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Veröffentlicht am 16.08.2021

Grandiose Erzählungen

Ist es nicht schön hier
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Ein Bruder muss hilflos zusehen, wie seine Schwester sich im Netz mit der Regierung anlegt und dafür festgenommen wird. Eine Frau wandert mit großen Träumen nach Shanghai aus, landet dann aber als Verkäuferin ...

Ein Bruder muss hilflos zusehen, wie seine Schwester sich im Netz mit der Regierung anlegt und dafür festgenommen wird. Eine Frau wandert mit großen Träumen nach Shanghai aus, landet dann aber als Verkäuferin in einem Blumenladen. Eine andere will ihren Vater besuchen und verpasst gerade so die U-Bahn. „Na, dann warte ich eben auf die nächste“, denkt sie sich. Doch es kommt keine mehr, sie ist gestrandet.

Das sind nur drei Beispiele von insgesamt 10 Erzählungen, die Te-Ping Chen in ihrem Debütband „Ist es nicht schön hier“ versammelt. Jede einzelne von ihnen greift eine Facette des Lebens in China auf oder behandelt das Leben im „Exil“. Erzählt wird in einer einfachen und klaren Sprache, aber mit einem guten Blick für Details und das menschliche Verhalten. Es geht dabei sowohl um Alltägliches, als auch um außergewöhnliche Ereignisse, um Tradition auf der einen und modernes, hoch technisiertes Leben auf der anderen Seite. Manche Geschichten erscheinen typisch chinesisch, viele jedoch beschreiben universelle menschliche Erfahrungen.

Auch die Themen sind ganz unterschiedlicher Natur. Mal beleuchtet die Autorin Beziehungen – eine internationale Partnerschaft zum Beispiel oder eine Frau, die sich nach dem Tod ihres Mannes auf Spurensuche in dessen Heimat China begibt. Aber auch Politisches wird angesprochen, wie etwa die eingangs erwähnte Geschichte von Bruder und Schwester und der Bau einer Flugmaschine endet mit einer geradezu philosophischen Lehre.

Besonders beeindruckt haben mich zwei Erzählungen: Ein Mann sitzt im Gefängnis und berichtet im Rückblick von dem Verbrechen, das er begangen hat; hier beweist die Autorin, dass sie die unterschiedlichsten Genres beherrscht, denn im Prinzip haben wir hier einen Kurzkrimi. Skurril, aber umso beeindruckender ist schließlich die abschließende Geschichte über eine Gruppe Personen, die in einer U-Bahn-Station strandet und dort quasi eine kleine Stadt errichtet, herrlich! Von dieser Autorin möchte ich unbedingt mehr lesen!

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Veröffentlicht am 13.08.2021

Mutter und Tochter

Ein erhabenes Königreich
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Gifty ist Neurowissenschaftlerin und arbeitet gerade an einem wichtigen Projekt, als sie einen Anruf von Pastor John erhält. Ihre Mutter verlässt seit Monaten kaum noch das Bett und Gifty muss sie bei ...

Gifty ist Neurowissenschaftlerin und arbeitet gerade an einem wichtigen Projekt, als sie einen Anruf von Pastor John erhält. Ihre Mutter verlässt seit Monaten kaum noch das Bett und Gifty muss sie bei sich aufnehmen. Es folgt eine lange Phase des Schweigens und der Hilflosigkeit, denn all das erinnert Gifty an Erlebnisse aus ihrer Kindheit. Schon vor ihrer Geburt waren die Eltern mit dem älteren Bruder Nana aus Ghana in die USA eingewandert. Der Vater verließ nur widerwillig sein Heimatland und kehrte nach einigen Jahren ohne seine Familie dorthin zurück. Der Bruder verfiel den Drogen, die Mutter entwickelte eine Depression – Gifty war eigentlich immer schon allein.

Nach „Heimkehren“, das mich auch schon sehr beeindruckt hat, ist „Ein erhabenes Königreich“ der zweite Roman aus der Feder von Yaa Gyasi. Eindrücklich schildert sie Giftys Schicksal zwischen Glauben und Wissenschaft. Besonders berührend sind ihre Briefe an Gott, die sie im Kindesalter beginnt. Ihm schreibt sie Alltägliches, aber auch bedeutsame Gedanken, die sie umtreiben. Grundsätzlich wird die Handlung dabei auf zwei Ebenen erzählt: der Gegenwart, in der Gifty fest im Berufsleben steht und um die psychische Gesundheit ihrer Mutter kämpft. Und die Vergangenheit, die erklärt, wie die Familie am Leben in einem fremden Land gescheitert scheint – nur Gifty hat noch die Chance auf ein glückliches Leben.

