Aufrüttelnde Gesellschaftskritik
Mit großer Begeisterung habe ich bereits einige Romane von Delphine de Vigan gelesen und mich daher schon sehr auf ihr neues Buch "Die Kinder sind Könige" gefreut.
Der Roman erzählt die Geschichte der ...
Mit großer Begeisterung habe ich bereits einige Romane von Delphine de Vigan gelesen und mich daher schon sehr auf ihr neues Buch "Die Kinder sind Könige" gefreut.
Der Roman erzählt die Geschichte der jungen Mélanie, die von Jugend an ein Faible für Realityshows hat. Ihre eigene Teilnahme an einer Datingshow mit 26 Jahren gerät zum Flop, sie scheidet bereits in der ersten Runde aus. Das Englischstudium gibt sie auf, um in einem Reisebüro zu arbeiten. Sie heiratet Bruno, einen Informatiker, und im gleichen Jahr wird Sohn Sammy geboren, zwei Jahre später Tochter Kimmy.
Nach Sammys Geburt fällt Mélanie in ein tiefes Loch. Sie füllt die innere Leere, indem sie sich auf den Vorschlag ihres Mannes hin bei Facebook anmeldet. Mélanie findet dort neue Bekannte, postet Kommentare und stellt Fotos ein. Sie hat das Gefühl, endlich wieder am Leben teilzunehmen. Ein Jahr später, nach der Geburt der kleinen Kimmy, wechselt Mélanie von Facebook zu Youtube und verfolgt dort intensiv alle Beiträge, die für sie von Interesse sind. Vor Kimmys 3. Geburtstag postet sie ihr erstes Youtube-Video.
Sie lässt Kimmy vor der Kamera singen und erzählen, später ist auch Sammy mit dabei. Ihre Filme erreichen immer mehr Abonnenten, man nimmt Kontakt wegen Product Placement auf. Bruno gibt seinen Beruf auf und kümmert sich um die Produktion der Filme. Die neue Tätigkeit bringt ihnen 5 Millionen Follower und einen gewissen Wohlstand, aber auch die ständige Verpflichtung, die Community zu unterhalten. Jede Aktivität, jedes Ereignis wird zum Gegenstand einer Story, der Konsum steht im Mittelpunkt der Filme. Mélanie sieht in all dem ein Geschenk, das Glanz in das gemeinsame Leben gebracht hat.
Als Kimmy 6 Jahre alt ist, verschwindet sie während eines Versteckspiels mit anderen Kindern der Wohnanlage. Die Polizei wird eingeschaltet, die Ermittlerin Clara wird mit der Welt der sozialen Netzwerke konfrontiert, die ihr bislang völlig unbekannt war.
Der gesellschaftskritische Roman hat mich von der ersten Seite an in seinen Bann gezogen. Die Vermarktung und Präsentation von Kindern durch ihre Eltern im Internet war mir bislang neu und hat mich betroffen und nachdenklich, aber auch wütend gemacht. Die Geschichte hat mich an den Film "Die Truman-Show" erinnert, in dem Truman nach Drehbuch in einer fiktiven Welt lebt und alle Menschen, die ihn umgeben, Schauspieler sind.
Das großartige Buch zeigt die Schattenseiten der Realityshows und sozialen Netzwerke auf und beschreibt das tägliche Leben der Familien, in denen die Kinder ohne ihre Einwilligung im Internet zur Schau gestellt werden. Es dokumentiert auch die seelischen Schäden, die Kinder erleiden, die für Netzwerke von ihren Eltern kommerziell ausgebeutet werden und keine normale Kindheit erleben dürfen.
Sehr eindrucksvoll beschreibt die Autorin, wie Mélanie immer mehr in den Sog ihrer Internetsucht gerät und sich ihr ganzes Leben nur noch darum dreht, ihre Kinder in ihrem Kinderkanal zu präsentieren.
Hochinteressant fand ich die Begegnung mit den inzwischen erwachsenen Kindern von Mélanie und deren Einstellung zu den Jahren als Internetstars am Ende des Buchs.
Der wunderbare und kluge Erzählstil von Delphine de Vegan hat mir wieder sehr gut gefallen, das Buch fesselte mich bis zum Ende. Es gehört bereits jetzt zu meinen diesjährigen Lesehighlights - von mir eine klare Leseempfehlung und verdiente 5 Sterne!