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Pantoffeltier

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.11.2023

Was ist eine "starke Frau"?

Vom Himmel die Sterne
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Sallie Kincaid ist die Tochter des Dukes, eines der mächtigsten Männer in Virgina. Nach dem Tod ihrer Mutter und einem Zerwürfnis mit der neuen Frau des Dukes wird Sallie verstoßen. 10 Jahre später, nachdem ...

Sallie Kincaid ist die Tochter des Dukes, eines der mächtigsten Männer in Virgina. Nach dem Tod ihrer Mutter und einem Zerwürfnis mit der neuen Frau des Dukes wird Sallie verstoßen. 10 Jahre später, nachdem seine neue Frau gestorben ist und der Duke sich anschickt wieder zu heiraten, kehrt Sallie ins Haus ihres Vaters zurück. Sie weigert sich zu heiraten und sich in die traditionelle Frauenrolle zu fügen, stattdessen steigt sie in die Geschäfte des Dukes ein.

Die Bewertung fällt mir ziemlich schwer. Die Handlung entwickelt sich nach einem gemütlichen Anfang rasant. Es gibt eine große Anzahl von Todesfällen und Tragödien und so ziemlich jede Ehe ist unglücklich. Die Prohibition und die mit Alkoholschmuggel verbundenen Bandenkriege verschärfen die Situation noch.
Auf der Strecke blieb die Personenentwicklung. Gerade die Nebenfiguren bleiben sehr vage beschrieben und auch das mafiöse System des Duke wird nicht ausreichend durchleuchtet. Sallie versucht ein guter Mensch zu sein und den Armen zu helfen, ist aber qua Geburt Teil eines mafiösen Systems. Ich hätte es wahnsinnig spannend gefunden hier, außerhalb der schwierigen nahezu rechtslosen Stellung der Frauen in der Ehe, mehr zu erfahren. Gerade das Auflösen des unreflektieren Hochlebens von "starken Frauen" fände ich spannend. Heißt es "eine starke Frau zu sein" sich wie ein Mann zu verhalten und heißt das, dass alle Frauen an sich erst einmal schwach sind? Ist ein weiblicher Mafiaboss besser als ein männlicher? Kann Sallie nur eine starke Frau sein, so lange sie nicht verheiratet ist und bedeutet eine Ehe (zu dieser Zeit?) automatisch die Unterwerfung unter den Mann? Diese (und andere) Fragen werden für meinen Geschmack zu oberflächlich behandelt und das Potential der eigentlich spannenden Geschichte nicht komplett ausgeschöpft.
3,5 Sterne von mir.

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Veröffentlicht am 24.10.2023

Anstrengend, aber lesenswert

Jenny | Der große Frauen- und Emanzipationsroman von Fanny Lewald | Reclams Klassikerinnen
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Die 16jährige Jenny entstammt einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie. Mit ihrem fröhlichen, offenen Wesen, ihrer Bildung und vor allem ihrer Schönheit, zieht sie bei gesellschaftlichen Anlässen ...

Die 16jährige Jenny entstammt einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie. Mit ihrem fröhlichen, offenen Wesen, ihrer Bildung und vor allem ihrer Schönheit, zieht sie bei gesellschaftlichen Anlässen viel Aufmerksamkeit auf sich. Sie verliebt sich in den bescheiden lebenden Pfarrer Gustav Reinhard und muss zur Ermöglichung einer Hochzeit den christlichen Glauben annehmen. Dies und die starren christlichen Rollenvorstellungen stellen Jenny vor eine große Herausforderung. Und auch Jennys Bruder Eduard ist unglücklich verliebt in die Christin Clara und muss erkennen, wie tief die gesellschaftlichen Gräben zwischen Juden und Christen sind.

Fanny Lewald schöpft aus ihren eigenen Erfahrungen und zeigt sehr deutlich wie tief der Antisemitismus in der Gesellschaft verankert ist und wie starr die gesellschaftlichen Rollen festgelegt waren. Das fand ich aus heutiger Perspektive sehr interessant zu lesen und Lewalds Ansichten erstaunlich modern.

Mir persönlich war es zwischendurch der dramatischen Gefühlsausbrüche etwas zu viel. Glücklicherweise legt sich das in der zweiten Hälfte des Buches bis zu einem dramatischen Ende. Die Aufmachung des Textes finde ich etwas unglücklich gewählt. Es ist recht klein geschrieben und eng gedruckt und die wörtliche Rede ist nicht durch Anführungszeichen gekennzeichnet. Somit wird der Zugang zu diesem fast 200 Jahre alten Text noch weiter erschwert. Sehr interessante fand ich wiederum das durchaus provokativ geschriebene Nachwort, das noch einmal auf die Stellung der Frau in Christentum und Judentum eingeht.

Insgesamt eine anstrengende, aber lesenswerte Lektüre.

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Veröffentlicht am 15.10.2023

Sehr persönliche Coming-of-Age-Geschichte, erzählt in 10 Essays über Wasserkreaturen.

