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Veröffentlicht am 18.10.2017

Nur er und ich und das Meer - Ein neuer, spannender Fall für Marlene Borchert

Atemlose Stille
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Der Prolog beginnt dramatisch. Ein Mann steckt hilflos in einer mannshohen Röhre voller Wasser. Ein Deckel ermöglicht ihm kein entkommen. Schnell noch erfasst sein Blick eine Frau und plötzlich trifft ...

Der Prolog beginnt dramatisch. Ein Mann steckt hilflos in einer mannshohen Röhre voller Wasser. Ein Deckel ermöglicht ihm kein entkommen. Schnell noch erfasst sein Blick eine Frau und plötzlich trifft ihn eine bittere Erkenntnis. Ob sein Atem reichen wird?

Die Mindener Kriminalhauptkommissarin Marlene Borchert und der Bielefelder Leiter der Mordkommission Kommissar Benno Erdmann ermitteln in einem neuen Mordfall, nachdem eine männliche Leiche, verkantet in einem Mühlenradgestell, Kopf unter in der Weser, von einem Spaziergänger aufgefunden wird.

Schnell stellt sich heraus, dass der Tote nicht in der Weser ertrunken ist, denn in seinen Lungen befinden sich Spuren von Salzwasser und zusätzlich weist der Leichnam eine merkwürdige Brandwunde auf. Bei dem Toten handelt es sich um den Bad Oeynhausener Banker Ralf Diekmann, der vor drei Wochen spurlos verschwunden ist. Der Gerichtsmediziner versichert jedoch glaubhaft, dass der Todeszeitpunkt maximal eine Woche zurückliegt.

Marlene und Benno stehen vor einem unlösbaren Rätsel, bis ihre Ermittlungen in einem Meer aus Gefahren münden, das ihr Leben ernsthaft bedroht.

Die Autorin:

Meike Messal wurde 1975 in Minden geboren. Nach dem Abitur lebte sie für einige Zeit in Israel und Südafrika und studierte in Hamburg Germanistik, Anglistik und Amerikanistik. Mittlerweile wohnt sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in ihrer Heimat und unterrichtet an einem Mindener Gymnasium. Nachtfahrt ins Grauen ist ihr erster Kriminalroman. (Quelle: Prolibris Verlag)

Reflektionen:

Atemlose Stille ist der zweite Kriminalroman von Meike Messal. Mich hatte bereits ihr erster Kriminalroman Nachtfahrt ins Grauen begeistert und so waren meine Erwartungen recht hoch.

Meike Messal legt direkt einen hochspannenden Prolog vor und ich fühlte mich direkt wie nach Hause gekommen, hach.

Angenehm flüssig und in kurzen prägnanten Sätzen gleitet man durch die Seiten des außerordentlich verständlich geschriebenen, neuen OWL-Krimis (Ostwestfalen-Lippe). Das Sahnehäubchen bilden schmucke Metaphern und maßvolle Beschreibungen der Mindener Natur- und Örtlichkeiten.

Zu Anfang wird die Handlung in mehreren, teilweise rückblickenden Perspektiven erzählt, die der Spannung zuträglich dienen. Der Wechsel der Perspektiven nimmt jedoch mit der Weiterentwicklung der Handlung ab, bis die Erzählstränge nachvollziehbare Schlüsse erlauben. Für mich persönlich wurde die intelligent verstrickte Geschichte schon recht früh vorhersehbar, jedoch ohne dass ich das als störend empfand, denn Meike Messal kreierte dennoch weitere Wendungen, die mich angenehm überraschen konnten und mich in einem hohen Tempo durch die Seiten lesen ließen.

Die Charakterzeichnungen der Hauptfiguren haben mir erneut besonders gut gefallen. Der Umgang, den Marlene und Benno miteinander pflegen und die Konflikte die Marlene aus ihrer Vergangenheit in sich trägt bieten interessantes Futter für eine in sich harmonische und glaubhafte Handlung. Besonders zuträglich wirkt da auch die kompetent und authentisch inszenierte Ermittlerarbeit, die die beiden jedoch in diesem Fall nicht vor lebensbedrohenden Situationen retten kann.

