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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.02.2024

Eine von Gewalt durchdrungene Gesellschaft

Kinder der Gewalt
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Julian Hans war von 2013 bis 2018 Moskau-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung". Inzwischen arbeitet er als Redakteur für das Portal dekoder.org. Er beobachtet nun schon seit Jahrzehnten die russische ...

Julian Hans war von 2013 bis 2018 Moskau-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung". Inzwischen arbeitet er als Redakteur für das Portal dekoder.org. Er beobachtet nun schon seit Jahrzehnten die russische Gesellschaft.

In diesem Buch stellt er sich die Frage, warum der Angriffskrieg gegen die Ukraine von einem Großteil der russischen Zivilbevölkerung unwidersprochen hingenommen wird und warum er derartig brutal geführt wird.

Hans rollt dazu Kriminalfälle der letzten Jahre auf, die er als wichtig für das Verständnis der Stimmung in Russland ansieht und zieht daraus Schlüsse für den Zustand der russischen Gesellschaft. Denn fragt man nach Politik wird zur Sicherheit oft geschwiegen, aber aufsehenerregende Kriminalfälle können engagiert diskutiert werden.

Besonders die ersten Seiten sind harter Tobak. Es geht um einen Massenmord, mafiöse Verstrickungen von Polizei und Justiz, häusliche Gewalt, den Versuch der Aufarbeitung der Verbrechen der Vergangenheit und die Unterdrückung künstlerischer und zivilgesellschaftlicher Initiativen. Er erklärt wie das Glorifizieren des brutalen, echten russischen Mannes, der mit harter Hand über die Familie herrscht, zusammenhängt mit dem Bild von Putin als hypermännlichem Staatsführer, der sich (angeblich) nicht mit Politik abgibt, sondern einfach „tut was getan werden muss“. Warum es wichtiger ist den Familienzusammenhalt und auch gewalttätige Männer zu schützen als Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, zu helfen. Er erklärt, warum junge Männer, die Morde an Polizisten verüben, als Helden gefeiert werden.

Hans zeigt auf, dass das romantische Stereotyp die Russen seien besonders leidensfähig und schicksalsergeben, eigentlich aus einem überwältigenden Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber dem Staat kommt. Viele Menschen haben die Erfahrung gemacht, […] dass Gewalt zum Alltag gehört, dass das Recht des Stärkeren gilt und die Mächtigen sich alles nehmen können, auch meinen Körper. Dass jeder Widerstand zermalmt wird und Verbrechen belohnt. Dass Staatsorgane Täter schützen und Opfer verfolgen.“ (S.54)

Am Anfang werden in jedem Kapitel einzelne Kriminalfälle beschrieben, zum Ende hin wird es etwas weniger strukturiert und es werden eher Themenkomplexe besprochen. Die Analyse und Beschreibung der Geschehnisse vermischen sich. Das fand ich etwas schade, denn dadurch geht Struktur verloren. Man merkt, dass der Autor sehr engagiert und betroffen ist, erhält aber nicht mehr so viel Unterfütterung für seine Thesen.
Sicherlich liegt das aber auch an der Schwierigkeit überhaupt an Informationen zu kommen und auch an der Aktualität des Themas. Der Tod des Oppositionellen Nawalnys beispielsweise reiht sich nahtlos in die beschriebene Logik der Gewalt ein.

Eine harte, traurige Lektüre, die nur kleine Hoffnungsschimmer anbietet. Sehr lesenswert für diejenigen, die sich mit der russischen Gesellschaft und Gewalt in diktatorischen Regimes befassen möchten.

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Veröffentlicht am 12.02.2024

Ein ereignisloses Leben

Klarkommen
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"Ich wollte so gern meine Jugend verschwenden, aber doch nicht so"


Die Erzählerin wäre gern etwas Besonderes, hat aber nie zu einer coolen Clique dazugehört. Stattdessen wartet sie darauf, dass ihr ...

"Ich wollte so gern meine Jugend verschwenden, aber doch nicht so"


Die Erzählerin wäre gern etwas Besonderes, hat aber nie zu einer coolen Clique dazugehört. Stattdessen wartet sie darauf, dass ihr Leben endlich anfängt. Dieses Gefühl, dass alle anderen um uns herum (und besonders auf Social Media und in Filmen) das viel spannendere Leben führen, kennen wohl viele Menschen und dieses Buch dreht sich fast nur darum.

