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Veröffentlicht am 05.02.2024

Kurzer, aber eindrucksvoller Roman

Glänzende Aussicht
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Bruder sieben ist der jüngste noch lebende Sohn einer armen Familie aus Wuhan. Der Vater führt ein gewalttätiges Regiment, die Mutter flirtet mit anderen Männern und schreitet nicht ein. Die Söhne entwickeln ...

Bruder sieben ist der jüngste noch lebende Sohn einer armen Familie aus Wuhan. Der Vater führt ein gewalttätiges Regiment, die Mutter flirtet mit anderen Männern und schreitet nicht ein. Die Söhne entwickeln sich sehr unterschiedlich, doch es ist der Jüngste, der von allen immer wieder gequält wird, weil er zu weich ist und zu wenig aufbegehrt. Nur der sanfte Bruder Drei spendet ihm hin und wieder etwas Trost. Die beiden Töchter der Familie haben ihrerseits nur wieder die Aufgabe, selbst Söhne zu gebären und versuchen durch ihr kaltes Verhalten ihren Stand zu festigen

Fang Fangs neuster Roman „Glänzende Aussicht“ erschien in China bereits im Jahr 1987, die deutsche Übersetzung stammt von Michael Kahn-Ackermann. Man spürt deutlich, dass die Autorin es hier dabei belässt, das Schicksal einer armen Familie zu beschreiben, anstatt – wie in ihren späteren Werken – dies in eine Kritik des Systems einzubinden. Erzählt wird rückblickend aus der Gegenwart, wobei zwischen unterschiedlichen Zeiten gesprungen wird. Der Erzähler an sich ist dabei sehr besonders, wenn auch realistisch gesehen nicht ganz klar ist, woher er all diese Informationen eigentlich hat.

Nach und nach erfahren wir das Schicksal jedes einzelnen Familienmitglieds und werfen dabei einen Blick in das China der 60er bis 80er Jahre und damit auf die Nachwehen der Kulturrevolution. Zu Beginn hausen alle in einem einzigen Raum in den Henan-Baracken, am Ende ist dem Vater nur noch der vor der Hütte begrabene Sohn Nummer acht geblieben. Jedes Kind versucht auf ganz eigene Weise, dem Schicksal zu entkommen und etwas aus sich zu machen. Sie schlagen zurück, tun sich zu zweit zusammen, träumen von eigenen Familien, Geschäften und Reichtum. Nur Bruder sieben bleibt dabei, wie üblich, außen vor – doch alles ändert sich, als er die Familie endlich verlässt.

„Glänzende Aussicht“ ist ein schmaler Roman von gerade einmal 176 Seiten. Dahinter verbirgt sich jedoch ein starkes Familienporträt, in dessen Fokus ein Sohn steht, dem sein Leben lang mit Gewalt und Ablehnung begegnet wurde. Dennoch ist er, wie zum Trotz, am Ende der einzige, der es im Leben zu etwas gebracht hat.

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Veröffentlicht am 31.01.2024

Ein kurzer, aber komplexer Roman

Wo Milch und Honig fließen
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In einer nahen Zukunft verdunkelt Smog die Sonne, was dazu führt, dass zahlreiche Pflanzenarten verschwinden und Wild- und Nutztiere verhungern. In dieser dystopischen Welt versucht eine 29-jährige Köchin ...

In einer nahen Zukunft verdunkelt Smog die Sonne, was dazu führt, dass zahlreiche Pflanzenarten verschwinden und Wild- und Nutztiere verhungern. In dieser dystopischen Welt versucht eine 29-jährige Köchin sich durchzusetzen. Dreist bewirbt sie sich bei einer mysteriösen Stellenanzeige mit falschen Qualifikationen und wird tatsächlich eingestellt. Fortan kocht sie für die Gäste einer privaten Forschungsgemeinschaft an der italienisch-französischen Grenze namens „Terra di latte e miele“ (=Land von Milch und Honig). Doch schon bald muss sie feststellen, dass sie nicht nur dafür eingestellt wurde und der Besitzer Geheimnisse vor ihr verbirgt.

„Wo Milch und Honig fließen“ ist der zweite Roman der chinesisch-amerikanischen Autorin C Pam Zhang und wurde von Eva Regul aus dem Englischen übersetzt. Erzählt wird aus der Perspektive der namenlosen Protagonistin in Ich- und Vergangenheitsform. Dabei blickt sie aus einer Gegenwart, in der sie sich schon lange nicht mehr im „Latte e miele“ aufhält, zurück auf das schicksalshafte Jahr, das sie dort verbracht hat.

