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Veröffentlicht am 11.02.2020

Runder Wikingerroman mit süßer, sich langsam entwickelnder Liebesgeschichte, starker Heldin und kleinen Schwächen!

Das Herz der Kämpferin
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Spoilerfreie Rezension!

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!

Inhalt

„Ehre vor Leben.“ Diese Lebenseinstellung ist der 17-jährigen ...

Spoilerfreie Rezension!

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!

Inhalt

„Ehre vor Leben.“ Diese Lebenseinstellung ist der 17-jährigen Eelyn in Fleisch und Blut übergegangen. Einmal im Jahr treffen die zwei verfeindeten Wikinger-Clans Rikki und Aska aufeinander und bekämpfen sich für ihre Götter bis aufs Blut. Während einer Schlacht sieht Eelyn plötzlich ihren Bruder Iri Seite an Seite mit den Rikki kämpfen – ihren Bruder, der vor Jahren schwer verletzt in eine Felsspalte fiel und starb. Wie hat er doch überlebt? Und wieso hat er die Aska verraten, indem er sich den Rikki angeschlossen hat? Unfreiwillig bekommt Eelyn die Chance, Iri all diese Fragen zu stellen, als sie von den Rikki gefangen genommen wird…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: HarperCollins
Seitenzahl: 320
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: kurz
Tiere im Buch: -! Für TierliebhaberInnen ist dieses Buch nicht immer leicht zu ertragen. Es wird beschrieben, wie einer Ziege die Kehle durchgeschnitten wird und wie eine Eule durch einen Stich mit dem Messer in den Brustkorb stirbt. Beide Tiere werden geopfert, um Götter zu ehren und haben dabei Angst und Schmerzen. Fische schnappen an Land einige Sekunden bis Minuten nach Luft, Tiere werden ausgenommen, Fleisch und Fisch wird gegessen. Die Pferde werden immerhin gut behandelt.

Warum dieses Buch?

Der spannend klingende Klappentext und so manche begeisterte Rezension haben in mir den Wunsch geweckt, dieses Buch zu lesen. Außerdem sprach mich das Wikinger-Setting sehr an.

Meine Meinung

Einstieg (3 Lilien)

„Nebel hing wie ein Schleier über dem Feld, aber wir konnte sie hören. Die Klingen der Schwerter und Äxte, die an den Brustpanzern schleiften.“ E-Book, Position 13
Der Einstieg ins Buch ist mir weder besonders leicht noch besonders schwer gefallen. Es dauerte lang, bis sich bei mir ein gewisser Lesefluss einstellte, aber schon nach den ersten Kapiteln wollte ich immerhin wissen, wie es weitergeht.

Schreibstil (3-4 Lilien)

Dem Schreibstil stehe ich etwas zwiegespalten gegenüber: Einerseits ist er für Jugendliche gut geeignet, einfach, verständlich und angenehm lesbar, andererseits war er mir teilweise nicht anschaulich genug. Es hat lange gedauert, bis vor meinem inneren Auge Bilder entstanden (am Beginn musste ich mir manche Dinge bewusst vorstellen) und bis zur Hälfte des Buches, bis sich ein gewisser Lesefluss einstellte. Zweiteres lag wohl daran, dass sich längere mit sehr kurzen, stakkatoartigen Sätzen abwechselten, sodass das Tempo immer wieder von abgehakt und schnell zu gemächlich und ruhig wechselte. Entweder ich gewöhnte mich mit der Zeit daran oder aber es wurde einfach im Laufe des Buches besser, weil es mir ab einem gewissen Punkt nicht mehr negativ aufgefallen ist. Glänzen kann die Autorin definitiv mit ihren nuancierten Schilderungen der Gefühle und Gedanken ihrer Heldin.

Inhalt, Themen & Ende (4 Lilien)

„‘Du erkennst die Wahrheit. Ich sehe jeden Tag, wie du nachdenkst.‘
‚Welche Wahrheit?‘
‚Dass sie wie wir sind.‘“ E-Book, Position 1605

Adrienne Young hat mit „Das Herz der Kämpferin“ eine runde Wikinger-Geschichte geschaffen, die uns in eine frühere Zeit entführt und uns das damalige Lebensgefühl näherbringt. Wie genau hier recherchiert wurde und ob ihre (immerhin glaubwürdig klingenden) Schilderungen tatsächlich der damaligen Realität entsprechen, habe ich allerdings nicht überprüft. Die Geschichte ist vielen Bereichen nicht innovativ, sondern bedient sich an bekannten Erzählmustern, jedoch verarbeitet die Autorin ihre Themen zu einer soliden, unterhaltsamen Geschichte und bringt auch genug eigene Ideen ein. Thematisch stehen Familie, Feindschaft, Glaube, Heimat, Erwachsenwerden und das Finden seines eigenen Platzes in der Welt im Mittelpunkt. Auch moralisch schwierige Fragen rund um das Kriegsgeschehen werden thematisiert. Beispielsweise wird die Frage gestellt, ob der Feind tatsächlich von Grund auf so böse ist, wie das schon die Kinder des Clans lernen. Ist er vielleicht menschlicher und dem eigenen Clan ähnlicher als gedacht? Wer sind eigentlich die Guten? Welche Seite ist die richtige? All diese Themen behandelt die Autorin auf für Jugendliche leicht verständliche und zugängliche Weise und regt damit zum Nachdenken an. Dennoch hätte ich mir teilweise noch etwas mehr Tiefe gewünscht, manchmal war hier noch Luft nach oben.

Als problematisch stufe ich die teilweise exzessive Gewalt im Buch ein. Die detaillierte Beschreibung der Schlachten ist eine Sache (dazu kann man stehen, wie man möchte), aber musste diese Folterszene wirklich sein? Muss man ganz genau beschreiben, wie die Heldin völlig skrupellos einem Feind ein Auge rausreißt? Hier wurde meiner Meinung nach eine Grenze überschritten – und ich bin niemand, der jegliche Gewalt in Jugendromanen verteufelt. Zudem war es ein Bruch in Eelyns Charakter – plötzlich wirkte sie empathielos, eiskalt, zu abgebrüht und moralisch fragwürdig, wodurch sie mir in dieser Szene sehr unsympathisch war.

Auch vereinzelte inhaltliche Wiederholungen gibt es: Manchmal scheint die Weiterentwicklung der Protagonistin zum Stillstand gekommen zu sein, in anderen Momenten geschieht sie etwas zu sprunghaft. Ansonsten aber macht die Autorin besonders in der zweiten Hälfte viel richtig, womit sie mich überzeugen konnte, dem Buch statt drei am Ende doch vier Lilien zu verleihen. Das Ende ist dann auch wunderbar rund und ließ mich zufrieden zurück.

Protagonistin & Figuren (5 Lilien ♥)

Hier kann die Geschichte meiner Meinung nach wirklich punkten: Alle wichtigen Figuren sind sehr liebevoll ausgearbeitet, wirken dreidimensional und glaubwürdig. Obwohl ich ja am Beginn der Lektüre nicht gerade begeistert war, merkte ich, dass mir die Figuren am Ende ans Herz gewachsen waren.

Eelyn hat mir als Heldin sehr gut gefallen. Sie ist eine starke Frau, eine geübte Kriegerin, die sich nichts gefallen lässt und furchtlos an der Seite ihres Vaters und ihrer besten Freundin kämpft. Gleichzeitig hat sie aber auch eine nachdenkliche, gefühlvolle und vor allem weiche und verletzliche Seite, die sie den LeserInnen immer wieder offenbart. Ich habe mit ihr mitgefühlt (auch wenn da noch ein kleines bisschen Luft nach oben war) und sie gerne dabei begleitet, wie sie ihren ganz eigenen Weg geht.