Es werden viele kurze Momentaufnahmen gezeigt, zusammengehalten durch die Suche nach etwas Bedeutungsvollem. Obwohl ich aus meinen 20ern raus bin, fand ich das Buch trotzdem lesenswert. Anfänglich war ich etwas irritiert von den kurzen, scheinbar zusammenhanglosen Abschnitten, habe mich jedoch schnell reingefunden. Mit der Zeit entdeckt man dann wiederkehrende Themen und Motive, auch wenn es nicht sonderlich tiefgehend wird.

Bedingt durch die kurzen Abschnitte liest sich das Buch schnell weg und ist gut geeignet für ein nostalgisches Wochenende. Zwar wird es mir vermutlich nicht länger in Erinnerung bleiben, doch als Darstellung eines banalen Leben, wie es wohl dann doch die meisten führen, fand ich es ganz ansprechend.

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Veröffentlicht am 15.12.2023

Solide Fantasy mit zu viel Fokus auf Liebeswirren

Die Tochter der Mondgöttin 1: Die Tochter der Mondgöttin
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Die Unsterbliche Xingyin lebt mit ihrer Mutter auf dem Mond. Xingyings Existenz muss geheim bleiben, denn ihre Mutter wurde vom himmlischen Kaiser verbannt. Als Xingyings magische Kräfte erwachen, muss ...

Die Unsterbliche Xingyin lebt mit ihrer Mutter auf dem Mond. Xingyings Existenz muss geheim bleiben, denn ihre Mutter wurde vom himmlischen Kaiser verbannt. Als Xingyings magische Kräfte erwachen, muss sie fliehen und beschließt, ihre Mutter zu befreien. Fortan lebt sie unter falscher Identität im himmlischen Königreich und entwickelt während ihrer Ausbildung zur Kriegerin Gefühle für den Kronprinzen.

Es fing sehr gut an und nahm mich gleich gefangen, jedoch flachte es zur Mitte hin ab. Ich würde dem Verlag widersprechen, dass es sich um epische High Fantasy handelt. Die Handlung ist einsträngig und wenig komplex, es geht kaum darum die erschaffene Fantasywelt zu entdecken und weder die Magie noch die Gesellschaftsstruktur werden groß erklärt. Das fand ich sehr schade, denn ich hätte wahnsinnig gerne mehr über die Welt erfahren, in der die Handlung spielt und die Szenen, in denen wir mehr über die Welt erfahren fand ich wirklich interessant. Stattdessen geht es viel um eine Dreiecksliebesgeschichte und gerade im Mittelteil werden viele pathetische Reden geschwungen und Xingying denkt über ihre Gefühle nach. Zur Auflockerung gibt es dann einige durchaus spannende und brutale Actionszenen. Hier hat es mich etwas geärgert, dass viel dem Zufall zu verdanken ist. Wer hält denn bitte wichtige geheime Taktikübungen und Besprechungen direkt in Sicht und Hörweite einer Gefängniszelle ab???

Insofern wurde meine Erwartung an eine komplexe Geschichte, die mich in ein fantastisches Reich abtauchen lässt, etwas enttäuscht und das trübte das eigentlich gute Hörerlebnis. Ich hätte hier wahnsinnig gerne halbe Sterne, denn für mich ist es genau zwischen 3 und 4 Sternen.

An sich ist das Hörbuch aber solide gemacht und auch gut vorgelesen. Eine sehr stringente Geschichte mit nicht zu vielen Personen, die man sich merken muss, einer gerade am Anfang herzerwärmenden Liebesgeschichte, guter Charakterentwicklung, einigen Actionszenen und ein paar unerwarteten Twists und Intrigen. Es trifft meinen Geschmack einfach nicht so ganz, ich kann mir aber gut verstellen, dass es eine große Fangemeinde findet.

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Veröffentlicht am 06.11.2023

Blick auf die Entwicklung rassistischer Ideen in den USA

Gebrandmarkt
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2016 kam "Stamped from the Beginning: The Definitive History of Racist Ideas in America" (auf Deutsch „Gebrandmarkt – Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika) von Dr. Ibram X Kendi heraus. Inzwischen ...

2016 kam "Stamped from the Beginning: The Definitive History of Racist Ideas in America" (auf Deutsch „Gebrandmarkt – Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika) von Dr. Ibram X Kendi heraus. Inzwischen gibt es mehrere Versionen, die das Thema zum Beispiel für Eltern oder Jugendliche aufarbeiten. 2023 wurde das Buch auch als Graphic Novel von Joel Christian Gill adaptiert und illustriert. Darin wird die Entwicklung rassistischer Ideen im Laufe der Zeit dargestellt. Fünf Epochen der amerikanischen Geschichte werden am Beispiel von fünf verschiedenen Personen erklärt, nämlich Cotton Mather, Thomas Jefferson, William Lloyd Garrison, W. E. B. Du Bois und Angela Davis.

