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Rico

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Veröffentlicht am 15.09.2016

Paradies

Ein anderes Paradies
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Die angehende Künstlerin und mittellose Charlotte begegnet im Internat St. Anne der wohlhabenden Julia Buchanan. Durch einen Zufall werden die beiden ziemlich verschiedenen jungen Frauen so etwas wie beste ...

Die angehende Künstlerin und mittellose Charlotte begegnet im Internat St. Anne der wohlhabenden Julia Buchanan. Durch einen Zufall werden die beiden ziemlich verschiedenen jungen Frauen so etwas wie beste Freundinnen. Julias Familie gehört zur amerikanischen Oberschicht, die Männer dieses edlen Clans streben nach Senatorenposten und dem Präsidentenamt. Die Frauen suchen auf Cocktailpartys Abwechslung von ihrem harten Millionärsalltag oder finden beim Segeln Sinnstiftung. Charlotte schafft es mit Charme und Offenheit in diesen illustren Kreis aufgenommen zu werden. Doch es gibt noch einen weiteren Grund, warum die Familie großes Interesse an der begabten Charlotte zeigt. Denn Julia Buchanan hat gerade ihre Schwester durch einen Autounfall verloren und braucht eine Schulter, die sie stützt. Charlotte rutscht in diese Rolle, wie Aschenputtel in den Schuh und verliebt sich sogleich in Sebastian Buchanan.

Chelsey Philpot schildert die Ereignisse aus Charlottes Sicht. Der Beginn des Buches ist hervorragend erzählt, ganz in amerikanischer Erzähltradition, flüssig zu lesen und emotional packend, immer zwischen Handlung und Gefühlen pendelnd. Die Situation im Internat, die beginnende Freundschaft zu Julia, der Sprung in eine völlig neue Welt für Charlotte, die sich bis dahin ganz ihren familiären Sorgen und künstlerischen Interessen gewidmet hat, kommt gut rüber. Julia Buchanan führt sie in eine neue Welt ein, die Charlotte fasziniert, was durchaus glaubhaft, aber auch etwas oberflächlich rüber kommt. Mit zunehmender Dauer treten ohnehin immer mehr die Schwächen des Romans zutage. Die anfangs so großartig angekündigten Buchanan Charaktere bleiben für mich reine Behauptung. Da fehlt es an Figurentiefe und lange Zeit auch an dramatischen Höhepunkten, die sich dann doch noch auf den letzten fünfzig Seiten zielsicher aneinanderreihen und die Geschichte spektakulär auflösen. Unnötig fand ich übrigens das kokettieren der Autorin mit dem Romanklassiker „Der große Gatsby.“ Zu sehr geht „Ein anders Paradies“ im Wohlfühlpark harmoniesüchtiger Frauenliteratur spazieren, dass dieser Vergleich angemessen wäre. Überhaupt geht mir Chelsey Philpot ein wenig zu lax mit ihrer Geschichte um. Da wäre noch mehr drin gewesen. Denn Charlotte ist gerade dabei eine sehr selbstbewusste und kluge Frau zu werden. Ihre interessante Persönlichkeit hätte einen stärkeren Widerpart oder sonstige Widerstände gut vertragen. Besonders positiv sind mir der leicht spröde Erzählton und das lebhafte Internatsleben aufgefallen. Alles in allem ist so ein modernes Märchen entstanden, das Liebe und Tragik auf berührende Weise verbindet. Ein gutes Buch mit leichten Schwächen!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Der Herr des Turmes

Der Herr des Turmes
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In „Der Herr des Turmes“ kehrt Vaelin Al Sourna aus dem Krieg zurück, um Frieden und Ruhe in heimatlichen Gefilden zu finden. Doch schon bald überschlagen sich die Ereignisse. Eine unbekannte Frau vrsucht ...

In „Der Herr des Turmes“ kehrt Vaelin Al Sourna aus dem Krieg zurück, um Frieden und Ruhe in heimatlichen Gefilden zu finden. Doch schon bald überschlagen sich die Ereignisse. Eine unbekannte Frau vrsucht ihn zu töten. Der charakterlich ziemlich schwache König schickt ihn in die Nordlande, wo Vaelin Al Sourna, der Herr des Turmes, einer gigantischen Streitmacht ins Auge blickt. Zum Glück ist unser Held kein sonderlich furchtsamer Mann, eher ein tapferer Recke, von ritterlicher Gestalt. Eine Kampfmaschine mit Herz und Verstand, was in der Zusammensetzung ja relativ selten vorkommen soll. Der Autor geizt nicht mit sonderbaren Begabungen und starken Helden. Neben Vaelin treten mehrere Frauenfiguren auf den Plan, die vor allem mutig und intelligent sind. Ich habe schon zweihundert Seiten Anlauf gebraucht, um mich mit dem Buch anfreunden zu können. Richtig Bindung habe ich erstaunlicherweise ausgerechnet in den Frentis Kapiteln erlebt. Dieser versklavte Einzelkämpfer, dem immer nur das Morden bleibt, weilhinter jeder Ecke der Wahnsinn lauert ist in seiner Brandgefährlichkeit und Vielschichtigkeit sehr interessant. Dagegen fand ich die Frauenkapitel zu Beginn etwas pomadig erzählt. Mag sein, dass ich als Mann da gewisse lesetechnische Defizite habe. Mag sein. Aber bisweilen hängt die Geschichte da für mich leicht durch. Mit zunehmender Dauer läuft das Buch aber immer hochtouriger, bis die Erzählfäden zusammenfinden. Auffallend sind auch die vielen kraftvoll gezeichneten Nebenfiguren, die Fiesen und Drangsalierten in ihrer Qual. Das Kampfgeschehen, die Schlachten, hier wird verraten und verkauft, geliebt und gemordet. Herz was Willst du mehr? Naja, die Liebe natürlich. Kommt auch vor. Über den Schreibstil muss man nicht lange diskutieren, der ist einfach grandios und die Fähigkeit des Autors eine solche komplexe Geschichte mit derart ausgefeilten Charakteren zu erfinden verdient ein Sonderlob. Das Ding ist spannend, formidabel ausgearbeitet und mitreißend geschrieben. Ein tolles Buch!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Amerika

Das verrückte Tagebuch des Henry Shackleford
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„Das Verrückte Tagebuch des Henry Shackleford“ ist ein moderner Schelmenroman, der den Ausbruch des amerikanischen Bürgerkriegs vorwegnimmt. Henry ist ein junger Sklave, der eines Tages von einem alten ...

„Das Verrückte Tagebuch des Henry Shackleford“ ist ein moderner Schelmenroman, der den Ausbruch des amerikanischen Bürgerkriegs vorwegnimmt. Henry ist ein junger Sklave, der eines Tages von einem alten Herrn befreit wird. John Brown ist starrsinnig, bibeltreu und Wetterfest. Vor allem aber versteht er überhaupt keinen Spaß, wenn es um die Sklaverei geht. Das bei Browns Befreiungsaktion Henrys Vater ums Leben kommt heftet John Brown unter Kollateralschaden ab und geht direkt zur Tagesordnung über.

Er sieht sich als ein Werkzeug Gottes und erklärt Henry Shackleford in unnachahmlicher Weise zu einem Mädchen und nimmt die angebliche Tochter unter seine Obhut. Wobei Henry in der Folgezeit ernüchtert feststellt, dass die Sklaverei im Großen und Ganzen leichter war, als mit diesem Verrückten unterwegs zu sein. Denn Brown will die Sklaverei überall in Amerika abschaffen und dazu ist ihm kein Weg zu weit, kein Mord zu abstrus und keine Schlacht zu hart. Selbst die bitterkalten Winter verbringt er lieber mit seinen wenigen Soldaten in der Freiheit der Prärie. Die Stadt bedeutet Laster und ist überhaupt etwas für Weichlinge. Henry bleibt fast immer an seiner Seite, als Mädchen verkleidet und begleitet Brown bei seinen hirnverbrannten Attacken gegen die Sklaventreiber. Und irgendwie beginnt Henry den Kauz zu mögen.

James Mcbride schlägt einen lockeren Erzählton an, der vom Western Mythos getragen wird und getränkt ist von Galgenhumor. Vor allem im der zweiten Hälfte des Buches musste ich immer wieder lauthals lachen und den Kopf schütteln über den starrsinnigen John Brown, der die Bibel wörtlich nimmt. Auge um Auge. Zahn um Zahn. Alles um Gottes Willen auf Erden Geltung zu verschaffen. Dieser Mann hat etwas von Don Quijote. Henry wird zu seinem Sancho Panza und der weiß, es ist ein kleiner Schritt von der Einbildung, bis zur Wirklichkeit. Er kann ja auch noch nicht ahnen, wie nahe der Bürgerkrieg ist, dessen Bote bisweilen mit dem Schwert gegnerische Köpfe abschlägt.

Zweifellos hat das Buch seine dramaturgischen Schwächen, darüber kann auch keine Buchpreisnominierung hinwegtäuschen, die sicher dem Thema geschuldet ist. So lässt Mcbride manchmal die Handlung schleifen und lässt bisweilen seine eigene Idee im Stich, indem sich sein Henry in Kleinigkeiten verliert. Dennoch finde ich den Roman gelungen. Er hat mir mit jeder Seite mehr Freude bereitet, bis ich am Ende bedauert habe den Buchdeckel schon zu klappen zu müssen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Las Vegas

Billy
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Billy ist Schotte, gut ausgelasteter Auftragsmörder und Hobby-Philosoph in einer Person. Schließlich hat Nietzsche sein Leben mehr beeinflusst, als seine früh verstorbenen Hippieeltern. Von den Beiden ...

Billy ist Schotte, gut ausgelasteter Auftragsmörder und Hobby-Philosoph in einer Person. Schließlich hat Nietzsche sein Leben mehr beeinflusst, als seine früh verstorbenen Hippieeltern. Von den Beiden hat er lediglich die Liebe zur Musik geerbt. Es ist sein liebevoller Onkel, der ihn aufzieht und mit philosophischen Fragestellungen konfrontiert, die sich durch den gesamten Roman ziehen. Die neue Familie gibt ihm alles, was er zum Leben in der schottischen Provinz braucht. Schutz, immer mindestens ein offenes Ohr und den Hang Klartext untereinander zu reden. Es ist schlussendlich einfach logisch, dass Billy in der familieneigenen Firma für Auftragsmorde seinen Dienst antritt.

Zwölf Mal hat er inzwischen seinen Job getan. Er hat seine Opfer, die eigentlich auch Täter sind, gefesselt, er hat sie reden lassen, um etwas über ihr Leben zu erfahren. Er hat Ihnen einen letzten Musikwunsch erfüllt. Er verhält sich korrekt, nichts Persönliches bringt Billy zum morden. Kein Gerechtigkeitssinn treibt ihn an. Er erledigt einen Job. Sonst nichts. Schließlich fliegt er nach Las Vegas, um seinen Kumpel Whip zu treffen, der ebenfalls für die Firm arbeitet und die Dinge eskalieren. Doch bis dahin trifft Billy Elvis, der sich allerdings mit „w“ schreibt. Ein Wüstenindianer vom Stamme der Apachen kommt ihm in die Quere und die Anzahl von Wasserstoffblondinen mit Brustverstärkung nimmt in Las Vegas groteske Züge an.

Einzlkind- cleveres Pseudonym übrigens- ist in der deutschen Literaturlandschaft kein Unbekannter mehr. Er hat mit „Harold“ und „Gretchen“ bereits Aufmerksamkeit in den Feuilletons erregt. Nun legt er mit „Billy“ einen bärenstark erzählten Roman vor, der durch seine Spannungselemente ins Thriller-Genre hereinreicht, aber letztendlich in der gehobenen Literatur zu verorten ist. Inhalt geht also über Effekte. Wobei Billy einen erfrischend schnoddrigen Ton anschlägt, der den Leser bei Billy tatsächlich an einen Schotten denken lässt. Seine Beobachtungen, ob nun in Hotelbars, dem Death Valley oder Spielerstadt Las Vegas sind voll sprachlicher Tiefenschärfe. Seine philosophischen Rundumschläge lassen den Leser aufhorchen und nachdenken.

Er zerlegt Begriffe, wie Gerechtigkeit, Mitleid und Gleichheit, wobei er, wie sein Vorbild Nietzsche, deren erwiesenen Evolutionsnutzen strikt leugnet. Immer wieder fasst er hinter die Worthülsen und zeigt, was sie tatsächlich bedeuten oder beweist deren Inhaltsleere. Mir hat die Auseinandersetzung mit diesem fulminanten Stück Literatur ungemein Freude bereitet. Das sind wirklich Menschen über die der Autor schreibt und gleichzeitig ist das alles undenkbar, was wir da lesen. Das Buch bringt es fertig Humor, Mord und Philosophie zu einem gelungenen Ganzen zu vereinen. Hier sucht jemand die Wahrheit und zwar seine eigene. Dafür gebührt Einzlkind mein

Veröffentlicht am 15.09.2016

Etta

Etta und Otto und Russell und James
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Dreiundachtzig Jahre alt ist Etta, als sie mit etwas Schokolade, einem Gewehr und ihren Wanderschuhen in Richtung Meer wandert. Wenn nicht jetzt, wann sollte Ella jemals einen in der Sonne funkelnden Ozean ...

Dreiundachtzig Jahre alt ist Etta, als sie mit etwas Schokolade, einem Gewehr und ihren Wanderschuhen in Richtung Meer wandert. Wenn nicht jetzt, wann sollte Ella jemals einen in der Sonne funkelnden Ozean sehen? Das ganze Leben hat sie auf einer kanadischen Farm zusammen mit ihrem Mann verbracht. Otto lässt sie zu ihrem Sehnsuchtsort ziehen. Widerstand zwecklos, dass weiß der ehemalige Frontsoldat des zweiten Weltkriegs. Der gemeinsame Freund Russel jedoch entschließt sich Etta zu folgen, um sie heimzuholen. Auf der gefährlichen Wanderung trifft Etta den Kojoten James, der bald ihr engster Vertrauter wird und alte Erinnerungen werden wach. An die Jugend und Arbeit. Aber auch an die Kriegszeiten und Entbehrungen, die damit verbunden waren. In Rückblenden und Briefen wird über die alten Zeiten berichtet und bald interessieren sich die Zeitungen für die wandernde sonderbare Frau.

Wie Otto mit den deutschen Soldaten habe ich etwas kämpfen müssen mit dem Buch. Auf den ersten hundert Seiten hat mich die Vielzahl von Namen und Begebenheiten ziemlich erschlagen. Emma Hooper will auf Teufel komm raus unterhalten, emotionale Bindung schaffen und eine Spur philosophischer Tiefe einfließen lassen. Letzteres gelingt nur in Ansätzen. Wofür vor allem der springlebendige Schreibstil verantwortlich ist, der inne Halten oder Nachdenkens wertes zeigen von vornherein ausschließt. Emma Hopper drückt auf jeder Seite auf das Gaspedal, was für ein gewisses Ungleichgewicht innerhalb des Romans verantwortlich ist. Auf der einen Seite finde ich die wunderliche Beziehung zwischen dem Kojoten James uns Etta sehr witzig und als Idee einfach Klasse. Auch diese Dreiecksbeziehung Beziehung zwischen dem verschrobenen Russell, Etta und dem zupackenden sowie bodenständigen Otto ist absolut lesenswert. Auf der anderen Seite werden viele gute Motive verschenkt. So bietet Ottos Leben im zweiten Weltkrieg eigentlich reichlich Potenzial, um den Leser emotional einzubinden. Bei mir zumindest hat das nicht besonders gut hingehauen. Auch Ettas großartige Wanderschaft fehlt es nicht nur an Glaubwürdigkeit, was mir persönlich bei diesem Genre nicht besonders wichtig ist, sondern auch an dramatischer Zuspitzung oder erzählerischer Durchschlagskraft. Das Ganze ist mir zu stark auf Unterhaltung gebürstet. Darin liegt natürlich auch eine große Stärke. Sicher wird es viele Leser finden.