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Nilchen

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.10.2018

Viel Wissenswertes und sehr amüsant

Ein Keim kommt selten allein
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Nach ‚Darm mit Charme‘, ‚Hautnah‘, ‚Viva la Vagina‘ und vielen anderen Körperteilen die den Buchmarkt erobert haben, kommt nun auch ‚Ein Keim kommt selten allein‘ (nicht zu verwechseln mit ‚Keim daheim‘)! ...

Nach ‚Darm mit Charme‘, ‚Hautnah‘, ‚Viva la Vagina‘ und vielen anderen Körperteilen die den Buchmarkt erobert haben, kommt nun auch ‚Ein Keim kommt selten allein‘ (nicht zu verwechseln mit ‚Keim daheim‘)! Als Nicht-Mediziner lass ich mich gerne mal von Fachpersonal mit kuriosen Fakten versorgen für gute Small Talk Gespräche und vor allem mein Wissen über das jeweilige Gebiet erweitern.
Und bei unseren (für das Auge) unsichtbaren Mitbewohnern war ich besonders überrascht was ich alles nicht wußte....na ja, ob ich wirklich wissen wollte wieviel Männer ihre Hände nicht waschen nach einem Toilettengang...nun gut.

Das Buch ist erfrischend locker geschrieben, auch wenn bei längerer Lektüre am Stück einige Wiederholungen erkennbar sind. Daher gut als Ubahn-Lektüre geeignet, Unterbrechung bringen einen nicht sonderlich aus dem Lesefluss.
Sicherlich eine gute Idee, dass Markus Egert sich von einem Journalisten Frank Thadeusz hat unterstützen lassen.
Zu Beginn hätte ich mir mehr Zeichnungen gewünscht, gerne auch Comichaft, dem Stil des Textes entsprechend. Das war in der Einführung schon recht trocken. Und ich hatte LK Chemie und Bio Grundkurs, ja lange her, aber mein Grundverständnis der Materie ist noch vorhanden. Wer sich mit Grundbegrifflichkeiten schwer tut, könnte auch Visualisierung gut finden. Aber um die Kritik abzumildern, dass Buch ist selbst schon für höhere Mittelstufenklasse geeignet...bei Interesse.

Viel Wissenswertes was sich auch umsetzen lässt für die Haushaltshygiene und Mythenaufklärung a la nicht jeder Keim ist schlimm. Und ja, ein wenig Angst bekam auch ich als ich von Staphylococcus aureus hörte. Aber das gehört dazu.
Fazit: Jetzt weiß ich wieder warum ich meine Kinder ständig nerve die Hände zu waschen!

Veröffentlicht am 11.09.2018

Grandios gute Dystopie

Die Hochhausspringerin
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Dieser Roman packt uns genau da wo unsere "pain points" der Gesellschaft momentan sind! Wahnsinn wie die Autorin Julia von Lucadou mit ihrem Debüt "Die Hochhausspringerin" mit einem scheinbar einfachen ...

Dieser Roman packt uns genau da wo unsere "pain points" der Gesellschaft momentan sind! Wahnsinn wie die Autorin Julia von Lucadou mit ihrem Debüt "Die Hochhausspringerin" mit einem scheinbar einfachen Thema in der Zukunft so viele brandaktuelle Baustellen aufgreift.

Sie spinnt weiter was in der Gegenwart Fahrt aufnimmt und uns in der Tat als Gesellschaft stark beeinflussen wird. Der Roman zeigt uns was passiert, wenn wir alle nach Perfektion streben und uns ständig optimieren um dem perfidem Leistungsdruck standhalten zu können.

Und das gepaart mit einem Überwachungsstaat in dem wir uns mittels Digitalisierung fast gläsern in eine totale Transparenz begeben. So ist natürlich auch einfach die Spreu vom Weizen zu trennen, eine elitäre Verstädterung mit Zugangsrechten steht einer kloakenhaften Peripherie gegenüber. Die Schere zwischen Arm und Reich ist unüberwindbar groß und nur der leistungsfähigen Elite ist die Stadt vorbehalten. Nur hier kann man den Folgen der Naturkatastrophen entfliehen, nur hier in der Stadt merkt man die Klimaerwärmung nicht wie in der Peripherie.

Entfremdung vom natürlichen Menschsein, hier werden Kinder nicht mehr in ihren "Biofamilie" großgezogen sondern in entsprechenden Unterbringungen, natürlich optimierte Erziehung.

Das erschreckende an diesem ganzen Roman ist, dass es gar nicht so surreal wirkt und dass ich nach der Lektüre das Gefühl hatte: "Im Hier und Jetzt muss sich was ändern sonst haben die folgenden Generationen kein schönes Leben mehr auf diesem Planeten."

