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Rico

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Veröffentlicht am 15.09.2016

Der Trick

Der Trick
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Diogenes ist für mich immer ein Verlag der großen Autoren gewesen. Ein Garant für unterhaltsame Literatur. Nahrung für Geist und Seele. Ein Leuchtturm der Qualität im Meer der Belanglosigkeiten. Ich habe ...

Diogenes ist für mich immer ein Verlag der großen Autoren gewesen. Ein Garant für unterhaltsame Literatur. Nahrung für Geist und Seele. Ein Leuchtturm der Qualität im Meer der Belanglosigkeiten. Ich habe mich lange Zeit gefragt, warum das vorliegende Buch nicht „Der große Zabbatini“ heißt, denn mit diesem Namen ist der Protagonist über weite Strecken des Romans unterwegs. Der Schluss der Geschichte beantwortet diese Frage eindrucksvoll. Mosche Goldenhirsch, unverkennbar als Jude zur Welt gekommen. Zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Der 2. Weltkrieg wirft seine Schatten voraus und Mosche, den Zauberer zieht es ausgerechnet nach Berlin.

Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen. Der zehnjährige Max Cohn lebt in Amerika und will mit Hilfe einer Schallplatte die Ehe seiner Eltern retten. Der große Zabbatini ist fraglos ein Filou, nicht von Gottes, sondern von eigenen Gnaden. Er ist ein Frauenverkoster, nie um eine Antwort verlegen, immer einen Ausweg findend. Jemand der das gute Leben liebt und deswegen um Kinder immer einen großen Bogen gemacht hat. Er liebt alles Leichte.

Max Cohn dagegen sieht die Dinge des Lebens mit kindlicher Klarheit, die jeder Vernunft entbehrt. Es muss ein Zauber her, um die Ehe der Eltern zu kitten und da hört er auf einer dieser alten, vollkommen unpraktischen Schallplatten einen sonderbaren Kauz die erwünschten Worte sprechen.

Ich muss wirklich sagen seit Jahren nicht mehr etwas mit einer derart leicht geschriebener Hand mit so viel Tiefgang gelesen zu haben. Ein richtig toll erzählter Roman voller tragischer Ereignisse, dabei ungemein witzig mit absolut glaubhaftem Romanpersonal bestückt, was speziell bei diesem Schluss schon eine Leistung ist. Ich habe mit gefiebert, vor allem an diesem genialen Ende, der eine brillante Idee enthält, auf die ich niemals gekommen wäre. Der Roman ist einfach unglaublich gut durchdacht und durchkomponiert. Nahrung für Geist und Seele. Alles wie immer. Danke Diogenes!

Veröffentlicht am 25.08.2017

tolles Buch

Die Geschichte der getrennten Wege
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Ja, da ist er nun, der dritte Teil aus Elena Ferrantes Italien Epos. Die Geschichte der getrennten Wege ist die Fortsetzung von Kindheit und Jugend der Erzählerin. Inzwischen ist aus Elena eine erwachsene ...

Ja, da ist er nun, der dritte Teil aus Elena Ferrantes Italien Epos. Die Geschichte der getrennten Wege ist die Fortsetzung von Kindheit und Jugend der Erzählerin. Inzwischen ist aus Elena eine erwachsene Frau geworden. Sie hat ein Buch veröffentlicht, dass aufgrund seines Wahrheitsbezuges nicht von allen Menschen gemocht wird, die ihr nahe stehen und irgendwie zweifelt die Protagonistin auch an sich selbst, was in ihrem nicht ganz untypischen Fall direkt in eine Ehe mündet, die ihr zudem die Selbstständigkeit raubt. Ihre Freundin Lila dagegen-in unglücklichen Beziehungen durchaus bewandert- verschwendet ihr Dasein in Wurstfabriken und sonstigen Zwistigkeiten, die immer noch mit ihrer Jugend zu tun haben. Die Bindungen unter den Vesuv sind stets spürbar. Diese Gegend aus der die beiden Protagonistinnen stammen hat wahrlich Wunden geschlagen. Hier kommen die Frauen her und irgendein Teil der Seele scheint sich auch immer noch dort zu befinden. Während Elena mit ihrer Unabhängigkeit ringt hat sich Lila in ihr verloren. Sie weiß immer alles besser und macht es für sich selbst immer schlimmer.

