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Veröffentlicht am 18.05.2022

Skurril und unterhaltsam

JAB
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Ein Mann betrachtet den alten Boxsack, der in seinem Garten hängt und blickt zurück auf sein Leben, von einer Strafaufgabe in der Schule bis zu seinem Beruf im Erwachsenenalter. Drei Kriminelle – zwei ...

Ein Mann betrachtet den alten Boxsack, der in seinem Garten hängt und blickt zurück auf sein Leben, von einer Strafaufgabe in der Schule bis zu seinem Beruf im Erwachsenenalter. Drei Kriminelle – zwei Männer und eine Frau – dringen in einem Tresorraum ein, doch ihr Plan geht schief und sie werden eingesperrt. Ein Mann erwacht in einem Kofferraum und muss feststellen, dass er entführt wurde. Nun soll er ein Verbrechen gestehen, das er nicht begangen hat und die Ereignisse nehmen ihren Lauf.

Das sind nur drei Kurzgeschichten aus „JAB“, der Sammlung des mehrfach preisgekrönten koreanischen Autor Un-Su Kim. In Deutschland wurde bereits sein Thriller „Die Plotter“ veröffentlicht, der mir gut gefallen hat. Nun präsentiert er uns insgesamt 8 Erzählungen, von denen die meisten in der Ich-Perspektive verfasst sind. Die Sprache ist schmucklos und nüchtern: mit großer Klarheit werden sowohl die Figuren, als auch die Welt um sie herum beschrieben. Dabei driftet die Handlung oft ins Skurrile oder Bedrückende ab, was den Lesegenuss jedoch nicht schmälert, sondern eher noch vergrößert.

Thematisch gesehen sind über die einzelnen Geschichten hinweg einige Gemeinsamkeiten zu finden. Oft geht es um gesellschaftliche Erwartungen, sei es in beruflicher Hinsicht oder der Frage, was eigentlich Männlichkeit bedeutet. Darüber hinaus werden (eigentlich ausschließlich) dysfunktionale Beziehungen gezeigt: lieblose oder gescheiterte Ehen, Affären und familiäre Schwierigkeiten. Der Grundton der Erzählungen ist recht negativ, sie zeigen die Sinnlosigkeit des Daseins und den Zustand der Gesellschaft.

Wie das bei den meisten Kurzgeschichtensammlungen der Fall ist, sind für mich auch hier stärkere und schwächere Geschichten vertreten. Besonders ansprechend fand ich die Titel gebende „JAB“. „Das Sofa“ und „Die wirklich effektive Schreibwerkstatt“ - vor allem letztere ist herrlich absurd! Wer in Texten immerzu einen Sinn oder eine Botschaft sucht, wird es mit diesem Band manchmal schwer haben. Wer sich jedoch auf die Erzählungen einlassen kann, den erwartet ein skurriles und unterhaltsames Leseerlebnis.

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Veröffentlicht am 09.05.2022

Frauenwörter

Die Sammlerin der verlorenen Wörter
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Oxford, Ende des 19. Jahrhunderts. Harry Nicoll arbeitet als Lexikograph an der Erstellung des „Oxford English Dictionary“ mit. Da er nach dem Tod seiner Frau Tochter Esme allein großziehen muss, fühlt ...

Oxford, Ende des 19. Jahrhunderts. Harry Nicoll arbeitet als Lexikograph an der Erstellung des „Oxford English Dictionary“ mit. Da er nach dem Tod seiner Frau Tochter Esme allein großziehen muss, fühlt auch sie sich bald im Skriptorium, dem Arbeitsplatz ihres Vaters, zuhause. Nach und nach beginnt sie sich für das Sammeln von Wörtern zu interessieren, doch nicht jeder empfindet das für eine junge Frau als angebracht. So forscht Esme im Alleingang weiter und muss feststellen, dass eine Nicht-Aufnahme eines Begriffs in das Wörterbuch durchaus mehr bedeutet, als sie bisher geglaubt hat.

In ihrem Debütroman „Die Sammlerin der verlorenen Wörter“ erzählt Pip Williams – basierend auf historischen Fakten und Dokumenten - die Entstehungsgeschichte des berühmten Lexikons. Der Fokus liegt dabei jedoch auf einem ganz bestimmten Blickwinkel: dem der Frauen, die an dieser Meisterleistung beteiligt waren. Stellvertretend verfolgen wir dabei das Leben von Protagonistin Esme zwischen 1887 und 1915, die auch als Ich-Erzählerin fungiert; nur auf den letzten 20 Seiten wechselt die Perspektive. Was anderswo geschieht, wird geschickt durch Briefe vermittelt.

Neben dem offensichtlichen Thema der Sprache, geht es hier vor allem um die Stellung der Frau in der Gesellschaft. Sie leisteten einen großen Anteil der Arbeit am Wörterbuch, wurden aber kaum oder gar nicht entlohnt. Nach Beginn des ersten Weltkrieges nahm dieser Anteil nur noch zu, obwohl selbst dann noch Männer dem Engagement entgegenstanden. Parallel zur Entstehung des Wörterbuchs verläuft die Erstarkung der Frauenbewegung, die schließlich 1928 zur Einführung des Wahlrechts für Frauen führte.