Viele viele Themen habe ich bereits genannt und es könnte der Eindruck entstehen es ist ein dunkler Roman ohne richtige Geschichte, aber ganz im Gegenteil. Ich konnte mich leicht mit der Protagonistin identifizieren und es ist neben der vielen aktuellen Themen ein leicht lesbarer guter Roman.



Auch auf der sprachlichen Eben, neben der angenehmen guten Prosa werden uns Veränderungen im Sprachgebrauch vor Augen geführt. Viele Anglizismen, geschützte Marken auch auf Aussprüche, optimierte Kommunikation und bei der Datenfülle auch Fake News.

Hier ein Zitat, dass mir besonders gut gefallen hat: “Perfektionismus ist kein Kompliment. Keiner will das zugeben, aber es stimmt. Was zählt, ist Kreation.” (S. 156)



Ich muss auch den Klappentext sehr loben, hier passt er wahrlich wie die Faust aufs Auge (was ich selten finde!): Die Hochhausspringerin führt in eine brillante neue Welt, in der innere Ausgeglichenheit obligatorisch ist und Anpassung ultimativ begehrenswert. Eine Welt, fast wie unsere.



Fazit: Lebe und lass das Chaos in deinem Leben zu! Hier wird uns vor Augen geführt was passiert, wenn wir weiterhin an das Mantra "höher, schneller & weiter" glauben und unsere Natur missachten.

Veröffentlicht am 07.09.2018

“The Americans” cross over with “Tatort”!

Die Tote im Wannsee
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Ich bin begeistert von diesem Krimi „Die Tote im Wannsee“ und dass nicht nur, aber natürlich auch, weil er im West-Berlin der 68er Jahre spielt. Müsste ich auseinander dividieren wieviel Raum West-Berlin, ...

Ich bin begeistert von diesem Krimi „Die Tote im Wannsee“ und dass nicht nur, aber natürlich auch, weil er im West-Berlin der 68er Jahre spielt. Müsste ich auseinander dividieren wieviel Raum West-Berlin, die historischen Gegenheiten und der Fall in diesem Buch einnehmen, würde ich vom Gefühl her: jeweils ein Drittel. Und genau das macht es für mich lesenswert.
West-Berlin. Der Roman geht auf viele viele Straßen, Firmen, Lokalitäten und Orte ein, herrlich, wenn man das alles kennt aus und sich fast bildlich mitbewegen kann.
Historischer Abriss. Sehr gelungen wird hier alltäglich aufgerollt was damals in West-Berlin unf überhaupt in der BRD abging, wie die revolutionären linken Kräfte gewütet haben, wie sie diskutierten und selbst von einer sozialistischen Utopie überzeugt waren. Ich spürte förmlich wie die angewiderte Abwendung von der Nazi-Vergangenheit überdreht in die sozialistisch utopische Welt. Und wie durch diese Radikalität aber uns heute normale Veränderungen ihren Ursprung nahmen, wie Gleichberechtigung oder Nicht-Vervolgung von Homosexuellen oder Abtreibungsmöglichkeiten.
Der Fall. Spannend, auch wenn es ein wenig abgesehbar ist warum die Dame im Wannsee landetete ist der Fall gut ge- und beschrieben. Vor allem macht dieser Fall in seiner politischen Komplexität mit dem kantigen und reflektierten Kommissar Heller den page turner aus.

Die Sprache ist rau und auch ruppig, aber sehr passend zu der damaligen Zeit. Da der Roman von drei Herren, Lutz/Wilhelm/Kellerhoff, in einer gemeinsamen Schreibübung zu Papier gebracht wurde, war ich erst skeptisch ob es Brüche gibt beim Lesen, aber nach 80 Seiten meinte ich keine mehr zu bemerken. Auch der cineastische Hintergrund zweier der Autoren ist klar erkennbar, aber aus meiner Sicht wunderbar umgesetzt. Was mir fällt, war an der ein oder anderen Stelle ein wenig Berliner Zunge, es gab da schon Charaktere, die ein wenig „ick“, „wat“ und „dit“ vertragen hätten.

Fazit: Ein Muss für alle ehemaligen West-Berliner und für Krimi-Fans, die es mögen, wenn das Buch mehr zu bieten hat als einen Fall zu lösen.

Veröffentlicht am 01.09.2018

Capus ist ein sprachliches Genie!

Königskinder
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Als ich zu lesen begann, da dachte ich: “Ach, so ein schmales Bändchen, das liest sich doch (leider) schnell weg!“ Und dann hatte ich das Gefühl, dass der Schreibstil von Alex Capus mich zum langsamen ...

