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Veröffentlicht am 26.02.2020

Nimm das!

Anja Rützel über Take That
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Sehr unterhaltsam und kurzweilig. Natürlich hilft es, wenn man sich für das Thema (Boyband[kultur] allgemein und Take That im Speziellen) interessiert und/oder selbst eine "Fanhistorie" aufzuweisen hat ...

Sehr unterhaltsam und kurzweilig. Natürlich hilft es, wenn man sich für das Thema (Boyband[kultur] allgemein und Take That im Speziellen) interessiert und/oder selbst eine "Fanhistorie" aufzuweisen hat (die, zumindest leicht, ins Exzessive gehen sollte, schließlich reden wir hier von Boyband-fandom, nicht von stiller Verehrung o.Ä.). Denn: Anja Rützels Buch behandelt beides, sowohl die Band- als auch die eigene Fanbiografie. Doch auch Nichtinsider dürften an diesem Werk Spaß haben, versteht es Frau Rützel doch wie keine zweite, popkulturelle Phänomene sowohl wunderbar humorvoll, als auch mit Respekt und echter Leidenschaft zu besprechen (wie z.B. in ihren Kolumnen oder auch in "Trash-TV", das mir auch schon gut gefallen hat.)

Nun also Take That. Das Buch bietet einen guten, kompakten Überblick über die Historie der Band, vom Casting bis zum Musical sind alle großen Stationen dabei. Jedes Mitglied wird in einem eigenen Kapitel vorgestellt, dazu gibt es Infos zu Songs, Songtexten, gut nachvollziehbare Thesen zur generellen Funktionalität von Boybands und kleine amüsante Listen, wie z.B. Frau Rützels 5 Lieblingssongs der Band oder die 5 besten Tanzfiguren. Sogar ein kurzer Ausflug in Fanfiktion ist dabei. Das Ganze, wie gesagt, gewürzt mit dem ganz speziellen Rützelhumor, der vieles (inkl. der Autorin selbst) auf die Schippe nimmt, man aber jederzeit spürt, dass er aus Verehrung entspringt, nicht aus Neid, Missgunst oder Unverständnis.

Mir hat das Buch besonders gut gefallen, da ich mich sehr mit dem Hintergrund der Autorin identifizieren konnte: Wie sie selbst war auch ich ein paar Jahre zu alt, um dem TT-Hype komplett zu verfallen (meine "Ich bin 13 und drehe völlig durch"-Band waren die New Kids wenige Jahre zuvor), aber ich war immerhin interessiert genug, um so ziemlich alles nachzuvollziehen können, was Frau Rützel anspricht. Immerhin war "Never Forget" der Song in meinem Abi-Jahr, und das Konzert der Progress-Tour gehört zu den besten, auf denen ich je war (einfach, weil es so umfangreich war: Pet Shop Boys als Vorband, dann TT4, dann Robbie solo, dann TT5, und ich hätte nie gedacht, das nochmal live zu erleben...). Trotzdem war ich immer mehr Robbie als Take That, aber nun, geht ja beides gut zusammen.

Das einzige, was mir nicht ganz so gut gefallen hat, ist das von mir gewählte Format - das Hörbuch ist von der Autorin selbst eingelesen, und hier hat mir ein wenig die Leidenschaft im Vortrag gefehlt. Abgesehen davon: Das Buch macht einfach richtig viel Spaß!

Veröffentlicht am 26.02.2020

Carrie Fisher, you are missed!

Vom Erwachen der Nacht
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Carrie Fisher lässt uns ihr ihr Leben Blicken - in die Höhen und vielen, vielen Tiefen. Es werden mehrere ernste Themen angesprochen: Alkoholismus, Drogenabhängigkeit, psychische Erkrankungen, Familiendrama ...

Carrie Fisher lässt uns ihr ihr Leben Blicken - in die Höhen und vielen, vielen Tiefen. Es werden mehrere ernste Themen angesprochen: Alkoholismus, Drogenabhängigkeit, psychische Erkrankungen, Familiendrama -alles dabei. Und dennoch zieht das Buch nicht runter, denn so wie Carrie Fisher darüber spricht, mit ihrem wunderbaren Sarkasmus, ihrem gewitzen Charm und ihrer Ironie, macht sie das Buch zu einem unterhaltsamen, interessanten und sehr lustigen Leseabenteuer.

Carrie Fisher war so viel mehr als "nur" Leia, Star-Wars-Ikone und "Skript-Doktor". Sie war auch die Tochter eines Promipaares, Enkelin, Mutter, Schwester, Ehefrau, Freundin und - Abhängige. Und es sind diese Rollen, die im Mittelpunkt des Buches stehen.

Der Erzählung folgt übrwiegend der Chronologie. Und sie macht so viel Spaß! Wir eine Achterbahnfahrt von scheinbaren Slapstick-Episoden inmitten der Hollywood-Elite.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.02.2020

Zeitzeugenbericht der etwas anderen Art

Wir sind dann wohl die Angehörigen
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Ein Zeitzeugenbericht der etwas anderen Art: Johannes Scheerer erzählt rückblickend, wie er 1996 als 13-Jähriger die 33-tägige Entführung seines Vaters Jan Philipp Reemtsma erlebt hat (Reemtsma-Entführung). ...