Die sich dezent entwickelnde Liebesbeziehung zwischen Marlene und Benno war mir für einen Kriminalroman jedoch etwas too much. Zwar genoss ich wirklich jeden Gedankengang des sensiblen und besonders behutsam vorgehenden Romantikers Benno, den ich längst in mein Herz geschlossen habe, aber in einem Kriminalroman möchte ich von Spannung angetrieben werden und nicht von zu viel Liebelei gebremst werden. Dementsprechend empfand ich sogar „fast“ einzelnen Längen, aber ich tat gern so, als lese ich gerade einen Roman, zwinker, und prompt fand ich mich in einem Pagturner wieder.

Insgesamt hat mich der Kriminalfall sehr gut und spannend unterhalten, so dass ich diesen Krimi absolut gern weiterempfehle, wenn man bereit ist, auch von einer Love-Story im Kriminalroman zu lesen.

Fazit und Bewertung:

Erneut ein spannender Kriminalfall für die ostwestfälischen Kommissare Marlene Borchert und Benno Erdmann. Glaubhaft inszenierte Ermittlerarbeit und ein interessanter, authentischer Fall inklusive Lovestory, garantieren unterhaltsame Lesestunden.


©nisnis-buecherliebe

Veröffentlicht am 18.10.2017

Expedition Papillon – Mystisch, geheimnisvoll und literarisch gelungen

Palast der Finsternis
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Jungakademikerin Anouk und vier weitere Jugendliche erhalten die Einladung, den seit der Französischen Revolution verschütteten Palast der adligen Familie Bessancourt in Paris zu erforschen.

Als sich ...

Jungakademikerin Anouk und vier weitere Jugendliche erhalten die Einladung, den seit der Französischen Revolution verschütteten Palast der adligen Familie Bessancourt in Paris zu erforschen.

Als sich die Jugendlichen zum ersten Mal am Flughafen treffen wird deutlich, dass die personelle Zusammensetzung der Gruppe nicht verschiedener hätten sein können. Erste Befindlichkeiten stören die Atmosphäre der Gruppe, bevor sie ohne Sicherheitscheck und Passkontrolle First-Class nach Frankreich fliegen.

Bereits kurz nach dem sie das Palais betreten, das einst als Versteck der Familie Bessancourt erbaut wurde, spüren sie, dass das Experiment unter merkwürdigen Voraussetzungen steht und sie vor dem größten Abenteuer ihres Lebens stehen. Noch können sie die Gefahr nicht erkennen, aber je mehr Türen sie in dem alten Schloss öffnen, umso mehr müssen sie erkennen, dass sie sich tief am Abgrund befinden.

Der Autor:

Stefan Bachmann, geboren 1993 in Boulder/Colorado, lebt in Zürich, wo er seit seinem 11. Lebensjahr das Konservatorium besucht (und dort inzwischen den Bachelor in den Fächern Orgel und Film-Komposition absolviert). Sein von der Liebe zu Steampunk, Charles Dickens und C.S. Lewis’ ›Chroniken von Narnia‹ inspiriertes Debüt, ›Die Seltsamen‹, war ein Riesenerfolg in den USA und auch in Deutschland. (Quelle: Diogenes Verlag)

Reflektionen:

Stefan Bachmann hat mich sprachlich sehr beeindruckt. Schon nach wenigen Seiten genoss ich jeden Satz seiner ungezwungen und besonders leichtfüßigen Art zu schreiben. Außergewöhnliche Formulierungen, ein Hauch von Poesie ineinander verschmelzend mit einem modernen, umgangssprachlichen Ausdruck und zarten Metaphern, waren ein besonderes Leseerlebnis.

Stefan Bachmann hat die jugendlichen Charaktere der Projekt-Kandidaten ausdrucksstark und intensiv gezeichnet, auch wenn manche Figuren blasser erschienen als andere.

Das Experiment ist eine wahre Herausforderung an die Gruppe der Jugendlichen. Interessant gezeichnet sind die Konflikte, die die Kandidaten untereinander austragen. Die Geschichte kitzelt sie bis aufs Blut, so dass sie ihr jeweiliges Schneckenhaus verlassen müssen und emotionale Reaktionen damit auslösen. Zu diesem Zeitpunkt hat der Autor jeden gewöhnlichen Plot bereits hinter sich gelassen. Lösung des Rätsels und die Befreiung von der Gefahr kann nur erfolgen, wenn sie gemeinsam das Ziel erkennen und gemeinsam agieren.