Als ich zu lesen begann, da dachte ich: “Ach, so ein schmales Bändchen, das liest sich doch (leider) schnell weg!“ Und dann hatte ich das Gefühl, dass der Schreibstil von Alex Capus mich zum langsamen Lesen förmlich zwingt. Ich fühlte mich bereit für einen Sprint, aber ich spazierte eher durch den Roman – ein echter Entschleuniger! Positiv gemeint.
Der ganze Roman ‚Königskinder’ mit seiner zweigeteilten Erzählweise empfand ich zwiespältig. Da waren Max und Tina eingeschneit im Auto auf einer Passstraße und Max erzählt nun diese Geschichte von diesem Liebespaar im 18. Jahrhundert. Diese märchenhafte Erzählung um Jakob und Marie hat so eine poetische Kraft, es bräuchte den Erzählrahmen der Gegenwart aus meiner Sicht nicht. Auch als stilistischer Gegenentwurf beider Paare ist es interessant, aber fast eine Überladung. Es trat bei mir eher ein Gewöhnungseffekt ein, dass ich förmlich auf die Unterbrechung der eigentlichen Geschichte wartete.

Die Liebesgeschichte von Jakob und Marie ist eine zarte und unschuldige Liebe, die eingebettet in den französischen Höhepunkt der Revolution seinen Lauf nimmt. Wirklich schön daran ist, die märchenhafte, fast lyrische Sprache und die akzentuierte Genauigkeit bei den historischen Details, wenn es beispielweise um den französischen Königshof geht.

Fazit: Mir hätte die unaufgeregte Liebesgeschichte aus dem 18. Jahrhundert als Erzählung vollkommen gereicht, da sprachlich überzeugend und einfach schön zu lesen. Trotz Kritik, ein sehr lesenswertes feines Buch!

Veröffentlicht am 27.08.2018

Ägypten - 50er Jahre - Oberschicht - eine historische Betrachtung

Snooker in Kairo
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"Du bist was du bist. Ein Mensch, der in Ägypten geboren wurde, auf eine englische Schule gegangen ist, viele Bücher gelesen hat und Phantasie besitzt." (S 121)
Der Roman beginnt in dieser deutschen Ausgabe ...

"Du bist was du bist. Ein Mensch, der in Ägypten geboren wurde, auf eine englische Schule gegangen ist, viele Bücher gelesen hat und Phantasie besitzt." (S 121)
Der Roman beginnt in dieser deutschen Ausgabe mit einem Vorwort von Diana Athill, einer Autorin und enger Freundin des Autors Waguih Ghali. In diesem erfährt man, dass Waguih Ghali sich 1969 umbrachte und ihre Sicht auf den Autor. Mit diesem Wissen und auch dem Fakt, dass der Roman recht autobiografische Elemente enthält, bin ich viel interessierter an die Lektüre gegangen. Dieser einzige im Original auf Englisch erschiene Roman Snooker in Kairo ("Beer in the snooker room") von Waguih Ghali erschien 1964 und wurde nun endlich ins Deutsche übersetzt.
Es geht um einen jungen koptischen Ägypter aus der Oberschicht, der selbst arm wie eine Kirchenmaus ist, sich selbst als Intellektuellen und Kosmopolit versteht. Dadurch belächelt er sein reiches, aber dummes Umfeld - und das alles im Ägypten der 50er Jahre, wo die Revolution Ägypten genauso prägte wie der Krieg am Suez. Er verbringt mit seinem besten Freund einige Zeit in England und ist dann vollends ein Weltbürger ohne echte Heimat.
"[...] ich hatte den Punkt an Trunkenheit erreicht, da sich Selbstbewusstsein zu Selbstgefälligkeit aufbläht." (S. 105)
Mir hat der Roman einen unkonventionellen Blick in die 50er Jahre in Ägypten auf die Oberschicht erlaubt, die mich aber auch etwas langweilte. Weil die Handlung hauptsächlich aus dem Leiden des Protagonisten besteht - der Schlaue, der Heimatlose, der Unverstandene und Liebende.
Positiv fand ich, dass es ein Glossar gab wo viele Personen der damaligen Zeit kurz erklärt werden, da die politischen Diskussionen im Roman sonst ohne tiefes geschichtliches britisches Wissen teilweise nicht nachvollziehbar wäre aus heutiger Sicht.
"Wie sehr man liebt, merkt man erst, wenn man den, den man liebt, verloren glaubt; und oft liebt man erst dann richtig, wenn es sich so anfühlt, als würde die eigne Liebe nicht erwidert." (s. 131)
Dieser Roman lässt mich in einem Zwiespalt zurück. Ich habe es gerne gelesen, aber ohne das Wissen um den Autor hätte der Text an sich mich nicht so gefesselt.