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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.05.2022

Schöne neue Welt im 21. Jahrhundert

Die Kinder sind Könige
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Als junge Frau wollte Mélanie Claux Star im Reality TV werden, doch es hat nicht geklappt. Jahre später, inzwischen ist sie verheiratet und Mutter zweier Kinder, beginnt sie, ihre Kinder für YouTube zu ...

Als junge Frau wollte Mélanie Claux Star im Reality TV werden, doch es hat nicht geklappt. Jahre später, inzwischen ist sie verheiratet und Mutter zweier Kinder, beginnt sie, ihre Kinder für YouTube zu filmen. Das Format kommt an, sie bekommt immer mehr begeisterte Follower und die Sponsoren reißen sich um sie. Die ganze Familie ist eingebunden, auch ihr Mann gibt seinen Job auf, um an der Produktion der Filme mitzuwirken. Auch finanziell lohnt sich die Sache: nach kurzer Zeit erwirtschaften sie Millionen.
Zu Beginn des Buchs ist Tochter Kimmy 6, ihr Bruder Sammy 8. Während Sammy klaglos die Drehs über sich ergehen lässt, weigert sich Kimmy immer öfter, die gesponserten Outfits zu tragen und ständig von der Kamera überwacht zu werden. Dann geschieht das Unfassbare: Kimmy verschwindet. Die Kriminalpolizei wird eingeschaltet und die Ermittlerin Clara durchleuchtet das Leben der Familie Claux. Was sie entdeckt, schockiert sie. Ihr war nicht bewusst, dass es solche Kanäle gibt, in denen Kinder hemmungslos vermarktet werden und Privatsphäre ein Fremdwort ist.
Ein Zeitsprung ins Jahr 2031 offenbart die Langzeitfolgen dieser Art von Unterhaltung. Das Erschreckende an diesem Buch ist, wie realitätsnah es ist. Überall auf der Welt gibt es Eltern, die genau mit dieser Art von Filmen ihre Kinder der Öffentlichkeit preisgeben und ihnen ihre Kindheit rauben. Ich habe dieses Buch atemlos verschlungen und es hat mich sehr deprimiert. „Die Kinder sind Könige“ ist ein hervorragend geschriebenes und hochaktuelles Buch, das jeder lesen sollte.

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Veröffentlicht am 04.05.2022

Ein Leben in der Warteschleife

Das Fundbüro der verlorenen Träume
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Dorothy Watson, genannt Dot, arbeitet im Fundbüro von London Transport. Täglich werden zahlreiche Gegenstände abgeliefert, die in den Londoner Bussen oder U-Bahnen liegengeblieben sind. Von der abgewetzten ...

Dorothy Watson, genannt Dot, arbeitet im Fundbüro von London Transport. Täglich werden zahlreiche Gegenstände abgeliefert, die in den Londoner Bussen oder U-Bahnen liegengeblieben sind. Von der abgewetzten Jacke bis zum Luxuskoffer ist alles dabei. Dot macht es Freude, sich die Besitzer der Gegenstände auszumalen und mit besonderer Befriedigung erfüllt es sie, wenn die Gegenstände zu ihrem Besitzer zurückfinden. Eines Tages kommt ein älterer Herr ins Fundbüro, der die Ledertasche seiner verstorbenen Frau verloren hat. Für ihn war sie ein Bindeglied zu der Frau, die er offensichtlich sehr vermisst, und Dot wünscht sich nichts mehr, als ihm die Tasche zurückgeben zu können. Umso mehr freut sie sich, als sie tatsächlich abgegeben wird, doch leider ist die Adresse von Mr. Appleby unauffindbar. Mit detektivischem Spürsinn (nomen est omen!) macht sich Dot auf die Suche nach dem alten Herrn.
Abgesehen von ihrem Job hat Dot wenig Abwechslung in ihrem Leben. Ihr Vater, zu dem sie ein sehr enges Verhältnis hatte, ist tot, die zunehmend demente Mutter im Seniorenwohnheim. Zu ihrer übergriffigen und besserwisserischen älteren Schwester Philippa vermeidet sie den Kontakt, soweit möglich. Philippa ist es auch, die so schnell wie möglich die Maisonettewohnung der Mutter, in der auch Dot lebt, verkaufen möchte, was Dot ziemlich aus der Bahn wirft. Nach und nach erfährt der Leser mehr über Dots Leben. Sie war nicht immer die zurückgezogene und wie aus der Zeit gefallene Frau, die andere in ihr sehen. Vor Jahren studierte sie in Paris, war lebenslustig und hatte große Pläne für ihr Leben. Doch dann kam es zu einem Ereignis, das alles veränderte.
„Das Fundbüro der verlorenen Träume“ fiel mir zuerst wegen des wunderschönen und ausgefallenen Covers auf. Die Leseprobe hat mich positiv überrascht. Ich hatte einen seichten und vorhersehbaren Feelgood-Roman befürchtet, doch der Stil war unerwartet geistreich und witzig und der Roman hat sehr viel mehr Tiefgang als der doch etwas kitschige Titel vermuten lässt (Im englischen Original heißt das Buch ganz einfach „Lost Property“, Fundbüro). Die liebevoll gezeichneten, teils recht skurrilen Personen und überraschende Wendungen in der Geschichte haben das Buch für mich zu einem Lesevergnügen gemacht. Ein warmherziger Roman, den ich kaum aus der Hand legen konnte.