Es steht außer Frage, dass Pip Williams mit ihrem Roman ein außergewöhnliches und wichtiges Debüt gelungen ist. Besonders spannend war es für mich, die Arbeit am „Oxford English Dictionary“ und den Kampf der Suffragetten durch Esmes Perspektive zu erleben. Leider kamen dann noch viele weitere Handlungssegmente und damit Themen hinzu: der Erste Weltkrieg, Liebe, Mutterschaft, Klassenunterschiede usw. Hier hätte ich mir einen deutlicheren Fokus gewünscht und auch mit den Entscheidungen, die die Autorin für ihre Figur trifft, war ich nicht immer einverstanden, vor allem was den Schluss betrifft. Dennoch hat mich der Roman sehr berührt und der Mai beginnt so definitiv mit einem Highlight.

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Veröffentlicht am 03.03.2022

Spannender zweiter Band

Grenzenlos
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Der berühmte Dunkelelf Drizzt Do‘Urden kämpft noch immer an der Seite seiner Freunde, um das zwergische Gauntlgrym gegen die anrückenden Dämonen zu verteidigen. Doch dann setzen Dienerinnen der Spinnengöttin ...

Der berühmte Dunkelelf Drizzt Do‘Urden kämpft noch immer an der Seite seiner Freunde, um das zwergische Gauntlgrym gegen die anrückenden Dämonen zu verteidigen. Doch dann setzen Dienerinnen der Spinnengöttin Lolth zwei Nimrods auf Drizzt und seinen Vater Zaknafein an. Diese sind unsterbliche Kreaturen, die nur dem Zweck dienen, das eine Opfer, auf das sie fixiert sind, zu töten – umgekehrt können sie auch nur von diesem vernichtet werden. Ein aussichtsloser Kampf, dem sich Vater und Sohn gegenüber sehen.

„Grenzenlos“ ist der zweite Band der neuen Generationen-Trilogie rund um Drizzt Do‘Urden und wird erneut auf zwei Zeitebenen erzählt. Während sich die Gegenwart im Jahr 1488 quasi nahtlos an den ersten Band anschließt, sind in der Vergangenheit gut 170 Jahre vergangen – für einen Dunkelelfen wie Zaknafein jedoch nur ein Wimpernschlag. Als Waffenmeister des Hauses Do‘Urden sieht er sich einer Vielzahl von Intrigen und Mordversuchen ausgesetzt, was seine Freundschaft mit dem Söldner Jarlaxle aber nur vertieft.

Erneut gelingt R.A. Salvatore ein interessanter Kontrast zwischen der düsteren Welt der Drows in Menzoberranzan, wo Neid, Ehrgeiz und Hass regieren und der Gegenwart, wo sich zahlreiche ungleiche Freunde zu einer treuen Gemeinschaft zusammengefunden haben, seien es Menschen, Zwerge, Halblinge oder Dunkelelfen. In Bezug auf seinen Schreibstil gehört der Autor auf jeden Fall in die Riege epischer Fantasyautor/-innen; seine Stärke liegt dabei in seinen detaillierten Beschreibungen von Kampfszenen. Für neue Leser*innen mag der Einstieg deshalb – und auch aufgrund der zahlreichen handelnden Personen – nicht ganz leicht fallen, aber zumindest letztere werden zu Beginn jedes Bandes ausgiebig vorgestellt.

Ansonsten bleibt natürlich das übliche Schicksal eines zweiten Teiles: Er schlägt die Brücke zwischen Einleitung und großem Finale, weshalb der ein oder andere Cliffhanger nicht ausbleibt. Spannend wird es vor allem, da wir in der Vergangenheits-Handlung endlich auf Drizzts Geburt zusteuern und Vater und Sohn sich dann zum ersten Mal begegnen werden. Ich freue mich darauf!

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Veröffentlicht am 21.02.2022

Ich liebe die Brown-Sisters!

Chasing Dani Brown (Brown Sisters 2)
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Dani Brown weiß, was sie will: eine erfolgreiche Karriere als Hochschulprofessorin – eine Beziehung würde ihr da nur im Weg stehen. Doch dann führt der Zufall sie auf einen anderen Weg. Zafir, Sicherheitsmann ...

Dani Brown weiß, was sie will: eine erfolgreiche Karriere als Hochschulprofessorin – eine Beziehung würde ihr da nur im Weg stehen. Doch dann führt der Zufall sie auf einen anderen Weg. Zafir, Sicherheitsmann ihres Hörsaalgebäudes und noch dazu ein guter Freund, rettet Dani spektakulär aus einem Aufzug und geht damit in den sozialen Medien viral. Diese Aufmerksamkeit, findet zumindest seine Nichte, könnte er nutzen, um sein Non-Profit-Projekt zu promoten, doch für das erste große Interview erwartet der Radiosender eine grandiose Lovestory zwischen Dani und ihrem Retter. Die spielt natürlich gerne mit und damit nehmen die Verwirrungen ihren Lauf.

