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Veröffentlicht am 11.08.2022

Über die Wandelbarkeit von Sprache und Menschen

Es hört nie auf, dass man etwas sagen muss
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Von Antje Rávik Strubel hörte ich, ehrlicherweise, zum ersten Mal, als sie im vergangenen Jahr für „Blaue Frau“ wohlverdient den Deutschen Buchpreis gewann. Mit „Es hört nicht auf, dass man etwas sagen ...

Von Antje Rávik Strubel hörte ich, ehrlicherweise, zum ersten Mal, als sie im vergangenen Jahr für „Blaue Frau“ wohlverdient den Deutschen Buchpreis gewann. Mit „Es hört nicht auf, dass man etwas sagen muss“ liegt jetzt nun die neuste Veröffentlichung der Autorin vor, die auch als Übersetzerin (Virginia Woolf, Joan Didion…) tätig ist. Es handelt sich um eine Sammlung von Essays, die zwischen 2003 und 2021 entstanden sind.

Den Anfang macht Rávik Strubels Rede bei der Verleihung des Buchpreises, in welcher sie die Themen der Sammlung vorgibt und zeigt, was ihr wichtig ist. Es geht um den spielerischen Umgang mit Sprache; Sprache ist wandelbar, so die Autorin, und so sind es auch die Menschen. Daher befasst sie sich in ihren Essays mit einer Vielzahl von Themen: von Pronomen und Gendersternchen, über die ungleiche Bezahlung von Künstlerinnen und Künstlern bis hin zu strukturellem Rassismus und Sexismus – Rávik Strubel legt den Finger in die Wunde unserer aktuellen gesellschaftlichen Lage, mal ernsthaft, mal mit herrlicher Ironie und Humor. Warum gibt es so viel Kritik am Gendern, aber niemand befasst sich mit dem Verschwinden des herrlichen „ß“? - das kann die Autorin nicht begreifen.

Sie erzählt auch von eigenen Erfahrungen, wie sie beispielsweise in einer Kulturdelegation beim Händeschütteln einfach übergangen wird, weil sie eine Frau ist oder dass Kritiker sich nicht vorstellen können, dass bestimmte Dinge in ihren Romanen tatsächlich geplant sind und einen Sinn haben. Außerdem fragt sie sich, ob eine deutsche Autorin auch immer nur deutsche Texte schreiben muss und was das eigentlich genau bedeutet.

Dann widmet sie sich auch berühmten Paaren: Virginia Woolf (auf die sie immer wieder zurückkommt) und Vita Sackville-West, Astrid Lindgren und Louise Hartung (zugegeben eine eher einseitige Liebe Hartungs zur verschlossenen Kinderbuchautorin), Selma Lagerlöf und Sophie Elkan (später mit Valborg Olander quasi zu einem Liebesdreieck erweitert) und schließlich Penthesilea und Achill. Was machte sie alle aus? Was zog sie aneinander an? Was ließ sie scheitern? Eine bemerkenswerte Sammlung!

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Veröffentlicht am 08.08.2022

Was für ein wichtiges Buch!

Nichtmuttersein
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Ein Blick in die Welt beweist, dass in den letzten Jahren antifeministische Entwicklungen stark zugenommen haben: egal ob Abtreibungsgesetze in den USA oder Polen, der Ausstieg der Türkei aus der Istanbul-Konvention ...

Ein Blick in die Welt beweist, dass in den letzten Jahren antifeministische Entwicklungen stark zugenommen haben: egal ob Abtreibungsgesetze in den USA oder Polen, der Ausstieg der Türkei aus der Istanbul-Konvention oder Gebärprämien unter dem Taliban-Regime – es sind erschreckende Zustände, die an Margaret Atwoods „Report der Magd“ erinnern. Auch in Deutschland gibt es Ansätze, Kinderlose zu „bestrafen“, indem man sie Sonderabgaben zahlen lassen oder ihnen die Rente kürzen will. Dabei zahlt ein kinderloses Paar mit gleichem Einkommen doppelt so viel ein, wie eine vierköpfige Familie.

Vor diesem Hintergrund veröffentlicht Nadine Pungs ihr Buch „Nichtmuttersein“- einen Mix aus persönlichen Einblicken in ihr Leben und Sachinformationen zu Themen wie Verhütung, Abtreibung oder Sterilisation. In der Hauptsache geht es jedoch darum, aufzuzeigen, wie die Gesellschaft mit Frauen ohne Kinderwunsch umgeht. Dabei liefert Pungs auch wissenschaftliche Erkenntnisse, zum Beispiel, dass die „biologische Uhr“, die angeblich bei Frauen ab 30 tickt, nur ein Mythos ist, da sich der Hormonspiegel nur beim Eintritt in die Pubertät, einer Schwangerschaft oder in der Menopause ändert. Auch der viel zitierte angeborene „Mutterinstinkt“ existiert nicht.