Die Jugendlichen öffnen nach und nach Türen im alten Palais, denn sie suchen den Ausgang, um der schwelenden Gefahr zu entkommen, die sie zunächst absolut nicht einschätzen und einordnen können. Stefan Bachmann versteht es, den Leser in die Welt der Geschichte zu ziehen und er kreiert eine düstere und geheimnisvolle Stimmung, die dafür sorgt, dass die Spannungskurve kontinuierlich anwächst. Hinter jeder Tür lauert eine Gefahr, die das Leben der fünf absolut bedroht. Die fünf Kandidaten haben jedoch keine Chance, dahinterzukommen warum sie überhaupt ausgewählt wurden.

Abwechslungsreich und spannungsfördernd pointiert Bachmann die Perspektiven, die zwischen dem Hier und Jetzt der Gruppe und den Schlossbewohnern zur Zeit der Französischen Revolution wechseln, so dass die Zeitsprünge die Handlung bereichern und interessanter gestalten.

Trotz, dass mich Stefan Bachmann literarisch schwungvoll überrascht hat und mich seine skurrile Geschichte in den Bann ziehen konnte, war ich es irgendwann leid, dass sich die Story nicht kontinuierlich weiterentwickelt hat. Ich war das Türenöffnen im Schloss fast ein bisschen leid, obwohl sich hinter ihnen explosive Gefahr und Abenteuer verbarg, da einzelne Szene zu ausschöpfend erzählt wurden. Ich empfand Längen und vermisste Futter für eine fundierte Handlung.

Den Roman kann man nicht eindeutig einem Genre zuordnen. Gekonnt vermischt Stefan Bachmann Mystery-, Fantasy-, Thriller- und Horror-Elemente. Es wird blutig, aber alles in Maßen, so dass auch der Romanleser, plötzlich helle Freude über den Thrill des Romans empfinden kann.

Fazit und Bewertung:

Palast der Finsternis von Stefan Bachmann

Stefan Bachmann erzählt eine außergewöhnliche Geschichte, in einem leichtfüßigen und ungezwungenen Stil. Außergewöhnliche Formulierungen, ein Hauch von Poesie ineinander verschmelzend mit einem modernen, umgangssprachlichen Ausdruck und zarten Metaphern, waren ein besonderes Leseerlebnis.

Die Geschichte erzählt von fünf Jugendlichen, die sich auf das Projekt einlassen, ein verschüttetes Palais zu erforschen. Doch sie erwartet das größte und gefährlichste Abenteuer ihres Lebens.

Trotz ein paar empfundener Längen empfehle ich diesen Roman sehr gern.

©nisnis-buecherliebe.de

Veröffentlicht am 11.10.2017

Engel. Teufel. Engel. – Brandaktuell, top recherchiert und spannend

Jenseits
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Gent Sassenthin bricht sein Medizinstudium ab, nach dem er mit dem Suizid seiner Zwillingsschwester nicht klarkommt. Er empfindet blinde Wut, greift zu Drogen, trinkt viel Alkohol und lässt sich gehen. ...

Gent Sassenthin bricht sein Medizinstudium ab, nach dem er mit dem Suizid seiner Zwillingsschwester nicht klarkommt. Er empfindet blinde Wut, greift zu Drogen, trinkt viel Alkohol und lässt sich gehen. Als er dem Abgrund nah in ein Taxi steigt, erkennt der muslimische Fahrer, wie dreckig es ihm geht. Der ruhige, weise erscheinende Abdallah wendet sich Gent zu. Zum ersten Mal fühlt sich Gent gesehen und wahrgenommen. Alles Schmutzige ist verschwunden und der Drang wegzulaufen verflüchtigt sich. Nichts muss mehr verborgen werden und er muss sich nicht mehr verstecken. Gent konvertiert zum Islam, findet offensichtlich innere Ruhe und schließt sich der Terrorgruppe islamischer Staat an. In Syrien angekommen, vollstreckt er Urteile an Dieben, indem er ihnen die Hände amputiert.

Ein Jahr nach Gents Verschwinden, erhalten seine Eltern eine Nachricht von ihm.

Will Gent aussteigen?

