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Veröffentlicht am 12.02.2020

Streckenweise langweilig

Unorthodox
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Ein an sich sehr bewegendes Schicksal über eine Frau in/aus einer Kultur, von der mir nur wenig bekannt ist. Leider fand ich das Buch streckenweise langweilig und teilweise fast schon... unsympathisch, ...

Ein an sich sehr bewegendes Schicksal über eine Frau in/aus einer Kultur, von der mir nur wenig bekannt ist. Leider fand ich das Buch streckenweise langweilig und teilweise fast schon... unsympathisch, was allerdings auch am gewählten Format (Audiobuch) gelegen haben mag.

Deborah Feldman erzählt ihre Geschichte vom Aufwachsen und geprägt werden in einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde, der Satmarer in Williamsburg (New York). Das Mädchen wächst in einer streng konservativen Gemeinde auf. Die Satmarer führen ein stark abgeschiedenes Leben, unter anderem weil sie den Holocaust als Strafe für die Assimilation vieler Juden ansehen. Das führt dazu, dass vor allem Mädchen und Frauen strengen Reglements unterworfen sind, die denen in anderen streng konservativen Strömungen und Religionen ähneln. Das ist zweifelsohne meist unfair, teils schockierend zu erfahren.

Den Prozess, wie ein Mädchen, das unter dieser Art der Weltanschauung aufwächst, zu einer freiheitsliebenden, emanzipierten Frau wird, die dieser Welt schließlich den Rücken kehrt, wollte ich gerne erkunden. Leider wurde dieser nicht so mitreißend geschildert wie erhofft. Denn die Deborah aus dem Buch hat mir von Anfang an das Gefühl gebeben, dass sie weiß, dass sie etwas besonderes ist, dass sie irgendwie zu etwas anderem bestimmt ist. Und dies zog sich für mich durch das ganze Werk: Dieses immer leicht überhebliche, stets neunmalkluge Besserwisser- und -fühlerei und die vorausschauende Weisheit des Zukünftigen. Die Lesestimme von Anita Hopt hat diesen Effekt für mich leider zusätzlich verstärkt - ich konnte es quasi nicht mehr nicht hören.

Und ich fand das schade, weil überflüssig und unerwartet. Ich hatte im Vorfeld und auch beim Lesen einige Interviews mit Deborah Feldman gesehen, und sie wirkte auf mich sympathisch und nahbar. In ihrem Memoir kommt das leider weniger vorteilhaft rüber. Und es hätte das doch auch gar nicht gebraucht: Das Schicksal der kleinen Deborah ist schlimm genug, ich hätte intensiveren Anteil daran gehabt, wenn sie mich nicht immer mal wieder an ihre Überlegenheit erinnert hätte.

Hinzu kommt, dass ich das Buch über weite Strecken auch ziemlich langweilig fand. Ziemlich lange ist ziemlich wenig passiert. Dazu beigetragen hat zum Teil auch, dass viele Rituale, Regeln und Gebräuche der Satmarer Chassiden wenig oder gar nicht erklärt wurden. Hier hätte ich mir mehr Hintergrund und Einblicke gewünscht, die an der ein oder anderen Stelle sicher zu etwas vielschichtigerem Verständnis beigetragen hätte.

Letztlich kam mir der eigentliche Ausstieg auch ein wenig zu kurz. Da sind viele Fragen offen geblieben, die Frau Feldman vermutlich in ihrem zweiten Memoir Überbitten beantwortet. Das vorliegende Buch war ["nur"] ihr "Ticket nach draußen", und das merkt man dem Werk an einigen Stellen leider auch an. Nichtsdestotrotz bleibt es eine interessante Leseerfahrung mit einer schönen versöhnenden Botschaft. War unterm Strich also durchaus "okay".

Veröffentlicht am 12.02.2020

Unterhaltsamer Klassiker

Kleider machen Leute
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Ein kurzer, unterhaltsamer Klassiker von einem wenig tapferen Schneiderlein, das eigentlich gar nicht aufschneiden will, genau das aber - größtenteils unfreiwillig - in großem Stil tut. Eine Art romantische ...

