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Veröffentlicht am 30.07.2023

Eine Geschichte über die Momente kleinen Glücks

Kirschblüten und rote Bohnen
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Tag für Tag arbeitet der Ex-Häftling Sentaro im Doraharu, einem Imbiss für Dorayaki, kleine mit Bohnenpaste gefüllte Pfannküchlein. Er schuldet der Besitzerin noch Geld und sieht daher kein Vorankommen ...

Tag für Tag arbeitet der Ex-Häftling Sentaro im Doraharu, einem Imbiss für Dorayaki, kleine mit Bohnenpaste gefüllte Pfannküchlein. Er schuldet der Besitzerin noch Geld und sieht daher kein Vorankommen in seinem Leben, obwohl ihm die Arbeit im Imbiss unter dem Kirschbaum keinen Spaß macht. Als eines Tages die alte Tokue vor seinem Imbiss auftaucht und die ausgeschriebene Aushilfsstelle für sehr viel weniger Geld antreten würde, hat Sentaro zunächst Zweifel wegen des hohen Alters der Frau und ihren merkwürdig verstümmelten Fingern, gibt ihrer Hartnäckigkeit unbedingt dort arbeiten zu wollen jedoch nach. Sie führt in in die Kunst ein das Bohnenmus herzustellen, das er bisher aus Fertigkanistern aufbereitet hat. Das Geschäft mit den Dorayaki floriert bald sehr gut, und unter den vielen Schulmädchen, die Gäste des Imbisses sind, freundet sich die junge Wakana mit den Mitarbeitern des Doraharu an. So finden drei Einzelgänger zusammen und verästeln ihre Geschichten. Von der Besitzerin des Imbisses wird Sentaro bei einem ihrer Besuche dazu aufgefordert, Tokue zu entlassen, die die Finger der alten Frau auf eine Lepraerkrankung zurückführt. Tokue, die bereits über 80 Jahre alt ist, kommt Sentaro zuvor und kündigt, da sich Erschöpfungserscheinungen bei ihr bemerkbar machen. Der Einladung Tokues folgend machen sich Sentaro und Wakana auf den Weg zu ihr, die in einem Sanatorium für gesundete Patienten des Aussatzes lebt. Aus ihrer Geschichte, die sie den beiden während des Besuches offenbart, geht hervor, dass an Lepra erkrankte Japaner jahrzehntelang weggesperrt wurden und ihre Familien nie wieder sahen. Tokue, die als junges Mädchen erkrankte und bei ihrer Freisetzung zur Außenwelt gar keinen Bezug hat, ist Sentaro für die Erfahrung dankbar, die sie bei ihm machen durfte, während sie mit ihm zusammen gearbeitet hat. Für die Freundschaft, die sich daraus ergeben hat, wird sie ihr Leben lang dankbar sein.

Dieses Buch ist nicht nur eine wirklich schöne Geschichte, die Durian Sukegawa geschaffen hat, man erfährt auch aus der japanischen Historie ein wenig in Bezug darauf, wie seitens der Regierung mit derart erkrankten Mitmenschen umgegangen wurde. Ich mag es sehr, wenn mich über die schönen Stunden der Muße hinaus ein Buch es schafft mich dazu zu bewegen mich weiterführend über kulturelle und geschichtliche Hintergründe zu informieren.

Veröffentlicht am 30.07.2023

Bewegende Geschichte, starke Frau, völlig fremde Welt

Unorthodox
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Deborah wächst in Brooklyn auf, genauer: Williamsburg. Noch genauer: In der ultraorthodoxen Gemeinde der Chassiden, einer jüdischen Glaubensgemeinschaft, die im 18. Jhd. in der Ukraine und Europa weit ...

