihres Umfeldes, Tod, Zurückweisung, Bindungsunfähigkeit, Einsamkeit, Jetsetleben, Manipulation, Verblendung und immer wieder das Tanzen, einziger Rückzugsort für die Protagonistin, wenn auch nicht durch dessen Ausübung sondern durch die Beschäftigung mit ihren Heldinnen und Helden aus Musicals ihrer Kindheit, beleuchtet.
Es entsteht ein Kaleidoskop aus Szenen eines Lebens, das gleichzeitig auch das Leben derer beschreibt, die Teil der eigenen Welt sind. Doch sind nach Ende des Romans einige Enden noch unverbunden, bleiben unverbunden. So die erste, weiße Familie des Vaters der Erzählerin, die Geschichte von Traceys Eltern, wie es zum Sinneswandel der Afrikanerin Hawa kam, um nur einige Beispiele zu nennen. Auf diese Weise endet das Buch recht unversöhnlich.
Entsprechend der Tiefe, Emotionalität und schonungslosen Wahrheit, die oftmals jedoch auch zwischen den Zeilen gelesen werden muss, fordert diese Sozialstudie, die zwischen Milieus die unterschiedlicher nicht sein können hin und her wechselt, volle Konzentration von Leserin und Leser. Das Geschriebene plätschert niemals nur so dahin, jeder Satz hat seine Bedeutung und muss genau so an dieser Stelle stehen. Insofern eine Meisterleistung, bedenkt man auch die Länge der Geschichte.
Das Cover ist ähnlich gestaltet wie auch die Cover der Vorgänger-Bücher der Autorin. Und dennoch ist es anders durch die Buchstabengestaltung des Namens der Autorin und des Titels, was erneut die komplette Seite einnimmt, und den einheitlich in gelb gehaltenen Hintergrund. Kennt man den Inhalt des Buches, kann das Cover gar nicht anders gestaltet sein, jede andere Idee wäre kitschig und würde dem gehaltigen Inhalt nicht gerecht werden.

Veröffentlicht am 29.06.2017

Wunderschöne Szenen

Was man von hier aus sehen kann
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Selten habe ich etwas so Schönes gelesen wie dieses zunächst recht unauffällig daherkommende Buch. Selten habe ich eine so schöne Stelle in einem Buch gelesen wie die tröstenden Worte der kleinen Luise ...

Selten habe ich etwas so Schönes gelesen wie dieses zunächst recht unauffällig daherkommende Buch. Selten habe ich eine so schöne Stelle in einem Buch gelesen wie die tröstenden Worte der kleinen Luise und dem Optiker, der ihr nach dem Unfalltod ihres Freundes Martin sagt, er und Luises Großmutter Selma seien einzig für Luise erfunden.
Luises Geschichte, angesiedelt in einem Dorf im Westerwald in dem jeder jeden kennt, und das seit jeher, in dem der Einzelhändler eben der Einzelhändler und der Optiker der Optiker ist – wundervoll: trotz dass der Optiker eine zentrale Rolle in Luises Leben spielt, erfahren wir seinen Namen erst ganz zu Ende der Erzählung – erzählt von Freundschaft und Familie, Verlust und Einsamkeit, unausgesprochenen Wahrheiten und der Ordnung, die sich fast wie von selbst herstellt, wenn Eltern beispielsweise aus Selbstfindungsgründen in ihrer Rolle als Erziehende ausfallen. Dennoch ist Luises Welt keine heile Welt. Martin bezieht regelmäßig Prügel von seinem alkoholkranken Vater, ihre Mutter hat eine Affäre mit dem Eisdielenbesitzer, die Kinder machen die ein oder andere prägende skurrile Erfahrung mit der miesepetrigen Marlies und der esoterischen Elsbeth. Fels in der Brandung ist Oma Selma, früh verwitwet aber mit beiden Beinen fest im Leben stehend, mit all ihren Stärken und Fehlern. Und einer ihrer großen Fehler ist, dass wenn sie von einem Okapi träumt, dem exotischsten Tier das man sich im Westerwald nur vorstellen kann, jemand aus dem Dorf sterben wird. Dies sorgt für einigen Aufruhr, bis es schließlich den kleinen Martin trifft. Luise kann sich danach nur noch schwer auf Menschen einlassen, doch als sie den buddhistischen Mönch Frederik trifft, muss sie ihm entbehrliche zehn Jahre lang beibringen, sich auf sie einzulassen.
Eine Erzählung voller eindringlicher, wundervoller und manchmal auch wundersamer Gegebenheiten, die die Welt gleich viel logischer aber auch im Gleichgewicht von Freude und Leid erscheinen lassen. Kein Wunder, dass das unheilbringende Okapi auf einem westerwälder Apfelbaum auf dem Cover nicht fehlen darf.