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Veröffentlicht am 18.02.2024

Escape-Game next Level

Die Burg
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Die Burg. Ein Escape-Game next Level. Denn die Burg ist ein nie dagewesenes KI-Spektakel. Eine mittelalterliche Burg, ausgekleidet mit Monitoren, auf denen die künstliche Intelligenz ihr Szenario ablaufen ...

Die Burg. Ein Escape-Game next Level. Denn die Burg ist ein nie dagewesenes KI-Spektakel. Eine mittelalterliche Burg, ausgekleidet mit Monitoren, auf denen die künstliche Intelligenz ihr Szenario ablaufen lassen. Das Konzept der Burg wirkt zunächst wie die Nachmittagsbeschäftigung eines Dreijährigen, der stundenlang gebannt auf den Fernsehbildschirm guckt und sich von seinem Cartoon nicht losreißen kann. Wenn die KI aus den eingegebenen Vorgaben und den dunkelsten Geheimnissen ihrer Spieler:innen deren persönlichen Horrorfilm gestaltet, dann bleibt am Spaß vom Spiel nur noch der Drang zur Flucht.

Genau das passiert Maxim Ascher, der mit einer Gruppe von Mitspieler:innen zu einem Testspiel vor der offiziellen Eröffnung gegen eine großzügige Gage eingeladen wird. Erfinder der Burg, Nevio, lädt nebst Maxim noch vier bunt zusammengewürfelte Leute ein, die am Testlauf teilnehmen sollen. Maxim, der einige brilliante Escape-Rooms betreibt, ahnt bereits nach einer kleinen Kostprobe in den Räumen der künstlichen Intelligenz, dass dieses Projekt das Grab seines eigenen Lebenswerks bedeuten wird.
Was als letzter Test startet, wird in den weitläufigen Verliesen und Kellern der Burg zu einem individuell zugeschnittenen Horrortrip für alle aus der Gruppe, denn die KI beschließt, ein ganz eigenes Spiel zu starten, in dem nur ihre Regeln gelten. Denn das Computersystem herrscht über alle technischen Ausstattungen der Burg mitsamt dem Kommunikationssystem, Klima- und Heizungssystem und Schließmechanismen.

Eigentlich sind es ja nur Keller mit Monitoren, in denen Poznanski ihren aktuellen Thriller spielen lässt. Wenn aber eine Computerintelligenz darüber entscheidet, wann sie wen heraus- oder Räume weiterlaufen lässt, welche Bilder sie zeigt, ob sie einen schwitzen oder frieren lässt, ist weggucken keine Option - dann muss das Rätsel der KI gelöst werden, bevor Erschöpfung, Dehydrierung und Schlimmeres Tribut fordern.
Ich freue mich, mal wieder etwas sehr Spannendes von Ursula Poznanski gelesen zu haben!

Veröffentlicht am 18.02.2024

Traum und Welt, Phantasie und Realität

Die Stadt und ihre ungewisse Mauer
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Bei einem Schreibwettbewerb lernt der Protagonist ein Mädchen kennen. Mit diesem hält er auch nach dem Wettbewerb Briefkontakt, Briefe, in denen sie ihm offenbart, dass ihr wahres Ich in einer ummauerten ...

Bei einem Schreibwettbewerb lernt der Protagonist ein Mädchen kennen. Mit diesem hält er auch nach dem Wettbewerb Briefkontakt, Briefe, in denen sie ihm offenbart, dass ihr wahres Ich in einer ummauerten Stadt lebt, in der es eine Bibliothek mit alten Träumen gibt, und sie nur ein Schatten ihres Ichs in der Stadt ist. Er verliebt sich in das Mädchen, erwartet sehnsüchtig ihre Briefe. Die beiden treffen sich sogar ein Mal, doch bald darauf erhält er keine Briefe mehr von ihr. Seines Kontakts mit ihr beraubt, macht sich der Junge auf in die Stadt, an deren Mauer er seinen Schatten zurücklassen muss. In der Bibliothek trifft er sie wieder, doch sie erinnert sich nicht an ihn und es ist, als seien sie einander nie begegnet. Ohne die frühere Verbindung kommt ihm die Gesellschaft des Mädchens seltsam substanzlos vor, obwohl er gerne in ihrer Nähe ist. Das Mitleid mit seinem Schatten, der ohne ihn zu sterben droht, veranlasst ihn dazu in seine Welt zurückzukehren und das Mädchen in der ummauerten Stadt zurückzulassen.
Daraufhin führt er ein durchschnittliches Leben ohne große Höhen und Tiefen. Die Liebschaften, die er über die Jahre hat, erreichen sein Herz nie im selben Maße wie das Mädchen, das er mit 17 kannte. Seinem Beruf als Buchhändler in der Stadt kehrt er den Rücken, um abgeschieden in den Bergen eine kleine Bücherei zu leiten. Dort hofft er, der ummauerten Stadt mit seiner Bibliothek und dem Mädchen darin wieder nahe kommen zu können.