Deborah wächst in Brooklyn auf, genauer: Williamsburg. Noch genauer: In der ultraorthodoxen Gemeinde der Chassiden, einer jüdischen Glaubensgemeinschaft, die im 18. Jhd. in der Ukraine und Europa weit verbreitet war und seit ihrer fast völligen Auslöschung während des Nationalsozialismus in dem New Yorker Stadtteil angesiedelt ist. Jene Gemeinschaft hat sich als Folge des Holocausts von Assimilation und Fortschritt losgesagt, und in dieser sämtlich von Glaubensregeln bestimmten Welt wächst Deborah auf. Das Mädchen wird von seinen Großeltern aufgezogen, der Vater ein „meschuggener“ Trinker, von der Mutter weiß Deborah gar nicht so genau, was sie eigentlich so schlimmes getan hat, um aus der chassidischen Gesellschaft ausgeschlossen zu werden. Als Spross dieser Eltern schon früh der Verachtung von Verwandten preisgegeben, erkennt Deborah schon in Kinderjahren die Ungerechtigkeit, die speziell ihr als Mädchen zuteil wird, aber auch in vielen Regeln des täglichen Chassidenlebens findet sie viele Widersprüche. Trost und neue Weltsichten findet sie in englischsprachigen Büchern, die ihr als Jiddin eigentlich untersagt sind. Ihre Hoffnung ist die Freiheit einer erfüllten Ehe mit einem Mann, der nur annähernd so fortschrittlich denkt wie sie es insgeheim tut, denn Heirat ist die einzige Karriere, die ihr als chassidische Frau zugedacht ist. - Ohne den Spaß daran nehmen zu wollen die Geschichte selbst zu erlesen, sage ich nur so viel, dass sich ihre Hoffnung nicht erfüllt hat und sie die Glaubensgemeinschaft trotz Zukunftsängsten verlässt, um in einer offeneren Gesellschaft zu leben, über die sie nur wenig weiß.
„Unorthodox“ von Deborah Feldman ist ein Buch von einer Frau, die schon im zarten Alter ein Freigeist war und sich in eine Welt emanzipiert hat, auf die sie nicht vorbereitet war. Die Erfahrungen, an denen sie ihre Leser schonungslos teilhaben lässt wie das eheliche Sexualleben, Familienverästelungen, Glaubensrituale usw. lassen einen in völlig unbekanntes Territorium eintauchen. Ihre Geschichte über eine Gesellschaft, in die man als Außenstehender sogut wie keinen Einblick hat, ist so spannend, so offen und inspirierend, dass ich wie von einem Katapult losgelassen durch die Seiten geschossen bin.

Ich bin übrigens durch die Netflix-Miniserie aufmerksam geworden auf das Buch. Die Serie ist ziemlich gut, wenn auch in großen Teilen abgewandelt. Daran mochte ich vor allem, dass gut 1/3 des gesprochenen Dialogs auf Jiddisch war, was der Serie große Authentizität verliehen hat.
Deborah Feldmans zweites Buch, von dem ich gehört habe, dass es recht philosophisch und weniger erlebnisreich sein soll, habe ich mir bereits zugelegt.

Veröffentlicht am 30.07.2023

Fernsehen war gestern, Streaming ist heute

Die Netflix-Revolution
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„Die Netflix Revolution“ zeigt den Werdegang der bewegten Bilder von den ersten Filmvorführungen ins goldene Zeitalter des Kinos und über das Fernsehen bis in die Möglichkeiten der heutigen Streaming-Dienste.

Für ...

„Die Netflix Revolution“ zeigt den Werdegang der bewegten Bilder von den ersten Filmvorführungen ins goldene Zeitalter des Kinos und über das Fernsehen bis in die Möglichkeiten der heutigen Streaming-Dienste.

Für jemanden wie mich, die noch mit linearem Fernsehen aufgewachsen ist und sogar noch das berühmte Testbild kennt, ist das von Oliver Schütte zusammengetragene Panorama des Films ein interessantes Werk, das dokumentiert, wie sich seit einigen Jahren die Art wie wir Serien und Filme sehen vollkommen verändert.
Man bekommt einen Überblick über Spezialisierung und Konkurrenz der verschiedenen TV-Sender anhand der US- und der heimischen deutschen Sender, wie die Streaming-Dienste aus (Versand-)Videotheken entstanden sind, über die Gründer und ihre Ideen/Intentionen und die Algorhythmen, die sie verwenden, um unser Konsumverhalten vorauszusagen.