Der Autor:

Yassin Musharbash, geboren 1975, hat deutsche und jordanische Vorfahren. Während des Studiums der Arabistik und Politologie begann er als Journalist zu arbeiten, u.a. für die taz und Jordan Times. Seit etlichen Jahren beschäftigt er sich mit den Themen Terrorismus, Innere Sicherheit und Umwälzungen in der arabischen Welt, zunächst als Redakteur bei Spiegel Online, heute im Investigativ-Ressort der Wochenzeitung Die Zeit. 2006 erschien sein Buch »Die neue Al-Qaida. Innenansichten eines lernenden Terrornetzwerks« (KiWi 932), 2011 sein Thriller »Radikal« (KiWi 1289). (Quelle: KiWi)

Die Journalistin Merle Schwalb vom »Globus« wittert die größte Geschichte ihrer Karriere. Der Verfassungsschützer Sami Mukhtar im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum in Berlin hofft auf den Fall, an dem er sich endlich beweisen kann. Der Sozialarbeiter Titus Brandt von der Beratungsstelle »Amal« behält ein gefährliches Geheimnis zu lange für sich. Was passiert, wenn alle das Richtige wollen – aber nichts so ist, wie es scheint?

Reflektionen:

Nach seinem gelungenen Roman Radikal zeichnet Yassin Musharbash einen vielversprechenden, aktuellen und authentischen Polit-Thriller.

Der junge Mann Gent wendet sich aus seiner persönlichen Labilität heraus, dem Islam zu und schlägt den Weg eines Dshihadisten ein. Eine tragische Geschichte, die immer wieder passiert und von der wir längst gelesen haben. Doch Yassin Musharbash zeigt nicht nur die Tragik, des verlorenen Sohnes. Er zeigt gekonnt und fundiert auf, wie sich Entscheidungsträger innerhalb der Sicherheitsbehörden aufführen, wie überfordert sie sind, wie sie arbeiten, gegeneinander und miteinander, wie sie abwägen und auch wie sie von ihren persönlichen Schicksalen beeinflusst sind. Verfassungsschützer Sami Mukhtar will sich endlich beweisen.

Musharbash stellt in seinem Thriller auch die Funktionalität und das Machtgehabe der Presse dar. Innerhalb dieser Institution wollen Journalisten einerseits die Öffentlichkeit informieren, andererseits spielen Macht und Geld sowie ebenfalls persönliche, menschliche Ziele eine tragende Rolle und beeinflussen auch hier das Handeln. Die taffe Journalistin Merle glaubt auf die größte Story ihrer Karriere gestoßen zu sein.

Jenseits ist hervorragend recherchiert. Das beweist die Authentizität der Geschichte. Fiktion und Realität agieren hierin so harmonisch, dass man sie nicht unterscheiden kann. Besonders gut sind die Konflikte beschrieben, die die Eltern Gents mit sich austragen, die bei Sozialarbeiter Titus Brandt Hilfe suchen und an Selbstvorwürfen fast zugrunde gehen.

Jenseits ist nicht einfach zu lesen. Früh, bereits nach den ersten Seiten, ist eine intensive Tiefgründigkeit zu erahnen, aber lange Zeit kann man sie zunächst nicht greifen und für sich deuten. Einerseits hebt das die Spannungskurve an, andererseits tüftelt man angestrengt und hochkonzentriert durch die Perspektiven.

Die Szenerien in allen Perspektiven sind ernüchternd, erschreckend und teilweise menschlich nachvollziehbar zugleich. Ob es um Gents persönliche Geschichte geht, um seinen Weg zum IS, um seine Eltern, die eine Beratungsstelle aufsuchen, um die Mitarbeiter beim Verfassungsschutz oder um eine taffe Journalistin. Die vielen Perspektiven ermöglichen es, die Geschichte von vielen Standpunkten aus zu betrachten. Man kann so Ahnungen entwickeln, was richtig und was als falsch bewertet wird, aber die Wahrscheinlichkeit die reine Wahrheit zu erkennen, bleibt in einem authentisch inszenierten Nebel gewollt nur schemenhaft erkennbar.

Gent als Dschihadist löst eine Kette von angenehm komplexen und hochspannenden Vertrickungen und Wendungen aus. Yassin Musharbash zeigt auf, wie sich der Rattenschwanz entwickelt und wie man gedenkt ihn zu entwirren zudem gewährt er einen tiefen Einblick in die Entwicklung von Gents radikalen Gedankenguts.

Der Einstieg in die Geschichte ist mir persönlich nicht ganz leichtgefallen. Ich benötigte etwas Lesezeit, um mich an den Stil des Autors zu gewöhnen. Die Sprache hingegen ist wohl und klar formuliert, sodass man ihr nach dem warm-up gut folgen kann.