Traum und Welt, Phantasie und Realität vermischen sich in diesem typisch surrealen Roman von Murakami. Der Raum zwischen den Seiten ist von einer stets präsenten Einsamkeit erfüllt, der Suche des Protagonisten nach etwas lange Verlorenem. Dabei fließt die Geschichte leise, gemächlich und höchst atmosphärisch wie ein Bach vorüber.
Im Nachwort erläutert Murakami-san, dass er mit "Die Stadt und ihre ungewisse Mauer" gleichsam ebenfalls zurückkehren wollte, die an das 1985 erschienene "Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt" knüpft. Murakami wird zum Gleichnis seines Protagonisten und hat mit dem Rekurs ein philosophisches Kunststück vollbracht.

Veröffentlicht am 18.02.2024

Mein Jahreshighlight 2023!

Marschlande
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Britta und Abelke trennen gute 450 Jahre voneinander, und Britta hätte nie von Abelke Bleken erfahren, wäre sie nicht beim Spazieren auf den Weg gestoßen, der nach dieser Frau benannt ist.
Britta Stoever ...

Britta und Abelke trennen gute 450 Jahre voneinander, und Britta hätte nie von Abelke Bleken erfahren, wäre sie nicht beim Spazieren auf den Weg gestoßen, der nach dieser Frau benannt ist.
Britta Stoever zieht mit ihrem Mann und den beiden Kindern in diesen Ort in den Vier- und Marschlanden nahe Hamburg. Mit zwei Pubertierenden, die mit den Eltern so wenig wie möglich zu tun haben wollen und einem Mann, der seinen Alltag ganz der Arbeit widmet, ist Britta die meiste Zeit allein. Ihre Karriere als Geografin hat sie zugunsten ihrer Familie schon lange zurückgestellt.
Nachdem Britta gelesen hat, wem der Weg gewidmet ist, und dass Abelke Bleken um 1580 als Hexe angeklagt und auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurde, lässt sie die Geschichte der Frau nicht mehr los. Sie recherchiert ein Leben, das den Widerständen durch Natur, Gezeiten, Klima und Nachbarn trotzt. Britta ist fasziniert von der Gutsbesitzerin, die sich zu behaupten versucht und in einer Zeit scheitert, die selbstständigen Frauen ihre Unabhängigkeit, ihre Würde und manchmal ihr Leben nimmt.

Für mich das beste Buch 2023! Marschlande ist nicht nur hervorragend recherchiert (auch auftauchende Nebenfiguren lohnt es sich zu googeln), sondern auch atmosphärisch dicht und mitreißend beschrieben. Ich stand praktisch mit Abelke und Britta auf dem windumtosten Deich und konnte den Niesel kalt im Nacken spüren, während meine Finger die Seiten umblätterten.

Veröffentlicht am 18.02.2024

Wichtige, aber leider so unterschätzte Thematik bei Jungs!

Nur ein wenig Angst
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Ganz plötzlich ist sie da. Die Panik. Todesangst. Der saure Geschmack im Rachen, und schon kotzen. Das Herzrasen. Und dann wieder weg. Für wie lange ist es diesmal gut?

Bei einer Party mit seinen Freunden ...

Ganz plötzlich ist sie da. Die Panik. Todesangst. Der saure Geschmack im Rachen, und schon kotzen. Das Herzrasen. Und dann wieder weg. Für wie lange ist es diesmal gut?