Was halte ich von dem Buch? Ich muss gestehen selten ein Buch schneller gelesen zu haben, was sicherlich an der sehr flüssigen Schreibweise und meiner Neugierde auf das Geschehen geschuldet ist. Dabei hat es eine fast schmerzende Tiefe und Wahrhaftigkeit, die einen in den Bann schlagen kann. Die Beziehung der Geschlechter, diesen intellektuellen Hochmut von Männern, die sich wirklich niemals hinterfragen mussten und die Verletzlichkeit und Stärke von Frauen kommen sehr gut rüber. Die Charakterzeichnungen finde ich durchweg interessant erzählt. Immer wird da noch etwas offen gelegt, was tief unten in der Seele jahrelang geschlummert hat. Allerdings hätte ich mir bisweilen den geschichtlichen Hintergrund, das Buch spielt in den siebziger Jahren, des vorigen Jahrhunderts- etwas stärker ausgebaut gewünscht. Da geht ein bisschen Potential verloren. Alles in allem aber ein sehr gelungenes Buch. Ich freue misch schon darauf, den letzten Teil lesen zu dürfen.

Veröffentlicht am 06.03.2017

ein Genuss

Wenn ich jetzt nicht gehe
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„Wenn ich jetzt nicht gehe“ von Maria Duenas führt uns in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Mexiko Stadt. Mauro Larrea hat in der neuen Welt sein Glück gemacht. Durch harte Arbeit und kluge Entscheidungen ...

„Wenn ich jetzt nicht gehe“ von Maria Duenas führt uns in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Mexiko Stadt. Mauro Larrea hat in der neuen Welt sein Glück gemacht. Durch harte Arbeit und kluge Entscheidungen ist er Besitzer eines Barockpalastes geworden. Von den Minen und Ländereien einmal ganz zu schweigen. Doch wie Männer wie Mauro nun einmal so sind, riskiert er bei einem Geschäft zu viel und gerät ziemlich in die Bredouille. Genauer gesagt verliert er alles und muss das Land verlassen. In Havanna erhofft er sich Rettung, doch die Zeichen stehen schlecht, bis ein sonderbares Ereignis sein Leben völlig auf den Kopf stellt. Schon bald muss er erneut aufbrechen, um seine letzte Chance zu ergreifen. Jetzt oder nie.

Also, wenn es Buch für mehrere gedankenversunkene S-Bahn Fahrten gibt hat es Maria Duenas mit „Wenn ich jetzt nicht gehe“ ganz eindeutig geschrieben. Das Buch entfaltet einen Lesesog, der Protagonist wird sehr lebendig eingeführt und die Geschichte ist voller überraschender Wendungen. Mauro Larrea ist ein Held alter Schule. Der Roman läuft im Prinzip wie eine der üblichen Liebes- und Abenteuergeschichten ab, dass darf man nicht verhehlen. Aber die vertrackte Geschichte hat was und diese Autorin hat für mich ebenfalls etwas. Das Buch wirkt auf mich gut recherchiert, intelligent konstruiert und mit großer Sorgfalt geschrieben, was sich zum Glück nicht auf den flotten Schreibstil auswirkt. Maria Duenas hat die Geschichte gut durchdacht, was bei den Familienverwirrungen und psychologischen und geschichtlichen, Feinheiten gar nicht einfach gewesen sein mag. Ich habe mich mit dem Roman einfach durchweg wohl gefühlt.Selbst das Buchcover ist ein echter Hingucker. Und dieser Held! Mauro Larrea kommt einfach immer wieder auf die Beine und zeigt im Angesicht der Frage, ob es nicht sinnvoll sein kann, die Sklaverei zu unterstützen Courage. Ein schönes Buch, dessen einzige Schwäche seine größte Stärke ist- Ein Liebesroman zu sein.

Veröffentlicht am 01.02.2017

wunderbares Buch

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster
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Fred ist nach einer ziemlich unerquicklichen Ehe auf Sinnsuche und wird Sterbegleiter. Sein erster Einsatz bringt ihn jedoch mit der halsstarrigen Karla zusammen, die von seinen menschlichen Anwandlungen ...

Fred ist nach einer ziemlich unerquicklichen Ehe auf Sinnsuche und wird Sterbegleiter. Sein erster Einsatz bringt ihn jedoch mit der halsstarrigen Karla zusammen, die von seinen menschlichen Anwandlungen wenig hält. Aber sie braucht Fred nun einmal. Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium und nun auch noch Fred, dieser gefühlt typische Durchnittsdeutsche -wir haben uns alle lieb-Mann will natürlich wieder alles richtig machen. Wie bei seiner, der Esoterik zugeneigten Ehefrau, die sich inzwischen einem zupacken deren Mann zugewandt hat. Wie bei seinem Sohn Phil, dem sein Vater mit seiner leidigen Kumpelmasche zumindest mittelschwer auf den Zeiger geht, was in diesen pubertären Lebensjahren ja auch kein Wunder ist. Fred versucht die Mauer zwischen sich und der äußerst bärbeißigen Karla immer wieder einfallsreich zu überbrücken und überschreitet schließlich eine Grenze, die Karlas Gegenwart mit ihrer Vergangenheit verknüpft. Karla, einst hingebungsvoller Fan der Gruppe Grateful Dead hat nur noch einen Wunsch und den kann ihr eigentlich nur Freds Sohn erfüllen.

