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Veröffentlicht am 01.09.2019

Authentischer Blick hinter die Kulissen eines Buchhändlers

Tagebuch eines Buchhändlers
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Im "Tagebuch eines Buchhändlers" von Shaun Bythell begleiten wir den schottischen Besitzer des Buchladens "The Bookshop" in dem schottischen Bücherstädtchen Wigtown, im südlichen Schottland gelegen, ein ...

Im "Tagebuch eines Buchhändlers" von Shaun Bythell begleiten wir den schottischen Besitzer des Buchladens "The Bookshop" in dem schottischen Bücherstädtchen Wigtown, im südlichen Schottland gelegen, ein Jahr lang bei seinen vielfältigen (und nicht immer leichten oder lustigen) buchhändlerischen Tätigkeiten.
Erschienen ist das Buch im btb-Verlag, Verlagsgruppe Randomhouse als TB (2019) und es umfasst 446 Seiten, die einen Blick "hinter die Kulissen" eines Buchhändlers durchaus gewähren; inklusive eines kurzen Blicks in die Persönlichkeit des Autors sowie seiner Leidenschaft für Bücher (ohne die man auch sicherlich keinen Buchladen führen sollte ;)

Ausser dem Autor und Inhaber von "The Bookshop" selbst lernt man viele weitere Menschen kennen, die als Verkäufer von Büchern auftreten (täglich mehrere) und natürlich den Kunden, die nach seltenen Büchern suchen. Mitarbeiter gibt es wenige; da ist Nicky, die zum Laden gehört wie die Bücher, die als bescheiden und großzügig mit dem, was sie hat, (besonders an den Feinschmeckertagen freitags ;) dargestellt wird, aber auch chaotisch ist und eigene Themen auf Schildern anbringt, die Shaun hinterher wieder entfernen muss. (Sie ist persönlich in einem youtube-Video zu sehen; zudem ein wirklich sehenswertes Video namens "Reader's Delight", das von Shaun Bythell und anderen produziert und bei youtube eingestellt wurde, das sich musikalisch aus dem bekannten Song "Rapper's Delight" ableitet - sehr köstlich und absolut sehenswert nach Beendigung der Lektüre!

Ausser nörgelnden und auch netten Kunden wie Mr. Deacon wird auch klar, dass der Ankauf der Bücher, die sich zum Wiederverkauf im Laden (oder auf ebay oder beim bösen Riesen amazon lohnen), für den erklärten und leidenschaftlichen Freizeitfischer Bythell ein ähnliches Beuteschema aufweist, das ihm sehr gefällt (was man sich als Leser nur allzu gut vorstellen kann;)

Der Autor beschreibt "die Vorfreude, Bücher anzukaufen wie ein Netz, das er auswirft und nie weiß, was sich darin verfangen hat" (Zitat S. 56).

Er setzt sich u.a. dafür ein, dass Wigtown und Galloway - ein bisher von "Visit Scotland" sehr vernachlässigter, aber schöner Teil im Süden Schottlands, mehr in den Fokus gerückt wird und in Wigtown gibt es ausser einem Frühlingsfest auch ein Festival, das immer Ende September stattfindet und in das alle Buchhändler involviert sind. Eine Menge Arbeit, viele Menschen (auch Schauspieler und Theatermacher), die auftauchen und - nach dem Festival wieder verschwinden. Diese Phase fand ich interessant und man bekommt als bibliophiler Leser große Lust, einmal dabei zu sein und alle Buchläden und Events während des Festivals zu besuchen.