„Meine Gedanken rasten wie immer in endlos viele Richtungen und versuchten, irgendwo Halt zu finden.“ E-Book, Position 2275

Liebesgeschichte (5 Lilien ♥)

Auch was die Liebesgeschichte betrifft, kann Adrienne Young punkten. Endlich einmal keine Liebe auf den ersten Blick, sondern eine vorsichtige Annäherung, die durch den Feindesstatus natürlich noch weiter verkompliziert wird. Ich fand diese langsam erwachende Liebe, den respektvollen Umgang und das immer weiter wachsende Vertrauen zwischen Eelyn und einem anderen Krieger absolut glaubwürdig, realistisch und wunderschön geschildert. Beim Lesen stahl sich manchmal ein kribbeliges Lächeln auf meine Lippen, das sich nicht unterdrücken ließ. So geht Liebe in einem Jugendbuch! Dafür ein großes Lob!

Spannung & Atmosphäre (3 Lilien)

Das Spannungsniveau war trotz einiger fesselnder Passagen leider nicht durchgehend hoch. Am Beginn dauerte es lange, bis die Geschichte an Fahrt aufnahm, und trotz vieler actiongeladener Kampfszenen brach der Spannungsbogen zwischendurch immer wieder ein. Das lag wohl auch an den wenigen Dialogen, die die Geschichte Tempo und Lebendigkeit kosteten. Dennoch habe ich es geschätzt, dass sich die Autorin auch für ruhige, emotionale Szenen Zeit genommen hat, in denen die Figurenentwicklung vorangetrieben werden konnte. Etwas mehr Atmosphäre und mehr anschauliche Beschreibungen hätten ebenfalls geholfen, noch tiefer in diese alte Welt einzutauchen.

Feministischer Blickwinkel (4 Lilien)

Ein Jugendbuch, das den Bechdel-Test bereits auf den ersten Seiten besteht und in dem viele starke Frauen vorkommen, gleichberechtigt an der Seite der Männer in Schlachten kämpfen und Clans anführen, müsste doch eigentlich der Traum einer Feministin sein, oder? Noch dazu gibt es eine weibliche Göttin (endlich!) und Männer dürfen weinen und bekommen oft genug die Gelegenheit, ihre sensible Seite zu zeigen. Warum bekommt der Roman dann nur 4 Lilien in diesem Bereich? Weil teilweise unter der Oberfläche dennoch patriarchalische Strukturen erkennbar waren: Der Vater muss den Heiratsantrag an die Tochter akzeptieren, Fiske ist „der Mann im Haus“, während seine Mutter für den Haushalt zuständig ist. Außerdem fand die Aussage eines Kindes etwas befremdlich, das erleichtert wirkte, dass Eelyn nicht getötet wurde, weil sie „hübsch“ ist. Denn das ist es ja, was bei einer Frau zählt… Wäre es ok gewesen, sie zu töten, wenn sie nicht im klassischen Sinne hübsch wäre? Ihr seht bestimmt, worauf ich hinaus will. Warum gibt es außerdem nur weibliche Sklavinnen? Werden Männer nie straffällig? Dafür wird keine Erklärung genannt. Hier hätte ich mir noch etwas mehr Gleichberechtigung gewünscht.

Aber prinzipiell bin ich mit „Das Herz der Kämpferin“ schon sehr zufrieden. Wenn die Autorin im nächsten Buch noch ein kleines bisschen sensibler mit dem Thema umgeht, wird es mit Sicherheit perfekt werden. Besonders schön fand ich auch die Widmung: „Für Joel, der nie versucht hat, mein wildes Herz zu zähmen.“ Die ganze Welt sollte sich ein Vorbild an Joel nehmen – nirgends auf der Welt sollte man versuchen, Frauen zu zähmen.

Achtung Spoiler!
Erfrischend fand ich auch, dass Fiske sich entscheidet, mit Eelyn zu ihr zu ziehen und seine Heimat zu verlassen. In Büchern ist es ja leider meist so, dass die Frau alles hinter sich lassen muss.
Spoiler Ende!

Mein Fazit

„Das Herz der Kämpferin“ ist eine solide, runde, unterhaltsame Wikingergeschichte für Jugendliche – mit kleinen Schwächen. Der Schreibstil ist einerseits für Jugendliche gut geeignet, einfach und angenehm lesbar, andererseits war er mir teilweise nicht anschaulich genug. Zudem hat es lange gedauert, bis sich ein gewisser Lesefluss einstellte. Adrienne Young hat mit „Das Herz der Kämpferin“ eine Geschichte geschaffen, die uns in eine frühere Zeit entführt. Die Geschichte ist vielen Bereichen nicht innovativ, jedoch bringt die Autorin auch genug eigene Ideen ein. Thematisch stehen Familie, Feindschaft, Glaube, Heimat, Erwachsenwerden und das Finden seines eigenen Platzes in der Welt im Mittelpunkt. Auch moralisch schwierige Fragen rund um das Kriegsgeschehen werden auf für Jugendliche leicht verständliche und zugängliche Weise thematisiert, wodurch das Buch zum Nachdenken anregt. Dennoch hätte ich mir teilweise noch etwas mehr Tiefe gewünscht. Als problematisch stufe ich die teilweise exzessive Gewalt im Buch ein, besonders eine Folterszene, die Grenzen überschreitet. Der Spannungsbogen brach leider trotz einiger fesselnder Passagen und actiongeladener Kampfszenen zwischendurch immer wieder ein. Das lag wohl auch an den wenigen Dialogen, die die Geschichte Tempo und Lebendigkeit kosteten. Dennoch habe ich auch die ruhigen, emotionalen Szenen geschätzt, in denen die Figurenentwicklung vorangetrieben werden konnte. Alle wichtigen Figuren sind sehr liebevoll ausgearbeitet, wirken dreidimensional und glaubwürdig. Am Ende des Buches merkte ich, dass mir die Figuren ans Herz gewachsen waren. Eelyn hat mir als Heldin ebenfalls sehr gut gefallen. Sie ist eine starke Frau, eine geübte Kriegerin, die sich nichts gefallen lässt und furchtlos in Schlachten kämpft. Gleichzeitig hat sie aber auch eine nachdenkliche, gefühlvolle und vor allem weiche und verletzliche Seite, die sie den LeserInnen immer wieder offenbart. Ich habe mit ihr mitgefühlt und sie gerne begleitet. Auch was die Liebesgeschichte betrifft, kann Adrienne Young punkten: Endlich einmal keine Liebe auf den ersten Blick, sondern eine vorsichtige Annäherung, die durch den Feindesstatus natürlich noch weiter verkompliziert wird. Ich fand diese langsam erwachende Liebe, den respektvollen Umgang und das immer weiter wachsende Vertrauen zwischen Eelyn und einem anderen Krieger absolut glaubwürdig, realistisch und wunderschön geschildert. So geht Liebe in einem Jugendbuch!

Bewertung

Idee: 4 Lilien
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Lilien
Umsetzung: 4 Lilien
Worldbuilding: 3,5 Lilien
Einstieg: 3 Lilien
Schreibstil: 3-4 Lilien
Protagonistin: 5 Lilien ♥
Nebenfiguren: 5 Lilien ♥
Liebesgeschichte: 5 Lilien ♥
Spannung: 3 Lilien
Atmosphäre: 3 Lilien
Ende / Auflösung: 4,5 Lilien
Emotionale Involviertheit: 4-5 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 4 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir vier Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.02.2020

Erfrischendes, geheimnisvolles, vielschichtiges Romandebüt, das einen unheimlichen Sog ausübt!

Das flüssige Land
0

Spoilerfreie Rezension!

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!

Inhalt

Nach dem plötzlichen Unfalltod ihrer Eltern macht sich die Physikerin ...

Spoilerfreie Rezension!

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!