So weit das Licht reicht
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(Sabrina Imbler benutzt die Pronomen they/them. Ich versuche das in diesem Text auch.)

Es handelt sich um 10 Essays über verschiedene Wasserkreaturen, die Sabrina Imbler ihren eigenen Erfahrungen/Gedanken ...

(Sabrina Imbler benutzt die Pronomen they/them. Ich versuche das in diesem Text auch.)

Es handelt sich um 10 Essays über verschiedene Wasserkreaturen, die Sabrina Imbler ihren eigenen Erfahrungen/Gedanken gegenüberstellt. Jedes Essay hat als Thema ein Tier und einen Lebensabschnitt/Themenkomplex. In kurzen Abschnitten springt es abwechselnd hin und her und es werden Verbindungen gezogen. Das war zunächst gewöhnungsbedürftig, entfaltet aber auch interessante Parallelen und Möglichkeiten selbst zu reflektieren.

Sabrina Imbler ist queer, wird manchmal weiblich, manchmal männlich gelesen. Da their Mutter Chinesin ist, sieht they asiatisch aus, wuchs aber in den USA auf. Damit passt they nicht in gängige Kategorien und hadert damit einen eigenen Weg zu finden. Die Beschäftigung mit Wasserkreaturen spendet Imbler Trost. Denn auch Wasserkreaturen entziehen sich den von Menschen als logisch empfundenen Strukturen und Schubladen.

Goldfische wachsen beispielsweise ein Leben lang und nur wenn sie in einem Glas gehalten werden, passen sie sich dieser Beschränkung an. Manche Fische können im Verlauf des Lebens ihr Geschlecht wechseln, manche sterben sobald sie Nachwuchs hervorbringen, manche Lebewesen schließen sich zu Schwärmen zusammen, bei denen es schwer fällt Individuen auszumachen, manche Lebewesen haben eine so große Regenerationskraft, dass sie als unsterblich gelten...

Besonders die poetischen Beschreibungen haben mir sehr gefallen. Die Themen sind jedoch auch durchaus ernst. Es geht um Essstörungen, vorsichtig formuliert schlechte sexuelle Erfahrungen mit unklarem Konsens, Rassismus, Umweltzerstörungen und Artensterben genauso wie um Selbstfindung und queere Safe Spaces.

Als Leser*in ist man immer etwas im Unklaren gelassen über die Personen. Die meisten Namen sind abgekürzt und die meisten Pronomen they. Das ist natürlich zunächst anstrengend, ich habe mich aber schnell daran gewöhnt.

Man sollte auf jeden Fall vor Lektüre des Buches wissen, dass es eher eine Coming-of-Age-Geschichte ist und die Tiefseekreaturen „nur“ im Zusammenhang damit beschrieben werden. Wenn man sich darauf einlassen möchte, wird man mit einer poetischen, sehr persönlichen Geschichte belohnt und bekommt jede Menge Fun/Sad Facts über Wasser-/Tiefseekreaturen dazu.

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Veröffentlicht am 04.09.2023

Wichtiges Thema, wenig überzeugend umgesetzt

Die Kinder sind Könige
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Delphine de Vigan ist bekannt dafür sich in ihren Büchern gesellschaftskritischen Themen zu widmen. In diesem Buch geht es um Eltern, deren Influencerkarrieren darauf beruhen, dass sie ihre Kinder filmen ...

Delphine de Vigan ist bekannt dafür sich in ihren Büchern gesellschaftskritischen Themen zu widmen. In diesem Buch geht es um Eltern, deren Influencerkarrieren darauf beruhen, dass sie ihre Kinder filmen und so vor allem Werbeeinnahmen generieren.

Gemeinsam mit der procédurière Clara erkundet man nach dem Verschwinden eines sechsjährigen Mädchens die Welt der Influencer-Familien. Wir erfahren, dass die Mutter, Mélanie, davon träumte Realitystar zu werden und dank ihrer Kinder ihr Ziel endlich erreicht hat. Die Videos mit ihren beiden Kindern erreichen Millionen Aufrufe in Frankreich. Es wird sehr stark auf die daraus folgenden Gefahren für die Kinder eingegangen. Die Kinder sind in sehr jungem Alter für das Auskommen der Familie verantworlich, müssen ständig eine Rolle vor der Kamera spielen und sind dem Spott ihrer Altersgenossen ausgesetzt.

Das Thema fand ich auch sehr wichtig und interessant, aber leider konnte mich die Umsetzung nicht überzeugen. Es ist sehr unemotional, und analytisch geschrieben. Es liest sich zwar sehr schnell, das liegt aber auch daran, dass die Kapitel kurz sind und es viele halbleere Seiten gibt. Die Personen blieben mir alle sehr fern. Sie interagieren kaum miteinander, es wird viel beschrieben und behauptet. Alle sind sehr einsam, auch, oder gerade wenn, sie Millionen Fans im Internet haben. Das ist sicherlich gewollt, macht das Lesen aber weniger spannend.