An Skurrilitäten mangelt es dem Tagebuch von Shaun Bythell nicht; sei es der ewig griesgrämige Postbeamte aus Nordirland oder die blinde 93jährige Frau, die immer telefonisch Bücher für ihre Enkel bestellt; sei es "Handtaschen-Dave" oder die deprimierte Waliserin - Unterhaltungswert und schottischer Charme vereinen sich grandios in diesem Buch. Aber auch die Schattenseiten des Buchhändlerberufs spart Bythell nicht aus:

Durch das Internet und vor allem die Branchenriesen (Verlagsketten) sowie amazon (wobei er besonders auf amazon und Kindle-E-Reader nicht gut zu sprechen ist, was ich durchaus mit ihm teile) haben es sowohl kleinere Verlage als auch Autoren schwerer als früher, besonders auch die kleinen und unabhängigen Buchhandlungen, wirtschaftlich am Leben zu bleiben. Früher wurden seltene Bücher über Antiquariate gesucht: Heute bestellt der Kunde selbst im Internet sein gesuchtes Buch - auch "Print-on-Demand" zeigt sich als Feind der Antiquariate.

Diese Hintergründe fand ich sehr spannend und interessant. Ein Highlight stellt das Foto des abgeschossenen Kindle dar (selbsterlegt vom Besitzer ;), das Shaun in einem der Räume aufhängte. An Selbstkritik mangelt es ihm auch nicht, da er wohlweislich feststellt, dass er eine Umgestaltung des Ladens vornahm - mit einer großen Eichentheke, um "sich vor den Kunden besser schützen zu können" ;)

Im Gegensatz zu vielen BerufskollegInnen spezialisierte sich Bythell nicht, jedoch stellt er fest, dass bestimmte Themen sehr gut über die Ladentheke gehen: Z.B. alles über Eisenbahnen....

Jedes Kapitel beginnt mit einem Zitat aus George Orwell's "Erinnerungen an eine Buchhandlung" sowie mit der Nennung der online-Bestellungen und der gefundenen Bücher. Nach jedem Tag im Jahreszyklus hält er in seinem Tagebuch die Einnahmen (sehr variierend!) und die Anzahl der Kunden fest (dito). Eine Menge Enthusiasmus, ein Gespür für Bücher und sehr viel Leidenschaft ist vonnöten, um diesen Beruf mit Begeisterung und über Jahre auszuüben, scheint mir. Im täglichen Kampf gegen die Konkurrenz im Internet und dem Schwanken des Ratings in den Online-Portalen, denen sich heutige Antiquariate anschließen müssen, um zu überleben.

Ein sympathischer Einblick in die Sonnen-, aber auch in die Schattenseiten heutiger Buchhändler, den ich sehr interessant fand, auch ein wenig über den Autor erfahren habe und feststellte, dass ich dessen Abneigungen gegen das elektronische Lesen und E-Reader (noch immer) durchaus teile:

Irgendwo schrieb er, dass es einen Trend gebe, "wieder mehr mit Schallplatten und richtigen Büchern gesehen zu werden" - ich bin mir da nicht so sicher. Doch wenn es ihn gibt, hoffe ich sehr, dass er anhalten möge ;)
Ich empfehle allen Lesern, die gerne selbst eine Buchhandlung betreiben würden (und wer würde das nicht gerne) und allen an der Thematik interessierten Lesern dieses Buch sehr gerne weiter; ich fand es aufschlussreich, skurril, teils witzig - und unterhaltsam!

Veröffentlicht am 20.08.2019

Grausam und schön zugleich....

Die Kinder des Borgo Vecchio
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"Die Kinder des Borgo Vecchio" von Giosuè Calaciura ist ein eher schmales Buch, das es jedoch in sich hat und dem interessierten Leser einiges abverlangt. Es erschien im Aufbau-Verlag (HC, gebunden, 2019).

Ort ...

"Die Kinder des Borgo Vecchio" von Giosuè Calaciura ist ein eher schmales Buch, das es jedoch in sich hat und dem interessierten Leser einiges abverlangt. Es erschien im Aufbau-Verlag (HC, gebunden, 2019).