Die Charaktere zahlreicher Figuren sind intensiv und tiefgründig dargestellt. Musharbash zeichnet sie stets aus einer persönlichen und menschlichen Perspektive und stellt die von der Gesellschaft erwartete geschickt gegenüber.

Nach seinem hoch gelobten Roman »Radikal« legt Yassin Musharbash nun einen Politthriller vor, der kaum aktueller sein könnte: Wie überfordert sind die Sicherheitsbehörden? Wie sollen wir umgehen mit den Terroristen aus der Mitte unserer Gesellschaft? Und vor allem: Was passiert eigentlich in deren Köpfen?

Fazit und Bewertung:

Der spannende Polit-Thriller Jenseits befasst sich brandaktuell mit der Gesinnung und Entwicklung von radikalen Terroristen in unserer Gesellschaft. Yassin Musharbash legt in seinem Thriller Jenseits mit der Geschichte um den jungen Gent dar, wie Sicherheitsbehörden und Presse arbeiten und wieviel Mensch doch noch hinter einzelnen Handlungen stecken, die Folgenschweres damit verursachen.

Jenseits ist top recherchiert und in seiner Tiefgründigkeit keine leichte Kost. Dieser Thriller ist für all jene empfehlenswert, die gern einen ernüchternden Blick in unsere Gesellschaft werfen und die es gern komplex und auch politisch mögen.

4 Sterne

©nisnis-buecherliebe

Veröffentlicht am 08.10.2017

Rache oder Gerechtigkeit? 4. Teil der Reihe mit Maarten S. Sneijder und Sabine Nemez

Todesreigen
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Nachdem eine Reihe von Kollegen auf brutale Art Selbstmord begangen haben, wird Sabine Nemez – Kommissarin und Ausbilderin beim BKA – misstrauisch. Vieles weist auf eine jahrzehntealte Verschwörung und ...

Nachdem eine Reihe von Kollegen auf brutale Art Selbstmord begangen haben, wird Sabine Nemez – Kommissarin und Ausbilderin beim BKA – misstrauisch. Vieles weist auf eine jahrzehntealte Verschwörung und deren von Rache getriebenes Opfer hin. Sabine bittet ihren ehemaligen Kollegen, den vom Dienst suspendierten Profiler Maarten S. Sneijder, um Hilfe. Doch der verweigert die Zusammenarbeit, mit der dringenden Warnung, die Finger von dem Fall zu lassen. Dann verschwindet Sabine spurlos, und Sneijder greift selbst ein. Womit er nicht nur einem hasserfüllten Mörder in die Quere kommt, sondern auch seinen einstigen Freunden und Kollegen, die alles tun würden, um die Sünden ihrer Vergangenheit endgültig auzulöschen ...

Der Autor:

Andreas Gruber, 1968 in Wien geboren, lebt als freier Autor mit seiner Familie in Grillenberg in Niederösterreich. Er hat bereits mehrere äußerst erfolgreiche und preisgekrönte Erzählungen und Romane verfasst. (Quelle: Goldmann Verlag)

Reflektionen:

Todesreigen ist der 4. Teil der Reihe mit Maarten S. Sneijder und Sabine Nemez, den man durchaus auch als stand alone lesen kann. Allerdings fehlen dann tiefergehende Informationen zu den einzelnen Figuren, die sich bereits in den vorherigen Bänden gefestigt haben.

Todesreigen ist angenehm komplex und doch süffig, wie ein lieblicher Wein. Andreas Gruber verwöhnt den Leser mit einem angenehm flüssigen Stil, taffen Dialogen und einer leichten, zeitweise umgangssprachlichen Sprache, je nachdem, welcher Charakter dies verlangt.

Sabine Nemez und Tina Martinelli sehen sich den Tatorten eines brutalen Serientäters gegenüber. Es scheint, als treibe der Täter Polizeikollegen in den Freitod, nach dem ein Familienangehöriger ermordet wurde.

Maarten S. Sneijder bleibt auch weiterhin suspendiert und unterrichtet derweil an der Universität als Dozent. Als Sabine Nemez Sneijder um Hilfe bitten will, bleibt der augenscheinlich gewohnt stur und verneint. In Wahrheit aber, will auch Sneijder Aufklärung, denn es dreht sich alles um die BKA-Gruppe 6, zu der auch er einmal gehörte.