Eigentlich können Frauen es nur falsch machen. Keine Kinder? Egoistin. Kinder und Karriere? Rabenmutter. Kinder und keine Karriere? Helikoptermutter. Wo sind eigentlich die Männer in dieser Gleichung? Denn es sind Frauen, die in Teilzeit gehen, sobald Kinder da sind (nur 6% der Väter arbeiten in Teilzeit) und sie stellen 83% der Alleinerziehenden. Kinderlose Frauen müssen sich rechtfertigen, dabei sind Überbevölkerung und Klimawandel real. Bei Frauen in der Politik, wie Angela Merkel oder Claudia Roth, wird ihre Kinderlosigkeit stets thematisiert. Niemand fragt hingegen Friedrich Merz, wer sich gerade um die Kinder kümmert.

Dabei wünscht sich Nadine Pungs für alle Frauen nur eines: die Wahl zu haben. Immer wieder lässt sie uns an Stationen auf ihrem eigenen Weg zur Entscheidung für die Kinderlosigkeit (schöner ist hier das englische „childfree“) teilhaben: der Entfremdung von ihrer besten Freundin, als diese Mutter wird, einer Abtreibung oder ihrer Sterilisation. Am meisten hat mich jedoch die Antwort ihrer eigenen Mutter auf die Frage berührt, ob sie traurig sei, weil ihre Tochter keine Kinder wolle. „Ich habe dich, und das reicht mir.“ Was für ein wichtiges Buch!

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Veröffentlicht am 17.07.2022

Schockierende Rechnung

Was Männer kosten
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Gewalt, Unfälle, Sucht und Rechtsextremismus – all diese Statistiken werden von Männer angeführt und es gibt viele weitere dieser Art. In seinem Buch „Was Männer kosten“ wählt Wirtschaftswissenschaftler ...

Gewalt, Unfälle, Sucht und Rechtsextremismus – all diese Statistiken werden von Männer angeführt und es gibt viele weitere dieser Art. In seinem Buch „Was Männer kosten“ wählt Wirtschaftswissenschaftler und Männerberater Boris von Heesen hierzu nun einen (zumindest für mich) ganz neuen Ansatz: er rechnet in konkreten Summen vor, welche Kosten Männer durch ihr risikobehaftetes oder gewalttätiges Verhalten verursachen. Spoiler vorweg: Wir reden hier über Beträge in Milliardenhöhe!

Was der Autor in seinem Buch beschreibt, ist sicherlich nichts Neues. Wer sich mit dem Patriarchat beschäftigt, ist sich vieler der problematischen Bereiche bereits bewusst und natürlich wurde einiges auch schon von anderen Autor-/innen behandelt. Von Heesen entscheidet sich hier jedoch für einen stark faktenbasierten Zugang zum Thema und einen Anknüpfungspunkt, der die Welt regiert, nämlich das Geld.

In Teil eins beschäftigt er sich mit den klar messbaren Kosten, zum Beispiel für die Unterbringung von Häftlingen in Gefängnissen (fast 94% Männer), deren Sinnhaftigkeit er übrigens stark anzweifelt, für Verkehrsunfälle (Männer verursachen hier mehr als doppelt so viel Kosten wie Frauen) oder für Schäden durch Hooligans bei Fußballspielen (165 Millionen pro Saison!). Im zweiten Teil widmet er sich den nicht messbaren, aber nicht weniger bedeutsamen Auswirkungen des Patriarchats wie Suizidrate, Rechtsextremismus, Frauenhass und Verhalten beim Sport.

Grundsätzlich ist Boris von Heesen dabei immer eines wichtig: Es geht eben nicht darum, Männer und Frauen gegeneinander auszuspielen. Wo es Problembereiche gibt, in denen Frauen die Statistiken anführen, verschweigt er das nicht, vielmehr betont er, dass das Patriarchat nicht nur für Frauen schlecht ist, sondern auch für eine Vielzahl von Männern, die in Rollen gezwängt werden, die sich nicht einmal ausfüllen wollen oder können. In Teil drei zeigt der Autor daher Wege aus der Krise auf und benennt, was sich in Bildung, Politik oder im Privaten explizit ändern muss. Einziges Problem an der Sache? Dass vermutlich nur diejenigen zum Buch greifen werden, die all das schon verstanden haben.

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Veröffentlicht am 04.07.2022

Klassische und moderne Gerichte aus der Heimat

Natürlich Schwäbisch
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Erst einmal muss ich ein Geheimnis verraten: Ich lebe zwar in der Nähe von Köln, aber geboren und aufgewachsen bin ich auf der schwäbischen Ostalb. Daher war Andreas Widmanns Kochbuch „natürlich schwäbisch“, ...

Erst einmal muss ich ein Geheimnis verraten: Ich lebe zwar in der Nähe von Köln, aber geboren und aufgewachsen bin ich auf der schwäbischen Ostalb. Daher war Andreas Widmanns Kochbuch „natürlich schwäbisch“, welches er gemeinsam mit Co-Autorin Antonia Wien verfasst hat, ein absolutes Muss. Widmann hat sein aus mehreren Restaurants und Übernachtungsmöglichkeiten bestehendes kleines Imperium „Widmann‘s Alb.leben“ knapp 20 km von meiner Heimatstadt entfernt aufgebaut. Im vorliegenden Buch tritt er nun den Beweis an, dass schwäbische Küche mehr zu bieten hat, als Linsen und Spätzle und zeigt seinen ganz eigenen „Alb.style“.

