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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.08.2023

Jetzt rede ich!

Jetzt halt doch mal die Klappe, Mann!
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Nach Rebecca Solnit widmet sich nun Fee Brembeck dem Thema des Mansplainings und bereitet es auf vielfältig relevante Weise auf. Mansplaining ist für viele weiblich gelesene Personen mehr als ein nerviges, ...

Nach Rebecca Solnit widmet sich nun Fee Brembeck dem Thema des Mansplainings und bereitet es auf vielfältig relevante Weise auf. Mansplaining ist für viele weiblich gelesene Personen mehr als ein nerviges, vernachlässigbares Alltagsproblem und trägt entscheidend zu einem toxischen Männlichkeitsbild bei.

Brembeck fügt in den Kapiteln ihres Buches viele Mosaiksteine zu einem Bild zusammen, und jedes dieser Bildteile prangert das nach wie vor männlich dominierte System, in dem wir leben, an. So kommt sie z.B. nicht umhin, Sexismus aufzugreifen als eine Form der Diskrimminierung, mit der oftmals Frauen die Fähigkeit einer sachkundigen und differenzierten abgesprochen wird bis hin dazu, dass Frauen ihr akademisches Feld von männlichen Laien erklärt wird. Ebenfalls steht die Kritik im Raum Frauen noch immer nicht durch inklusive Sprache im Sprachgebrauch zu berücksichtigen. Sprache ist keine Banalität, sondern unser Ausdruck in die Welt. Es ist unverständlich, warum genderneutrale Sprache für manche Menschen noch immer eher ein Ärgernis als eine Notwendigkeit auf dem Weg zur Gleichstellung ist, obwohl Studien erwiesen haben, dass Sprache unsere Vorstellung und letztlich unsere Realität erzeugt.

Fee Brembeck bringt Leser:innen in ihrem Buch bei für ihr Recht auf Sichtbarkeit und Meinung zu streiten. Sie betont, dass das Problem nicht darin liegt, dass Männer Raum einnehmen sondern dass sie mehr davon einnehmen, als sie brauchen und damit Frauen Platz wegnehmen.

Ich würde gerne so viel mehr von den einleuchtenden Dingen wiedergeben, die ich aus diesem Buch habe, aber am Ende ist es besser, ihr – egal ob Mann, Frau, Trans, Inter, Oder - lest es selbst!

Veröffentlicht am 04.08.2023

Eine alte Liebe, Freundschaft über mehrere Generationen und eine neue Liebe

Ruthchen schläft
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Georg gehört ein in die Jahre gekommenes Wohnhaus, das ihm sein Opa einst vererbt hat. Mit den Mietern hat man so seine Mühe, doch Frau Lemke ist seine Lieblingsmieterin. Sie kennt er schon, seit er noch ...

Georg gehört ein in die Jahre gekommenes Wohnhaus, das ihm sein Opa einst vererbt hat. Mit den Mietern hat man so seine Mühe, doch Frau Lemke ist seine Lieblingsmieterin. Sie kennt er schon, seit er noch ein kleiner Junge war, und seit ihr Sohn in die USA ausgewandert ist, kümmert er sich rührend um Frau Lemke. Mittlerweile sind sie beide in die Jahre gekommen, und Frau Lemkes Sohn will, dass er zu ihr nach New York zieht. Dabei will sie das nicht, und Georg ja schon mal gar nicht. Frau Lemkes Sohn lässt sich darauf ein, dass sie so lange noch in ihrer Wohnung bleiben darf wie ihre alte Katze lebt. Doch dann wacht Rutchen eines Morgens nicht mehr auf. Georg und Frau Lemke müssen sich etwas einfallen lassen wie sie das Unvermeidliche vermeiden können.


Mehr möchte ich von der Handlung gar nicht verraten, die sollt ihr mal schön selbst erlesen. Für mich war es ein absolutes Wohlfühlbuch, das mich ein wenig an „Zusammen ist man weniger allein“ erinnert hat. Eine Freundschaft über verschiedene Generationen, gepaart mit einer alten und einer neuen Liebe (plus dem steinigen Weg dazwischen), liebenswerte Protagonist:innen und eine insgesamte Warmherzigkeit machen dieses Buch aus. Wer in der kalten Jahreszeit ein wenig innere Wärme sucht, liegt mit „Rutchen schläft“ sicher richtig!

