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Veröffentlicht am 06.08.2023

Eine Geschichte, die traurig und wütend macht...

Nachtschwärmerin
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Kiara lebt mit ihrem älteren Bruder Marcus zusammen, seit ihre Mutter gerichtlich verfügt in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen wurde. Ihr Vater ist seit einigen Jahren tot, daher sind die Geschwister ...

Kiara lebt mit ihrem älteren Bruder Marcus zusammen, seit ihre Mutter gerichtlich verfügt in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen wurde. Ihr Vater ist seit einigen Jahren tot, daher sind die Geschwister auf sich allein gestellt. Um Geld zu verdienen, haben sie die Highschool abgebrochen. Eine Weile hat Marcus für sie beide gesorgt, bis er sich entschlossen hat seinem Traum nachzujagen und Kiara mit der Verantwortung aus fälliger Miete und gefülltem Kühlschrank alleinzulassen. Kiara ist verzweifelt auf der Suche nach einem Job, aber niemand will die Minderjährige einstellen. Mehr durch einen dummen Zufall als gewollt gerät sie in die Prostitution. Sie ist nicht glücklich, sieht es aber als Lösung ohne Umwege zu ihren finanziellen Problemen. Zu allem Überfluss verschwindet auch Nachbarin Dee und lässt deren 10-jährigen Sohn Trevor alleine zurück, dem Kiara sich fortan annimmt. Kiara verkauft ihren Körper also nicht mehr nur, um Miete und Lebensmittel für Marcus und sich zu beschaffen, sondern versucht auch, Trevor ein Leben zu bieten.

Kiara offenbart sich einem Freund, der ihr zunächst versucht bei ihrem „Job“ zu helfen, sie aber bald schon im Stich lässt. Kurz danach hat auch ihre beste Freundin Alé eine eigene Krise, die es ihr erschwert in der notwendigen Art und Weise für Kiara da zu sein. Vollkommen auf sich allein gestellt mit der ganzen Verantwortung, gerät sie allerdings auch in Verstrickungen mit der hiesigen Polizei, und das bedeutet, dass sie alles verlieren kann, wofür sie innerhalb der letzten Monate so hart gekämpft hat.


„Nachtschwärmerin“ könnte ich als weiße Frau ohne das Nachwort der Autorin vermutlich nicht ausreichend verstehen. „Wie viele schwarze Mädchen wurde ich mit Ermahnungen groß, ich solle meinen Bruder, meinen Dad und alle schwarzen Männer in meinem Umfeld schützen, mich um sie kümmern […] Dadurch lernte ich, dass meine eigene Sicherheit, mein eigener Körper und meine eigenen Träume zweitrangig waren“, schreibt sie darin. Geht es wirklich so vielen schwarzen Mädchen und Frauen so? Mit dem Hintergrund konnte ich verstehen, warum Kiara sich nicht einfach ein Busticket gekauft hat und so weit wie möglich vor ihren Problemen davongefahren ist, sondern die Probleme der anderen zu den ihren gemacht hat. Dieses Buch hat mich ein wenig aus meiner Blase geholt.

Veröffentlicht am 06.08.2023

Ein schmales aber prägnantes Buch, das jede:r lesen sollte!

Das Ereignis
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Die Studentin Annie, 23-jährig zu dem Zeitpunkt, entdeckt dass sie schwanger ist. In Tagebucheinträgen von der Erkenntnis bis zur Abtreibung und Notizen mit 30-jährigem Abstand zum Ereignis lässt sie Leser:innen ...

Die Studentin Annie, 23-jährig zu dem Zeitpunkt, entdeckt dass sie schwanger ist. In Tagebucheinträgen von der Erkenntnis bis zur Abtreibung und Notizen mit 30-jährigem Abstand zum Ereignis lässt sie Leser:innen ihren Weg verfolgen. Sie weiß, wenn sie ein uneheliches Kind zur Welt bringt, wird sie fortan nicht nur gebranntmarkt sein, sondern auch alles bisher Erreichte verlieren, was sie als Kind aus Arbeiterklasse überwunden hat. Aber sie muss es erzählen, denn «Wenn ich diese Erfahrung nicht im Detail erzähle, trage ich dazu bei, die Lebenswirklichkeit von Frauen zu verschleiern, und mache mich zur Komplizin der männlichen Herrschaft über die Welt.»

Es ist ein autofiktionales Zeugnis, das jedoch für so viele Frauenbiografien der Länder Europas in den 1960er Jahren steht, in denen der Schwangerschaftsabbruch illegal ist (und bis in die Mitte der 70er Jahre bleibt).

Annie ist auf ihrem Weg allein, denn der Erzeuger des ungewollten Kindes zeigt ein absolutes Desinteresse an der Lage, an der er ja nun eine Teilschuld trägt. Die Studentin versucht jemanden zu finden, der die Schwangerschaft beenden kann, gleichzeitig überlegt sie sich Methoden, die sie selbst anwenden kann. Von den Ärzten jener Zeit erhält sie keine Hilfe in ihrem Sinne. Als sie eine sogenannte Engelmacherin endlich ausfindig macht, führt diese gegen eine vereinbarte Summe den Abbruch durch.