Neben dem offensichtlichen Thema, ob und wie Glaube mit Wissenschaft zu vereinbaren ist, spielen auch andere eine Rolle. Als Schwarze hat die Familie es schwer in den USA: So lange Nana als Ausnahmesportler seine Mannschaft zum Sieg führt, scheint alles in Ordnung und die Integration gelungen. Macht er einen Fehler, schlägt ihm sofort geballter Hass entgegen – eine Tatsache, die Vater und Sohn nie richtig heimisch werden lässt. Was diese Situation in der Seele jedes einzelnen Familienmitgliedes anrichtet, wird im Roman schonungslos geschildert. Der einzige Kritikpunkt, den ich anzuführen habe, ist das sehr abrupte Ende. Hier hätte ich Gifty und ihre Mutter gerne noch etwas länger begleitet, auch wenn es schmerzt.

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Veröffentlicht am 09.08.2021

"Rundumschlag" zu einem wichtigen Thema

Toxische Männlichkeit. Erkennen, reflektieren, verändern. Geschlechterrollen, Sexismus, Patriarchat, und Feminismus: Ein Buch über die Sozialisierung von Männern.
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Jeden zweiten oder dritten Tag tötet in Deutschland ein Mann seine Partnerin. 58% Prozent aller Frauen in Deutschland haben schon einmal sexuelle Belästigung erlebt. 70.000 Mädchen in Deutschland leiden ...

Jeden zweiten oder dritten Tag tötet in Deutschland ein Mann seine Partnerin. 58% Prozent aller Frauen in Deutschland haben schon einmal sexuelle Belästigung erlebt. 70.000 Mädchen in Deutschland leiden unter den Folgen einer Genitalverstümmelung. Zu allen diesem Verbrechen existiert eine Dunkelziffer von Fällen, die nicht entdeckt oder nicht angezeigt werden und vor allem im Bereich der häuslichen Gewalt hat die Coronapandemie die Situation nur noch verstärkt. Mit diesen und noch weiteren Themen befasst sich Sebastian Tippe in seinem Sachbuch „Toxische Männlichkeit“. Darin identifiziert er das Patriarchat und die damit verbundene Sozialisierung von Männern als Quelle eines Systems, das Frauen in allen Bereichen benachteiligt.

Nach einem Vorwort der feministischen Autorin, Gleichstellungsbeauftragten und Bloggerin Christina Mundlos, beginnt der Autor mit einer Einführung in das Thema „Geschlecht als soziales Konstrukt“. Danach wendet er sich der toxischen Männlichkeit zu und erläutert, wie diese sich konkret in bestimmten Bereichen manifestiert; als Kategorien legt er dabei Gewalttaten, den öffentlichen Raum, den Arbeitsplatz, Sexualität, Familie und Partnerschaft sowie Gesundheit fest. Im nächsten Kapitel behält er diese Einteilung weiter bei und erläutert, wie toxische Männlichkeit in jedem der Bereiche abgebaut werden kann.

Sebastian Tippe versucht in seinem Buch einen Rundumschlag und spricht dabei auch Themen wie Prostitution, Pornografie, Sexismus im Rap oder die Gender Pay Gap an. Für Leser*innen, die sich bereits mit dem Thema beschäftigt haben, ist das Meiste nicht neu; alle anderen erwartet eine ganze Menge Input und harte Fakten. Diese werden zwar durch Begriffserklärungen und Statistiken untermauert, verlangen aber auch ein großes Maß an Offenheit und Willen zur Selbstreflexion. Ein Plus ist hier jedoch, dass der Autor als Mann über toxische Männlichkeit schreibt und auch sich selbst nicht aus der Kritik nimmt. Interessant sind vor allem sein eigener und viele andere Erfahrungsberichte von Männern und Frauen am Ende des Buches.

Der Autor liefert ein wichtiges Buch über die Tatsache, dass der Abbau toxischer Männlichkeit nicht nur Frauen, sondern auch Männern nutzt. Denn Veränderungen im Risikoverhalten, ein besseres Verhältnis zur eigenen Gesundheit oder eine Verschiebung des eigenen Fokus vom Berufs- hin zum Familienleben führen letztendlich dazu, dass Männer geringerem Stress ausgesetzt sind und länger leben. Problematisch ist nur, dass vermutlich vor allem diejenigen das Buch lesen, die es eigentlich nicht mehr benötigen. Umso wichtiger ist, dass Männer zu Multiplikatoren werden, egal ob als Lehrer, Trainer im Verein oder einfach im eigenen Umfeld.

Fazit: Der Autor liefert eine gute Zusammenfassung des Themas mit Forderungen und konkreten Beispielen zur Umsetzung. Wer jedoch mehr zu einzelnen Themen wissen will, sollte zu einer detaillierteren Publikation greifen, beispielsweise zu Rebekka Endlers „Das Patriarchat der Dinge“ zum Thema Gender Data Gap.