An das Thema Sterbebegleitung bin ich mit einer gewissen Grundskepsis gegangen. Aber die Leseprobe zu dem Buch hat mir gefallen und ich wurde tatsächlich positiv überrascht. Dieses Buch fördert eine herrliche Schlichtheit und eine hintergründige Komik zutage, wie ich sie in letzter Zeit selten gelesen habe. Susann Pàsztor hat die Gabe unser Dasein wirklich auf den Punkt zu bringen, die Realität einzufangen und diese auf einen literarischen Sockel zu hieven. Die Menschen kommen sehr lebensnah rüber. Wobei der etwas spröde Erzählton manchmal etwas über die Emotionen herübergeht und aus dem Ende eine Spur zu wenig herausholt. Aber ansonsten hat mich der Roman voll überzeugt. Vor allem die Entwicklung von Phil, dem genialen Reim-Rapper, der seinen seinen Weg geht. Er wächst am meisten in diesem Buch. Auch schön, wie die ganzen kleinen zwischenmenschlichen Geheimnisse nach und nach aufgedeckt werden. Und wer da zuletzt stirbt hat doch seine Würde gewonnen. Ein sehr gutes Buch von einer ausgezeichneten Autorin, die eine Lanze für die Sterbebegleiter bricht. Ich werde mir nicht nur Ihren Namen merken. Danke für die intensiven Lesestunden!

Veröffentlicht am 27.01.2017

gute Literatur

Ab morgen wird alles anders
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Es ist ein paar Jahre her seit ich mein letztes Buch mit Kurzgeschichten von Anna Gavalda gelesen habe.“Ich wünsche mir, dass irgendwo jemand auf mich wartet“ ist der Titel. Eins sehr unterhaltsames Buch, ...

Es ist ein paar Jahre her seit ich mein letztes Buch mit Kurzgeschichten von Anna Gavalda gelesen habe.“Ich wünsche mir, dass irgendwo jemand auf mich wartet“ ist der Titel. Eins sehr unterhaltsames Buch, was man von ihrem Roman „Nur wer fällt, lernt fliegen nun wirklich nicht sagen konnte. Manche Schriftsteller haben ein Händchen für Erzählungen und Kurzgeschichten. Anna Gavalda ist zweifellos eine grandiose Beobachterin alles zwischenmenschlichen vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Verhältnisse.

Die Liebe wird in diesem Erzählband immer wieder umschifft, als wäre sie eine Schlechtwetterfront vor Kap Horn. Und wenn dann mal jemand geliebt wird, stirbt er, durch die Putzsucht, der eigenen Mutter betrauert, wie in der Anfangsstory, die voller Tragik steckt. Sehr gut gelungen finde ich die zweite Geschichte. „Mathilde“ die junge moderne Frau, wie sie sicher nicht nur in Paris vorstellbar ist, vergisst in einem Lokal 10 000 Euro und ist von da an nur noch auf eine Sache fixiert. Hier zeigt Anna Gavalda viel von ihren Fähigkeiten. Das Innenleben der Protagonistin wird stark hervorgehoben. Gavaldas wilder Schreibstil ist unverwechselbar, mal witzig und hintergründig, mal ausufernd und auf Abwegen, man mag das oder nicht. Wie Besucher Paris lieben oder hassen.

Die Kurzgeschichten haben stark unterschiedliche Längen. „Meine Kraftpunkte“ ist wesentlich sachlicher geschrieben, was bei der vernunftbezogenen Hauptfigur kein Wunder ist. Wie alle Protagonisten macht der Erzähler einen Lernprozess durch. Er wird klüger durch das Leben. So was soll vorkommen und ist fast schon erfrischend, in all der seelischen Verwahrlosung in den Hochhausschluchten. In der vierten Geschichte ist der Lerneffekt am stärksten ausgeprägt, hier begegnet ein junger Mann einem sonderbaren Ehepaar. Zwei Menschen, die über sich hinausblicken. Schön geschrieben, gut im Abgang. Was man auch von der letzten Geschichte behaupten kann, in der wieder eine Frau die zentrale Rolle spielt, wenn es in Wirklichkeit auch dieses merkwürdige Dasein, um sie herum ist. Der Gavalda sei Dank. Alles in allem ein lesenswertes Buch.