Dabei wird dargestellt, wie zunächst das Halten von Sklaven und dann die Diskriminierung von Schwarzen gerechtfertigt wurde und wie stark diese Ideen auch heutzutage noch nachwirken. Kendi stellt dar, warum sowohl "Segregationismus" (getrennte Entwicklung), als auch die Forderung nach Assimilation die Situation vieler Schwarzer noch verschärfen und warum es falsch und sogar gefährlich ist zu denken, dass sich im Laufe der Zeit die Verhältnisse von selbst bessern.
Er zieht den Schluss, dass sich die rassistische Strukturen erst dann ändern werden, wenn sich vor allem weiße Politiker davon Vorteile erhoffen.

Der Inhalt der Graphic Novel ist also durchaus sehr interessant, die Lektüre war für mich jedoch anstrengend. Ich habe mich mit amerikanischer Geschichte bisher nicht tiefgreifend beschäftigt und hatte auf einen Einstieg gehofft, der mir einen Überblick gibt. Das Medium Graphic Novel bringt es mit sich, dass es einiges an name-dropping gibt, manches nur kurz angedeutet und viel verdichtet oder überspitzt wird. Das fand ich bei der Komplexität des Themas eher ungünstig. Auch die zur Auflockerung eingebauten Witze kamen nicht komplett bei mir an, irgendwie war das nicht mein Humor.

Auf jeden Fall bin ich motiviert worden, mich mehr mit dem Thema zu beschäftigen. Die Serie, die auf der Basis des Buches entstanden ist, ist sicher auch einen Blick wert. Ich würde die Graphic Novel eher Menschen empfehlen, die sich mit dem Thema schon etwas auskennen und gucke selbst auf jeden Fall noch einmal in die Buchfassung rein.

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Veröffentlicht am 03.11.2023

Was ist eine "starke Frau"?

Vom Himmel die Sterne
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Sallie Kincaid ist die Tochter des Dukes, eines der mächtigsten Männer in Virgina. Nach dem Tod ihrer Mutter und einem Zerwürfnis mit der neuen Frau des Dukes wird Sallie verstoßen. 10 Jahre später, nachdem ...

Sallie Kincaid ist die Tochter des Dukes, eines der mächtigsten Männer in Virgina. Nach dem Tod ihrer Mutter und einem Zerwürfnis mit der neuen Frau des Dukes wird Sallie verstoßen. 10 Jahre später, nachdem seine neue Frau gestorben ist und der Duke sich anschickt wieder zu heiraten, kehrt Sallie ins Haus ihres Vaters zurück. Sie weigert sich zu heiraten und sich in die traditionelle Frauenrolle zu fügen, stattdessen steigt sie in die Geschäfte des Dukes ein.

Die Bewertung fällt mir ziemlich schwer. Die Handlung entwickelt sich nach einem gemütlichen Anfang rasant. Es gibt eine große Anzahl von Todesfällen und Tragödien und so ziemlich jede Ehe ist unglücklich. Die Prohibition und die mit Alkoholschmuggel verbundenen Bandenkriege verschärfen die Situation noch.
Auf der Strecke blieb die Personenentwicklung. Gerade die Nebenfiguren bleiben sehr vage beschrieben und auch das mafiöse System des Duke wird nicht ausreichend durchleuchtet. Sallie versucht ein guter Mensch zu sein und den Armen zu helfen, ist aber qua Geburt Teil eines mafiösen Systems. Ich hätte es wahnsinnig spannend gefunden hier, außerhalb der schwierigen nahezu rechtslosen Stellung der Frauen in der Ehe, mehr zu erfahren. Gerade das Auflösen des unreflektieren Hochlebens von "starken Frauen" fände ich spannend. Heißt es "eine starke Frau zu sein" sich wie ein Mann zu verhalten und heißt das, dass alle Frauen an sich erst einmal schwach sind? Ist ein weiblicher Mafiaboss besser als ein männlicher? Kann Sallie nur eine starke Frau sein, so lange sie nicht verheiratet ist und bedeutet eine Ehe (zu dieser Zeit?) automatisch die Unterwerfung unter den Mann? Diese (und andere) Fragen werden für meinen Geschmack zu oberflächlich behandelt und das Potential der eigentlich spannenden Geschichte nicht komplett ausgeschöpft.
3,5 Sterne von mir.

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