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Veröffentlicht am 02.08.2021

Gewohnt skurrile Fortsetzung

Giftrausch
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Sein letzter Fall hat Rechtsanwalt Paul Colossa sichtbar gezeichnet – nach dem Verlust eines Auges trägt er eine Augenklappe. Nun hat ihn ein berühmtes Musikinternat engagiert, um nach einem Skandal einen ...

Sein letzter Fall hat Rechtsanwalt Paul Colossa sichtbar gezeichnet – nach dem Verlust eines Auges trägt er eine Augenklappe. Nun hat ihn ein berühmtes Musikinternat engagiert, um nach einem Skandal einen (natürlich entlastenden) Bericht zu schreiben, ansonsten droht ihm eine hohe Vertragsstrafe. Doch leider muss Paul schon nach kurzer Zeit feststellen, dass die Gerüchte über Ritalinmissbrauch unter den Schülern durchaus wahr sind und schon ein erstes Opfer gefordert haben. Und dann gerät der Anwalt auch noch wegen seines Aussehens und seiner Verwicklung in den Fall in den Fokus eine lokalen Newsblogs.

Mit „Giftrausch“ legt Hendrik Esch den zweiten Band seiner Reihe um den chaotischen Anwalt Paul Colossa vor, der kürzlich die Kanzlei seines „Onkels“ übernommen hat. Den ersten Band „Jagdtrieb“ habe ich damals in einer Leserunde mit dem sympathischen Autor gelesen und fühlte mich blendend unterhalten. Der zweite Band erzählt nun – in gewohnt skurriler Art – die Geschehnisse weiter. Ja, die Handlung ist seltsam, übertrieben und manchmal etwas slapstickhaft, aber genau da liegt für mich auch der Reiz: ein Krimi, der sich selbst nicht so ernst nimmt. An einigen Stellen habe ich wirklich herzhaft gelacht, ich erinnere da nur an die Gerichtsszene mit Amigo!

Paul Colossa als Protagonist ist definitiv ein Chaot, ein Faulenzer, ein Frauenheld (oder eher: er wäre es gerne), aber wenn man ihn eine Weile begleitet, merkt man, er hat das Herz am rechten Fleck. Das zeigt sich auch an den Nebencharakteren, die ihn bedingungslos unterstützen. Sei es zum Beispiel sein bester Freund Attila, der sich natürlich den ein oder anderen Witz auf Pauls Kosten nicht verkneifen kann, oder das unerschütterliche „Fräulein“ Christiane.

Neben all den abenteuerlichen, witzigen Szenen gibt es jedoch auch ernste Momente. Der Druck, mit dem vor allem junge Menschen in der Musikszene umgehen müssen oder die Gefahren von Ritalin und ähnlichen Drogen werden ebenso angesprochen wie Mobbing im Internet. Nur der Schluss kam für mich etwas abrupt, macht mich aber umso neugieriger auf Band 3.

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Veröffentlicht am 28.07.2021

Geschichtslektion für die ganz Kleinen

Rosa Parks
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Im Insel Verlag existiert schon seit einigen Jahren die Reihe "Little People, BIG DREAMS", in der kindgerecht beeindruckende Lebensgeschichten großer Persönlichkeiten erzählt werden. Nun liegt diese Erfolgsreihe ...

Im Insel Verlag existiert schon seit einigen Jahren die Reihe "Little People, BIG DREAMS", in der kindgerecht beeindruckende Lebensgeschichten großer Persönlichkeiten erzählt werden. Nun liegt diese Erfolgsreihe auch im Pappbilderbuch vor und liefert damit eine Version für die ganz Kleinen, die aufgrund der festen Pappseiten gerne auch etwas wilder bespielt werden darf. Das kleinere Format eignet sich dabei perfekt für unterwegs.

Der vorliegende Band befasst sich mit der Bürgerrechtsaktivistin Rosa Parks, die im Alabama der Rassentrennung aufwuchs. Am 1. Dezember 1955 weigerte sie sich, ihren Sitzplatz im Bus für einen weißen Mann zu räumen, was zum so genannten "Busboykott von Montgomery" und in der Folge zum Ende der Jim Crow-Gesetze führte.

Die Handlung ist natürlich stark vereinfacht, für das Alter der Zielgruppe ab etwa fünf Jahren aber ein sehr gelungener Einstieg in ein wichtiges Thema. Unterstützt wird die Botschaft noch durch die kindgerechten Illustrationen von Marta Antelo - auf den Seiten gibt es, auch für Erwachsene, einiges zu entdecken; so zum Beispiel die Fotos an der Wand, die Rosa Parks mit Bill Clinton oder Al Gore zeigen.

Im Gegensatz zur großformatigen Version fehlt die Biografie am Ende des Buches. Schade, aber aufgrund des Formates durchaus verständlich. Als Vorleser*in empfiehlt es sich daher, vorher selbst etwas zu recherchieren, um die Fragen des Kindes auch beantworten zu können. So lernen auch die Großen noch etwas dazu, eine tolle Sache!

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