Veröffentlicht am 04.08.2023

Ein intimes Familienporträt mit all seinen Ambivalenzen

Der Buchhändler aus Kabul
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Åsne Seierstad befindet sich 2002 als Reporterin in Kabul und betritt eine Buchhandlung – sehr zu ihrer eigenen Überraschung, dass es eine solche in der vom Krieg gepeitschten Stadt gibt. Die Sowjets sind ...

Åsne Seierstad befindet sich 2002 als Reporterin in Kabul und betritt eine Buchhandlung – sehr zu ihrer eigenen Überraschung, dass es eine solche in der vom Krieg gepeitschten Stadt gibt. Die Sowjets sind abgezogen, die Taliban gestürzt, die Warlords verjagt, endlich könnte es Frieden geben in Afghanistan. In der nächsten Zeit besucht Seierstad immer wieder den Book Shop des Mannes, der verschiedenen Regimes immer wieder getrotzt hat und bekommt die Gelegenheit am Familienleben des Buchhändlers teilzunehmen. Sie zieht temporär bei der großen Familie ein, um ihre Eindrücke in einem Buch zu verarbeiten.


Sie erlebt einerseits einen liberalen Mann, aufgeschlossen für die Ideen eines freieren Staates, sogar Frauenrechte begrüßt er. Auf der anderen Seite herrscht er als unangefochtenes Oberhaupt über seine Familie und hat sehr traditionelle Ansichten wie seine eigenen Frauen und die Kinder sich zu gebaren haben. Seierstad beschreibt den Werdegang des Buchhändlers wie er zu seinem Buchladen gekommen ist, welchen Wohlstand er sich damit erarbeitet hat und den Grad der Aufopferung, die seine Söhne für sein „Buchimperium“ zu leisten bereit zu sein haben. Die Erzählung begleitet dabei jeweils andere Personen und beleuchtet ihre persönliche Sicht der Dinge. Bedauert man in einem Kapitel erst noch den Sohn des Buchhändlers, der von seinem Vater dazu gezwungen wird für dessen Traum alles andere beiseite zu schieben und sein Leben der ihm verhassten Buchhandlung zu widmen, kehrt sich dieses Bedauern um, als man den Sohn lesend näher kennenlernt.

Auch bekommt die Lage der Frauen, die jahrzehntelang unter einem frauenfeindlichen Regime leben mussten, Platz in dieser Erzählung, beispielsweise in der Form der Schmach, die des Buchhändlers erste Frau erdulden musste, als er sich entschied eine jugendliche Zweitfrau zu nehmen. Die Erzählung Seierstads ist durchflochten von der Ambivalenz, die auf ihre Weise sicher beispielhaft für viele afghanische Familien und die sowohl gelebten als auch die aufgezwungenen Werte stehen kann.

Ein sehr intimes Porträt eines afghanischen Haushaltes, das bisweilen sehr verwirrend anmuten kann.

Veröffentlicht am 04.08.2023

Ein unglaublich unterhaltsames dystopisches Debüt der Autorin!

Die Letzte macht das Licht aus
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Das ist keine Geschichte über einen harten Action-Helden, der in der Apokalypse weiß, was genau zu tun ist. In dieser Dystopie gibt es eine unsichere Frau, eine wie du und ich, die sich durch ein von einem ...

Das ist keine Geschichte über einen harten Action-Helden, der in der Apokalypse weiß, was genau zu tun ist. In dieser Dystopie gibt es eine unsichere Frau, eine wie du und ich, die sich durch ein von einem todbringenden Virus ausgelöschtes Großbritannien schleppt und keine Ahnung hat was sie tun soll.