Ort des Geschehens ist ein Viertel namens Borgo Vecchio irgendwo im Süden Italiens; die Menschen sind arm und es gilt das Gesetz der Straße. Hier wachsen die HauptprotagonistInnen Domenico (genannt Mimmo), Christofaro und Celeste auf.
Mimmo ist der Sohn des Fleischers, der seine Waage manipulierte und die Kunden beim Abwiegen der Mortadella betrügt; Cristofaro hat einen Trinker zum Vater, der ihn allabendlich so verprügelt, dass die Schreie des Jungen das ganze Dorf hört - die Blessuren werden jedoch erfolgreich mit Lügen übertüncht (auch von der Mutter). Celeste's Mutter Carmela ist eine sehr hübsche Frau und die Dorfprostituierte, weshalb das Mädchen in der Arbeitszeit ihrer Mutter (die für die Freier daran zu erkennen ist, ob die Läden geöffnet oder geschlossen sind), stets auf den Balkon ausweichen muss und dort bei Wind und Wetter ausharrt; auch ihre Schulaufgaben dort erledigt. Die Erwachsenen dieses Dorfes lieben es, zu wetten und selbst ein Pferd, das eigentlich nicht mehr für Rennen zu gebrauchen ist (dafür aber sprechen kann), wird ein Opfer der Kaltblütigkeit, die Armut zuweilen aus Menschen macht....

Es geht nun um die Freundschaft der drei Halbwüchsigen und die Ereignisse im Dorf; um die Solidarität, wenn Polizei anrückt, da die Bewohner allesamt stehlen und auch der Pfarrer hier keine Ausnahme macht; um sintflutartige Regenfälle und illegale Rennen, aber auch um die - und das im Besonderen - Sehnsüchte und Hoffnungen von Mimmo, Cristofaro und Celeste. Ein weiterer Hauptprotagonist taucht auf, der das gleiche Schicksal ereilt, das einst sein Vater hatte - und von dem sich jeder Junge im Dorf wünscht, sein Sohn zu sein, da er eine Pistole besitzt und damit in der Lage ist, die jeweilige Lage zu verändern bzw. zu verbessern...
Auch die Freunde dieses Mannes stehen hinter ihm, wobei niemand sieht, dass auch er leidet und sich im Grunde ein anderes Leben wünscht. Als er verkündet, seine eigene Situation zu verändern (und damit auch die persönliche Notlage von Cristofaro, Celeste und Carmel, ihrer Mutter, ist es bereits zu spät: Nach dem Verrat durch einen seiner Freunde verändert sich die Situation, jedoch nicht zum Guten.... Einzig zwei junge Menschen werden in der Lage sein, endgültig etwas zum Guten zu verändern und danach die Flucht zu ergreifen, die ihnen mehr Hoffnung schenkt als das Bleiben...

Der Stil des Autors ist melancholisch und poetisch. In eindringlichen Sätzen versteht er es, die Sehnsüchte und Hoffnungen der Bewohner des Dorfes einzufangen und subtil zu schildern.

Ein Roman, der betroffen macht und den Leser in ein zeitlos existierendes Milieu entführt, in dem es keine Perspektive, keine Hoffnung auf positive Veränderungen gibt, der Täter und Opfer schmerzhaft zeichnet und die Willkür, die letztere oftmals ausgesetzt sind, wenn sie sich nicht wehren (können). Der jene Kaltblütigkeit zur Schau stellt, die Menschen besitzen können und vor der es nicht immer ein Entkommen gibt. Der Roman zeigt auf erschreckende Weise, wozu Menschen fähig sind, die in die Ecke gedrängt, einzig am persönlichen Gewinn für sich interessiert sind und kein Gerechtigkeitsempfinden mehr existiert. Besonders Nanà, das sprechende Pferd, ist ein Beispiel dafür, das mich entsetzt hat. Calacuira zeigt aber auch bei aller Ausweglosigkeit einen Ausweg: Mut zu haben und die Flucht nach vorne anzutreten, wenn es angezeigt ist. Ich kann das Buch sehr empfehlen und vergebe 4*

Veröffentlicht am 15.05.2019

Sehr gelungener Tatsachenroman einer englischen Familie in dunkler Zeit

Hoffnung Liverpool
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"Hoffnung Liverpool" ist 2018 (tb, broschiert) im Noema-Verlag, Stuttgart erschienen und ist der 2. Teil eines Tatsachenromans, in dem die Autorin Elisabeth Marrion ihre sehr berührende und bewegende Familiengeschichte ...