Talia Hibbert ist für mich die Queen der diversen Liebesgeschichten. Punkt. Schon im ersten Band konnte sie mich mit der wunderbaren Geschichte um Danis Schwester Chloe überzeugen, aber auch „Chasing Dani Brown“ steht dem Vorgänger in nichts nach. Dani ist ein toller Charakter: stark, aber auch verletzlich, klug und humorvoll, unsicher und ehrgeizig. Ihre Dynamik mit den Figuren im Roman ist grandios, seien es ihre Schwestern, die beste Freundin oder eben Zafir. Der entspricht auf der einen Seite äußerlich völlig dem Klischee (sportlich, dunkelhaarig, gutaussehend), zeigt aber auf der anderen Seite enorme Tiefe, wenn es um seine ehrenamtliche Arbeit, seine Vergangenheit oder seine mentale Gesundheit geht.

In ihrem Geschichten hebelt Talia Hibbert die klassischen Geschlechterrollen bewusst aus. Ihre Paare ergänzen sich, mal ist ein Partner stark und fängt den anderen auf, mal darf der- oder diejenige aber auch schwach sein. Dani und Zafir sind einander ebenbürtig, unabhängig vom sozialen Status, ihrer Kultur oder Religion, ihren Stärken und Schwächen – so sollte es in einer gleichberechtigten Partnerschaft auch sein. Noch dazu stellt Talia Hibbert stets wichtige Themen in den Fokus (hier beispielsweise Bindungsangst, Panikattacken, Trauer) und präsentiert Figuren unterschiedlichster Hautfarbe, Körperform, Herkunft, Glaubens oder sexueller Identität.

Was bleibt mir noch zu sagen? Ich freue mich schon darauf, endlich die jüngste Brown-Schwester Eve kennenzulernen.

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Veröffentlicht am 30.01.2022

Spannendes Buch über eine fabelhafte Frau

Manifesto. Warum ich niemals aufgebe. Ein radikal ehrliches und inspirierendes Buch über den Lebensweg der ersten Schwarzen Booker-Prize-Gewinnerin und Bestseller-Autorin von Mädchen, Frau etc.
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Als sie 2019 für ihren Roman „Mädchen, Frau etc.“ den Booker Prize erhielt, wurde Bernardine Evaristo über Nacht berühmt, dabei hatte sie zu diesem Zeitpunkt bereits eine vierzigjährige Karriere in der ...

Als sie 2019 für ihren Roman „Mädchen, Frau etc.“ den Booker Prize erhielt, wurde Bernardine Evaristo über Nacht berühmt, dabei hatte sie zu diesem Zeitpunkt bereits eine vierzigjährige Karriere in der Theaterarbeit und als Schriftstellerin hinter sich. Aufgewachsen als Kind eines Nigerianers und einer Britin ist sie von Beginn an immer diejenige, die heraussticht und auch im Gefüge ihrer Familie bleibt sie auf eine gewisse Weise von ihren Geschwistern isoliert. Auf der Theaterbühne und in der Lyrik findet sie erstmals den Raum, ganz sie selbst zu sein und entwickelt sich künstlerisch immer weiter.

In „Manifesto. Warum ich niemals aufgebe“ lässt die Schriftstellerin und Professorin für Kreatives Schreiben Bernardine Evaristo ihr Leben Revue passieren. In insgesamt zehn Kapiteln gewährt sie Einblicke in ihre Herkunft und Kindheit, erzählt von Beziehungen, die sie beflügelt, aber auch am Boden gehalten haben, von Erfahrungen mit Rassismus und ihrem wachsenden Aktivismus und vor allem von ihrem kreativen Schaffen. Die Kapitelzählung nimmt sie dabei in allen Sprachen vor, die ihr etwas bedeuten: Englisch als ihre Muttersprache, Yoruba als Sprache ihres Vaters, die sie zu ihrem Bedauern nicht beherrscht und Altenglisch, Gälisch und Portugiesisch für ihre Vorfahren auf beiden Seiten der Familie. Ergänzt wird der Text noch durch Bildtafeln am Ende des Buches, die den genannten Personen wortwörtlich ein Gesicht verleihen.

Besonders ansprechend an Evaristos Art und Weise, über sich selbst zu schreiben, ist die Tatsache, dass sie ihr eigenes Handeln und ihre Ansichten immer wieder kritisch betrachtet und auch zugeben kann, wenn sie in der Vergangenheit falsch gehandelt hat oder sich ihre Gedanken zu einem bestimmten Thema inzwischen gewandelt haben. Das ist nicht unbedingt selbstverständlich, macht sie aber vermutlich aus genau diesem Grund zu so einer glaubhaften Streiterin für die Rechte marginalisierter Gruppen.

Fazit: Ein spannendes Buch über eine fabelhafte Frau – an manchen Stellen hätte es jedoch gerne noch etwas ausführlicher sein dürfen

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