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Veröffentlicht am 02.05.2022

Raffiniertes literarisches Puzzle

Der Tote aus Zimmer 12
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Susan Ryeland, ehemalige Lektorin des Erfolgsautors der Atticus Pünd-Krimireihe, lebt mittlerweile mit ihrem Partner in Griechenland, wo sie zusammen ein Hotel betreiben. Leider läuft das Hotel nicht allzu ...

Susan Ryeland, ehemalige Lektorin des Erfolgsautors der Atticus Pünd-Krimireihe, lebt mittlerweile mit ihrem Partner in Griechenland, wo sie zusammen ein Hotel betreiben. Leider läuft das Hotel nicht allzu gut, deshalb kommt ihr der Vorschlag des britischen Ehepaars Treherne gerade recht: Susan soll in England nach der verschwundenen Tochter der Trehernes suchen. Diese hatte ein Buch aus der Atticus Pünd-Reihe gelesen und darin einen Hinweis darauf gefunden, wer vor Jahren im Hotel der Trehernes einen Mord begangen hat. Zwar wurde damals ein im Hotel angestellter Rumäne festgenommen, doch die Tochter, Cecily, war von Anfang an überzeugt, dass der Falsche im Gefängnis sitzt. Der Roman, um den es sich handelt, basiert auf Ereignissen, die sich damals im Hotel der Trehernes abspielten. Der Autor der Reihe, Alan Conway, kann nicht mehr dazu befragt werden, da er mittlerweile gestorben ist.
Da Susan das großzügige in Aussicht gestellte Honorar gut gebrauchen kann, lässt sie sich auf den Vorschlag ein. Sie wird im feudalen Landhotel des Ehepaars, „Branlow Hall“, untergebracht und beginnt mit ihren Nachforschungen. Wer hätte ein Interesse daran, dass Cecily verschwindet? Und wer hatte damals vor acht Jahren ein Motiv, den Mord zu begehen? Die Liste der Verdächtigen ist lang. Natürlich muss Susan auch den Roman „Atticus unterwegs“ noch einmal lesen, in der Hoffnung, den Hinweis zu finden, auf den Cecily gestoßen ist. Der Roman ist in seiner gesamten Länge abgedruckt, man liest also praktisch einen Roman im Roman. Das ist einerseits raffiniert und interessant – denn als Leser versucht man natürlich auch, das Rätsel zu entschlüsseln – andererseits auch etwas verwirrend mit den vielen Namen, die in den beiden Handlungssträngen auftauchen. Ein Personenregister wäre für diesen Roman eine gute Idee gewesen und hätte die Lektüre erleichtert. Dem Lesevergnügen taten die vielen Personen allerdings keinen Abbruch. Im übrigen ist dies der zweite Roman um Susan Ryeland. Den ersten Band, „Die Morde von Pye Hall“ hatte ich auch gelesen, doch konnte ich mich leider an die Details nicht mehr erinnern. Für die Lektüre dieses Romans ist jedoch kein Vorwissen erforderlich.
Horowitz‘ neuester Roman ist ein klassischer „Whodunnit“, dessen Lektüre mir sehr viel Spaß gemacht hat. „Der Tote aus Zimmer 12“ ist ein intelligentes und geistreiches, wenn auch nicht allzu spannendes Buch, doch Horowitz lese ich auch nicht der Spannung wegen. Kurz gesagt, ein großes Lesevergnügen. Uneingeschränkte 5 Sterne!

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Veröffentlicht am 08.04.2022

Ihrer Zeit weit voraus

Eine Frage der Chemie
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Elizabeth Zott ist Wissenschaftlerin mit Leib und Seele. Sie möchte in Chemie promovieren, doch in den USA der 1950er Jahre haben Frauen gefälligst entweder Hausfrau zu sein oder als Sekretärin oder Verkäuferin ...