Ein kurzer, unterhaltsamer Klassiker von einem wenig tapferen Schneiderlein, das eigentlich gar nicht aufschneiden will, genau das aber - größtenteils unfreiwillig - in großem Stil tut. Eine Art romantische Verwechslungskomödie, gleichzeitig ein Klassiker, der nicht altert und dessen Themen auch heute noch aktuell sind: Welche Rolle spielen Äußerlichkeiten bei der Beurteilung einer Person? Wie sehr lässt man sich vom "schönen Schein" in die Irre führen? Und: Wo hört das Verschweigen auf und fängt die Lüge an?

Keller schreibt flott daher, lässt hier und da eine Spitze oder ein Bonmot fallen. Gut haben mir vor allem die kleinen Szenen gefallen, die der Schneider quasi als Verzweiflungstat oder Übersprungshandlung vollführt (erstmal nur schüchtern im Essen rumpicken) und die die Umstehenden ihm als besonders "herrschaftliche" Verhaltensweise auslegen ("Oha, ein sehr ausgewählter Esser!"). Kurzum: Ich habe mich gut unterhalten gefühlt.

Veröffentlicht am 12.02.2020

Nebenbei Geschichte lernen

Teufelskrone
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Ich liebe die Bücher von Rebecca Gablé, vor allem die der Waringham-Reihe, aus zwei Gründen: Zum einen ist es immer ein bisschen, wie nach Hause zu kommen, zum anderen macht Geschichte lernen selten so ...

Ich liebe die Bücher von Rebecca Gablé, vor allem die der Waringham-Reihe, aus zwei Gründen: Zum einen ist es immer ein bisschen, wie nach Hause zu kommen, zum anderen macht Geschichte lernen selten so viel Spaß.

Der vorliegende Band ist der 6. der Reihe, und ich habe ihn gelesen, ohne Band 5 zu kennen - weil ich es kann, ha! Aber hey, ihr könnt das auch: Grundsätzlich kann man die Bücher sowieso unabhängig voneinander lesen, da sie alle abgeschlossene Geschichten erzählen (wobei einem die geschickt eingewobenen Querverweise auf die Vorfahren früherer Teile dann natürlich entgehen). Bei diesem Buch war die Reihenfolge aber sowieso unerheblich, da es chronologisch vor allen bereits erschienenen spielt, die Reihe also quasi aus der Vorvergangenheit fortgesetzt wird. Boah, das hört sich total kompliziert und unsexy an, ist es aber nicht.

Wir starten in England im Jahr 1193, unser Waringham im Mittelpunkt des Buches ist der junge Yvain, der in vielerlei Hinsicht im Schatten seines älteren Bruders Guillaume steht. Doch weder das noch die unterschiedliche Loyalität zu König Richard (Guillaume, der Kreuzfahrerheld) bzw. Prinz John (Yvain, der Knappe) führen zu einem ernsthaften Zerwürfnis. Anders bei den royalen Brüdern König Richard "Löwenherz" und Prinz John "Ohneland" - aber da gehört das eher zur Tradition der Familie, in der jeder gegen jeden hetzt, integriert, kämpft, wegsperrt und was sonst noch (z.B. Bruder gegen Bruder, Brüder mit Mutter gegen Vater, Vater gegen Mutter usw.). Die Spiegelungen der Bruderpaare war jedenfalls eine sehr interessante Erzählweise der alten Waringham'schen Tradition zur Königstreue. Denn die wird hier ganz schön auf die Probe gestellt, und Frau Gablé zeichnet ihre Figuren wie gewohnt nicht schwarz oder weiß, sondern mit sehr vielen Grauschattierungen.

Vor allem Prinz/König John hat mich als Charakter sehr fasziniert. Ich muss zugeben, ich hatte zuerst den daumennuckelnden Löwen aus dem Disneyklassiker "Robin Hood" vor Augen. Aber auch sonst, wenn man an andere, vor allem Hood-bezogene Umsetzungen denkt, erscheint Richard Löwenherz immer als der strahlende Kreuzritter, sein Brunder eher als fieser Gesell. Nun, Gablé lässt keinen Zweifel daran, dass John ein durchaus moralisch fragwürdiger, bisweilen sehr grausamer Charakter war, der vor allem wegen seiner Niederlagen und ausufernden (und für den Adel sehr teuren) Kriegszüge in Erinnerung geblieben ist.

Seine positiven Seiten und Leistungen - er soll z.B. sehr gute juristische Kenntnisse gehabt und sich, im Gegensatz zu seinem hauptsächlich abwesenden älteren Bruder, auch als "englischer" König gefühlt und verhalten haben - stehen eher selten im Mittelpunkt. Das liegt wohl vor allem daran, dass John sich mehrfach massiv mit Kirche und Papst überworfen hat und zeitweise sogar exkommuniziert war. Und Geschichte wurde damals halt vorwiegend von Mönchen oder anderen Kirchenmenschen geschrieben, da hat so ein Ketzer schlechte Karten. Und dann auch noch das: König John war für damalige Verhältnisse geradezu waschsüchtig, mindestens alle zwei Wochen wollte er baden, das muss man sich mal vorstellen! Ein eher wenig stinkender König im Mittelalter, da kann doch was nicht stimmen...;)

Ich will John aber gar nicht zu sehr in Schutz nehmen, denn der Typ war alles andere als nice. Aber, wie gesagt, Rebecca Gablé zeichnet ihn sehr fein und von allen Seiten, sodass die innere Zerissenheit, die Yvain's Königstreue mit sich bringt, nicht nur beim Hauptcharakter für viel Kummer sorgt, sondern auch die Lesenden erreicht. Was ich auch noch ganz nebenbei gelernt habe: Wie die Magna Charta zustande kam und was genau so besonders und toll an ihr war. Und dass Eleonore von Aquitanien quasi die Queen Mum des Mittelalters war und ihre Lebensgeschichte äußerst faszinierend ist (vielleicht komme ich doch nochmal auf Eleanor of Aquitaine: A Life zurück oder versuche The Summer Queen).

Auf der Seite der fiktiven Charaktere gibt es wieder die üblichen dramatischen Verwicklungen, die, abseits des Thrones, schön die Sorgen und Probleme auch der "kleineren" Leute dieser Zeit illustrieren: Hunger, Belagerung, Familienfehde, Klosterverbannung, Lepra, unglückliche Liebschaften und vieles mehr.

Kurzum: Wieder ein sehr unterhaltsamer und äußerst lehrreicher Ausflug nach Waringham. Ich komme sehr gerne wieder.

Veröffentlicht am 12.02.2020

Makabre Kurzgeschichten

Cat Person
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Oh, das war mal eine schöne Abwechslung. Zwölf ziemlich unterschiedliche Kurzgeschichten sowohl in Erzählform, -struktur als auch Inhalt: Von der (wirklich guten!) Erzählstimme in der ersten Person Plural ...

Oh, das war mal eine schöne Abwechslung. Zwölf ziemlich unterschiedliche Kurzgeschichten sowohl in Erzählform, -struktur als auch Inhalt: Von der (wirklich guten!) Erzählstimme in der ersten Person Plural über Mystik bis hin zum Märchen reicht die bunte Palette.

Was die Geschichten eint, sind die dunklen, düsteren, makabren Einblicke in menschliche Gepflogenheiten, Schwächen und Beziehungen. Ich hatte von Beginn an so ein mulmiges Gefühl - da passiert gleich was, nur was genau? Fast alle diese Geschichten haben dies bei mir ausgelöst, dieses leicht unangenehme Kribblen, die unterschwellige Furcht vor dem alles erklärenden Finale. Komplett Schönes, "Reines" oder Erbauliches ist hier nicht zu finden - hier und da wird die Sammlung auch unter "Horror" kategorisiert, und das trifft es durchaus.

Leider sind eins, zwei Geschichten nicht ganz so gut aufgegangen und zum Ende hin eher verpufft, grundsätzlich war das aber eine interessante, überwiegend sehr gut erzählte Sammlung, die mir sehr gut gefallen hat. Kristen Roupenian hat auf jeden Fall einen sehr speziellen Blick auf Zwischenmenschliches, der mich angesprochen hat. Meine persönlichen Highlights der Sammlung: Böser Junge, Cat Person, Matchbox Sign und Beißerin.

Ich habe zur deutschen Audioversion gegriffen, die auf den bekannten Streamingportalen für lau gehört werden kann und durchaus prominent besetzt ist. U.a. gehören Jessica Schwarz und Benno Fürmann zu den Sprecherinnen und Sprechern.

Veröffentlicht am 12.02.2020

Hämische Freude

Der Ausflug
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Diese Geschichte befriedigt Lesegelüste, die man als "guter" Mensch eigentlich nicht haben sollte: Hohn, Häme, diebische Schadenfreude. Stellt euch vor, da ist dieses Pärchen, das ihr einfach nicht ausstehen ...

