Inhaltlich gelungener Kontrast
Unter dem SturmSteckt das Böse erblich bedingt in uns? Ist es wirklich eine genetische Veranlagung? Sind Sohn und Enkel automatisch gewalttätig, weil der Vater beziehungsweise Großvater ein narzisstischer, herrischer ...
Steckt das Böse erblich bedingt in uns? Ist es wirklich eine genetische Veranlagung? Sind Sohn und Enkel automatisch gewalttätig, weil der Vater beziehungsweise Großvater ein narzisstischer, herrischer und aufbrausender Charakter ist? Ich meine Nein! Es sind doch immer auch die Umwelteinflüsse, denen wir ausgesetzt sind, die ebenfalls auf unser Verhalten einwirken, oder? Doch dieses kleine schwedische Dorf, in dem es in „Unter dem Sturm“ geht, scheint dies ganz anders zu sehen.
Christoffer Carlsson schildert in seinem Kriminalroman erschreckend ehrlich, wie Vorurteile zu einer wahren Hetzjagd auf den jungen Isak und dessen Familie werden, die weitreichende Folgen auf die gesamte Dorfgemeinschaft haben wird. Die Idee hinter diesem Roman ist einfach genial. Endlich mal ein Kriminalroman, bei dem es nicht stur um die Ermittlungsarbeit der Polizei geht. Leider konnte mich der Roman im Ganzen nicht vollends überzeugen.
Erzählt wird die Story aus zwei Perspektiven in drei zeitlichen Abschnitten, beginnend mit dem Brand 1994. Einerseits wächst Isak mit Fortschreiten der Handlung zu einem erwachsenen Mann heran. Carlsson zeichnet Isak als unsicheren, innerlich zerrissenen Charakter, der Zeit seines Lebens unter den Anfeindungen der Dorfgemeinschaft zu leiden hat. Mit ihm hebt Carlsson die Geschichte auf eine persönliche Ebene, die beängstigend schildert, was der Mordfall für die Familie des vermeintlichen Täters bedeutet. Und dieser Teil der Story ist unumstritten wirklich gelungen.
Andererseits schildert Carlsson die Geschehnisse aus der Sicht des Polizisten Vidar. Je älter dieser wird, umso kritischer steht er den Ermittlungen gegenüber und hinterfragt Ergebnisse, die er als junger Mann als gegeben hingenommen hat. Leider weisen diese Teile der Erzählung einige Längen auf. Immer wieder steht Vidars Privatleben im Mittelpunkt, das sicherlich zur glaubwürdigen Darstellung der Gesellschaftsstruktur beiträgt, mich aber streckenweise ziemlich gelangweilt hat. Hier hätte man die Handlung für meinen Geschmack gern etwas straffen können. Alles in allem gelingt es Carlsson aber, den eigentlichen Kriminalfall mit der nötigen Spannung in einem wohl durchdachten Finale enden zu lassen.
Auf sprachlicher Ebene konnte mich der Autor dann aber doch noch rundum begeistern. Mit einer klaren, berichtenden, beinahe objektiven Sprache schafft er einen gelungenen Kontrast zum inhaltlich sehr dramatisch aufgeladenen Geschehen und hebt so seine psychologische Gesellschaftsstudie auf ein wirklich hohes Niveau.
Persönliches Fazit: Mit „Unter dem Sturm“ liefert Christoffer Carlsson einen Krimi, der mit einer grandiosen Idee grundsätzlich überzeugen kann, mich allerdings aufgrund einiger Längen nicht vollends begeisterte. Trotzdem empfehle ich dieses Buch allen Krimifans, weil es eben nicht einfach um die üblichen Ermittlungsarbeiten, sondern um viel mehr geht: nämlich die Abgründe eines ganzen Dorfes.