"Hoffnung Liverpool" ist 2018 (tb, broschiert) im Noema-Verlag, Stuttgart erschienen und ist der 2. Teil eines Tatsachenromans, in dem die Autorin Elisabeth Marrion ihre sehr berührende und bewegende Familiengeschichte erzählt.


Im vorliegenden Band der geplanten Trilogie wird die Geschichte einer tiefen Freundschaft sehr warmherzig, gefühlvoll und immer auf den wahren Begebenheiten basierend, aufgezeigt: Annie und Flo, bereits in Irland beste Freundinnen, entscheiden sich dafür, nach England zu gehen, da es für die jungen Frauen in der Heimat keine Arbeit gibt - wir schreiben das Jahr 1926. Ihr Ziel ist Liverpool, wo eine Cousine Flos bereits wohnt - und Peg mit ihrem Mann Bob, die ältere Schwester von Annie. Auf dem Weg schließt sich ihnen Kieran an, der sich in England als ein Cousin Annies ausgibt - die drei jungen Leute bleiben in Kontakt, die Freundschaft intensiviert sich - und Flo hat sich wohl in den gutaussehenden jungen Iren verliebt....

Doch ihr Ziel, ein eigenständiges und sorgenfreies Leben zu führen, wird von dem herannahenden zweiten Weltkrieg und schwierigen wirtschaftlichen Zeiten durchkreuzt: Statt des erhofften Glücks erwarten sie Angst, Armut und kummervolle Zeiten.

Wir lernen mit Annie und Flo deren spätere Ehemänner kennen; George und Kieran; die Großeltern in Irland in einem Streifzug und die Kinder Annies und Georges; David, dem jüngsten Sohn, nachdem Derek bei einem Luftangriff starb, hat die Autorin dieses Buch gewidmet. Auch die Schwestern Peg und Kate kommen oft zu Wort, schließlich erlebt der Leser die Jahre des 2. Weltkrieges sowohl aus englischer - als auch kurz aus deutscher Sicht, dessen Auswirkungen auf die Bevölkerung katastrophale Auswirkungen hatten: Essensrationierungen, Hunger, Kälte und die Angst, den nächsten Tag irgendwie zu überleben. Dies schildert Elisabeth Marrion, 1948 in Hildesheim geboren, sehr nah und eindringlich, so dass der Roman sehr unter die Haut geht. Auch reale Vorkommnisse während des 2. Weltkrieges wie der Untergang der "Bismarck", die Ansprache Churchills etc. werden in den Roman folgerichtig und historisch eingeflochten. Sehr viel Authentizität erfährt der Roman durch die zahlreichen lebendigen Dialoge.

Die ProtagonistInnen sind sehr sympathisch; allen voran Annie und Flo, deren Widerstandskraft und Zuneigung füreinander quasi unerschöpflich ist: Gerade diese Hilfsbereitschaft und das Zusammenhalten der Familie fand ich sehr schön zu lesen; trotz der Bitterkeit der Luftangriffe und Gefechte sowie schlechten Arbeitsbedingungen in Munitionsfabriken ließen sich die Frauen nicht unterkriegen; auch im "Organisieren" von Lebensmitteln sind sie wahre Heldinnen, um das Überleben der Kinder und der Familien zu sichern, scheuen sie vor nichts zurück.