Inhalt

Nach dem plötzlichen Unfalltod ihrer Eltern macht sich die Physikerin Ruth auf in deren Geburtsort, das beschauliche Groß-Einland, um die Beerdigung vorzubereiten. Jedoch stößt sie bald auf ein Problem: Die Gemeinde scheint nirgends auf, scheint offiziell nicht zu existieren. Als Ruth nach einigen Irrfahrten schließlich mit einem kaputten Auto doch in der kleinen Stadt landet, wird schnell klar, dass etwas mit dem Ort nicht stimmt: Unter der Gemeinde befindet sich ein riesiger Hohlraum, dessen genaue Ausmaße unbekannt sind. Es kommt zu Einbrüchen, das Loch droht, nicht nur einzelne Häuser, sondern schlussendlich ganz Groß-Einland in die Tiefe zu reißen. Warum hüllen sich alle in Schweigen, wenn Ruth Fragen stellt? Warum stimmen die Daten von Ruths Untersuchungen nicht mit den offiziellen Dokumenten überein? Was hat die mysteriöse Gräfin, die den ganzen Ort zu besitzen schient, mit alldem zu tun? Und was ist damals – zur Zeit des Nationalsozialismus – tatsächlich in Groß-Einland geschehen?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Klett-Cotta
Seitenzahl: 350
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive (Ruth)
Kapitellänge: mittel bis lang
Tiere im Buch: +/- Es wird geschildert, dass Pferden früher bei Minenarbeiten die Augen ausgestochen wurden und wie ein Hund in einen Spalt fällt und stirbt. Es gibt eine Fuchsjagd mit Hunden (bei der allerdings kein Tier erwischt wird), der Spaß einer Hetzjagd wird betont, ein Pferd hat Angst und wird etwas grober behandelt. Fleisch wird gegessen und Kalbsleder getragen. Immerhin wird auch eine Katze aus einem Schacht mithilfe von 10 Feuerwehrmännern gerettet.

Warum dieses Buch?

Auf dieses Romandebüt wurde ich durch die Nominierung für den Deutschen und Österreichischen Buchpreis aufmerksam. Da auch der Klappentext wunderbar mysteriös und interessant klang, führte für mich an diesem Buch kein Weg vorbei.

Meine Meinung

Einstieg (2 Sterne)

Puh, der Einstieg war – wie man so schön sagt – eine schwere Geburt! Es hat lange gedauert, bis ich in die Geschichte gefunden und mich mit dem Schreibstil angefreundet hatte. Auf den ersten Seiten, auf denen ich nur sehr langsam vorankam, spielte ich sogar mehrmals mit dem Gedanken, das Buch abzubrechen. Zum Glück habe ich doch nicht aufgegeben, denn das wäre – kleiner Spoiler! – ein Riesenfehler gewesen.

„‘Groß-Einland?‘, fragte die Dame und hämmerte die Buchstabenkette in den Apparat. ‚Nein, in Niederösterreich gibt es keine Gemeinde dieses Namens.‘
‚Das kann nicht sein.‘“ E-Book, Position 134

Schreibstil (4 Sterne)

„Die bereits hereinbrechende Nacht zog die Konturen aus den Latten des Parketts, auf das ich meine Kleidung türmte.“ E-Book, Position 87

Größtenteils lagen meine Einstiegsschwierigkeiten nicht an der Geschichte, die zwar auch nur langsam in Schwung kommt, sondern am anfangs gewöhnungsbedürftigen Schreibstil der Autorin. Raphaela Edelbauer schreibt nämlich sehr anspruchsvoll: Ihre Sätze sind oft lang, gerne verschachtelt und meist sehr reich an Metaphern, die man teilweise mehrmals lesen und überdenken muss, um sie überhaupt zu verstehen. Das empfand ich am Beginn als sehr anstrengend, manchmal waren mir die vielen Metaphern und die teilweise komplizierte Ausdrucksweise auch später noch zu viel des Guten.

Die gute Nachricht: Ich habe mich mit jeder Seite mehr mit dem Schreibstil angefreundet, bis ich mich am Ende sehr schätze und mochte. Das Buch enthält viele wunderschöne, poetische Stellen, subtilen Humor und hat auch eine gewisse österreichische Note – auch wenn ihm der Charme und Witz von z. B. Angela Lehners „Vater unser“ (große Leseempfehlung an dieser Stelle!) fehlt.

Inhalt, Themen & Ende (5 Sterne ♥)

„‘Das Loch‘, wiederholte er mit vollkommener Selbstverständlichkeit. ‚Es wächst.‘“ E-Book, Position 762

Auch inhaltlich wurde der Roman meiner Meinung nach mit jeder Seite besser – ich habe mich zunehmend in ihn verliebt. Die Nominierung für den Österreichischen und Deutschen Buchpreis ist meiner Meinung nach absolut verdient – auf diese Weise erhält das Buch die Aufmerksamkeit, die es verdient. Raphaela Edelbauer hat mit „Das flüssige Land“ einen erfrischenden, ungewöhnlichen und faszinierenden Roman geschrieben, der beim Lesen die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner LeserInnen einfordert. Vieles wird nur angedeutet, manches steht nur zwischen den Zeilen. Gleichzeitig regt das Buch zum Nachdenken an, unterhält gekonnt, ist spannend wie ein Krimi und lässt viel Raum für (literaturwissenschaftliche) Interpretationen.

Großartig fand ich auch das merkwürdige und gleichzeitig hoch interessante Setting und das teilweise vollkommen absurde Verhalten der BewohnerInnen von Groß-Einland. Teilweise ist der Roman sicher als Milieustudie des österreichischen Landlebens (mit einem Augenzwinkern) zu lesen. Tiefgründig beschäftigt sich die Autorin mit Themen wie Familie, Heimat, der Frage, wie gut wir unsere Eltern wirklich kennen können, und der Kultur des Vergessens, Verdrängens und absichtlichen Vertuschens von Kriegsverbrechen zur Zeit des Nationalsozialismus, die für Österreich bezeichnend ist und schon oft von österreichischen KünstlerInnen und AutorInnen kritisiert wurde. Auch verschiedene wissenschaftliche (hauptsächlich physikalische) Konzepte werden in den Text eingearbeitet – sie werden gut erklärt und runden die Geschichte ab. Nur ein Punkt lässt mich zwiespältig zurück: die Offenheit des Romans. Einerseits hätte ich mir vor allem am Ende mehr Antworten gewünscht, andererseits schätze ich aber auch gerade, dass sich vieles im Roman in der Schwebe befindet, dass vieles nur vage bleibt und nicht aufgelöst wird. Wer das nicht mag, wird mit dem „Flüssigen Land“ nicht glücklich werden.

Protagonistinnen & Figuren (5 Sterne ♥)

Die Figuren sind meiner Meinung wunderbar gelungen und wirkten auf mich sehr eigenwillig, komplex und authentisch. Sie waren vielleicht nicht alle immer sympathisch, haben mich aber mit ihrer teilweise merkwürdigen Art sehr angezogen und mir gefallen. Ruth fand ich als Protagonistin ebenfalls gelungen. Sie ist eine Frau der Wissenschaft, mit scharfem Verstand, trotzdem gerät auch sie in den Sog der Gemeinde und scheint nach und nach jedes Zeitgefühl zu verlieren. Ich konnte ihre exzessive Suche nach der Wahrheit sehr gut nachvollziehen und habe diese Frau mit ihren glaubwürdigen Stärken und Schwächen (Medikamentenabhängigkeit, Probleme mit der Habilitation) sehr gerne begleitet.

Spannung & Atmosphäre (5 Sterne ♥)

Es hat lange gedauert, aber nach dem zähen Einstieg hat „Das flüssige Land“ auf mich einen starken Sog ausgeübt. Die unheimliche, mysteriöse, teilweise kafkaeske Stimmung und die subtile Spannung, die das Buch durchziehen, haben mich gefesselt und mich die Seiten immer schneller umblättern lassen. Ständig befürchtet man, dass etwas Schreckliches passiert – es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis Ruth zu weit geht oder auf Furchtbares stößt. Die dichte Atmosphäre des Buches habe ich echt geliebt!