Elizabeth Zott ist Wissenschaftlerin mit Leib und Seele. Sie möchte in Chemie promovieren, doch in den USA der 1950er Jahre haben Frauen gefälligst entweder Hausfrau zu sein oder als Sekretärin oder Verkäuferin zu arbeiten, im wissenschaftlichen Betrieb werden sie nicht gern gesehen. Nur ein Mann sieht das ganz anders: Calvin Evan, selbst genialer Wissenschaftler, der schon viele Preise abgeräumt hat. Er erkennt, dass Elizabeth sehr viel intelligenter ist als ihre männlichen Kollegen, die sie zwar gern um Rat fragen, ihre Leistungen jedoch nicht offiziell anerkennen.
Nach einem holprigen Start werden Elizabeth und Calvin ein Paar. Sie ziehen zusammen, ohne Trauschein – unerhört in der damaligen Zeit! - doch leider ist ihnen nicht viel Zeit miteinander vergönnt. Elizabeth verliert ihren Job und kommt durch Zufall in Kontakt mit dem Programmverantwortlichen eines Fernsehsenders, der ihr eine Kochshow anbietet, „Essen um sechs“. Aus finanziellen Gründen nimmt Elizabeth an. Doch die Vorstellungen des Senders und ihre eigenen klaffen weit auseinander. Für Elizabeth ist Kochen Chemie, und genau das will sie den amerikanischen Hausfrauen beibringen. Ihre spröde Art, gepaart mit guten Rezepten und ihrem Glauben, dass in den Frauen, die ihre Sendung verfolgen, mehr steckt als sie sich bisher zutrauen, machen ihre Sendung zu einem unerwarteten Erfolg.
Doch Elizabeth wäre nicht sie selbst, wenn sie sich mit diesem Erfolg zufriedengeben würde.
„Eine Frage der Chemie“ spricht die Missstände in der Gesellschaft und Arbeitswelt der 1950er und 60er-Jahre an: Frauenfeindlichkeit, Ungleichheit in der Gesellschaft und der Bezahlung, das Stigma, das unverheirateten Müttern anhaftete, um nur einige zu nennen. Doch Bonnie Garmus hat es geschafft, trotz dieser ernsten Themen einen sehr amüsanten Roman zu schreiben, der durch seine abstrusen Situationen und besonderen Charaktere lebt. Ich habe jede Seite dieses außergewöhnlichen Romans genossen, der für mich das Lesehighlight des bisherigen Jahres darstellt!

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Veröffentlicht am 20.03.2022

Faszinierende Lektüre

Tell
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Wir schreiben das Jahr 1307. Der Bergbauer Tell wohnt gemeinsam mit seiner Frau und drei Kindern sowie seiner Mutter und Schwiegermutter auf dem Tellenhof in den Bergen oberhalb des Vierwaldstetter Sees. ...

Wir schreiben das Jahr 1307. Der Bergbauer Tell wohnt gemeinsam mit seiner Frau und drei Kindern sowie seiner Mutter und Schwiegermutter auf dem Tellenhof in den Bergen oberhalb des Vierwaldstetter Sees. Das Leben ist hart, die Habsburger regieren mit harter Hand und ihre Schergen machen den Menschen das Leben so schwer wie sie nur können. Landvogt Gessler hat die Männer nicht im Griff, Harras und seine Handlanger ziehen als Plünderer und Vergewaltiger ungestraft durchs Land. Es ist harte Kost, was uns Joachim B. Schmidt hier auftischt, die Brutalität ist manchmal nur schwer zu ertragen.
Schmidts Erzählweise ist äußerst ungewöhnlich. In kurzen Sequenzen kommen viele unterschiedliche Personen zu Wort und jeder trägt einen Teil zum großen Ganzen bei. Tell selbst kommt zunächst nicht zu Wort, wir erleben ihn durch die Augen der anderen als mürrischen und harten Mann, der auch nicht davor zurückschreckt, seinen Stiefsohn, den Sohn seines verstorbenen Bruders Peter, mit harter Hand zu züchtigen. Um zu überleben, zieht er in die Berge, um verbotenerweise Wild zu schießen. Eines Tages begegnet er dabei Gessler und Harras. Während Gessler von Tell und seinem Sohn Walter beeindruckt ist, will Harras ihm eine Lektion erteilen. Er schickt seine „Männer“ (in Wirklichkeit handelt es sich um halbe Kinder) auf den Tellenhof, in der Hoffnung, dass es dort zu einem Blutvergießen kommen möge. Tells Mutter verhindert das Schlimmste, doch zahlt sie einen hohen Preis dafür.
Als Tell gemeinsam mit Walter kurz darauf auf den Markt geht, um eine Kuh zu verkaufen, sieht er den Hut nicht, vor dem sich jeder verbeugen soll als Zeichen der Ehrfurcht vor den Habsburgern. Gesslers Strafe besteht darin, dass Tell seinem Sohn mit der Armbrust einen Apfel vom Kopf schießen muss. Dass der Sohn überlebt, ist hinlänglich bekannt, doch Harras will es nicht bei dieser einen Strafe belassen, er will an Tell ein Exempel statuieren.
Diese Neufassung von Tell liest sich spannender als so mancher Thriller. Es ist ein Buch, das ich nicht aus der Hand legen konnte. 5 Sterne und absolute Leseempfehlung!

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