6DM, benannt nach den maximal sechs Tagen, in denen das Virus einen menschlichen Organismus qualvoll dahingerafft hat, löscht innerhalb weniger Wochen den größten Teil der Menschheit aus. Und wie das so ist im Angesicht der Tatsache, dass möglicherweise niemand von denen mehr da ist, die sich ein Leben lang um einen gekümmert haben: Man verdrängt erst mal. Und das geht am besten mit reichlich Drogen, Alkohol und dem letzten Funken Elektrizität im Hause des toten besten Freundes der Protagonistin. Nach einigen Wochen und mit einer Medikamentenabhängigkeit realisiert sie, dass es außer ihr noch andere Menschen geben könnte und sie sich dann besser mal auf den Weg machen sollte andere Überlebende zu finden. Lange Zeit findet sie niemanden außer einen Golden Retriever, der spürt, dass die Frau seine beste Überlebenschance ist, und gemeinsam bestreiten sie die Reise in die abgelegensten Gebiete in der Hoffnung, dass das Virus nicht bis dorthin gekommen ist.

Das Buch erinnerte mich stark an den Film „I Am Legend“. Mit Bethany Clift's „Die Letzte macht das Licht aus“ bekommt man zusätzlich noch eine Portion britischen Zynismus, der mich sehr oft zum Lachen gebracht hat. Die Reise der Protagonistin führt nicht nur auf die Suche nach Überlebenden, sondern geht in Rückblenden immer wieder auch in die Vergangenheit und beleuchtet im Verlauf der Story das Verhältnis zu ihr geliebten Menschen, die bereits zu Beginn des Buches am Virus erkrankt sind. Sowohl die Gegenwart als auch die Vergangenheit dieser Dystopie machen unglaublichen Spaß zu lesen. Ganz große Leseempfehlung von mir!

Veröffentlicht am 04.08.2023

Frau Shibata ist sehr einfallsreich!

Frau Shibatas geniale Idee
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Nachdem sie der ständigen Bevormundungen ihrer männlichen Kollegen und deren Unfähigkeit Kaffee zu kochen oder hinter sich aufzuräumen überdrüssig ist, entgegnet Frau Shibata nach einer weiteren Aufforderung ...

Nachdem sie der ständigen Bevormundungen ihrer männlichen Kollegen und deren Unfähigkeit Kaffee zu kochen oder hinter sich aufzuräumen überdrüssig ist, entgegnet Frau Shibata nach einer weiteren Aufforderung das benutzte Geschirr nach einer Besprechung wegzuräumen: ”Ich kann nicht, ich bin schwanger.” Es ist eine bizarre Form des Widerstandes, aber wirkungsvoll, denn ab sofort muss sie nicht mehr die lästigen Aufgaben übernehmen, für die sich ihre männlichen Bürokollegen zu überqualifiziert sehen (obgleich Frau Shibata ebenfalls einen Studienabschluss hat und nicht so schusselig wie ihr Kollege Herr Higashinakano). Geschirr wegräumen, Kaffee kochen, Müll entsorgen, Überstunden machen, all das gehört nun der Vergangenheit an. Die viele freie Zeit nutzt Frau Shibata mit Fitnesskursen und dem Zubereiten gesunder Mahlzeiten, wo früher Fertiggerichte für einen späten Feierabend herhalten mussten.

Die Kapitel gliedern sich nach dem Fortschritt der Schwangerschaftswochen, in denen Frau Shibata sich (angeblich) befindet. Im fortschreitenden Stadium wird sie immer einfallsreicher, wobei es natürlich schwieriger wird die Not(wendige)lüge aufrecht zu erhalten – doch Frau Shibata schafft es, auch die sie beobachtenden Leser:innen zu täuschen, und unweigerlich hinterfragt man, ob sie nicht wirklich schwanger sein könnte. Auf den ersten Blick wirkt dieses Buch wie eine ungemein unterhaltsame Geschichte über eine Idee wie sie wohl in dem Ausmaß nur im patriarchalen asiatischen Arbeitsalltag vorkommen kann. Sexismus, erwartete Frauenbilder und Diskriminierung scheinen in Japan wohl aber ein großes Thema zu sein, und so hat dieses humorvolle Experiment von Frau Shibata ganz zwangsweise einen gewissen Tiefgang. Emi Yagi findet eine individuelle Lösung zu einem festgefahrenen Problem für ihre Protagonistin. Für mich war es ein cleveres und humorvolles Lesevergnügen!