„Mich beschlich ein Gefühl der Unheimlichkeit am helllichten Tage; die wenigen Figuren, die unterwegs waren, Hausfrauen und Zeitungsboten, warfen tiefe Schatten, die mir nicht mit dem Stand der Sonne zusammenzupassen schienen.“ E-Book, Position 820

Feministischer Blickwinkel (3 Sterne)

Einerseits haben mir einige Dinge sehr gut gefallen: Zum einen besteht das Buch den Bechdel-Test und enthält einige starke, mächtige oder gebildete weibliche Figuren wie die Gräfin und die Protagonistin, die an einer Universität in einem MINT-Fach unterrichtet (sie hat sicherlich Vorbildwirkung!). Zudem gibt es auch keine einzige gegenderte Beleidigung, was ich sehr erfrischend finde! Andererseits werden manchmal auch Genderstereotypen reproduziert, indem nur von Hausfrauen die Rede ist, indem nur Frauen die Wäsche waschen, als Sekretärinnen und Kellnerinnen arbeiten oder während der Trauerzeit Hilfe im Haushalt anbieten. Teilweise ist das natürlich auch dem konservativen Setting der Geschichte geschuldet. Daher bin ich dieses Mal etwas weniger streng. Trotzdem ist hier noch Luft nach oben. Beim nächsten Buch würde ich mir etwas mehr Sensibilität in diesem Bereich wünschen.

Mein Fazit

„Das flüssige Land“ hat mir gezeigt, dass man ein Buch nicht zu schnell abbrechen sollte, weil man sonst sein nächstes Lieblingsbuch verpassen könnte. Die nur langsam in Schwung kommende Geschichte und der ungewöhnliche Schreibstil machten mir den Einstieg schwer. Ab dann habe ich mich jedoch mit jeder Seite mehr in dieses Buch verliebt! Der Schreibstil ist sehr anspruchsvoll: Die Sätze der Autorin sind oft lang und komplex, gerne verschachtelt und meist sehr reich an Metaphern. In manchen Momenten war es mir zu viel des Guten, meist jedoch war ich sehr angetan. Das Buch enthält viele wunderschöne, poetische Stellen, subtilen Humor und hat auch eine gewisse österreichische Note. Auch inhaltlich kann es überzeugen: Raphaela Edelbauer hat einen erfrischenden, ungewöhnlichen und faszinierenden Roman geschrieben, der gleichzeitig zum Nachdenken anregt, gekonnt unterhält, spannend wie ein Krimi ist und viel Raum für Interpretationen lässt. Großartig fand ich auch das seltsame und gleichzeitig faszinierende Setting und das vollkommen absurde Verhalten der BewohnerInnen von Groß-Einland. Tiefgründig beschäftigt sich die Autorin mit Themen wie Familie, Heimat und der Kultur des Vergessens, Verdrängens und absichtlichen Vertuschens von Kriegsverbrechen zur Zeit des Nationalsozialismus. Nur die Offenheit des Romans lässt mich zwiespältig zurück: Einerseits hätte ich mir vor allem am Ende mehr Antworten gewünscht, andererseits schätze ich aber auch gerade, dass vieles im Roman vage bleibt und nicht aufgelöst wird. Die Figuren sind meiner Meinung wunderbar gelungen und wirkten auf mich sehr eigenwillig, interessant, komplex und authentisch. Ruth fand ich als Protagonistin und Frau der Wissenschaft mit scharfem Verstand, die trotzdem in den Sog der Gemeinde gerät und nach und nach jedes Zeitgefühl zu verlieren scheint, ebenfalls sehr gelungen. Nach dem zähen Einstieg hat „Das flüssige Land“ auf mich einen starken Sog ausgeübt. Die unheimliche, mysteriöse, teilweise kafkaeske Stimmung und die subtile Spannung, die das Buch durchziehen, haben mich gefesselt und mich die Seiten immer schneller umblättern lassen. Meine Empfehlung: Wer einem anspruchsvollen Schreibstil und offenen Enden wenig abgewinnen kann, wird an diesem Roman keinen Gefallen finden. Alle anderen sollten dem Ruf Groß-Einlands aber unbedingt folgen. Lasst euch vom Sog, den diese Geschichte ausübt, mitreißen – aber passt auf, dass ihr dabei nicht vollkommen euer Zeitgefühl verliert!

Bewertung

Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 5 Sterne ♥
Worldbuilding: 5 Sterne ♥
Einstieg: 2 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Nebenfiguren: 5 Sterne ♥
Spannung: 5 Sterne ♥
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Ende / Auflösung: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 3 Sterne

Insgesamt:

❀❀❀❀❀♥ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir fünf Lilien und ein Herz – und damit den Lieblingsbuchstatus!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.01.2020

Rundum gelungener, atmosphärischer und unheimlicher Mysteryroman mit Gänsehaut-Momenten und sehr angenehmem Schreibstil

Kalte Wasser
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Spoilerfreie Rezension!

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!

Inhalt

Im Buch sitzt plötzlich eine Frau am Krankenhausbett der frisch ...

Spoilerfreie Rezension!

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!

Inhalt

Im Buch sitzt plötzlich eine Frau am Krankenhausbett der frisch gebackenen Mutter Lauren und will einen ihrer neugeborenen Zwillinge mit ihrem eigenen Kind austauschen. War Lauren nur übermüdet und hat sich die Frau eingebildet, wie alle sagen? Warum scheint dann etwas mit ihren Babys nicht zu stimmen?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: HarperCollins
Seitenzahl: 400
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: kurz bis mittel
Tiere im Buch: +/- Ein Wurm wird auseinandergerissen und gefressen. Ansonsten werden im Buch keine Tiere verletzt, getötet oder gequält. Selten wird Fleisch gegessen.

Warum dieses Buch?

Der unheimliche Klappentext und das schlichte, aber düstere Cover haben in mir sofort den Wunsch geweckt, dieses Buch zu lesen. Zudem hatte ich im Vorfeld viel Positives darüber gehört und wusste, dass es auf Sagen und Märchen über Wechselbälger basiert – das fand ich sofort spannend, da ich diese Art von Geschichten liebe!

Meine Meinung

Einstieg (5 Sterne ♥)

"Plötzlich stieg eine Erinnerung in ihr auf, und die Worte der alten Frau kamen ihr in den Sinn: 'Wenn sie ihre eigenen wiederhaben will, muss sie sie ins Wasser legen. Richtig unter Wasser müssen sie sein.'" E-Book, Position 22

Im Prolog ist eine junge Mutter kurz davor, ihre beiden Zwillingsbabys in einem Stausee zu ertränken. Das Buch beginnt so spannend, dass man sofort wissen will, wie es weitergeht und wie es überhaupt zu einer solch dramatischen Situation kommen konnte.

Schreibstil (5 Sterne ♥)

Melanie Golding hat einen unheimlich angenehmen, flüssig lesbaren Schreibstil, der dabei überraschend komplex und tiefgründig ist. Ihre Beschreibungen sind stets sehr anschaulich und auch in unheimlichen Momenten kann die Autorin mit ihrer Sprache punkten. Ich habe die nuancierten Beschreibungen der Emotionen der Figuren und deren Gedankenwelt sehr genossen! Alleine deshalb werde ich mir das nächste Buch der Autorin sicherlich nicht entgehen lassen.