Ich konnte mich tatsächlich sehr in vielen Aspekten, die in den Kapiteln zusammengetragen wurden, wiederfinden. Gemeinsam mit dem Privatfernsehen bin auch ich in die Welt geboren. Abends um sieben hat mich das Sandmännchen ins Bett geschickt. Meine Jugend war bestimmt mit den damit verbundenen Verpflichtungen pünktlich zu einem bestimmten Zeitpunkt einen bestimmten Sender einzuschalten, um meine Lieblingsserien zu verfolgen. Ich erinnere mich noch an das Gezeter, wenn der Herr der Fernbedienung hereinkommt und mitten in Sailor Moon umschaltet, um seinen Feierabend mit einem Sportprogramm einzuläuten und wie man sich in der ganzen Familie darauf einigen musste, welcher Film im Abendprogramm gesehen wird, weil es nun mal nur den einen Fernseher in der Wohnung gab.
Das Fernsehen hat sich vollkommen verändert und ist dezentralisiert geworden. Niemand muss sich mehr zu einer bestimmten Uhrzeit in seinem Wohnzimmer einfinden, um den Beginn eines Films nicht zu verpassen, die zeitliche Wegmarkierung von 20:15 Uhr läutet nicht mehr das Abendprogramm ein, man kann seine Serien gucken, wann und wo man ist und vor allem so viel davon auf einmal konsumieren, wie man möchte.
Das Buch war unheimlich interessant, da kann ich gerade so über die vielen orthographischen Flüchtigkeitsfehler hinwegsehen, die mich kontinuierlich im ersten Viertel begleitet haben. Diese Dokumentation hat mich zum nachdenken darüber gebracht wie die jüngeren Generationen das Fernsehen so wahrnehmen.

Veröffentlicht am 30.07.2023

Es bleibt nicht länger unter uns (Frauen)

Whisper Network
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Als Frau hat man es in einer männerdominierten Geschäftswelt nicht leicht. Sloane, Grace und Ardie sind erfolgreiche Karrierefrauen bei Truviv in Dallas, einem großen Hersteller für Sportbekleidung. Ihnen ...

Als Frau hat man es in einer männerdominierten Geschäftswelt nicht leicht. Sloane, Grace und Ardie sind erfolgreiche Karrierefrauen bei Truviv in Dallas, einem großen Hersteller für Sportbekleidung. Ihnen wurden auf ihrem Weg nach oben oft Steine in den Weg gelegt. Der schwerste dieser Steine ist ihr Vorgesetzter Ames Garrett. Gerüchte um sexuelle Belästigungen kursieren seit Jahren, die von der Unternehmensführung ignoriert wurden. Als allerdings der Firmenchef verstirbt und Ames sicherer Anwärter des neuen CEO ist, sorgen sich die Frauen, allen voran Sloane, die vor über einem Jahrzehnt eine Affäre mit Ames hatte und weiß, wozu er fähig ist. Eine im Internet kursierende Liste mit Namen sexuell übergriffiger Geschäftsmänner scheint für Sloane der erste Schritt sich gegen Ames zur Wehr zu setzen. Während Ardie, die Ames nicht ausstehen kann, klar auf Sloanes Seite ist, zweifelt Grace am Vorhaben ihren Vorgesetzten auf die Liste zu setzen. Gerade Mutter geworden, fühlt sie sich von Ames in ihrer Zerrissenheit zwischen Familie und Beruf verstanden.
Dann jedoch stirbt Ames einen plötzlichen Tod, und Gewalteinwirkung kann nicht ausgeschlossen werden. Die Veröffentlichung seines Namens auf der Liste sorgt für Furore in Dallas' Geschäftswelt, und die Opfer werden in eine Täterrolle gedrängt.