Bei einer Party mit seinen Freunden erlebt Cornelius dieses beklemmende Gefühl in der Brust zum ersten Mal. Ihn überkommt eine rasende Panik, er übergibt sich, fragt sich danach, was das war, was los mit ihm ist. Cornelius merkt, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Er vertraut sich seinem Vater an. Der ist genauso ratlos, schickt ihn zu einem Arzt, der Cornelius Beruhigungstabletten verschreibt und mit der Frage zurücklässt, ob er nun verloren hat, dass er dieses Zeug nehmen muss, um „normal“ zu sein. Die nächste Anlaufstelle ist eine Therapeutin, bei der Cornelius sich verloren und unsicher fühlt. Noch schlimmer ist es nur mit seinen Freunden. Keiner soll merken, dass es Cornelius gerade nicht gut geht geht. Er würde so gerne, aber er schafft es nicht, seinen Freunden davon zu erzählen. Nicht Oliver, der sein ganz eigenes Päckchen schultert, nicht Aksel, seinem besten Freund.

Was nach „Nur ein wenig Angst“ aussieht, ist ein riesengroßes Thema, dem viel mehr Aufmerksamkeit gebührt. Furcht ist ein Gefühl, das Jungs gesellschaftlich aberzogen wird, das sie sich aber in der Pubertät auch selbst abzustreifen versuchen, weil es dem Bild des starken Mannes nicht entspricht. Cornelius, die Hauptfigur dieses Buches, ist mit seiner aufkommenden Angststörung in hohem Maße überfordert, ebenso wie sein Umfeld, das zwar nach und nach ahnt, dass etwas nicht stimmt, jedoch nicht offen darüber spricht.
Durch die tagebuchähnlichen Abschnitte der Geschichte hat es sich angefühlt, als ob ich mitten in Cornelius intimster Privatsphäre stehe, was dem Buch eine große Authentizität verleiht. Dieses Buch ist so wichtig, weil sein Thema so relevant ist. Ich bitte euch: lest es, empfehlt es weiter, verbreitet es!

Veröffentlicht am 07.01.2024

Bildet euch hiermit mal weiter, bitte!

Die Erfindung der Hausfrau. Geschichte einer Entwertung
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Wie hat sich das Bild der Hausfrau etabliert, anhand dessen Frauen und Mütter auch heute noch immer bemessen werden? Dass es die Hausfrau nicht einfach schon immer gab, sondern dieses Rollenmodell eine ...

Wie hat sich das Bild der Hausfrau etabliert, anhand dessen Frauen und Mütter auch heute noch immer bemessen werden? Dass es die Hausfrau nicht einfach schon immer gab, sondern dieses Rollenmodell eine Entwicklung der gesellschaftlichen Umwälzungen einiger Jahrhunderte ist, zeigt Evke Rulffes in diesem hochgradig interessanten Sachbuch auf.

Rulffes spannt einen Bogen vom Mittelalter in die Gegenwart. In früheren Jahrhunderten war es üblich, dass Frauen genauso autark einen Betrieb führen konnten wie ihre Ehemänner in deren Abwesenheit, beispielsweise in Kriegszeiten. Ebenso waren Frauen noch Teil vieler Zünfte. Doch immer dann, wenn ein Beruf sich als lukrativ erwies, wurden Beschränkungen auferlegt, um Frauen schleichend aus diesen Berufen zu drängen.
Im Laufe der Zeit kommt es zu einer Rollenverteilung, die dem Mann eine Position als Hausvorstand und der Frau die Aufsicht über das Gesinde einräumt. Die aufkommende Ratgeberliteratur speziell für den Hausvater und die Hausmutter ist gleichermaßen ein Spiegel wie ein Leitbild für die aufkommende Splittung.
Mit dem Wandel von der Ständegesellschaft zum Bürgertum fand jene Veränderung des Rollenbildes der Frau statt, die ihr einen Platz an Heim und Herzd zuwies. Anders als die Stände hatte das Bürgertum keine ausreichenden Mittel, um Angestellte zu unterhalten. Der Haushalt sollte dennoch angemessen dargestellt sein, und so wurde aus Kostengründen der Frau die Repräsentation des Haushaltes aufgebürdet: Die Hausfrau war geschaffen. Was einst Dienstboten für einen Lohn verrichteten, oblag nun der Hausfrau, die den Dienst an ihrem Mann frei zur Verfügung stellen sollte.
Geschaffen waren die Rollenbilder, in denen unsere Überzeugungen auch heutzutage noch verhaften.

Ich kann nur mit wenigen Worten wiedergeben, was für grundlegendes Wissen unserer heutigen Rollenverständnisse in diesem Buch vereint ist. Eine unglaublich wichtige Lektüre, die gelesen und überdacht werden muss, um zu einem besseren Verständnis zu verhelfen, was wir gesellschaftlich neu definieren müssen.
Unbedingte Leseempfehlung!