Der Roman erstreckt sich zeitlich vom Aufbruch in Irland bis zu den Nachkriegsjahren; Schauplätze sind zumeist Garston, England und später Hildesheim, Deutschland, wo die Autorin auch zur Welt gekommen ist. Die Kapitel sind kurz, spannend und sehr flüssig zu lesen; es handelt sich hier nicht um eine belanglose Familiengeschichte, es fließt auch Historie mit ein und ein dunkles Kapitel (deutscher) Zeitgeschichte. So sollte man diesen Roman auch unter historischen Gesichtspunkten lesen - und gebannt die Überlebensstrategien dieser tapferen Familie verfolgen. Ich fand den Roman spannend und interessant zu lesen und kann ihn zu der Reihe "literarischer Stolpersteine" gegen das Vergessen meiner Sammlung hinzufügen und sehr gerne weiterempfehlen - gerade jetzt, wo in ganz Europa ein Rechtsruck zu verspüren ist und wir vor dem Brexit und den Europawahlen stehen!

Veröffentlicht am 08.04.2019

Ein ganz "besonderer" Tropfen - und eine kleine literarische Zeitreise ;-)

Ein Tropfen vom Glück
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"Ein Tropfen vom Glück" von Antoine Laurain erschien im Atlantik-Verlag (HC, gebunden, 2019) und ist eine wirklich lesenswerte humorvolle Zeitreise "retour" ins Jahr 1958: Das Ziel, die Stadt der Träume ...

"Ein Tropfen vom Glück" von Antoine Laurain erschien im Atlantik-Verlag (HC, gebunden, 2019) und ist eine wirklich lesenswerte humorvolle Zeitreise "retour" ins Jahr 1958: Das Ziel, die Stadt der Träume und der Liebe: Paris!


16.09.1954, Charmally-les-Vignes:

Pierre Chaveau, seines Zeichens Winzer, kehrt nach einem Zechgelage über die Weinberge nach Hause zurück, als er ein gleißendes Licht sieht - und fortan von keinem Menschen mehr gesehen wird....

2017, Paris:

"Nach einem Einbruch sitzen die Bewohner des Hauses bei einem Glas Wein zusammen. Eigentlich wollen die vier nur den Schreck verdauen, doch dann wird es ein sehr gemütlicher Abend. Ein Abend mit ungeahnten Folgen: Denn am nächsten Tag stellen Julien, Hubert, Magalie und Bob fest, dass sie im Jahr des Weins gelandet sind. Das Paris von 1954 hält für sie jedoch mehr als nur einige Überraschungen bereit: Die Reise in die Vergangenheit hilft ihnen auch, so manches in ihrem Leben klarer zu sehen. Bleibt nur die Frage, wie sie wieder in die Gegenwart zurückkehren können... Mit der charmanten Zeitreise erweckt Antoine Laurain das Paris der 50er Jahre zum Leben." (Quelle: Buchjournal, 01/2019)

Ausser den vier sehr sympathischen Hauptprotagonisten, allen voran Hubert Larnaudie, dessen Vorfahren das Haus erbauen ließen, in dessen Keller eingebrochen wurde und sich die Flasche "Chateau-Saint-Antoine, 1954, Domaine Jules Beauchamps" fand, die er gemeinsam mit Bob, dem Amerikaner (der leider ohne seine Frau die Reise nach Paris antrat, da sie unheilbar erkrankte), Magalie, von allen Abby genannt, einer jungen Frau, die nicht ohne Grund mit Vorliebe und hauptberuflich zerbrochene Gegenstände wieder zusammenfügt; und Julien, dem Enkel des entschwundenen Pierre Chaveau, der sich seit Kindertagen für UFO's interessiert und alles zusammenträgt, was es an Literatur dazu gibt (zum Unwillen seiner Familie, die der Ansicht ist, dass Pierre lediglich zuviel Wein getrunken habe, bevor er verschwand), spielt natürlich die genannte Flasche Wein die Hauptrolle in diesem "schelmischen Stück", für das Antoine Laurain, in Frankreich ein Bestseller- und Drehbuchautor, seine Feder mit Charme und Ironie, subtilem französischem Witz verantwortlich zeichnet.