Zu viel möchte ich nicht verraten, um den Spaß an Chandler Bakers „Whisper Network“ nicht zu verderben, der sich beim Lesen des Buches entrollt. Es ist alles komplexer als man meint, und zusätzlich zu Sloane, Ardie und Grace spielen auch noch die Reinigungskraft Rosalita und die neue Mitarbeiterin Katherine eine Rolle in der Aufklärung der Vorwürfe. Die Eruptionen, die durch das Aufzeigen der sexuellen Übergriffe ausgelöst werden, dringen von den höchsten Firmenrängen bis in die entlegendsten Abteilungen von Truviv.
Mir hat das Buch gefesselt, dessen Inhalt zeitweise etwas von dem Markenwahn aus „American Psycho“ hatte. Ich musste mehrfach nachschlagen, über was für monetäre Werte gesprochen wurden, wenn ein Fabrikat genannt wurde als Synonym für den pekuniären Erfolg der Frauen im Unternehmen. Der Inhalt beschränkt sich jedoch nicht nur mit sexueller Belästigung; durch Grace' und Rosalitas Hintergrundgeschichten wurde die Story noch abwechslungsreicher. Die Seiten sind nur so an mir vorübergezogen, weil ich unbedingt wissen wollte wie es weitergeht.

Veröffentlicht am 30.07.2023

Konnte mich nicht damit anfreunden

Stille Tage
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In Kenzaburo Ōes „Stille Tage“ geht es um die junge Ma-chan, die sich während der Abwesenheit ihrer Eltern um ihre beiden Brüder I-Ah und O-chan kümmert. Ihr Vater, der sich von einer Krise im weit entfernten ...

In Kenzaburo Ōes „Stille Tage“ geht es um die junge Ma-chan, die sich während der Abwesenheit ihrer Eltern um ihre beiden Brüder I-Ah und O-chan kümmert. Ihr Vater, der sich von einer Krise im weit entfernten Kalifornien zu erholen versucht, und dessen Frau bürden ihrer Tochter eine große Verantwortung auf. Kann O-chan sich weitesgehend selbst beschäftigen und zeichnet sich im Roman eher durch dezente Abwesenheit aus, da er häufig zurückgezogen für die Aufnahme an der Oberschule lernt, bedarf der geistig behinderte Buder I-Ah besonderer Aufmerksamkeit durch die Schwester.

Japanliteratur.net resümiert über das Buch:
"Auch wenn gleich das erste Kapitel recht spannend einsteigt, enthält das Buch doch größtenteils sehr langatmige Passagen: Es wird viel, fast zu viel über alles reflektiert und auch zu viel diskutiert."

Und das ist auch mein Eindruck. Nachdem im ersten Kapitel Ma-chan einen Sittenstrolch überführt, über den in vorangegangenen Passagen diskutiert wird, und man befürchtet, es könnte ein Junge aus der Behindertenwerkstatt oder auch I-Ah selbst sein, nimmt der Grad der Spannung und Unterhaltung merklich ab. Irgendwann vor Seite 100 habe ich das Buch in einer seitenlangen Diskussion über einen Film abgebrochen, den die Geschwister gesehen haben und nun nicht nur untereinander diskutieren, sondern auch mit dem Onkel und dessen Frau, die sich den Film ebenfalls angesehen haben. Es war mir dann einfach zu ermüdend mich weiter damit zu befassen, zudem ich auch bereits vorher gemerkt habe, dass ich Passagen immer wieder doppelt lesen musste, weil ich sie zuvor gedankenverloren überflogen habe.

Das Buch wird im öffentlichen Bücherschrank hoffentlich jemand anderen glücklicher machen als mich, und vielleicht finde ich von dem Autor ja irgendwann ein Buch, das mir besser gefällt.