Traumatisches Erleben
Annie Ernaux, geb. 1940 in Lillebonne/Seine-Maritime, ist eine französische Schriftstellerin. Ihr literarisches Werk ist im Wesentlichen autobiografisch geprägt mit starkem soziologischem Bezug. 2022 wurde ...
Annie Ernaux, geb. 1940 in Lillebonne/Seine-Maritime, ist eine französische Schriftstellerin. Ihr literarisches Werk ist im Wesentlichen autobiografisch geprägt mit starkem soziologischem Bezug. 2022 wurde ihr der Nobelpreis für Literatur verliehen. (aus Wikipedia)
In ihrem Buch „Événement“ aus dem Jahre 2000 beschreibt Annie Ernaux ihre wohl größte seelische Erschütterung, die ungewollte Schwangerschaft und die illegale Abtreibung im Alter von 23 Jahren, während ihres Studiums 1963 in Rouen. 2021 wurde der autobiografische Roman verfilmt und errang im selben Jahr bei den 78. Internationalen Festspielen von Venedig den Hauptpreis des Festivals, den „Goldenen Löwen“. Nun, 2022, erscheint „Das Ereignis“ im Suhrkamp-Verlag endlich auch auf Deutsch.
Es sind diese traumatischen Erlebnisse, die die Autorin in beinahe jedem ihrer Werke anspricht – bis sie sich ihnen, im Jahr 2000, im Alter von 60 Jahren stellt. Auf Grundlage damaliger Tagebucheinträge und mit Hilfe ihres alten Kalenders erinnert sich die Autorin an jene Zeit und dringt tief in ihrem Bewusstsein zurück. In äußerst nüchternem Schreibstil, anders wäre es auch kaum erträglich, beschreibt sie die Demütigungen und Erniedrigungen die sie nach ihrem Entschluss, das Kind auf keinen Fall zu bekommen, erleiden musste. Sie nennt es in ihren Aufzeichnungen nur ‚das Ding‘ oder ‚es‘, das Wort ‚Schwangerschaft‘ vermeidet sie. Ein französisches Gesetz von 1920 verbietet sowohl den Abbruch, als auch den Verkauf empfängnisverhütender Mittel und ahndet Zuwiderhandlungen mit Geld- oder Gefängnisstrafe. Nach einem erfolglosen Versuch, ihre Schwangerschaft durch Einführen einer langen Stricknadel zu beenden, landet Annie bei einer ‚Engelmacherin‘. Zwei schmerzhafte ‚Behandlungen‘ sind nötig, bis der Abbruch gelingt. Sie verblutet beinahe und kommt in die Notaufnahme, wo sie mehr Demütigung als Hilfe erhält. Die bildhafte und bis ins kleinste Detail gehende Beschreibung erfordert starke Nerven vom Leser.
Fazit: Ein Buch das aufrüttelt und immer noch, zwanzig Jahre nach Erscheinen in Frankreich, aktuell ist. Ein Blick nach Polen oder nach Texas zeigt, dass immer noch versucht wird, den weiblichen Körper durch von Männern gemachte Paragraphen zu beherrschen.