Zudem habe ich das Gefühl, dass das Buch nicht besonders gut recherchiert ist oder die Autorin Social Media nicht kennt/kennen will. Teilweise spielt es in der Zukunft, aber hier habe ich das Gefühl, dass die Realität diese Zukunft schon überholt hat. Auch die Darstellung des Influencerlebens überzeugt mich nicht. Warum haben die Kinder nur negative Auswirkungen zu spüren und Mélanie nur positive? Sicherlich ist das auch mit der jeweiligen Sichtweise zu erklären, aber ein bisschen mehr Ausgewogenheit hätte ich überzeugender gefunden. Üblicherweise kriegt man im Internet sowohl Liebe als auch Hass ab. Es ist auch unrealistisch, dass jedes neue Video sofort extreme Zuschauerzahlen erreicht. Es gibt unendlich viel im Internet, die Aufmerksamkeitsspannen sind kurz, man muss ständig neue spannende Inhalte generieren und auch die Werbepartner zufrieden stellen, deren Ansprüche steigen. Das ist sicherlich nicht nur für die Kinder anstrengend, sondern auch für die Eltern. Und wo sind die traditionellen Medien, die sich sicherlich auch für die Familie interessieren, gerade nach dem Verschwinden eines Kindes? Auch die Beziehung der Eltern wird kaum thematisiert. Der Vater bliebt extrem blass, Mélanie verharrt in absoluter Naivität, es gibt keinerlei Entwicklung. Das fand ich wahnsinnig schade. Ein paar Seiten mehr, um mehr in die Tiefe zu gehen, hätten dem Buch gut getand. Oder ein paar weniger, wenn man es bei einer reinen Kriminalgeschichte belassen hätte,

Insgesamt hatte ich das Gefühl, dass die Autorin ihr Thema wichtig fand und unbedingt Kritik an der Kommerzialisierung von Kindervideos üben wollte, sich aber in der Social Media Welt allgemein nicht gut auskennt. Es wird einseitig auf Gefahren von Social Media hingewiesen ohne genauer nachzufragen, was Social Media den Menschen gibt und was Alternativen sind.

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Veröffentlicht am 04.09.2023

Künstlerleben mit Hindernissen

Die Träume anderer Leute
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Judith Holofernes wurde als Sängerin von „Wir sind Helden" mit ihren konsum-/kapitalismiskritischen Texten und ihrer eigensinnigen Weigerung, sich den Regeln des Pops unterzuordnen, bekannt. In diesem ...

Judith Holofernes wurde als Sängerin von „Wir sind Helden" mit ihren konsum-/kapitalismiskritischen Texten und ihrer eigensinnigen Weigerung, sich den Regeln des Pops unterzuordnen, bekannt. In diesem autobiographischen Buch beschreibt sie ganz offen, wie man trotz vieler klugen Gedanken, Meditation und Achtsamkeit an seinen eigenen Ansprüchen scheitern kann und was ihr weiterhalf, als sie keine Heldin mehr sein wollte.

Judith bekam schon als Kind zu hören, dass sie eine zu schwache Konstitution habe, um Rockstar zu sein. Sie ist ständig krank und hat jede Menge Allergien, will Dinge anders machen als alle anderen, möchte auf der Bühne stehen, aber auch Mutter sein, will ihren eigenen Weg gehen, aber auch allen um sie herum alles recht machen. Diese Ansprüche zerreißen sie immer mehr.

Judith berichtet davon, dass man als Künstler oft sehr viel Promotion und sehr wenig Kunst macht und wie hart es ist, künstlerisch seinen eigenen abseitigen Weg zu gehen, wenn man weiß, dass jede Menge Jobs davon abhängen, wie gut sich Musik verkauft. Dabei ist sie durchaus selbstkritisch und entscheidet sich bewusst dafür nicht ihrem Management die Schuld an ihrem Ausbrennen als Künstlerin zu geben. Das hat mir sehr imponiert. Man merkt, dass Judith seid einiger Zeit in Therapie ist und sich selbst viel reflektiert (hat), manchmal will man sie fest in den Arm nehmen und sagen "Denk nicht so viel, das wird schon".

Zwischendurch wird es auch immer wieder sehr düster. Die Familie wird von einigen Schicksalsschlägen getroffen und selbstständige Arbeit schlägt sehr schnell in Selbstausbeutung um. Doch Judith findet auch selbst Lösungen für sich, zieht Kraft aus der Begegnung mit anderen KünsterInnen und der Unterstützung durch ihre Fans. Hier wirft sie auf jeden Fall interessante Fragen darüber aus, was überhaupt Kunst ist und wie sie anerkannt und bezahlt werden sollte.

Mir persönlich hat das Hörbuch sehr gut gefallen, nachdem ich meine anfängliche Irritation darüber überwunden hatte, die Gedanken von Judith Holofernes mit der Stimme von Nora Tschirner präsentiert zu bekommen. 😊 Auch wenn man kein Judith und/oder Helden-Fan ist, kann man viel über die Musikindustrie und das „Künstlerleben“ erfahren und darüber ins Grübeln kommen, ob es wirklich sinnvoll ist den Wert der Musik an Verkaufszahlen zu messen.

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