Originelle Grundidee – enttäuschende, langatmige Umsetzung
Spoilerfreie Rezension!
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): nicht bestanden!
Inhalt
Osteuropa in der nahen Zukunft: Die EU ist mittlerweile ...
Spoilerfreie Rezension!
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): nicht bestanden!
Inhalt
Osteuropa in der nahen Zukunft: Die EU ist mittlerweile zerfallen und wurde durch die Festung Europa ersetzt. Osteuropa ist zu einer Diktatur geworden. Internettrolle lenken die öffentliche Meinung, zerstören Existenzen, sorgen dafür, dass die Wahrheit von der Lüge nicht mehr unterscheidbar – oder zumindest unwichtig geworden – ist. Der namenlose Protagonist und seine einzige Freundin Johanna, die er in einem Krankenhaus kennengelernt hat, beschließen, gegen die Trolle anzukämpfen und über Fake News aufzuklären – ein Vorhaben, das sie selbst in größte Gefahr bringt.
Übersicht
Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Tropen
Seitenzahl: 215
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: männliche Perspektive
Kapitellänge: Das Buch ist unterteilt in zwei Abschnitte, es gibt keine Unterkapitel.
Tiere im Buch: +/- Es werden im Buch drei Hunde teilweise vernachlässigt und schlecht behandelt. Sie sind untergewichtig und müssen hungern. Streunerkatzen werden zudem nicht kastriert und werfen „in rauen Mengen“ Junge. Ansonsten werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Warum dieses Buch?
Der Klappentext hat mich sofort neugierig gemacht, da ich noch nie eine Dystopie gelesen habe, die sich mit Internettrollen beschäftigt!
Meine Meinung
Einstieg (3 Sterne)
„Mein wahrer Name ist … Ich kann nicht … Weiß nicht … Ich heiße … Ich komme nicht auf meinen Namen. Sie haben mir alles genommen. Ich bin … der Troll.“ E-Book, Position 145
Das Buch wirkte am Beginn vielversprechend und spannend, doch bereits nach den ersten Seiten ließ die Spannung wieder nach.
Schreibstil (2,5 Sterne)
Michal Hvorecky hat einen Schreibstil, der zwar nicht negativ, aber der leider auch nicht positiv auffällt. Mich konnte der Autor mit seiner flüssigen, einfachen, aber oft auch oberflächlichen und manchmal etwas wirren Erzählweise jedenfalls nicht packen und erreichen. Die Zitate, die zwischendurch immer wieder im Buch angeführt waren, fand ich manchmal sehr gelungen, manchmal aber auch wenig aussagekräftig, zu kompliziert oder gar uninteressant (und damit schlecht ausgesucht).
Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (2 Sterne)
„Wir konnten zuschauen, wie sich die Wahrheit unablässig veränderte. Jede Geschichte umfasste zwei, drei sich widersprechende Versionen. […] Vor unseren Augen geschah etwas Komplizierteres als Propaganda: Man konnte nichts belegen, und gleichzeitig verlor der Begriff des Beweises seinen Sinn.“ E-Book, Position 820
Die Grundidee klang spannend, frisch und vielversprechend, leider hat mich die Umsetzung des Autors aber sehr enttäuscht. Das Buch ist in zwei Teile geteilt. Im ersten werden das Leben und der lange Krankenhausaufenthalt des namenlosen Protagonisten beleuchtet, im zweiten Teil steht dessen Karriere als Internettroll (und heimlicher Rebell) im Vordergrund. Die zweite Hälfte des Buches hat mir insgesamt besser gefallen als die erste, die ich oft sehr langatmig und zäh fand. Ein Lesegenuss war die Dystopie für mich leider trotzdem nicht –ich habe mich über weite Strecken durch das Buch gequält.
Michal Hvorecky behandelt in „Troll“ hochaktuelle Themen wie Fake News, Propaganda, Diktaturen, Homophobie, Rassismus und Sexismus im Netz und Hasskommentare. Eindrucksvoll beschreibt er die Wirkungsmechanismen hinter Trollangriffen und die Vorgehensweise der Trolle. Hier hätte eine originelle, furchteinflößende Dystopie entstehen können – und einige gute Ansätze, gelungene Passagen und einprägsame Zitate sind durchaus vorhanden. Mein Hauptkritikpunkt ist hier aber, dass das Potential leider nicht genutzt werden konnte. Die Geschichte bleibt oberflächlich, geht nicht in die Tiefe. Auch das Worldbuilding ist nicht gelungen – vieles wird nur angedeutet, angekratzt, das meiste bleibt vage, nicht greifbar oder schwammig, Erklärungen fehlen. Es wird immer wieder über den Informations- und Hybridkrieg gesprochen, leider verzichtet der Autor auch hier darauf, näher darauf einzugehen, weswegen ich mir bis zum Ende des Buches die dystopische Welt der Trolle nicht wirklich gut vorstellen konnte und weswegen ich die ganze Zeit das unangenehme Gefühl hatte, dass mir wichtige Informationen vorenthalten wurden. Dieses unbefriedigende „Das-geht-doch-besser“-Gefühl blieb leider bis zum immerhin gelungenen Ende bestehen.