Dieser Thriller wird in zwei Haupterzählsträngen erzählt. Zum einen verfolgt man die Ermittlungen von Sabine Nemez und Tina Martinelle, die gut als Team zusammenarbeiten. Man bangt um sie, denn natürlich schweben sie bald in Gefahr und können niemandem mehr vertrauen. Der zweite Erzählstrang ist aus der Sicht von Hardy erzählt. Hardy hatte eine kurze Karriere bei der Polizei, bevor er ein eigenes Drogengeschäft aufzog, es zu eskalierenden Situationen mit der Konkurrenz kam und man ihn des Mordes an seiner Familie verurteilte. Nach zwanzig Jahren wird Hardy aus der Haft entlassen und er sucht nach den Mördern seiner Familie.

Die Perspektiven spielen immer mal wieder mit Rückblicken, die die Geschichte intensivieren und doch empfand ich die Todesfälle, die typischer Weise alle nach demselben Muster abliefen, fast langweilig. Brutal und blutig waren sie, aber mir fehlte die Konsistenz der Dramaturgie und der Überraschungseffekt. Ich las die vorhersehbaren Fälle weg, konnte zu früh Gut und Böse unterscheiden, sodass die Konstante der Spannungskurve ins Trudeln geriet und ich sogar Längen empfand.

Gut gefallen hingegen haben mir die gewohnt guten Charakterzeichnungen. Der Unsympath Maarten S. Sneijder im Besonderen, wobei seine Redensart und sein Handeln manches Mal nur knapp an der Grenze zum too much vorbeischlitterte.

Das Ende empfand ich actionreich und doch fehlte mir das Sahnehäubchen einer irrwitzigen Wendung, dass man von Autor Andreas Gruber durchaus hätte erwarten dürfte.

Fazit und Bewertung:

Todesreigen von Andreas Gruber ist der 4. Teil der Reihe mit Maarten S. Sneijder und Sabine Nemez. Weniger Vorhersehbarkeit und etwas mehr Dramaturgie hätten diesem Thriller gutgetan. Meine Erwartungen wurden nicht ganz erfüllt und dennoch darf man insgesamt spannende Lesestunden erwarten.

©nisnis-buecherliebe

4 Sterne

Veröffentlicht am 26.09.2017

Verlust der Menschlichkeit – Eindrucksvoll, bedrückend und auf die heutige Zeit übertragbar

Der Junge auf dem Berg
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Kurz vor dem 2. Weltkrieg lebt der kleine Pierrot mit seinen Eltern in Paris. Seine Kindheit ist unbeschwert, bis er seinen Vater an den dunklen Wolken der Kriegserinnerungen verliert und seine Mutter ...

Kurz vor dem 2. Weltkrieg lebt der kleine Pierrot mit seinen Eltern in Paris. Seine Kindheit ist unbeschwert, bis er seinen Vater an den dunklen Wolken der Kriegserinnerungen verliert und seine Mutter plötzlich stirbt.

Pierrot muss seinen Hund und seinen einzigen Freund Anshem, ein Judenkind, zurücklassen, als er in ein Waisenhaus kommt. Aber sie schwören sich, nie den Kontakt abzubrechen. Pierrots Zeit im Waisenhaus ist überschaubar, denn die Schwester seines Vaters holt ihn zu sich. Zu sich auf den Berg, wo sie in der Sommerresidenz Adolf Hitlers lebt und arbeitet.

Von da an verändert sich Pierrots Leben. Es beginnt damit, dass er von nun an nicht mehr Pierrot, sondern Peter heißt, seine Herkunft und seinen jüdischen Freund verleugnen muss. Während Peter heranwächst beeinflusst der charismatische Führer Peters Entwicklung und Lebenseinstellung drastisch, bis er treuergeben einen unverzeihlichen und tödlichen Verrat begeht.

Der Autor:

John Boyne wurde 1971 in Dublin, Irland, geboren, wo er auch heute lebt. Er ist der Autor von sechzehn Romanen, darunter ›Der Junge im gestreiften Pyjama‹, der sich weltweit sechs Millionen Mal verkaufte, zahlreiche internationale Buchpreise gewann und mit großem Erfolg verfilmt wurde. John Boynes Romane wurden in über vierzig Sprachen übersetzt.

