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Nilchen

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Veröffentlicht am 02.08.2021

Der Tennisbaron

Julius oder die Schönheit des Spiels
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Lange vor Boris Becker und Steffi Graf gab es bereits eine Tennislegende in Deutschland: Gottfried Freiherr von Cramm. Er war DER Tennisprofi in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts und einer der bekanntesten ...

Lange vor Boris Becker und Steffi Graf gab es bereits eine Tennislegende in Deutschland: Gottfried Freiherr von Cramm. Er war DER Tennisprofi in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts und einer der bekanntesten Sportler des Landes und übrigens nach dem 2. Weltkrieg der erste Sportler des Jahres im Jahr 1947/48! Von Cramm war das leuchtende Vorbild für Tom Sallers neusten Roman: ‚Julius oder die Schönheit des Spiels‘. Es ist aber ein fiktionales Werk und nutzt Freiherr von Cramm zwar als Inspiration und Vorlage, aber der Autor hat das Buch bewusst nicht nur auf der reinen Faktenlage geschrieben und eine noch spannendere Geschichte kreiert. Im Großen und Ganzen ist die Kindheit und Jugend wohl mehr Fiktion als die zweite Lebenshälfte.
Spannend schreibt Tom Saller hier eine aufreibende Geschichte, die natürlich den Tennisbaron selbst und den Tennis im Fokus hat, aber es ist kein Sportroman. Es geht hier um einen Sportler aus adeligem Haus, der mit Verpflichtungen aufwächst, aber sein innerer Kompass macht ihn zu dem guten Menschen, der er wird und bleibt. Ein Mann, der sich nicht nur auf dem Tenniscourt für Fairplay einsetzt, sondern sich auch entschieden gegen die Nationalsozialisten stellte.
Wer also dieses Jahr mit Alexander Zverev bei Olympia mitgefiebert hat, sollte sich diesen Roman gönnen. Wer meint „zu viel Tennis“ muss nicht sein, denn kann ich beruhigen, ich habe es auch gerne gelesen, obwohl ich kein überragender Tennisfan bin, aber einer von Ton Sallers Romanen.

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Veröffentlicht am 31.07.2021

Manchmal reicht das Schäfchen zählen nicht aus

Club der Schlaflosen
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Michèle, Hervé, Jacques, Léna und Claire eint eines und es gibt Millionen von ihnen weltweit, die darunter leiden: Insomnia – Schlaflosigkeit. Unseren fünf Schlaflosen halten die durchwachten Nächte und ...

Michèle, Hervé, Jacques, Léna und Claire eint eines und es gibt Millionen von ihnen weltweit, die darunter leiden: Insomnia – Schlaflosigkeit. Unseren fünf Schlaflosen halten die durchwachten Nächte und die Müdigkeit nicht mehr aus. Wollen raus aus diesem Teufelskreis aus Angst vor dem Nicht-Schlafen-Können, Wachliegen und sich anstrengen zur Entspannung, was natürlich nur im Desaster enden kann. Die Reißleine der 5 ist eine Schlaftherapeutin, die den Protagonisten helfen wird Ursachenforschung zu betreiben was ihr persönliches Leiden ihre Rastlosigkeit auslöst. Die Symptome sind bei allen sehr ähnlich und führen in die Schlaflosigkeit, aber die Ursachen könnten unterschiedlicher nicht sein. Spannend was die Protagonisten auf ihrer persönlichen Reise zutage fördern.
Dieses Debüt ‚Club der Schlaflosen‘ von Gabrielle Levy, dass sicherlich auch sehr lesenswert im Original auf Französisch ist (O-Ton Titel: ‚Au rendez-vous des insomniaques‘), hat mich thematisch in eine Welt mitgenommen, der ich so in Romanform noch nicht begegnet bin in solch einer Ausführlichkeit. Wenn überhaupt findet Schlaflosigkeit in Literatur ja meist nur am Rande statt oder gar als stilistisches Element. Eigentlich ist ein Roman dieser Art so naheliegend, wo es so viele Menschen mit Schlafstörungen gibt, wie eben auch die Autorin selbst.
Ein gelungenes Debüt, der 1978 in Brüssel geborenen Autorin. Klare Sprache ohne Schnörkel, aber ausreichend emphatisch um uns auf die Reise mitzunehmen. Angenehm ohne jegliche esoterische Anwandlungen.
Es loht übrigens hier auch das gedruckte Buch, den die Haptik des leichten Taschenbuches ist großartig, da ist eine Art matte Beschichtung drauf.
Fazit: Wenn sie mal wieder wach liegen, greifen sie zum ‚Club der Schlaflosen‘ – entweder sie schlafen ein, weil sie sich eines guten Textes erfreuen oder kommen ins Grübeln und gehen auch auf Spurensuche. Egal wie, es ist eine Bereicherung für die Nachtruhe, kurz oder langfristig!