Die eindringliche Schilderung, welche auf den nächsten Seiten folgt, lässt sich mir die Nackenhaare aufstellen. Dem gegenüber steht die Aussage, «Ich hatte in der Toilette des Wohnheims gleichzeitig ein Leben und einen Tod zur Welt gebracht.» Diese plastische Erzählung im Wechsel mit der Poesie, die Annie Ernaux in „Das Ereignis“ schildert, sind eine schiere Achterbahnfahrt der Empfindungen. Es ist defininitiv kein leichtes Buch. Diese Lektüre lässt einen froh sein um die Rechte, die seitdem erstritten wurden. Gleichzeitig lässt sich in der Behandlung der Mitmenschen um die Annie jener Zeit noch immer Verhalten und Ansichten erkennen, das bis in unsere Gegenwart anhält und zeigt, das der Kampf um den weiblichen Körper noch immer anhält.

Veröffentlicht am 06.08.2023

Dies ist mal wieder so ein Buch, das Männer lesen sollten, Frauen um ihretwillen lesen müssen!

"Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!"
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Zieht euch warm an: Alexandra Zykunov lässt die Klischeehölle zufrieren!
In diesem Buch zerlegt sie 25 absolute Bullshit-Sätze, die sich Frauen (vor allem: Mütter) ständig anhören dürfen, um weiter an ...

Zieht euch warm an: Alexandra Zykunov lässt die Klischeehölle zufrieren!
In diesem Buch zerlegt sie 25 absolute Bullshit-Sätze, die sich Frauen (vor allem: Mütter) ständig anhören dürfen, um weiter an einer Geschlechterungerechtigkeit festhalten zu können. In ihren pointierten Analysen zeigt sie auf, dass von dem patriarchalen Bild, das wir heute noch immer leben, vor allem der Kapitalismus profitiert. Sie entlarvt vermeintliche Argumente, warum Mütter so häufig in Teilzeit arbeiten, Frauen den Haushalt so viel besser im Griff haben, Frauen bei Gehaltsverhandlungen zu lasch sind usw. und legt trotz aller gebührenden Ernsthaftigkeit der veranschlagten Themen einen polemischen Sarkasmus an den Tag.
Das Gelesene wird euch wütend machen, es wird euch aber auch eine Menge Denkanstöße geben. Dies ist mal wieder so ein Buch, das Männer lesen sollten, Frauen um ihretwillen lesen müssen!

Veröffentlicht am 06.08.2023

In der orthodoxen Welt der Traditionen und Rituale

Die Hochzeit der Chani Kaufman
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Im Stadtteil Golder’s Green in London gibt es eine große jüdische Gemeinde. In dieser Religionsgemeinschaft wächst auch Chani Kaufman in bescheidenen aber frommen Verhältnissen als eines von acht Kindern ...

Im Stadtteil Golder’s Green in London gibt es eine große jüdische Gemeinde. In dieser Religionsgemeinschaft wächst auch Chani Kaufman in bescheidenen aber frommen Verhältnissen als eines von acht Kindern auf. Für sie bahnt sich nun die Ehe an, denn ein junger Mann aus der wohlhabenden Familie Levy zeigt Interesse an ihr. Ein Treffen mit Chani wird arrangiert und auch eines zwischen den Eltern der jungen Leute, um zu entscheiden, ob eine Heirat angemessen ist. Die Eheanbahnung Chanis wird parallel erzählt zu anderen Schicksalen um eine Liebe, die nicht sein darf, und einem tiefgreifenden Verlust, der in doppelter Hinsicht schwer wiegt.

Eine (Lese-)Reise in eine ganz andere Welt von Traditionen und Ritualen. Parallelen zu “Unorthodox” von Deborah Feldman drängen sich mir geradezu auf zwischen den Seiten. Eve Harris erzählt ihre Geschichte jedoch mit einer solchen Innigkeit, dass diese Bücher nur oberflächlich miteinander zu vergleichen sind.
Es war ein ausnehmend schönes und gemütliches Vergnügen, das ich mit diesem Buch hatte!

Veröffentlicht am 06.08.2023

Yôkai, Kitsune und andere mystische Wesen

Japanische Geister und Naturwesen
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Ein wenig dünner als der Vorgängerband "Geistergeschichten aus Japan", aber nicht weniger interessant die Geschichten und faszinierend die Illustrationen! Die Halbleinen-Ausgabe macht sich schon von außen ...

Ein wenig dünner als der Vorgängerband "Geistergeschichten aus Japan", aber nicht weniger interessant die Geschichten und faszinierend die Illustrationen! Die Halbleinen-Ausgabe macht sich schon von außen schon einiges her, entfaltet seine ganze Schönheit aber erst mit jeder Geschichte. Es erwarten die Leser:innen wieder traditionelle Geschichten und Mythen, die Lafcadio Hearn im späten 19 Jahrhundert zusammengetragen hat, und die von Benjamin Lacombe szenisch interpretiert wurden. Diesmal stehen Geschichten mit Naturgeistern und Gestaltwandlern im Mittelpunkt. Diese sind viel verhafteter im Alltag(sglauben) der Japaner und kommen auch ohne jeglichen Horrorcharakter aus, da nicht alle Geister böse sind.