Reflektionen:

Pierrot ist klein und unscheinbar und er ist stets der Letzte, den andere Kinder in ihre Gruppe wählen. Man hänselt ihn, man bedroht ihn und Pierrot wünscht sich eines Tages so viel Macht und Kraft zu besitzen, dass er sich wehren kann. Er leidet sehr, dass sein geliebter Vater tot ist. Er bewundert ihn, hält ihn für einen Kriegshelden und eines Tages, will er ihn stolz machen.

Als der kleine Pierrot auf dem Berg ankommt, verändert sich sein Leben rasant. Strenge Regeln beherrschen von nun an sein Leben. Er ist zutiefst betrübt, dass er seinen jüdischen Freund verleugnen muss und er versteht nicht, warum er von nun an Peter heißen muss.

Im Laufe der Zeit saugt Pierrot alles in sich auf, was um ihn herum geschieht. Er bewundert den Führer, wie der Macht ausübt, wie alle strammstehen, wenn er etwas sagt und er bewundert die Männer in Uniform, die mit ihren Gewehren patrouillieren

Als er vom Führer eine Uniform der Hitlerjugend geschenkt bekommt, wandelt sich auch sein Gemüt langsam und er selbst setzt sich das Ziel, eines Tages ebenso machtvoll zu sein.

In den alltäglichen Handlungen des Jungen schildert John Boyne die Entwicklung des Jungen unter dem Einfluss Adolf Hitlers glaubwürdig. Zunächst ist er ein kleiner, hilfloser Junge, der als Kind erste Erfahrungen mit dem Antisemitismus macht, die er jedoch noch nicht einordnen kann. Als er dann erste Machtspiele entwickelt verzeiht man ihm noch, doch umso älter Peter wird, umso deutlicher wird es, dass er die charismatischen Eigenschaften des Führers übernimmt und die Welt des Nationalsozialismus eintaucht.

Es ist erschreckend authentisch, wie John Boyne die vom Führer gezielt angewandte Beeinflussung und Manipulation auf den Jungen überträgt. Und es ist unfassbar, wie weit sie den Charakter des zunächst äußerst labilen Jungen prägen, der immer mehr seine Menschlichkeit verliert. Der kleine Pierrot weckt Mitleid, während der Heranwachsende auch die Emotionen des Lesers in abstoßend wandelt.

John Boynes Schreibstil ist flüssig und angenehm kurzweilig zu lesen. Es blitzen kleine literarische Perlen im Ausdruck auf, aber dieses Buch ist nicht mit dem hochemotionalen Werk der Junge im gestreiften Pyjama gleichzusetzten. Aber ich finde es auch nicht recht, den Jungen auf dem Berg mit dem Jungen im gestreiften Pyjama gleichzusetzten, denn dieses hier ist inhaltlich von menschlicher Kälte geprägt, während das erstere emotional tief berührt.

Für mich persönlich war dieses Buch durchaus ein Pageturner, da ich der Begegnung Pierrots mit Hitler fiebernd entgegen las. Die Spannungskurve entwickelte sich in gemäßigtem Tempo nach oben, aber dennoch knisterte die Spannung auf jeder gelesenen Seite.

Die Geschichte ist historisch alt und dennoch ließe sie sich auf die heutige Zeit übertragen, wenn man beispielsweise an die Manipulation und Beeinflussung von Jugendlichen durch propagandistische Salafisten denkt. Und deshalb wäre es eine gute Idee, diese wertvolle Geschichte Jugendlichen der höheren Klassen in der Schule an die Hand zu geben und mit ihnen darüber zu diskutieren.

Fazit und Bewertung:

John Boye schreibt eindrucksvoll über die jugendliche Verführbarkeit, die Manipulation und über eine Charakterentwicklung bis hin zum Verlust der Menschlichkeit. Authentisch und glaubwürdig erlebt man in diesem Buch mit, wie der charismatische Einfluss Hitlers das Leben Pierrots beeinflusst und fast zerstört.

Die Geschichte ist historisch alt und dennoch ließe sie sich auf die heutige Zeit übertragen, wenn man beispielsweise an die Manipulation und Beeinflussung von Jugendlichen durch propagandistische Salafisten denkt. Und deshalb wäre es eine gute Idee, diese wertvolle Geschichte Jugendlichen der höheren Klassen in der Schule an die Hand zu geben und mit ihnen darüber zu diskutieren.

Leseempfehlung.

©nisnis-buecherliebe