Diese Geschichte befriedigt Lesegelüste, die man als "guter" Mensch eigentlich nicht haben sollte: Hohn, Häme, diebische Schadenfreude. Stellt euch vor, da ist dieses Pärchen, das ihr einfach nicht ausstehen könnt - sei es, weil sie immer so toll tun und alles besser wissen, sei es, weil sie gar nichts tun und immer irgendwie damit durchkommen. So oder so, ihr seid genervt, wann immer die beiden auftauchen (man kann ja nicht jeden mögen). Und dann, eines Tages, bekommt ihr mit, wie dieses Pärchen sich so richtig in die Haare kriegt. Es wird ein ganz furchtbar peinlicher Moment, vor allem für die beiden, weil sie total die Contenance verlieren - und obwohl ihr es besser wisst und sowas eigentlich natürlich nie tun würdet, lacht ihr euch doch ins Fäustchen.

Dazu lädt dieses Buch ein. Die Voraussetzungen könnten nicht besser sein: Ein geschiedenes Paar (sie: die herzliche Überperfekte, er: der schludrige Berufsjugendliche) machen mit der gemeinsamen siebenjährigen Tochter und den jeweils neuen Partnern (der Neue: der pedantische Perfektionist, die Neue: die wenig durchsetzungsfähige Wissenschaftlerin) einen Ausflug über Weihnachten. Jaaaa… was soll da schon schiefgehen? Nun, ziemlich viel, denn das Ganze schaukelt sich hoch bis zu einem Unfall auf dem Bogenschießplatz des heimeligen Familienressorts (und nein, das ist kein Spoiler, denn das Buch beginnt mit dem Notruf, der eben jenen Unfall schildert).

Die Charaktere sind alle recht schablonenhaft in ihren Rollen gezeichnet und brechen nur an einigen wenigen Stellen mal aus. Aber das ist bei so einem Buch auch völlig okay, da erwarte ich keinen "character growth" ohne Ende, da will ich dramatische Höhepunkte! Und die gibt es auch. Die Spannungen zwischen den Pärchen und auch innerhalb derselbigen werden schnell offensichtlich.

Hinzukommt, dass die aufgeweckte Tochter ihren ganz eigenen Ballast mit sich herumschleppt, und zwar in Form von Posey, einem menschengroßen, imaginären Kaninchen, das ganz selbstverständlich am Leben der Siebenjährigen teilnimmt und auch einen Großteil ihrer Konversation und Aufmerksamkeit beansprucht. Und Posey hat so seine ganz eigenen Ansichten zu den Erwachsenen, die die Handlungen der Tochter wiederum beeinflussen. Das hört sich nach einem albernen Gimmick an, hat aber tatsächlich für schöne Extrawürze in dieser sowieso schon recht gut köchelnden "Familiensuppe“ gesorgt - zumal Posey irgendwann auch schlüssig "erklärt" wird.

Caroline Hulse hat in ihrem Buch nichts in die Länge gezogen, sondern kommt schnell zum Punkt, das hat mir sehr zugesagt. Zwar ist das Ganze recht linear auf einer inhaltlichen Eben geschrieben, liest sich entsprechend sehr flott und einfach weg. Dennoch hat die Autorin, neben bereits erwähnten Kaninchen, noch ein paar andere Extras eingebaut. Zum einen wechseln die Blickwinkel zwischen den Kapiteln, so dass gleich mehrere Charaktere inklusive der Tochter die Chance erhalten, ihr oder sein Verhalten zu erklären (bzw. vor sich selbst oder anderen zu rechtfertigen). Dazu gibt es ein paar Flashbacks, die zusätzliche Motivationen erläutern – oder bestehende Probleme nur noch offensichtlicher machen. Zu guter Letzt gibt es alle paar Kapitel Auszüge aus den Zeugenvernehmungen nach dem Unfall, die die jeweilige Szenerie nochmals in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen.

Ein ziemlich böses, schwarzhumoriges Buch, das für meinen Geschmack ruhig noch eine Prise "schwärzer" hätte sein können. Denn die Szenen, in denen es eskaliert, sind so schön zum sich peinlich-dramatischen Winden, da hätte ich noch mehr von vertragen. Aber auch so: Ein flottes und sehr unterhaltsames Buch. Und die Lektion? Wählt eure Reisebegleitungen mit Bedacht!