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (5 Sterne)

Bei ihrem Mystery-Roman „Kalte Wasser“, der durchaus auch Thriller-Elemente enthält, hat sich Melanie Golding von alten Sagen und Märchen inspirieren lassen. Immer wieder sind deshalb ihren Kapiteln kurze Zitate aus Märchenbüchern oder Sagen enthalten, die näher auf den Volksglauben des Wechselbalges eingehen. Dadurch wirkt die Geschichte noch realistischer und unheimlicher. In ihrem wendungsreichen Roman spielt die Autorin mit der Wahrheit und stellt immer wieder in Frage, ob Lauren durch ihren Schlafmangel und das Trauma ihrer Geburt vielleicht Dinge sieht, die nicht real sind. Dabei geht die Schriftstellerin auch auf das Thema psychische Gesundheit bzw. Krankheit und besonders auf die Wochenbettpsychose näher ein. Der Alltag in einer Psychiatrie wird ebenso anschaulich geschildert wie die langsame Verwandlung von einer selbstbewussten jungen Frau zu jemandem, der von allen für verrückt gehalten wird, und sich bemüht, alle vom Gegenteil zu überzeugen. Gerade dadurch ist man sich selbst oft nicht sicher, ob Lauren die Dingen noch klar sehen kann.

Protagonistinnen & Figuren (5 Sterne ♥)

Die Geschichte wird aus zwei verschiedenen Sichtweisen erzählt: Einmal erleben wir mit, was der Mutter Lauren im Krankenhaus passiert und dass ihr niemand glaubt, dass eine fremde Frau ihre Kinder entführen wollte. Gleichzeitig begleiten wir auch die engagierte Polizistin Joanna Harper bei der Arbeit, die verzweifelt versucht, das Rätsel zu lösen, weil sie der Fall aufgrund ihrer Vergangenheit nicht kaltlässt. Beide Frauen fand ich sehr liebevoll ausgearbeitet und sympathisch. Besonders Lauren konnte mich überzeugen. Ständig fragt man sich, ob man ihr trauen kann, ob sie sich die Vorkommnisse nur einbildet und an einer Wochenbettpsychose leidet oder ob sie die Einzige ist, die die Wahrheit erkennt. Mit Lauren hatte ich immer wieder Mitleid, weil sie nicht ernst genommen wird, weil sie Gewalt bei und nach der Geburt erlebt und weil ihr Ehemann so ein egozentrischer, unfähiger Idiot ist (den ich die meiste Zeit leidenschaftlich gehasst habe). Die anderen Nebenfiguren waren auch sehr gut ausgearbeitet und interessant – hier hat die Autorin aus meiner Sicht alles richtig gemacht!

Spannung & Atmosphäre (5 Sterne ♥)

Ich habe die düstere, unheimliche Atmosphäre und die unterschwellige Spannung (und Anspannung), die das Buch durchziehen, geliebt und bin sehr gern in diese Geschichte voller Gänsehaut-Momente eingetaucht! Die Kapitel enden zwar nicht immer mit klassischen Cliffhangern, trotzdem will man sofort weiterlesen. Die Autorin weiß das Potential ihrer Schauplätze (Psychiatrie, nächtliches Krankenhauszimmer, Stausee mit versunkenem Dorf, verwachsener Waldpfad) auf jeden Fall zu nutzen – das finde ich großartig! Man weiß irgendwann nicht mehr, wem man noch vertrauen kann, und versucht die ganze Zeit, das Geheimnis um die Zwillinge zu lüften. Die Grenzen zwischen Realität und Einbildung aufgrund von Müdigkeit scheinen immer mehr zu verschwimmen – und gerade dieses Undurchsichtige hat mir bis zum ebenfalls offenen Ende sehr gefallen! Wer damit allerdings nicht umgehen kann und sich am Ende eine Auflösung inklusive detaillierter Erklärungen wünscht, die alle Unklarheiten ausräumen, der wird mit diesem Buch wahrscheinlich keine Freude haben.

„Die Kälte schien direkt aus der Frau zu kommen. Der Gestank faulender, mit Schlamm und Fischen emporgeschwemmter Pflanzen stieg Lauren in die Nase.“ E-Book, Position 475

Feministischer Blickwinkel (5 Sterne ♥)

Schon auf den ersten Seiten besteht das Buch den Bechdel-Test, außerdem haben mir die vielen starken Frauenfiguren und ihre führenden Positionen im Beruf (leitende Psychiaterin, Chefjournalistin, Ärztin etc.) sehr gefallen. Auch dass Harper lesbisch ist, ist positiv hervorzuheben, ebenso wie die Tatsache, dass keine Geburtsart verurteilt wird und dass auch die Kaiserschnittmutter sehr glücklich mit ihrer Entscheidung ist. Das Geschlechterverhältnis war so ausgeglichen, wie ich mir das wünsche. Zusätzlich hat es mir gefallen, dass auch Gewalt unter und nach der Geburt angesprochen und kritisiert wird und dass gezeigt wird, dass Frauen oft überhaupt nicht ernst genommen werden, wenn sie äußern, dass sie Schmerzen haben.

Durch Patricks fürchterliches Verhalten wird deutlich, wie ungerecht die unbezahlte Pflegearbeit immer noch verteilt ist und wie rückwärtsgewandt viele Männer auch heute noch das Thema Kindererziehung betrachten. Patrick nutzt beispielsweise die Wehrlosigkeit seiner Frau nach der Geburt aus, um seine Namenswünsche durchzuboxen, zieht ins Gästezimmer, weil er (noch dazu trotz Urlaub!) ohne Schlaf „nicht so gut funktioniert“, lässt seine Ehefrau nachts mit zwei Säuglingen vollkommen alleine und versucht ihr dann noch einzureden, dass die Aufteilung fair sei bzw. dass sie als Frau eine natürliche Begabung für die Kinderbetreuung habe. Laurens Situation zeigt, dass man als Frau, die über die Familienplanung nachdenkt, dem Partner zuerst intensiv auf den Zahn fühlen sollte, um herauszufinden, wie er sich seine Rolle als Vater vorgestellt hat. Das senkt zumindest das Risiko, dann alleine für alles zuständig zu sein – das böse Erwachen kann natürlich trotzdem kommen. Das Einzige, was ich nicht so gelungen fand, waren die gelegentlichen gegenderten Beleidigungen (Miststück, Schlam++), aber das verzeihe ich bei so vielen Pluspunkten!

„‘Wie wär’s damit‘, sagte Patrick. ‚Solange ich noch frei habe, helfe ich tagsüber, so viel ich kann, und du bist für die Nächte zuständig. Echtes Teamwork eben. Wär doch fair, oder?‘“ E-Book, Position 1399

Mein Fazit

„Kalte Wasser“ ist ein rundum gelungener, atmosphärischer und unheimlicher Mysteryroman mit Thriller-Elementen und vielen Gänsehaut-Momenten. Melanie Golding hat einen unheimlich angenehmen, anschaulichen, flüssig lesbaren Schreibstil, der dabei überraschend komplex und tiefgründig ist. Ich habe die nuancierten Beschreibungen der Emotionen der Figuren sehr genossen! Bei ihrem Buch hat sich die Autorin spürbar von alten Sagen und Märchen inspirieren lassen, geht aber auch tiefgründig auf Themen wie Sexismus, unfair aufgeteilte Arbeit bei der Kinderbetreuung, Gewalt bei der Geburt, psychische Gesundheit bzw. Krankheit und Wochenbettpsychose ein. Die Geschichte wird dabei aus zwei verschiedenen Sichtweisen erzählt: Einmal erleben wir mit, was der Mutter Lauren im Krankenhaus passiert und dass ihr niemand glaubt, dass eine fremde Frau ihre Kinder entführen wollte. Gleichzeitig begleiten wir auch die engagierte Polizistin Joanna Harper bei der Arbeit, die verzweifelt versucht, das Rätsel zu lösen. Beide Frauen fand ich sehr liebevoll ausgearbeitet und sympathisch. Besonders Lauren konnte mich überzeugen; ich habe sehr mit ihr mitgefühlt und hatte Mitleid mit ihr, weil sie oft schlecht behandelt wird und weil ihr Ehemann so ein egozentrischer, unfähiger Sexist (den ich die meiste Zeit leidenschaftlich gehasst habe) ist. Das Buch hat nicht nur einen spannenden Einstieg, sondern auch eine durchgehende düstere, unheimliche Atmosphäre und eine ständige unterschwellige Spannung, die das Buch durchziehen. Das habe ich geliebt! Die Grenzen zwischen Realität und Einbildung aufgrund von Müdigkeit scheinen immer mehr zu verschwimmen – und gerade dieses Undurchsichtige hat mir bis zum ebenfalls offenen Ende sehr gefallen. Die Autorin weiß zudem das Potential ihrer Schauplätze (Psychiatrie, nächtliches Krankenhauszimmer, Stausee mit versunkenem Dorf, verwachsener Waldpfad) eindrucksvoll und intensiv zu nutzen. Ich spreche hiermit eine Leseempfehlung aus: Wagt den Sprung ins „Kalte Wasser“ – ihr werdet es nicht bereuen!