Ausser Bob Brown, dem Harley-Davidson-Motorenentwickler aus Milwaukee, USA, begreift jeder der vier ZeitreisegefährtInnen, dass es nicht am "Tag des Kulturerbes" liegt, dass ihnen plötzlich Frauen mit Handkarren voller Gemüse begegnen, der Euro für Spielgeld gehalten wird (wir sind in Zeiten des FF ;) und Bob der einzige ist, der dafür sorgen kann, mit seinen schon damals harten Dollars die Drinks in Harry's Bar, in dem Julien arbeitet (und aushilfsweise auch in 1954, wobei er einen später berühmt gewordenen neuen Cocktail kreiert) - dass sie tatsächlich im Jahr 1954 gelandet sind. Julien ist schon längst in die bezaubernde Magalie verliebt, die ihn ihrerseits auch mag - ob die Zeitreise eine Annäherung der beiden mit sich bringt?

Während Hubert für nächtlichen Unterschlupf sorgt (bei seinem Großvater, die Larnaudies besitzen das Haus seit Generationen) und einem Familiengeheimnis auf die Spur kommt, wundert sich Julien, dass in der Bar geraucht werden darf, Magalie lernt ihre (nun 31jährige) Tante kennen, die einen Stoff- und Garnladen führt und sie aufgezogen hat), Bob besucht den Eiffelturm und geht in eine Kirche, in der Wunder geschehen sollen und Julien überlegt, ob Professor Arpochon ihnen helfen könnte, wieder in ihre Zeit zurückzukehren....

Nicht nur unsere 4 Zeitreisenden, auch der Leser wird vom Autor ins Paris der 1950er Jahre zurückversetzt und es ist ausgesprochen amüsant und unterhaltsam, jene Epoche wieder auferstehen zu sehen: Salvador Dalí, Jean Gabin, Audrey Hepburn, Francois Truffaut sind nur einige der Berühmtheiten, die unsere Freunde persönlich treffen; es gibt auch 3 Hunde, die eine stilistisch gesehen ausdrucksstarke Rolle spielen: "Sieg"(der von der SS vergessen wurde und Pierre Chaveau nicht von der Seite weicht; "Schnell", die Tochter von Sieg - und "Ausweis", der Enkel - damit , dass Sieg immer einen Schluck Wein mitschlürfen durfte, geht natürlich einher, dass er die Zeitreise mit seinem Herrchen antreten durfte... Mit einem Augenzwinkern in vielen humorvollen Dialogen, aber auch mit politischen Seitenhieben etwas zum Ende des Romans, als ein "Ewig Gestriger" freiwillig das Abteil verließ, in dem unsere Reisegefährten saßen bis hin zu philosophischen Betrachtungen über den Angelbau und die Menschheit an sich - für jeden Leser ist dieser "Tropfen des Glücks" sehr gehaltvoll!

Werden Hubert, Bob, Magalie und Julien es schaffen, in die richtige Zeit zurückreisen zu können? Das sollte der geneigte Leser dieses sehr unterhaltsamen, geistreichen, nostalgiegetränkten und mit subtiler Ironie abgefüllten Roman, der überdies eine Hymne auf die Stadt Paris ist, selbst herausfinden!
Von mir gibt es eine Leseempfehlung und 4* auf dem Etikett - nein, am literarischen Firmament ;)

Veröffentlicht am 24.03.2019

Zauberhafter Roman um den bunten Reigen des Lebens

Der Blumenladen der Mademoiselle Violeta
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Das bezaubernde Cover konkurriert bei diesem Roman des spanischen Autors Máxim Huerta mit dem nicht weniger zauberhaften Inhalt: Verlegt wurde der Roman, erstmals ins Deutsche übersetzt von Anja Rüdiger, ...

Das bezaubernde Cover konkurriert bei diesem Roman des spanischen Autors Máxim Huerta mit dem nicht weniger zauberhaften Inhalt: Verlegt wurde der Roman, erstmals ins Deutsche übersetzt von Anja Rüdiger, im Thiele-Verlag, München (HC, gebunden, 2019).