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Veröffentlicht am 28.07.2021

Das ewige Hadern einer übersättigten Generation

Auszeit
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Dieser Roman trifft einen Nerv der Zeit für eine Generation, die nun so ganz langsam in ihrer Lebensmitte ankommt. Hannah Lühmann, eine junge dynamische Feuilletonistin unserer Zeit, schreibt mit ihrem ...

Dieser Roman trifft einen Nerv der Zeit für eine Generation, die nun so ganz langsam in ihrer Lebensmitte ankommt. Hannah Lühmann, eine junge dynamische Feuilletonistin unserer Zeit, schreibt mit ihrem schmalen Debüt ein Roman, der stellvertretend steht für all die sich Suchenden und Sinnsuchenden, die viel mit sich selbst beschäftig sind. ‚Auszeit‘ hat keine große Handlung, ist kein packender Roman. Ganz sacht und nach innen gekehrt, sitzen wir als Leser:in mit den beiden Protagonistinnen in einem Haus im Wald und haben teil an ihren ganz persönlich großen Fragen des Lebens. Klar, im Grunde eine sehr persönliche Sache, aber erstaunlicherweise eint viele der Drang einen Mehrwert zu bieten, etwas zu arbeiten, dass Sinn macht, sich achtsam in der Welt zu bewegen und was hinterlässt man oder wen? Aber immer sehr Ich-bezogen.
Gebettet ist dies in die Geschichte der Henriette, die soeben abgetrieben hat und mit ihrer Dissertation nicht vorankommt. Diese Arbeit beinhaltet das Thema Werwölfe, was wie ein ungewollte Auffrischung zum restlichen Text anmutet. Unterstütz von Paula, ihrer bester Freundin, nehmen sich beide eine Auszeit vom Leben um Henriette wieder auf die Spur zu bringen. Und so kreisen die beiden hier fortwährend um sich selbst.
Hannah Lühnmann schreibt klar ohne Schnörkel, fast ein wenig zu faktisch für solch ein emotionalen Brocken. Aber durchaus gelungen. Sprachlich trau ich der Autorin noch viel zu, Potenzial zu noch bessere Romanen lässt sich durchaus erkennen! Dieses ist kein großer Wurf, daher kann ich keine große Empfehlung aussprechen.

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Veröffentlicht am 28.07.2021

Jüdische Identität zurückgewinnen

Viktor
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Der Roman ‚Viktor‘ bekam in den Niederladen das Siegel: Bestes Debüt des Jahres! Und das macht natürlich neugierig und ich fragte mich: Hält es was die euphorischen Stimmen versprechen? Um es abzukürzen: ...