Bewertung

Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 5 Sterne
Worldbuilding: 5 Sterne ♥
Einstieg: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Protagonistinnen: 5 Sterne ♥
Nebenfiguren: 5 Sterne ♥
Spannung: 5 Sterne
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Ende / Auflösung: 5 Sterne ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Feministischer Blickwinkel: 5 Sterne ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀❀♥ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir fünf Lilien und ein Herz – und damit den Lieblingsbuchstatus und eine uneingeschränkte Leseempfehlung!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.01.2020

Wunderschöne, tiefgründige Mischung aus Kunst und Kinderliteratur, die zu Tränen rührt!

Das Stundenbuch des Jacominus Gainsborough
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Inhalt

Dieses Kinderbuch beleuchtet das lange, ereignisreiche und überwiegend glückliche Leben des Hasen Jacominus Gainborough und begleitet ihn von seiner Geburt über seine Kindheit und Jugend bis zu ...

Inhalt

Dieses Kinderbuch beleuchtet das lange, ereignisreiche und überwiegend glückliche Leben des Hasen Jacominus Gainborough und begleitet ihn von seiner Geburt über seine Kindheit und Jugend bis zu seinem friedlichen Lebensende.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Altersempfehlung: ab 5 Jahren
Verlag: Insel Verlag
Seitenzahl: 56
Erzählweise: allwissender Erzähler, Präteritum
Tiere im Buch: + Im Buch sterben zwar Tiere und sie werden verletzt, aber da sie sich wie Menschen verhalten, wird ihr Leiden niemals heruntergespielt! Zudem wirken sie auch mehr menschlich als tierisch.

Warum dieses Buch?

Immer noch bin ich auf der Suche nach empfehlenswerten, besonderen Kinderbüchern, die ich gemeinsam mit meinen (zukünftigen) Patenkindern, Nichten und Neffen lesen kann. In das Cover dieses Buches und somit auch seinen Zeichenstil habe ich mich sofort verliebt – ich wusste, an diesem Kinderbuch führt für mich kein Weg vorbei!

Meine Meinung

Geschichte (♥)

„Zum Beispiel wirst du dich fragen, was ‚Stundenbuch‘ bedeutet. Da ich im Augenblick hier bin, werde ich dir antworten: Es ist eine poetische und raffinierte Art, vom Leben eines Menschen zu erzählen. Und raffiniert heißt in diesem Fall, dass ich ein kompliziertes Wort wie ‚Stundenbuch‘ verwendet habe, um etwas Einfaches wie das Leben auszudrücken.“ Zitat aus der Einleitung

Die Autorin hat in diesem Kinderbuch eine herzerwärmende, berührende, schlichte und gerade deshalb so glaubwürdige Geschichte geschaffen, die die Höhen und Tiefen eines ganz normalen und gleichzeitig besonderen Lebens großartig und ehrlich einfängt. Themen wie Familie, Liebe, Glück, Verlust und Vergänglichkeit werden tiefgründig und mit viel Fingerspitzengefühl behandelt. Dieses Buch bietet trotz der etwas melancholischen Grundstimmung eine sanfte Möglichkeit, die Themen Vergänglichkeit, Leben und Sterben bei einem Kind (vielleicht erstmals) altersgerecht und behutsam anzusprechen, was ich sehr schön finde. Das Buch hat zwei Ebenen: Einmal die offensichtliche Inhaltsebene, auf der die Geschichte passiert und die auch Kinder verstehen können. Und zweitens eine tiefere, philosophischere Ebene, die wahrscheinlich hauptsächlich Erwachsene genießen können. Aufgrund seiner vielfältigen Anspielungen, Bedeutungsebenen und Vielschichtigkeit ist das Stundenbuch zwar meiner Meinung nach für beide Altersgruppen, aber vielleicht nicht für jedes Kind geeignet – hier sollte man die Entscheidung, ob das Buch vorgelesen wird, individuell treffen. Solange die Vorlesenden während der Lektüre mit dem Kind in einen Dialog treten und ihm seine Fragen beantworten und Unklarheiten beseitigen, dürfte sich die Lektüre aber problemlos gestalten. Rébecca Dautremer ist jedenfalls eine Kinderbuchautorin, die ich mir mit Sicherheit merken werde. Ihr Erzähl- und Zeichenstil erinnert mich stark an die Bücher von Martin Widmark und Emilia Dziubak – die ich übrigens absolut liebe und euch nur ans Herz legen kann!

Ach – und noch etwas: Habt ihr schon einmal am Ende eines Kinderbuches geweint? Zeitgleich mit einem Lächeln auf den Lippen, weil es so schön war? Was? Das geht nicht? Kinderbücher können einen nicht zu Tränen rühren? Früher habe ich das auch gedacht, aber wenn ich euch jetzt hören könnte, würde ich nur nachsichtig lächeln, aber schon einmal Taschentücher bereitstellen. Ihr werdet sie wahrscheinlich brauchen. Und es wird euch gefallen.

Schreibstil (♥)

„Jacominus hatte das Glück, von seiner Familie und von seinen Freunden geliebt zu werden. Und das hat ihn stark gemacht.“ Zitat aus dem Buch (keine Seitenzahlen vorhanden)

Gleich am Beginn des Buches werden die jungen und erwachsenen LeserInnen in einer warmherzigen Einleitung begrüßt. Interessant an diesem Kinderbuch ist die Verteilung des Texts – manche Seiten enthalten nur wenige Zeilen Text, andere eine ganze Seite. Wichtig ist hier zu erwähnen, dass ich keine Seite überfrachtet oder zu textlastig fand.

Den Schreibstil der Autorin fand ich wunderbar: Er ist einfach, anschaulich, märchenhaft und poetisch – gleichzeitig aber großteils auch sehr kindgerecht mit gezielten Wiederholungen und kleinen Erklärungen und einer Geschichte, die in leicht verdaulichen Häppchen präsentiert wird. Manchmal kommen englische Redewendungen vor, die allerdings ganz unten immer auch übersetzt werden. So kommt das junge Lesepublikum in Kontakt mit einer Fremdsprache, aber die Eltern sind nicht gezwungen, die Bedeutung selbst nachzuschlagen, was ist sehr gut gelöst finde und was zur authentischen Atmosphäre im Buch beiträgt. Manche Wörter sind den Kindern sicher unbekannt (wie z. B. Diskretion), manche Namen sind schwer zu merken (Agathon etc.), manches werden sie noch nicht verstehen. Aber genau dafür sind ja die VorleserInnen da! Ich habe die Sprache jedenfalls absolut geliebt, weil sie einen sofort in die Geschichte entführt.