Der Aufbau ist durchaus interessant und wird stets durch die fantastischen, teilweise großformatigen Fotos von Vivi D‘Angelo unterstützt. Auf der einen Seite gibt es insgesamt sechs Kapitel, in denen Rezepte vorgestellt werden. Kapitel 1 widmet sich Widmanns schwäbischer Wirtshausküche mit traditionell-klassischen Gerichten, wie sie auch in seinem „Landgasthof Löwen“ in Zang auf der Karte stehen. Im 2. Kapitel präsentiert er Rezepte aus dem „Ursprung“, seinem Fine Dining-Restaurant; hier finden wir eher minimalistische Gourmetküche, welche die schwäbischen Traditionsgerichte auf ein neues Niveau hebt. Im sechsten und letzten Kapitel liefert er schließlich Grundrezepte für schwäbische Klassiker wie Spätzle, Schupfnudeln oder Maultaschen.

Doch der Gastronom stellt in seinem Buch auch die Menschen vor, die ihm wichtig sind. Zum einem sein direktes Umfeld: Familie, Freunde, Mitarbeiter. Ihnen widmet er inhaltliche sowie die Rezeptekapitel 3 bis 5 – Familiengerichte (von seiner Frau, seinem Vater oder Großvater), Grillen mit Freunden und die Lieblingsrezepte seines Teams. Darüber hinaus sind im Buch aber auch Porträts all seiner regionalen Geschäftspartner zu finden: von der Imkerin zum Forellenzüchter, von den Winzern zu den Brennern, vom Schreiner zur Häfnerin.

All das macht Andreas Widmann zu einem unglaublich sympathischen und authentischen Gastgeber, Gastronom und Koch, dessen Restaurants ich in der Heimat gerne einmal einen Besuch abstatten möchte.

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Veröffentlicht am 23.06.2022

Zehn interessante Frauen

Frauen, an die ich nachts denke
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Bereits in ihrem ersten Buch begab sich Mia Kankimäki auf die Spur einer besonderen Frau, der Hofdame Sei Shōnagon, Verfasserin des „Kopfkissenbuchs“, eines japanischen Klassikers. In ihrem neuen Werk ...

Bereits in ihrem ersten Buch begab sich Mia Kankimäki auf die Spur einer besonderen Frau, der Hofdame Sei Shōnagon, Verfasserin des „Kopfkissenbuchs“, eines japanischen Klassikers. In ihrem neuen Werk knüpft sie an dieses Schema an und widmet sich zehn verschiedenen Frauen, die sie ihre „Nachfrauen“ nennt, also „Frauen, an die ich nachts denke“. Dabei handelt es sich um ganz unterschiedliche Persönlichkeiten: Schriftstellerinnen, Forscherinnen, Künstlerinnen.


Nach ihren Berufungen aufgeteilt beleuchtet die Autorin die zehn Frauen und liefert jeweils einen kurzen Lebenslauf, teilweise unterstrichen durch Zeitzeugnisse wie Briefe (im Text) oder Fotos (im Anhang). Verbunden werden diese Schilderungen immer mit Kankimäkis eigener Person, ihrer Faszination für jede der Nachtfrauen und mit den Reisen, die sie unternimmt, um für ihr Buch zu recherchieren. Auch teilt sie ihre eigenen Briefe, die sie an die zumeist schon verstorbenen Frauen verfasst hat.


Es gelingt der Autorin definitiv, ihre Begeisterung für diese zehn besonderen Frauen auf die Leser/-innen zu übertragen, vor allem die Berichte über die waghalsigen Expeditionen der insgesamt fünf forschenden Nachtfrauen und die damit verbundenen Episoden aus den unterschiedlichsten Ländern der Welt haben mir gut gefallen. Ebenso interessant waren ihre Ausführungen über die unterschätzten und übersehenen Malerinnen der Renaissance. Nicht ganz in ihre Auswahl passt jedoch, meiner Meinung nach, die Schriftstellerin Karen „Tania“ Blixen mit ihrem doch sehr weißen Blick auf Afrika – wobei auch Kankimäki hier eine durchaus kritische Haltung zu ihr einnimmt.


Weniger gelungen fand ich die Verbindung der Lebensgeschichten zu den eigenen Erfahrungen der Autorin und ihrer Reise. Sie verliert sich in Beschwerden über den Ranger, der ihr auf der Safari in Afrika ungewollte Avancen macht, schildert langwierig Tage in einem italienischen Dorf, in denen kaum etwas passiert und sieht sich Yayoi Kusamas psychiatrische Klinik bei Google Maps an. Somit bleibt der Rest des Buches leider hinter den großartigen Nachtfrauen stark zurück, schade!

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