Protagonistin & Figuren (2,5 Sterne)
Obwohl wir besonders im ersten Teil eigentlich viel über den Protagonisten (dessen Namen nie genannt wird) erfahren, blieb er mir bis zum Ende fremd. Er war mir zu blass und austauschbar – in seltenen Momenten wurde er mir (durch egoistische Handlungen) sogar unsympathisch. Johanna fand ich interessanter – ich schätze ja starke weibliche Figuren sehr. Dennoch habe ich auch mit ihr nicht wirklich mitgefühlt oder mitgefiebert. Es ist mir leider nicht gelungen, eine Beziehung zu den Figuren in diesem Buch aufzubauen – dafür waren sie nicht greifbar, authentisch und dreidimensional genug.
Spannung & Atmosphäre (2 Sterne)
„‘Früher hat der Sieger Geschichte geschrieben. Heute schreibt der Geschichte, der gewinnen will.‘“ E-Book, Position 1094
Ich habe mit einer beunruhigenden, furchteinflößenden Dystopie gerechnet, die mich zum Nachdenken bringt – erhalten habe ich einen oft langatmigen Roman, dem Spannung und Atmosphäre über weite Strecken fehlen. Es gibt natürlich auch hier eine unerwartete Wendung und gelungene Passagen, die nachdenklich machen und Parallelen zur Realität erkennen lassen, jedoch waren diese leider spärlich gesät. Auch hier wurde viel Potential verschenkt!
Feministischer Blickwinkel (3 Sterne)
Sehr geschätzt habe ich am Protagonisten, dass er die Frauen in seiner Umgebung stets respektvoll behandelt; nicht so gut gefallen hat mir, dass das Thema Prostitution aus Armut nicht kritisch gesehen wird, sondern eher noch vage positiv beschrieben wird. Ebenso gestört hat mich, dass Beleidigungen gegen Frauen oft gegendert waren (mehrmals Nu+++) und dass das Thema „Sexismus“ nur ganz am Rand angeschnitten wird. Obwohl das Geschlechterverhältnis halbwegs ausgeglichen ist (auch was mächtige Positionen im Beruf betrifft), besteht das Buch den Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann) leider nicht.
Mein Fazit
„Troll“ ist eine Dystopie mit einer originellen, spannenden und beunruhigenden Grundidee, deren Umsetzung mich leider enttäuscht hat. Das lag unter anderem auch am Schreibstil, der zwar nicht negativ, aber der leider auch nicht positiv auffällt. Mich konnte der Autor mit seiner flüssigen, einfachen, aber oft auch oberflächlichen und manchmal etwas wirren Erzählweise jedenfalls nicht packen und erreichen. Michal Hvorecky behandelt in „Troll“ hochaktuelle Themen wie Fake News, Propaganda, Rassismus, Sexismus und Homophobie im Netz und Hasskommentare. Eindrucksvoll beschreibt er die Wirkungsmechanismen hinter Trollangriffen und die Vorgehensweise der Trolle. Hier hätte eine spannende, furchteinflößende Dystopie entstehen können – und einige gute Ansätze, gelungene Passagen und einprägsame Zitate sind durchaus vorhanden. Aber: Das Potential der guten Idee konnte leider nicht genutzt werden. Die Geschichte und das Worldbuilding bleiben oberflächlich, gehen nicht in die Tiefe. Vieles wird nur angedeutet oder angekratzt, zu viel bleibt vage, nicht greifbar oder schwammig, Erklärungen fehlen. Aus diesem Grund konnte ich mir bis zum Ende des Buches die dystopische Welt der Trolle nicht wirklich gut vorstellen und hatte die ganze Zeit das unangenehme Gefühl, dass mir wichtige Informationen fehlten. Obwohl wir besonders im ersten Teil eigentlich viel über den namenlosen Protagonisten erfahren, blieb er mir bis zum Ende fremd und war mir zu blass und austauschbar. Johanna mochte ich als starke weibliche Figur, richtig mitgefühlt oder mitgefiebert habe ich aber auch nicht mit ihr. Es ist mir einfach nicht gelungen, eine Beziehung zu den Figuren in diesem Buch aufzubauen – dafür waren sie nicht greifbar, authentisch und dreidimensional genug. Ich habe mit einer beunruhigenden, furchteinflößenden Dystopie gerechnet, die mich zum Nachdenken bringt – erhalten habe ich einen (trotz einiger gelungener Passagen) oft langatmigen und zähen Roman, dem Spannung und Atmosphäre über weite Strecken fehlen. Leider habe ich mich die meiste Zeit durch das Buch gequält. Kurz: „Troll“ ist ein Buch mit einigen guten Ansätzen und einer originellen Grundidee, deren Umsetzung mich jedoch leider sehr enttäuscht hat. Ich kann die Dystopie daher leider nicht weiterempfehlen.
Bewertung
Idee: 5 Sterne
Inhalt, Themen, Botschaft: 2 Sterne
Umsetzung: 2 Sterne
Worldbuilding: 2 Sterne
Einstieg: 3 Sterne
Schreibstil: 2,5 Sterne
Protagonist: 2 Sterne
Nebenfiguren: 3,5 Sterne
Spannung: 1 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Ende / Auflösung: 3 Sterne
Emotionale Involviertheit: 2 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 3 Sterne
Insgesamt:
❀❀ Lilien
Dieses Buch bekommt von mir zwei enttäuschte Lilien und leider keine Leseempfehlung!