Ein Zeitzeugenbericht der etwas anderen Art: Johannes Scheerer erzählt rückblickend, wie er 1996 als 13-Jähriger die 33-tägige Entführung seines Vaters Jan Philipp Reemtsma erlebt hat (Reemtsma-Entführung). Die Erzählperspektive ist gut gewählt und authentisch wiedergegeben. Vom ersten Schock über die Schritte ins das neue, temporäre Leben ohne Vater (dafür mit Polizei, Ermittlern und Entführern) bis hin zur großen Verzweiflung - Scheerer lässt den Emotionen freien Lauf, ohne dass sein Bericht ins Kitschige abdriftet.

Man kann sie nachvollziehen, die Hoffnungslosig- und Hilflosigkeit des 13-Jährigen, dessen gesamtes Leben von jetzt auf gleich auf nur ein Thema (Entführung!) einzoomt und kaum Platz für darüber hinaus gehende Randbetrachtungen lässt. Er ist quasi mittendrin im Geschehen, aber irgendwie nicht, denn vieles, vor dem er als 13-Jähriger in dem Moment geschützt werden sollte, erfuhr er erst später. So ist es vor allem die Hilfslosigkeit, die die Gedanken des 13-Jährigen bestimmt. Neben Fragen wie: "Was kann ich tun, wie kann ich von Nutzen sein?" ist es dabei vor allem die reale Befürchtung, den Vater nie wieder zu sehen, die der 13-Jährige schon früh akzeptiert, um auf das Schlimmste vorbereitet zu sein. Briefe des Vaters aus der Gefangenschaft, in denen er liebevoll mit Frau und Sohn kommuniziert, erzeugen so einen mentalen Spagat zwischen dem schon fast als real empfundenen Verlust und der hierfür unerwünschten Hoffnung. Diese Gedanken, diese vorauseilende Akzeptanz des "bösen Endes" fand ich ziemlich düster, teils fast erschreckend.

33 Tage lang dauert die Qual. 33 Tage, in denen die Polizei sich diverse ermittlungstaktische Pannen erlaubt, in denen die Kommunikation mit den Entführern immer wieder scheitert, in denen Johannes die Außenwelt kaum wahrnimmt (und wenn doch, immer mit etwas schlechtem Gewissen) und in denen so manche an ihre Grenzen stoßen.

Die (von ein paar Gesangseinlagen abgesehen) überwiegend besonnene, ruhige Lesung vom Autor passt gut zur "Stimmung" des Buchs. Für mich persönlich hätte es an einigen wenigen Stellen noch etwas straffer sein dürfen. Grundsätzlich hat es sich aber gut lesen bzw. hören lassen und ist als außergewöhnlicher Blickwinkel auf eine solche Entführungssituation empfehlenswert.

Veröffentlicht am 12.02.2020

Eine Geschichte über die Geschichte eines Buches..

Alles, was wir sind
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Was ist dieses Buch? Die Antwort darauf fällt mir nicht leicht. Drin steckt ein ordentlicher Schlag gut recherchierter Zeitgeschichte von der Nuance "Kalter Krieg in den 1950ern"; ein bisschen Spionagetätigkeit; ...

Was ist dieses Buch? Die Antwort darauf fällt mir nicht leicht. Drin steckt ein ordentlicher Schlag gut recherchierter Zeitgeschichte von der Nuance "Kalter Krieg in den 1950ern"; ein bisschen Spionagetätigkeit; menschliches Drama sowie die Liebesgeschichte von zwei Paaren, die unterschiedlicher nicht sein könnten und durch ihre jeweilige "Unmöglichkeit" doch eine unglückliche Gemeinsamkeit haben.

In erster Linie ist es aber ein Buch über ein anderes Buch. Ein Buch über Doktor Schiwago, dessen eigener Inhalt aber nur eine Nebenrolle spielt. Soll heißen, man muss es nicht zwingend gelesen haben (der Appetit darauf kommt sowieso von alleine) aber ein paar grobe Grundzüge der Geschichte zu kennen hilft. Letzlich steht aber vor allem sowieso eher das Buch an sich im Fokus, die Macht des geschriebenen Worts.

Es sind die 50er, es ist der Kalte Krieg und Frauen hier wie da haben sowieso schlechte Karten. In der UdSSR ist es Olga, die nicht ganz so heimliche Geliebte und Muse des großen russischen Literaten Boris Pasternak (quasi seine persönliche Lara). Pasternak ist gerade dabei, sein Lebenswerk zu vollenden, jenen Roman, der zur politischen Waffe werden wird. Dabei will Pasternak eigentlich nur die Geschichte von Juri und Lara erzählen, von jenen Irrungen und Wirrungen vor, während und nach der Oktoberrevolution. Doch weil das, was Pasternak über die Oktoberrevolution zu schreiben hat, als antisowjetisch gilt, wird der ehemalige Stalin-Protege nach dessen Tod zum Schreiberling unter Beobachtung. Mit fatalen Folgen für seine Geliebte Olga, die in den Gulag geschickt wird. Und Doktor Schiwago? Darf nicht veröffentlicht werden.