Der Roman ‚Viktor‘ bekam in den Niederladen das Siegel: Bestes Debüt des Jahres! Und das macht natürlich neugierig und ich fragte mich: Hält es was die euphorischen Stimmen versprechen? Um es abzukürzen: Ja! Ich bin und war eine begeisterte Leserin des Debütromans ‚Viktor‘ von Judith Fanto.
Judith Fanto, Jahrgang 1969, hat sich auf die Spurensuche ihrer eigenen Herkunft gemacht und wollte einfach mehr wissen, denn sie entstammt einer alteingesessenen Wiener jüdischen Bürgerfamilie. Die niederländsiche Juristin mit dem Fachgebiet Medizin ist Mutter von 3 Kindern und ist hochaktiv im sozialen Bereich, gründete mehrere Stiftungen. Und nun auch hervorragende Autorin. Aber trotz aller Parallelen und Gemeinsamkeiten ist es ein fiktives und kein biografisches Werk.
Dieses Buch hat zwei Erzählstränge, zum einen im Wien des Jahres 1914 wird das Leben der jüdischen Familie Rosenbaum erzählt und hier besonders vom angeblichen schwarzen Schaf der Familie: Viktor. Ein regelrechter Aufschneider, lässt nichts anbrennen, eine Lebemann und macht was er will Scheinbar! Denn was nach außen hin als undurchdacht daher kommt hat oft einen zutiefst sozialen Kern.
Der zweite Erzählstrang widmet sich Geertje, geboren in den Niederlande und 1994 Jura-Studentin in Nimwegen. Sie ist eine „nichtjüdische“ Jüdin, wie sie sich selbst bezeichnet, denn sie ist zwar Teil einer jüdischen Familie, aber die weder praktiziert noch ein Thema daraus macht. Nun will Geertje diesem Teil ihrer Wurzeln nachgehen Zum Teil auf dem Dachboden ihrer Großmutter und zum Teil in einer jüdischen Gemeinde vor Ort. Zusammengeführt werden die Stränge, da Viktor der Bruder ihres Großvater.
Beide Stränge haben ihre Stärken und sind in sich schon eine Bereicherung, aber der Strang in den 90er Jahren hat mir besonders gefallen, denn Geertje setzt sich mit ihrer familiären Identität auseinander und ergründet was das für sie bedeutet! Sie will herausfinden und erspüren was es mit ihr macht und wer sie als Jüdin ist.
Wirklich spannend wie die Autorin sich mit dem Judentum und den historischen Ereignissen hier literarisch auseinandersetzt und das in einer leicht lesbaren Art. Auch beschreibt sie die Orte, also das historische Wien und dengegenwärtigen Nimwegen so plastisch, dass man es sich gut vorstellen kann.
Ich bin überzeugt und wünsche dem Roman sehr sehr viele Leser:innen, vor allem da es kein Roman aus einem der großen Verlagshäuser ist!

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Veröffentlicht am 26.07.2021

Das japanische Telefon des Windes

Die Telefonzelle am Ende der Welt
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Das Beste aus zwei Welten vereint! Dieses Debüt von Laura Imai Messina ist eine Kombination aus klassischer europäischer literarischer Erzählweise gepaart mit asiatisch leiser, aber kratvoller Erzählkunst. ...

Das Beste aus zwei Welten vereint! Dieses Debüt von Laura Imai Messina ist eine Kombination aus klassischer europäischer literarischer Erzählweise gepaart mit asiatisch leiser, aber kratvoller Erzählkunst. Die Autorin ist gebürtige Italienerin, die es zum Studium nach Japan zog und dort noch immer mit Mann und Kindern lebt. Eine Frau die zwei Welten vereint.
Wie hier in „Die Telefonzelle am anderen Ende der Welt“, dass im Original auf Italienisch erschien. Es geht tatsächlich um eine Telefonzelle die verlassen an einem verschlafenen Ort am Meer steht unweit von Tokyo entfernt. Diese besondere Telefonzelle im Garten am Meer lässt Hinterbliebene mit ihren Verstorbenen kommunizieren. Dieses Telefon des Windes zieht auch die Radiomoderatorin Yui an die 2011 im Tsunami ihre Mutter und ihre Tochter verlor. Aber wo es Verlust gibt, sollte es auch Hoffnung geben und so trifft sie just an diesem entlegenen Ort den Arzt Takeshi – auch er ein Trauernder, der traumatisiert ist. Diese Beiden finden sich, geben sich gegenseitig Kraft und Mut.
Mich hat dieser Roman berührt und feinfülliger gemacht. Wunderbar wie Laura Imai Messina mit klarer Sprache und scheinbar so einfachen Stilmitteln auf sehr japanische Weise uns mit dem doch sehr emotional stark beladenen Thema Tod und Trauer begegnet und diesem auch noch etwas abgewinnt und mit einem Lächeln zum Guten dreht.
Wunderbar kommen auch japanische Sitten und Riten zum Ausdruck. Eindeutig ein europäischer Blick, der uns ihre japanische Welt offenbart. Besonders schön fand ich viele japanische Begriffe die sich im Buch wiederfinden und deren Bedeutung sich auch offenbaren, den am Ende des Romans ist ein ausführliches Glossar zu finden.
Auch das Plädoyer zum Schluss, dass diese Telefonzelle keine touristische Attraktion ist und bitte nicht gesucht werden soll außer man möchte sie nutzen wie es auch die Japaner tun ist eine sehr respektvolle Bitte!
Herzerwärmend ohne kitschig zu werden und dazu noch sehr japanisch, obwohl es eine Italienerin geschrieben hat!

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