Figuren (♥)

„Jacominus war häufig abwesend, als wäre er auf dem Mond.
Und bestimmt machte er da oben, auf dem Mond, auch seine ersten Schritte.
Und deswegen hatte er wohl auch den kleinen Unfall.“ Zitat aus dem Buch (keine Seitenzahlen vorhanden)

Ja, vieles ist an diesem Buch ganz großartig gelungen – der Protagonist ist hier keine Ausnahme. Von der ersten Seite an habe ich mit diesem süßen, verträumten Häschen mitgefühlt und es sofort ins Herz geschlossen. Sein friedlicher Tod hat mir völlig unerwartet die Tränen in die Augen getrieben – so sehr hatte ich ihn in den wenigen Seiten lieb gewonnen. Auch die anderen Tier-Figuren, die gekleidet sind und sich verhalten wie Menschen, überzeugen durch die Bank – auch wenn sie im Buch nur Nebenrollen spielen. Tierliebhaber*innen wie ich werden die Geschichte durch die tierischen Figuren nur noch mehr lieben!

Illustrationen (♥)

Das Beste am Buch sind aber seine wunderschönen, detaillierten und mit viel Liebe erstellten Illustrationen, auf denen es unheimlich viel zu entdecken gibt und die deshalb dazu einladen, sie ganz genau zu betrachten und zu genießen. Viele Zeichnungen gehen über eine Doppelseite des unkonventionellen Buches, das übrigens so ein riesiges Format hat, dass es kaum ins Bücherregal passt. Für mich ist dieses Werk jedenfalls eine wunderbare, unvergleichliche und unvergessliche Mischung aus Kunst und Kinderliteratur, in die ich mich sofort verliebt habe! „Das Stundenbuch des Jacominus Gainsborough“ zählt zu den schönsten Kinderbüchern, die ich je gelesen habe.

Geschlechterrollen (♥)

Sogar hier punktet das Buch auf ganzer Linie, was ich sehr erfrischend finde: Sehr häufig werden Väter gezeigt, die ihre Kinder tragen, mit ihnen spielen oder sich schlicht um sie kümmern. Dafür, dass auf Rollenklischees verzichtet wurde, gibt es ein großes Lob! Das Einzige, was mich ein wenig gestört hat, war, dass Jacominus und seine männlichen Freunde alle imposante Namen mächtiger Männer haben, dass aber seine einzige weibliche Freundin und spätere Ehefrau schlicht „Sweety“ heißt.

Mein Fazit

„Das Stundenbuch des Jacominus Gainsborough“ vereint wunderschöne, detaillierte und mit viel Liebe erstellte Illustrationen, auf denen es unheimlich viel zu entdecken gibt, mit einer herzerwärmenden, berührenden und authentischen Geschichte, die die Höhen und Tiefen des Lebens ehrlich einfängt. Themen wie Familie, Liebe, Glück, Verlust und Vergänglichkeit werden tiefgründig und mit viel Fingerspitzengefühl behandelt. Dieses Buch bietet die Möglichkeit, die Themen Vergänglichkeit, Leben und Sterben bei einem Kind altersgerecht und behutsam anzusprechen. Aufgrund seiner vielfältigen Anspielungen, Bedeutungsebenen und Vielschichtigkeit ist das Stundenbuch zwar meiner Meinung nach für junge und erwachsene LeserInnen, aber vielleicht nicht für jedes Kind geeignet – hier sollte man die Entscheidung, ob das Buch vorgelesen wird, individuell treffen. Den Schreibstil der Autorin fand ich wunderbar: Er ist einfach, anschaulich, märchenhaft und poetisch – gleichzeitig aber großteils auch sehr kindgerecht mit gezielten Wiederholungen und kleinen Erklärungen und einer Geschichte, die in leicht verdaulichen Häppchen präsentiert wird. Manche Wörter sind den Kindern sicher unbekannt, manches werden sie noch nicht verstehen – aber genau dafür sind ja die VorleserInnen da! Vieles ist an diesem Buch großartig gelungen – der Protagonist ist hier keine Ausnahme. Von der ersten Seite an habe ich mit diesem süßen, verträumten Häschen mitgefühlt und es sofort ins Herz geschlossen. Sogar was die Darstellung von Geschlechterrollen betrifft, punktet das Buch auf ganzer Linie: Sehr häufig werden Väter gezeigt, die ihre Kinder tragen, mit ihnen spielen oder sich schlicht um sie kümmern. Für mich ist „Das Stundenbuch des Jacominus Gainsborough“ jedenfalls eines der schönsten Kinderbücher, die ich je gelesen habe, und eine wunderbare, unvergleichliche und unvergessliche Mischung aus Kunst und Kinderliteratur, in die ich mich sofort verliebt habe! Ach – und noch etwas: Habt ihr schon einmal am Ende eines Kinderbuches mit einem Lächeln auf den Lippen geweint? Was? Das geht nicht? Kinderbücher können einen nicht zu Tränen rühren? Früher habe ich das auch gedacht, aber wenn ich euch jetzt hören könnte, würde ich nur nachsichtig lächeln, aber schon einmal Taschentücher bereitstellen. Ihr werdet sie wahrscheinlich brauchen. Und es wird euch gefallen.

Bewertung

Idee: 5 Sterne ♥
Geschichte: 5 Sterne ♥
Ausführung: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Personen: 5 Sterne ♥
Illustrationen: 5 Sterne ♥
Rollenbilder: ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀❀♥ Lilien

Dieses Buch erhält von mir fünf Lilien und ein Herz – und somit den Lieblingsbuchstatus und eine uneingeschränkte Leseempfehlung!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.01.2020

Originelle Grundidee – enttäuschende, langatmige Umsetzung

Troll
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Spoilerfreie Rezension!

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): nicht bestanden!

Inhalt

Osteuropa in der nahen Zukunft: Die EU ist mittlerweile ...

Spoilerfreie Rezension!

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): nicht bestanden!

Inhalt

Osteuropa in der nahen Zukunft: Die EU ist mittlerweile zerfallen und wurde durch die Festung Europa ersetzt. Osteuropa ist zu einer Diktatur geworden. Internettrolle lenken die öffentliche Meinung, zerstören Existenzen, sorgen dafür, dass die Wahrheit von der Lüge nicht mehr unterscheidbar – oder zumindest unwichtig geworden – ist. Der namenlose Protagonist und seine einzige Freundin Johanna, die er in einem Krankenhaus kennengelernt hat, beschließen, gegen die Trolle anzukämpfen und über Fake News aufzuklären – ein Vorhaben, das sie selbst in größte Gefahr bringt.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Tropen
Seitenzahl: 215
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: männliche Perspektive
Kapitellänge: Das Buch ist unterteilt in zwei Abschnitte, es gibt keine Unterkapitel.
Tiere im Buch: +/- Es werden im Buch drei Hunde teilweise vernachlässigt und schlecht behandelt. Sie sind untergewichtig und müssen hungern. Streunerkatzen werden zudem nicht kastriert und werfen „in rauen Mengen“ Junge. Ansonsten werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.

Warum dieses Buch?

Der Klappentext hat mich sofort neugierig gemacht, da ich noch nie eine Dystopie gelesen habe, die sich mit Internettrollen beschäftigt!

Meine Meinung

Einstieg (3 Sterne)

„Mein wahrer Name ist … Ich kann nicht … Weiß nicht … Ich heiße … Ich komme nicht auf meinen Namen. Sie haben mir alles genommen. Ich bin … der Troll.“ E-Book, Position 145

Das Buch wirkte am Beginn vielversprechend und spannend, doch bereits nach den ersten Seiten ließ die Spannung wieder nach.

Schreibstil (2,5 Sterne)

Michal Hvorecky hat einen Schreibstil, der zwar nicht negativ, aber der leider auch nicht positiv auffällt. Mich konnte der Autor mit seiner flüssigen, einfachen, aber oft auch oberflächlichen und manchmal etwas wirren Erzählweise jedenfalls nicht packen und erreichen. Die Zitate, die zwischendurch immer wieder im Buch angeführt waren, fand ich manchmal sehr gelungen, manchmal aber auch wenig aussagekräftig, zu kompliziert oder gar uninteressant (und damit schlecht ausgesucht).