In den USA will das CIA den Roman in seine Finger kriegen. Die Geheimdienstler sehen in dem verbotenen Epos eine literarische Waffe, die die Menschen in der UdSSR wachrütteln soll. Nur: Dazu muss das Buch erscheinen - und wie es dazu kommt, erzählen bei der CIA angestellte Frauen aus verschiedenen Blickwinkeln.

Die Kapitel wechseln flott hin und her: sowohl Schauplatz, Handlungsjahr als auch Erzählstimme. Die Geschichte fand ich interessant: Da war zum einen der zeitgeschichtlicher Aspekt, der die 50er Jahre ziemlich lebendig rübergebracht hat. Hier haben mir vor allem die Kapitel der "Stenotypistinnen" gut gefallen - als eine Art "griechischer Chor" berichten diese Frauen in der ersten Person Plural von ihrem Leben, ihrer Arbeit, ihrem Dasein als "stille Tippse" in dieser Männerwelt, die viel mehr wissen und mitbekommen, als ihre Kollegen für möglich halten.

Zum anderen fand ich den Fokus auf Literatur bzw. den Literaturbetrieb spannend. Wie Boris Pasternak das Werden, das Entstehen seiner Geschichte beschreibt, was ihm das Buch bedeutet, was er dafür alles als zweitrangig einordnet. Wie das Buch seinen Weg um die Welt antritt. Wie Schriftstellerverbände, Verleger, Agenten und letztlich das Nobelpreiskommitee Politik machen. Wie Doktor Schiwago so viel mehr war, so viel mehr ist, als die Liebesgeschichte zwischen Juri und Lara.

Vermutlich kein Roman, der mir auf ewig in Erinnerung bleiben wird, dazu blieben mir die Charaktere - vielleicht bis auf die eindringliche Olga und den "erfrischenden" Chor - etwas zu blass. Aber: Das Thema war spannend und interessant erzählt. Ich hab's gern gelesen.

Veröffentlicht am 12.02.2020

Lesenswerte Sammlung

Die Dinge beim Namen nennen
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Wieder eine sehr engagierte Sammlung von Rebecca Solnit. Im vorliegenden Band sind Essays zur Schnittmenge von "Politik" und "Sprache" zusammengefasst. Der Fokus liegt klar auf dem Thema US-Politik (und ...

Wieder eine sehr engagierte Sammlung von Rebecca Solnit. Im vorliegenden Band sind Essays zur Schnittmenge von "Politik" und "Sprache" zusammengefasst. Der Fokus liegt klar auf dem Thema US-Politik (und hier vor allem das im Mittelpunkt stehende Personal), aber auch "globalere Themen" wie Klimawandel, Medienethik und -integrität, Rassismus und Feminismus werden behandelt (auch vor allem mit US-Fokus).

Ich mag Solnits Schreibe. Zum einen ist die Themenauswahl immer gut durchdacht, und auch wenn die Themen scheinbar groß und für sich raumfüllend sein mögen, gibt es fast überall kleine Vernetzungen, und Solnit macht sie sichtbar. Dazu argumentiert sie clever und bastelt, sehr intellektuell-kreativ, dabei sehr inspirierende Gedankenketten zusammen.

Was mir an diesem Buch besonders gefallen hat, abgesehen vom Oberthema an sich: Die Essays behandeln nicht nur inhaltlich linguistische Überlegungen anhand politischer Beispiele, sie spielen auch selbst mit Sprache. Z.B. in "Dem Kirchenchor" predigen vergleicht Solnit diese Auffassung, die im amerikanischen mit "preaching to the choir" verbalisiert wird, mit dem Buhlen um neue/alte Wählerstimmen. Müssen die schon gewonnenen Fans überhaupt noch unterhalten werden und wenn ja, warum? In "Break the Story", ursprünglich eine Abschlussrede an ihrer Alma Mater, beleuchtet sie auch diesen Ausspruch von allen Seiten - denn auch Geschichten können "zerbrechen". Es gibt noch zahlreiche andere Beispiele, bei denen ich begeisternd nickend zugestimmt habe.

Inhaltlich ist die Zusammenstellung vor allem im zweiten Teil etwas willkürlich(er), übergreifend passen die Texte aber durchgängig zum Oberthema und ich habe für mich noch einen kleinen Gefühlsbogen ausgemacht: Vor allem der erste Teil des Buches ist sehr angriffslustig. Im Mittelteil wird es etwas nachdenklich stimmender. Der letzte Text ist versöhnlich-aufbauend.

Habe ich sehr gern gelesen und freue mich schon auf Weiteres von Rebecca Solnit.