Es geht thematisch in "Der Blumenladen der MademoiselleVioleta" um alles, was das Leben ausmacht: Um Freundschaft und Liebe, Vertrauen, Verlust und Trauer, aber auch um Trost; um Alter und Jugend; um Einsamkeit und Vergänglichkeit; aber auch um neue Wege und Mut haben und vor allem um Glück und glücklich sein sowie die Frage, wie gut man den anderen kennt - kurzum, es handelt sich hier um das Eintauchen in eine Geschichte, die in Paris spielt und eigentlich das ganze Spektrum menschlicher Gefühle in Form eines riesigen und prall gefüllten literarischen Blumenbouquets darzustellen vermag.


Monsieur Dominique Brulé führt einen Blumenladen im schönen Stadtteil St.-German-des-Prés in Paris und besitzt einen untrüglichen Instinkt für die Ereignisse im Leben seiner Kunden; er möchte jeden mit der richtigen Blumenauswahl glücklich machen; ist seit Jahren Witwer und hat zwei Stammkundinnen: Dona Mercedes und Dona Tilde; beides Spanierinnen, die seit Jahrzehnten in Paris leben, ihre Einsamkeit miteinander teilen und ihre Rituale haben: Die beiden kennen sich lange und sehr gut: Aber kennen sie sich wirklich? Wieso durchbricht Dona Mercedes eines Tages das Ritual, sich im Blumenladen mit Dona Tilde zu treffen, hat es eilig und sogar ein Buch unter dem Arm? Um diese Geheimnisse geht es ebenfalls im Roman, dies ist nur zu lüften, indem man ihn liest. Da Dominique alt geworden ist und die Kräfte nachlassen, sucht er eine Aushilfe und wünscht sich Bewerberinnen mit einem Blumennamen: Violeta kommt genau zum richtigen Zeitpunkt - und erfüllt ihre Aufgaben mit Bravour. Doch der empathische und selbstlose Dominique spürt schnell, dass die junge Frau Sorgen hat: Was belastet sie und weshalb fühlt sich Violeta, die aus Madrid stammt, ebenfalls einsam?

Die ProtagonistInnen wachsen dem Leser schnell ans Herz, sie sind allesamt sympathisch und ihre jeweilige Lebenssituation sehr fein gezeichnet: So "zwinkert" das Glück auf vielen Seiten und es gibt ständig kleine "Begebenheiten" in Form von wundervollen Dialogen, die das Herz erwärmen, zum Lächeln anregen: Der Roman ist auch eine Hommage an die Stadt der Träume und der Liebe, an Paris! In poetischen Dialogen versteckt sich so manche Wahrheit und Weisheit, die diesen leicht und flüssig zu lesenden Roman auszeichnen; eine "Dame mit weißem Haar" nimmt eine Sonderrolle ein, die ich sehr mochte: Mit der Weisheit ihres Alters gehen ihre Sätze besonders in die Tiefe der Seele und bereichern den Text, der durchaus zum Wohlfühlen einlädt. Diese Figur bringt den Hauch eines Märchens mit in die Geschichte ein, die eine Geschichte mit "glücklichen Enden" ist (wozu jedoch, auch wenn es manchem der schönen Färberei evtl. etwas zuviel des Guten ist, die einzelnen Protagonisten ihren Teil beitragen, aktiv beitragen!

Fazit:

Eine ganz zauberhafte Geschichte, mit poetischer und leichtfüßiger Feder erzählt - und dennoch sehr emotional und mit ungeheurem Tiefgang; nach dem Lesen verwundert es wenig, dass "no me dejes", so der Originaltitel (eine Anspielung auf das wundervolle Chanson "ne me quitte pas" von Jaques Brel) von "Der Blumenladen der Mademoiselle Violeta", in Spanien lange Zeit auf der Bestsellerliste stand: Hier würde ich dem Roman mit Wohlfühlcharakter und "glücklichen Enden" dasselbe wünschen und empfehle ihn sehr gerne weiter! 4*