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (2 Sterne)

„Wir konnten zuschauen, wie sich die Wahrheit unablässig veränderte. Jede Geschichte umfasste zwei, drei sich widersprechende Versionen. […] Vor unseren Augen geschah etwas Komplizierteres als Propaganda: Man konnte nichts belegen, und gleichzeitig verlor der Begriff des Beweises seinen Sinn.“ E-Book, Position 820

Die Grundidee klang spannend, frisch und vielversprechend, leider hat mich die Umsetzung des Autors aber sehr enttäuscht. Das Buch ist in zwei Teile geteilt. Im ersten werden das Leben und der lange Krankenhausaufenthalt des namenlosen Protagonisten beleuchtet, im zweiten Teil steht dessen Karriere als Internettroll (und heimlicher Rebell) im Vordergrund. Die zweite Hälfte des Buches hat mir insgesamt besser gefallen als die erste, die ich oft sehr langatmig und zäh fand. Ein Lesegenuss war die Dystopie für mich leider trotzdem nicht –ich habe mich über weite Strecken durch das Buch gequält.

Michal Hvorecky behandelt in „Troll“ hochaktuelle Themen wie Fake News, Propaganda, Diktaturen, Homophobie, Rassismus und Sexismus im Netz und Hasskommentare. Eindrucksvoll beschreibt er die Wirkungsmechanismen hinter Trollangriffen und die Vorgehensweise der Trolle. Hier hätte eine originelle, furchteinflößende Dystopie entstehen können – und einige gute Ansätze, gelungene Passagen und einprägsame Zitate sind durchaus vorhanden. Mein Hauptkritikpunkt ist hier aber, dass das Potential leider nicht genutzt werden konnte. Die Geschichte bleibt oberflächlich, geht nicht in die Tiefe. Auch das Worldbuilding ist nicht gelungen – vieles wird nur angedeutet, angekratzt, das meiste bleibt vage, nicht greifbar oder schwammig, Erklärungen fehlen. Es wird immer wieder über den Informations- und Hybridkrieg gesprochen, leider verzichtet der Autor auch hier darauf, näher darauf einzugehen, weswegen ich mir bis zum Ende des Buches die dystopische Welt der Trolle nicht wirklich gut vorstellen konnte und weswegen ich die ganze Zeit das unangenehme Gefühl hatte, dass mir wichtige Informationen vorenthalten wurden. Dieses unbefriedigende „Das-geht-doch-besser“-Gefühl blieb leider bis zum immerhin gelungenen Ende bestehen.

Protagonistin & Figuren (2,5 Sterne)

Obwohl wir besonders im ersten Teil eigentlich viel über den Protagonisten (dessen Namen nie genannt wird) erfahren, blieb er mir bis zum Ende fremd. Er war mir zu blass und austauschbar – in seltenen Momenten wurde er mir (durch egoistische Handlungen) sogar unsympathisch. Johanna fand ich interessanter – ich schätze ja starke weibliche Figuren sehr. Dennoch habe ich auch mit ihr nicht wirklich mitgefühlt oder mitgefiebert. Es ist mir leider nicht gelungen, eine Beziehung zu den Figuren in diesem Buch aufzubauen – dafür waren sie nicht greifbar, authentisch und dreidimensional genug.

Spannung & Atmosphäre (2 Sterne)

„‘Früher hat der Sieger Geschichte geschrieben. Heute schreibt der Geschichte, der gewinnen will.‘“ E-Book, Position 1094

Ich habe mit einer beunruhigenden, furchteinflößenden Dystopie gerechnet, die mich zum Nachdenken bringt – erhalten habe ich einen oft langatmigen Roman, dem Spannung und Atmosphäre über weite Strecken fehlen. Es gibt natürlich auch hier eine unerwartete Wendung und gelungene Passagen, die nachdenklich machen und Parallelen zur Realität erkennen lassen, jedoch waren diese leider spärlich gesät. Auch hier wurde viel Potential verschenkt!

Feministischer Blickwinkel (3 Sterne)

Sehr geschätzt habe ich am Protagonisten, dass er die Frauen in seiner Umgebung stets respektvoll behandelt; nicht so gut gefallen hat mir, dass das Thema Prostitution aus Armut nicht kritisch gesehen wird, sondern eher noch vage positiv beschrieben wird. Ebenso gestört hat mich, dass Beleidigungen gegen Frauen oft gegendert waren (mehrmals Nu+++) und dass das Thema „Sexismus“ nur ganz am Rand angeschnitten wird. Obwohl das Geschlechterverhältnis halbwegs ausgeglichen ist (auch was mächtige Positionen im Beruf betrifft), besteht das Buch den Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann) leider nicht.

Mein Fazit

„Troll“ ist eine Dystopie mit einer originellen, spannenden und beunruhigenden Grundidee, deren Umsetzung mich leider enttäuscht hat. Das lag unter anderem auch am Schreibstil, der zwar nicht negativ, aber der leider auch nicht positiv auffällt. Mich konnte der Autor mit seiner flüssigen, einfachen, aber oft auch oberflächlichen und manchmal etwas wirren Erzählweise jedenfalls nicht packen und erreichen. Michal Hvorecky behandelt in „Troll“ hochaktuelle Themen wie Fake News, Propaganda, Rassismus, Sexismus und Homophobie im Netz und Hasskommentare. Eindrucksvoll beschreibt er die Wirkungsmechanismen hinter Trollangriffen und die Vorgehensweise der Trolle. Hier hätte eine spannende, furchteinflößende Dystopie entstehen können – und einige gute Ansätze, gelungene Passagen und einprägsame Zitate sind durchaus vorhanden. Aber: Das Potential der guten Idee konnte leider nicht genutzt werden. Die Geschichte und das Worldbuilding bleiben oberflächlich, gehen nicht in die Tiefe. Vieles wird nur angedeutet oder angekratzt, zu viel bleibt vage, nicht greifbar oder schwammig, Erklärungen fehlen. Aus diesem Grund konnte ich mir bis zum Ende des Buches die dystopische Welt der Trolle nicht wirklich gut vorstellen und hatte die ganze Zeit das unangenehme Gefühl, dass mir wichtige Informationen fehlten. Obwohl wir besonders im ersten Teil eigentlich viel über den namenlosen Protagonisten erfahren, blieb er mir bis zum Ende fremd und war mir zu blass und austauschbar. Johanna mochte ich als starke weibliche Figur, richtig mitgefühlt oder mitgefiebert habe ich aber auch nicht mit ihr. Es ist mir einfach nicht gelungen, eine Beziehung zu den Figuren in diesem Buch aufzubauen – dafür waren sie nicht greifbar, authentisch und dreidimensional genug. Ich habe mit einer beunruhigenden, furchteinflößenden Dystopie gerechnet, die mich zum Nachdenken bringt – erhalten habe ich einen (trotz einiger gelungener Passagen) oft langatmigen und zähen Roman, dem Spannung und Atmosphäre über weite Strecken fehlen. Leider habe ich mich die meiste Zeit durch das Buch gequält. Kurz: „Troll“ ist ein Buch mit einigen guten Ansätzen und einer originellen Grundidee, deren Umsetzung mich jedoch leider sehr enttäuscht hat. Ich kann die Dystopie daher leider nicht weiterempfehlen.

Bewertung

Idee: 5 Sterne
Inhalt, Themen, Botschaft: 2 Sterne
Umsetzung: 2 Sterne
Worldbuilding: 2 Sterne
Einstieg: 3 Sterne
Schreibstil: 2,5 Sterne
Protagonist: 2 Sterne
Nebenfiguren: 3,5 Sterne
Spannung: 1 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Ende / Auflösung: 3 Sterne
Emotionale Involviertheit: 2 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 3 Sterne

Insgesamt:

❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir zwei enttäuschte Lilien und leider keine Leseempfehlung!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere