Tagebuch des Misstrauens
Kleine MonsterWährend ich zu Beginn nur ein Buch über den Umgang mit schwierigen Kindern erwartete, entwickelte es sich schnell zu einem Einblick in die Seele der Ich-Erzählerin Pia. Als Mutter des in der Schule auffällig ...
Während ich zu Beginn nur ein Buch über den Umgang mit schwierigen Kindern erwartete, entwickelte es sich schnell zu einem Einblick in die Seele der Ich-Erzählerin Pia. Als Mutter des in der Schule auffällig gewordenen siebenjährigen Luca kämpft sie mit dem Schweigen ihres Kindes und in der Folge mit ihren eigenen Dämonen.
Um dies effektiv darzustellen spielt die Geschichte in zwei Zeitebenen: Immer wieder berichtet sie aus der Zeit, als sie selbst noch ein Kind war und durch tragische Umstände ihre kleine Schwester verlor. Dieser Aufbau hat mir besonders gut gefallen, nach und nach erfährt man als Leser mehr Details über ihre Vergangenheit und sammelt Puzzlestücke, die ihr heutiges Verhalten erklären könnten.
Ebenso bin ich ein großer Fan des Schreibstils: Pia erzählt alles so, wie sie es wahrnimmt und interpretiert, sodass man als Leser irgendwann selber anfängt, ihren Worten zu misstrauen. Ist das, was man liest, überhaupt die "Wahrheit"? Lind versteht es, meisterhaft Atmosphären zu schaffen, angepasst an den mentalen Zustand von Pia. Ist sie positiv gestimmt, wirkt auch der Text leichter; wird sie zum Opfer ihres eigenen Misstrauens, fühlt man sich als Leser wie in einem Psychothriller, teilweise sogar mit einem leichten Horrorgefühl.
Falls man zu diesem Buch greift, weil man ähnlich wie in einem Krimi die Auflösung um den anfänglichen "Fall" rund um den Sohn erwartet, wird man hier möglicherweise jedoch enttäuscht werden. Das Buch lässt einiges offen bzw. erlaubt die eigene Interpretation des Geschehenen - wir kriegen nur Pias Sicht, aber trauen wir ihr? Oder den Personen in ihrem Leben?
Mir hat es sehr gut gefallen, zwischen den Zeilen lesen zu müssen und herauszufinden, inwiefern uns Kindheitstraumata noch unser Leben lang beeinflussen und begleiten können.