Für den Besitzer ist sie die perfekte Kandidatin für den Job, denn sie hat in der Außenwelt keinerlei Bindungen mehr, seit die ihr entfremdete Mutter verstorben ist. In den ersten Wochen ist sie geradezu berauscht davon, dass auf dem Grundstück Pflanzen und Tiere nachgezüchtet werden, die als ausgestorben gelten. Endlich kann sie wieder Butter verwenden oder Erdbeeren essen und den seltsamen Gästen ausgefallene Menüs vorsetzen. Doch nach und nach schleichen sich Gewissensbisse ein: Ist es in Ordnung, all das vor dem Rest der Menschheit zu verstecken und zu genießen, wenn anderswo nur noch fades Proteinmehl genutzt werden kann?

Komplizierter wird die Situation durch zwei weitere Dinge: Die Beziehung zwischen der Protagonistin und der Tochter des Besitzers und ihre Herkunft. Die junge Köchin ist Tochter einer chinesischen Mutter und eines koreanisch-amerikanischen Vaters, weshalb sie immer wieder Alltagsrassismus ausgesetzt ist – und auch ihre Einstellung hat mit diesem Fakt zu tun.

Fazit: Ein kurzer, aber komplexer Roman über die Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt

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Veröffentlicht am 24.01.2024

Kann eine Mutter zu sehr lieben?

Blood on the Tracks 1
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Seiichi Osabe ist eigentlich ein ganz normaler Teenager. Sein Vater arbeitet viel und seine Mutter umsorgt ihn liebevoll. Das empfindet er manchmal als peinlich, vor allem, wenn zum Beispiel sein Cousin ...

Seiichi Osabe ist eigentlich ein ganz normaler Teenager. Sein Vater arbeitet viel und seine Mutter umsorgt ihn liebevoll. Das empfindet er manchmal als peinlich, vor allem, wenn zum Beispiel sein Cousin Shigeru dabei ist. Also eine ganz normale Mutter-Sohn-Beziehung? Aber warum reagiert dann sein gesamtes Umfeld so stark darauf? Nach und nach schleichen sich Bedenken in den sonst so harmonischen Familienalltag ein, bis während eines Ausflugs alles eskaliert.

„Blood on the Tracks“ ist eine von vielen Reihen des Mangaka Shuzo Oshimi und in Japan bereits mit 17 Bänden abgeschlossen. Sein Zeichenstil ist sehr klar und realistisch und fällt durch den besonderen Einsatz von Schraffuren auf – teilweise setzt sich die gesamte Szene aus ihnen zusammen, in unterschiedlicher Dichte und Richtung. Oshimi gelingt es ebenfalls sehr gut, die Emotionen seiner Charaktere in ihrem Blick einzufangen. Das kommt besonders bei der Figur der Mutter zum Tragen, die den gesamten Band über seltsam ambivalent bleibt.

Im Verlauf der Handlung ist lange Zeit nicht klar, was vor sich geht, denn auf den ersten Blick scheint Seiichis Mutter vielleicht etwas überfürsorglich, aber auch nicht mehr als das. Ein erster Verdacht wird durch die Reaktion von Klassenkameraden und Familie geweckt, die alle immer wieder betonen, wie sehr der Junge doch bemuttert würde. Unterstützt wird dies noch durch Erinnerungen an ein Erlebnis aus Seiichis Kindheit, welches uns als Leser*innen beunruhigt, auf den Protagonisten aber harmlos wirkt. So baut sich nach und nach eine unangenehme Spannung und die Vorahnung auf, dass jeden Moment etwas Schreckliches geschehen wird.

Ich will nicht zu viel darüber verraten, was in diesem ersten Band noch geschieht. Nur eines: Er endet mit einem absoluten Cliffhanger, den ich trotz eines unguten Gefühls beim Lesen so nicht habe kommen sehen. Dieser wirft zahlreiche Fragen auf, gibt aber auch erste kleine Anhaltspunkte. Fakt ist auf jeden Fall: Ich muss weiterlesen, denn ich will unbedingt wissen, wie es mit Seiichi und seiner Familie weitergeht.

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Veröffentlicht am 22.01.2024

Hoffnung und verlorene Träume

Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah
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Schon seit 36 Jahren lebt Mani mit ihren Eltern in demselben Haus im Seouler Viertel S-dong, doch nun steht ein Umzug an und damit die Hoffnung, von der Armut der Unterschicht in die Mittelschicht aufzusteigen. ...

Schon seit 36 Jahren lebt Mani mit ihren Eltern in demselben Haus im Seouler Viertel S-dong, doch nun steht ein Umzug an und damit die Hoffnung, von der Armut der Unterschicht in die Mittelschicht aufzusteigen. Mani als Frau trägt neben den Makeln des fehlenden Geldes und ihrer Arbeitslosigkeit noch einen weiteren: sie ist unverheiratet und wohnt noch immer mit ihren Eltern zusammen. Wird der Umzug in ein neues Viertel wirklich die gewünschte Veränderung bringen?

„Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah“ ist der zweite, auf Deutsch erschienene Roman der südkoreanischen Autorin Cho Nam-Joo; die Übersetzung stammt von Jan Henrik Dirks. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von Protagonistin Mani in der Ich- und Vergangenheitsform. Der Titel des Romans ergibt schon bald einen Sinn, denn das Viertel S-dong befindet sich auf steilen Hügeln, die sich dem Mond entgegen recken.

Hier träumte Mani seit ihrer Kindheit von einer Karriere als Kunstturnerin, doch dieser Traum sollte sich aufgrund der fehlenden Mittel und, ehrlich gesagt, auch ihrer fehlenden Begabung nicht erfüllen. Diese Erfahrung hat ihr Leben geprägt und zwar deutlicher, als die im Klappentext erwähnte Schande des Unverheiratet-Seins. Hier hätte ich mir einen etwas stärkeren Blick auf die Rolle der Frau in Korea und speziell die Erwartungen an junge Frauen gewünscht.

Das zweite zentrale Thema ist die Armut der Familie. Der Vater bemüht sich, Frau und Tochter zu ernähren, doch die Zeiten haben sich geändert und sein Imbiss hat nicht mehr so viele Kunden wie früher. Manis Job hingegen wurde von ihrer Firma gestrichen, um Geld zu sparen und die Mutter kann selbst nicht arbeiten. Als der Familie ein Angebot gemacht wird, ihr Haus an einen Investor zu verkaufen, klammert sich die Familie an diese Hoffnung, doch es scheint, als wollte man sie betrügen – kann ihr Traum noch wahr werden oder sind all ihre Ersparnisse verloren?

Fazit: Ein nüchterner Roman über Armut und verlorene Träume, der sich so auch in einem deutschen Plattenbau abgespielt haben könnte. Cho Nam-Joos vorangegangene Bücher konnten mich mehr abholen.

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Veröffentlicht am 17.01.2024

Mix aus Fantasy and Sci Fi

Das Licht ungewöhnlicher Sterne
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Shizuka war einst eine gefeierte Violinistin; heute ist sie die begehrteste Geigenlehrerin der Welt. Doch sie verbirgt ein Geheimnis: vor einigen Jahrzehnten hat sie einen Pakt mit der Hölle geschlossen, ...

Shizuka war einst eine gefeierte Violinistin; heute ist sie die begehrteste Geigenlehrerin der Welt. Doch sie verbirgt ein Geheimnis: vor einigen Jahrzehnten hat sie einen Pakt mit der Hölle geschlossen, der von ihr verlangt, insgesamt sieben Seelen dort abzuliefern. Sechs ihrer Schülerinnen hat Shizuka so schon unermesslichen Ruhm gebracht und sie anschließend ins Unglück gestürzt. Nun soll Katrina als siebte Seele den Pakt erfüllen, doch bei ihr ist alles anders.

„Das Licht ungewöhnlicher Sterne“ ist der erste, ins Deutsche übersetzte Roman der Schriftstellerin, Lyrikerin, Komponistin und Dozentin Ryka Aoki; aus dem Englischen übertrug hier Michael Pfingstl. Erzählt wird in der Vergangenheitsform aus der Perspektive eines personalen Erzählers, der zwischen verschiedenen Figuren hin- und herspringt. Das gibt dem Geschehen zwar eine gewisse Dynamik, manchmal hatte ich aber auch das Gefühl, dass gerade zu viele Handlungsstränge nebeneinander aufgemacht werden.

Zentral ist sicherlich die Beziehung zwischen Katrina und Shizuka. Katrina ist trans, musste ihr Zuhause verlassen und hat Schreckliches erlebt. Shizuka bietet ihr zum ersten Mal Freiheit und die Möglichkeit, etwas zu erreichen an. Doch zu welchem Preis? In der Szene ist die Geigenlehrerin als „Königin der Hölle“ bekannt, deren Schüler
innen ein tragisches Ende genommen haben. Katrina hingegen weckt zum ersten Mal in ihr den Wunsch, den Pakt brechen zu können, doch dafür müsste sie selbst teuer bezahlen. Dieser Gedanke fällt ihr besonders schwer, seit sie in einem Donutladen die geheimnisvolle Lan kennengelernt hat.

Vorrangig ist „Das Licht ungewöhnlicher Sterne“ wohl als Fantasyroman einzuordnen, hat aber auch eine starke Science Fiction-Komponente, über die ich hier nichts verraten will – gebraucht hätte ich sie allerdings nicht. Zudem hätte die Handlung an manchen Stellen etwas Straffung nötig gehabt, weil sich gerade zwischen Shizuka und Katrina, aber auch ihr und Lan viele Interaktionen wiederholen. Dennoch ist der Roman ein gelungene Geschichte über den Preis des Ruhms und den sehnsüchtigen Wunsch nach Akzeptanz.

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