Eindringlich erzählte Gesellschaftsstudie
NebenanTW: Häusliche Gewalt, unerfüllter Kinderwunsch/Fehlgeburt, Tod/Verlust
Inhalt:
Julia wünscht sich sehnlichst ein Kind und die langen Tage im dunklen Januar nutzt sie dafür, bei Instagram glückliche Vorzeigefamilien ...
TW: Häusliche Gewalt, unerfüllter Kinderwunsch/Fehlgeburt, Tod/Verlust
Inhalt:
Julia wünscht sich sehnlichst ein Kind und die langen Tage im dunklen Januar nutzt sie dafür, bei Instagram glückliche Vorzeigefamilien zu beneiden, ihrer Arbeit als Keramikerin nachzugehen und das seit den Weihnachtsferien leerstehenden Haus gegenüber zu beobachten, während ihr Mann Chris sich mit unzähligen Plastikteilchen befasst, die plötzlich in den umliegenden Gewässern aufgetaucht sind. Astrid wird zu einem rätselhaften Notfall gerufen, macht sich Sorgen um ihre alternde Tante und ihr Mann versucht, sich mit dem Leben als Pensionär zu arrangieren. Was hat es mit den vielen Geheimnissen auf sich? Und wie gut kennt man seine Nächsten wirklich?
Meine Meinung:
"Nebenan" stand seit seinem Erscheinen (respektive schon kurz vorher) auf meiner Wunschliste und da es nun auf der Longlist des Deutschen Buchpreises steht, habe ich einfach nicht mehr länger warten können und das Buch im Bloggerportal angefragt.
Mich hat von Anfang an die düstere Grundstimmung begeistert. Es ist Januar, es ist kalt, die Weihnachtstage und der Lichterglanz sind vorbei, Nebel liegt über den Feldern und einem verlassenen Haus. Hat jemand die Serie "Katla" gesehen? An diese Stimmung erinnerten mich die ersten Seiten dieses Buches. Da ich alle Rezensionen nur überflogen und auch den Klappentext nicht gelesen hatte, konnte ich anfangs überhaupt nicht einordnen, wohin mich die Geschichte führen würde. Auch nachdem ich das Buch vor einigen Tagen beendet habe, fällt es mir sehr schwer, das Gelesene und meine Meinung dazu in Worte zu fassen, obwohl mir dieses wirklich aussergewöhnlich erzählte Buch sehr gefallen hat.
Aufbau:
Zwei Frauen und ihre Geschichte stehen im Zentrum. Sie wohnen nicht weit voneinander entfernt, kennen sich aber nicht. Nach und nach zeigt sich, wie und wo sich ihre Leben berühren, wie sehr sie sich aber auch voneinander unterscheiden. Alle Fäden laufen in einem leerstehenden Haus zusammen, das Julias und Astrids Aufmerksamkeit auf sich zieht und bei dem immer wieder ein kleiner Junge auftaucht und nach jemandem zu suchen scheint. Darin soll eine Familie gelebt haben, die entweder sehr lange in den Urlaub gefahren oder überstürzt ausgezogen ist.
Während mir das Kinderwunschthema ein wenig zu sehr in den Vordergrund gerückt worden ist, hätte ich gerne noch viel mehr über Astrid und ihre alternde Tante erfahren. Ausserdem hat mich gefreut, wie über Astrids Beziehung zu ihrer ehemaligen besten Freundin Marli berichtet worden ist.
Besonders überzeugt hat mich, wie gut es Bilkau gelungen ist, so viele Themen zu streifen, ohne sich zu verzetteln oder oberflächlich zu wirken. Das Kinderwunschthema ist sehr präsent, aber es geht auch um die Umweltverschmutzung, die Fake-Welt von Social-Media, das Altern, Vernachlässigung, eine bewegte Familiengeschichte, Verlust, häusliche Gewalt, die Entfremdung von den eigenen Kindern oder guten Freund:innen sowie die Veränderungen in Freundschaften und Beziehungen.
Sprache:
Die anfänglich sehr mysteriöse Grundstimmung erzeugt Bilkau mit wenigen Worten. Es bleiben viele Leerstellen, einiges habe ich mir zusammengereimt und ich wäre am liebsten noch viel länger und tiefer in die beschriebenen Schicksale eingetaucht. Auch die Figuren und ihre Gedankengänge - allen voran natürlich Astrid und Julia - sind so beschrieben, dass ich ihre Ansichten und Gefühle sehr gut nachvollziehen konnte, obwohl diese beiden Leben und Lebensentwürfe mir persönlich sehr fremd sind. Diese einzigartige Sprache und das immer wieder vorkommende leerstehende Haus haben mich überzeugen und fesseln können und ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen.
Meine Empfehlung:
"Nebenan" ist sicher kein Buch, das sich einfach so nebenher weglesen lässt und ich kann mir vorstellen, dass einige der beschriebenen Szenen Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch belasten können. Die einzigartige Sprache und das leerstehende Haus in der Nachbarschaft als Metapher für all die kleinen und grossen Unbekannten in unserem Leben machen das Buch aber zu einer lesenswerten, eindringlich erzählten Geschichte, die lange nachhallt.