Atemberaubend, intensiv, schmerzhaft, poetisch - das beste Buch des Jahres!
Das wirkliche Leben Spoilerfreie Rezension!
Inhalt
Ein Mädchen und ihr kleiner Bruder leiden unter der häuslichen Gewalt des Vaters und dem Desinteresse der Mutter. Als etwas Schreckliches passiert, das alles verändert, ...
Spoilerfreie Rezension!
Inhalt
Ein Mädchen und ihr kleiner Bruder leiden unter der häuslichen Gewalt des Vaters und dem Desinteresse der Mutter. Als etwas Schreckliches passiert, das alles verändert, schwört sich die Schwester, dass sie ihren Bruder retten wird. Koste es, was es wolle…
Übersicht
Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: kurz
Tiere im Buch: -! Im Buch werden Tiere verletzt, gequält und getötet. Achtung, fast alle diese Dinge werden bis ins Detail beschrieben! Ein Wellensittich und ein Chinchilla leben zudem in einem Käfig in Einzelhaltung (bitte diese Tiere immer mindestens zu zweit halten!).
Triggerwarnung: Tierquälerei (!!!), Tod von Menschen und Tieren, Gewalt, Gewalt gegen Frauen, sexualisierte Gewalt, Missbrauch (? - Grenzfall, wer wissen möchte warum bzw. wer Fragen dazu hat, kann mich gerne anschreiben), Blut, Trauma, Jagd (Hetzjagd, Großwildjagd und ausgestopfte Tiere)
Warum dieses Buch?
Ganz einfach: Wenn die Rezensionen (oder eher Liebeserklärungen!) zu einem Buch dich schon fast zu Tränen rühren, musst du es einfach lesen!
Meine Meinung
Ich habe schon viele Liebeserklärungen an dieses Buch gelesen – hier kommt meine.
Einstieg (5 Lilien ♥)
„Bei uns zu Hause gab es vier Schlafzimmer. Meines. Das meines Bruders Gilles. Das meiner Eltern. Und das der Kadaver.“ Seite 7
Ich habe sofort und absolut problemlos ins Buch gefunden. Bereits auf den ersten Seiten entwickelt die Geschichte einen richtigen Sog!
Schreibstil (5 Lilien ♥)
Innerhalb weniger Kapitel habe ich mich in den wunderbaren Schreibstil von Adeline Dieudonné verliebt! Die Sprache ist roh, kraftvoll, atemberaubend und poetisch – mit einer authentischen kindlichen Note, die zur jungen Protagonistin passt. Großartig fand ich, dass man dem Schreibstil und der Innenwelt der Protagonistin anmerkt, wie sie langsam älter und reifer wird. Viele Vergleiche und Metaphern sind so innovativ, bildhaft und wunderschön, dass ich manchmal einfach nur dasaß und sprachlos war! Man will sich manche Stellen ausdrucken, einrahmen und an die Wand hängen!
„Das, was im Inneren der Hyäne gehaust hatte, war nach und nach in den Kopf meines kleinen Bruders gewandert. Eine Kolonie böser Kreaturen hatte sich dort eingenistet wie Geschmeiß und vermehrte sich wie wild, fraß die grünen Walder seines kindlichen Geistes und verwandelte sie in eine düstere, modernde Sumpflandschaft.“ Seite 46
Idee, Inhalt, Themen & Ende (5 Lilien ♥)
„Meine Wirklichkeit hatte sich aufgelöst, war zu einem schwindelerregenden Nichts geworden. Zu einem Nichts, aus dem ich kein Entkommen sah.“ Seite 28
Als VielleserIn liest man oft gute und manchmal sogar sehr gute Bücher – aber nur ganz selten gerät man an eine Geschichte, bei der man nicht weiß, wo man anfangen soll, weil sie so großartig ist. Es überrascht daher nicht, dass ich das Schreiben dieser Rezension tagelang hinausgezögert habe. „Kann ich überhaupt eine Rezension schreiben, die diesem Buch gerecht wird?“, fragte ich mich. Wahrscheinlich nicht, aber ich werde mein Bestes geben!
Adeline Dieudonné hat ein Romandebüt geschaffen, das eine unglaubliche Wucht hat! Ein Debüt, das den Verstand verzaubert und einem das Herz bricht. Einen Erstling, der unheimlich wütend macht und der zugleich schmerzhaft zu lesen und zu verdauen ist. Tierquälerei und die körperlichen Misshandlungen der Mutter werden bis ins kleinste Detail beschrieben, was mich beim Lesen sehr mitgenommen hat und teilweise fast unerträglich für mich war. Diese Triggerwarnung (im Buch selbst fehlt eine!) solltet ihr bei diesem Buch deshalb (zu eurem eigenen Schutz) auf jeden Fall ernst nehmen!
„Das wirkliche Leben“ spricht neben Aspekten wie Liebe, Wissensdurst und Kindheit wichtige Themen wie Sexismus, häusliche Gewalt, Missbrauch (?), Traumata und Tierquälerei an und behandelt diese tiefgründig und auf eine Weise, die sich einem für immer ins Gedächtnis brennt. Adeline Dieudonné schafft Bewusstsein für und kritisiert toxische Männlichkeit (inklusive ihrer furchtbaren Folgen) und häusliche Gewalt und zeigt auf, wie schnell die Situation eskalieren und sogar lebensbedrohlich werden kann. „Das wirkliche Leben“ ist eine kraftvolle, schockierende Warnung und Ermutigung für alle Opfer, sich Hilfe zu suchen, bevor es zu spät ist. Glücklicherweise gibt es jedoch auch immer einen Hoffnungsschimmer; zwischen den vielen düsteren und deprimierenden findet man immer wieder intensive Glücksmomente, die man mit der Protagonistin teilt. Die aufwühlende Geschichte mündet in ein gelungenes, hoch dramatisches, emotionales Ende.
„Das wirkliche Leben“ ist kurz, intensiv und ein kleiner Schock – so wie ein Bungee-Sprung – nach dem Ende ist man voller Adrenalin und begeistert, aber die Knie sind weich und die Hände zittern. Für mich ist „Das wirkliche Leben“ jetzt schon das beste Buch des Jahres – und damit ein absolutes Must-read, das ihr euch auf keinen Fall entgehen lassen solltet!
Protagonistin (5 Lilien ♥) & Figuren (5 Lilien ♥)
Die tragische Protagonistin bleibt im ganzen Buch namenlos – und doch war da keine Distanz zu ihr. Ich habe intensiv mit ihr mitgefühlt und mitgelitten, habe mit ihr gehofft und bin mit ihr verzweifelt! Ihre Intelligenz, ihre Empathie, ihr gutes Herz, ihr Mut und ihre Kraft haben mich nachhaltig beeindruckt. Sie ist wie ein blühender Löwenzahn, der sich unter den widrigsten Umständen seinen Weg durch eine Spalte im Asphalt an die Sonne gekämpft hat.
Auch die anderen Figuren haben mich vollkommen überzeugt. Sie alle sind auf ihre Weise sehr präsent, interessant, dreidimensional, einmalig und liebevoll ausgearbeitet. Besonders gelungen sind meiner Meinung nach die passive Mutter, der traumatisierte Bruder und der übermächtige Vater.
Spannung (5 Lilien ♥) & Atmosphäre (5 Lilien ♥)
Ihr dachtet, wenigstens jetzt würde ein wenig Kritik kommen? Pustekuchen! Denn „Das wirkliche Leben“ beginnt schon auf den ersten Seiten, Spannung aufzubauen, und hält diese bis zum überzeugenden Ende! Man fliegt nur so durch die Seiten, kann sich dem Sog nicht entziehen und verschlingt die Geschichte gierig – wenn man sich nicht bremst, liest man alle 240 Seiten an einem Tag.
Vielleicht war es aber auch die unglaublich dichte Atmosphäre, die mich an die Seiten gefesselt hat. In Kombination mit dem bildlichen Schreibstil waren es die düsteren Beschreibungen der Hyäne, die unheimlichen Szenen, die atemlose Angst um die Protagonistin und die Gänsehautmomente, die es mir unmöglich machten, das Buch wegzulegen. Ich liebe es außerdem, wie die kindliche Phantasie und die Ängste der Heldin kreativ und kunstvoll in die Geschichte eingewebt und dadurch (im wahrsten Sinne des Wortes!) lebendig wurden.
„Doch wer oder was sich immer auf der anderen Seite des Baumes befand: Er oder es hatte keine Lust, das makabre Spiel zu beenden. Die Furcht floss von meiner Seele zu seiner und lustvoll und in aller Ruhe weidete er oder es sich daran.“ Seite 171
Feministischer Blickwinkel (5 Lilien ♥)
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schlam++ (2x)
Zuerst habe ich die passive Mutter, die immer wieder als Amöbe beschrieben wird, als etwas problematisch angesehen, doch schnell wurde mir klar, dass es nötig war, sie so zu beschreiben, um zu zeigen, welche Auswirkungen häusliche Gewalt auf einen Menschen haben kann. Da die Protagonistin so stark, wild und intelligent ist, da das Buch den Bechdel-Test besteht und wichtige Themen wie Sexismus, Gewalt gegen Frauen und toxische Männlichkeit behandelt und kritisiert, bekommt „Das wirkliche Leben“ (trotz klischeehafter Rollenverteilung) auch hier alle Punkte.
„Und hin und wieder richtete er sogar das Wort an meine Mutter. Aber eigentlich hätte man sie auch durch einen Ficus ersetzen könne, er hätte den Unterschied nicht bemerkt. Denn meine Mutter hatte Angst. Angst vor meinem Vater.“ Seite 9
Mein Fazit
„Das wirkliche Leben“ ist kurz, intensiv und ein kleiner Schock – so wie ein Bungee-Sprung – nach dem Ende ist man voller Adrenalin und begeistert, aber die Knie sind weich und die Hände zittern. Ich liebe den rohen, kraftvollen und poetischen Schreibstil der Autorin, ihre wunderschönen Vergleiche und Metaphern, die liebevoll ausgearbeiteten, einmaligen Figuren, die großartige, intelligente und starke Protagonistin, die durchgehende Spannung und die unglaublich dichte Atmosphäre! Adeline Dieudonné hat ein Romandebüt geschaffen, das eine unglaubliche Wucht hat! Ein Debüt, das den Verstand verzaubert und einem das Herz bricht. Einen Erstling, der unheimlich wütend macht und der zugleich schmerzhaft zu lesen und zu verdauen ist. „Das wirkliche Leben“ hält einer feministischen Analyse stand, weil es Bewusstsein für toxische Männlichkeit und häusliche Gewalt schafft, diese Probleme kritisiert und sie auf eine Weise behandelt, die sich einem für immer ins Gedächtnis brennt. Für mich ist „Das wirkliche Leben“ jetzt schon das beste Buch des Jahres – und damit ein absolutes Must-read, das ihr euch auf keinen Fall entgehen lassen dürft!
Bewertung
Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 5 Lilien ♥
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 5 Lilien ♥
Ende / Auflösung: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Protagonistin: 5 Lilien ♥
Figuren: 5 Lilien ♥
Spannung: 5 Lilien ♥
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥
Insgesamt:
❀❀❀❀❀♥ Lilien
Dieses Buch bekommt von mir fünf Lilien und ein Herz – und damit den Lieblingsbuchstatus!