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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.04.2024

Sehr lesenswerte Neuübersetzung des Klassikers

Die Farbe Lila
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Nach ca. 40 Jahren erschien der weltberühmte Klassiker „Die Farbe Lila“ von Alice Walker in einer neuen Übersetzung, die dem heutigen Bewusstsein sensibler Sprache entspricht und diskriminierende Begriffe ...

Nach ca. 40 Jahren erschien der weltberühmte Klassiker „Die Farbe Lila“ von Alice Walker in einer neuen Übersetzung, die dem heutigen Bewusstsein sensibler Sprache entspricht und diskriminierende Begriffe umschreibt. Ich kenne die alte Übersetzung nicht, finde jedoch die neue sehr gelungen und überaus lesenwert.
„Die Farbe Lila“ ist ein Briefroman, in dem die Afroamerikanerin Celie ab ihrem 15. Lebensjahr und über einen Zeitraum von gut 30 Jahren in Briefen, die sie an den Lieben Gott richtet, aus ihrem Leben schreibt. In der zweiten Hälfte kommen noch an Celie gerichtete Briefe ihrer Schwester hinzu. Celies Sprache spiegelt ihren niedrigen Bildungsstand wieder, statt „an einen Mann und dessen Frau“ sagt sie beispielsweise „an einen Mann und dem seine Frau“, den Komparativ bildet sie mit „wie“ statt „als“. Dennoch liest sich der Roman sehr angenehm und besitzt einen sehr eingängigen Sprachrhythmus.
Die Romanhandlung ist nicht genauer datiert, spielt aber in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dies zeigt sich etwa daran, dass gegen Ende beiläufig der zweite Weltkrieg erwähnt wird. Celies Lebenswelt ist hart, geprägt von patriarchalen Strukturen, Misogynie, Inzest und Gewalt. Frauen werden behandelt wie Ware, ihr Leben zählt nichts, sie sind ihrem Mann auf Leben und Tod ausgeliefert und haben bedingungslos zu gehorchen. Doch im Laufe ihres Lebens begegnet Celie starken Frauen, die – obwohl sie teils hart dafür bezahlen – für ihre Unabhängigkeit kämpfen und sich widersetzen. Diese Frauen setzen auch bei Celie eine Entwicklung in Gang, und insbesondere die Liebe zu Shug Avery hilft ihr, ihre eigene Stärke zu erkennen. Die Freundschaft und der Zusammenhalt zwischen den Frauen untereinander, die trotz wechselnder Familien- und Beziehungskonstellationen zusammenhalten und letztlich mit- und aneinander wachsen, ist ein zentrales Element dieses Romans.
Auch Rassismus und Diskriminierung spielen eine wesentliche Rolle, ebenso wie die Suche der afroamerikanischen Bevölkerung nach ihrer Identität. Anhand der Briefe von Celies Schwester wird auch die Missionarsarbeit in Afrika und die Ausbeutung der nativen Bevölkerung durch die Kolonialherren und Plantagenbesitzer thematisiert, die die dort seit Jahrhunderten siedelnden Stämme ihres Lebensraums und ihrer Lebensgrundlage berauben.
Ein sehr berührender, nachdenklich stimmender Roman, der noch lange im Gedächtnis bleibt.

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Veröffentlicht am 12.04.2024

Sehr konstruiert

Der Hamster mit der Löwenmähne
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Da dieser Roman marketingseitig mit dem Charme des Films „Die fabelhafte Welt der Amelie“ verglichen wurde und dies einer meiner absoluten Lieblingsfilme ist, wollte ich „der Hamster mit der Löwenmähne“ ...

Da dieser Roman marketingseitig mit dem Charme des Films „Die fabelhafte Welt der Amelie“ verglichen wurde und dies einer meiner absoluten Lieblingsfilme ist, wollte ich „der Hamster mit der Löwenmähne“ unbedingt lesen. Gewisse Parallelen zeigen sich durchaus. Die Protagonistin Eva, eine Tierpräparatorin, hat ebenfalls früh ihre Mutter verloren, sie ist introvertiert, melancholisch, lebt sehr zurückgezogen und hat Angst davor, auf ihr Glück zu vertrauen. Doch anders als Amelie fehlt Eva das Leichtfüßige, die innere Zugewandtheit gegenüber ihren Mitmenschen und die lebensbejahende Einstellung. Bei Eva überwiegt das Eigenbrötlerische, Abweisende, die depressive Grundhaltung. Amelies Rolle als findige Glücksstifterin übernimmt in gewisser Weise eine andere Person im Buch, die ich hier nicht verraten möchte.

Ich hatte generell Schwierigkeiten, zu den Figuren des Buches eine Beziehung aufzubauen. Sie wirkten auf mich sehr konstruiert, mehr künstlich als lebendig, und es gelang mir nicht, mit Ihnen wirklich mitzufühlen. Insbesondere die beiden Polizisten waren zu abstrus und albern, um noch glaubwürdig zu sein. Der sechsjährige Junge des Nachbarn war für mich ebenfalls nicht authentisch, da seine Sprache viel zu erwachsen klang („Sensationell!“/“Majestätisch!“/“Beachtlich!“). Zudem fragte ich mich, wie es Eva gelingen konnte, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, nachdem ihre Präparationswerkstatt nicht gerade einträglich lief. Am besten gefielen mir die Momente, in denen Eva und ihr Nachbar Marco aufeinandertrafen und sich zwischen den beiden schlagfertige, ironisch-humorvolle Dialoge ergaben.

Insgesamt eine unterhaltsame, ungewöhnliche Geschichte, verzaubern konnte sie mich allerdings nicht.

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Veröffentlicht am 12.04.2024

Lebendige Zeitgeschichte

Der Tunnelbauer
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Rezension zum Hörbuch!

2024 jährt sich die Gründung der beiden deutschen Staaten zu 75. Mal, und es sind genau 60 Jahre vergangen, seit durch den erfolgreichsten aller Fluchttunnel 57 Menschen in den ...

Rezension zum Hörbuch!

2024 jährt sich die Gründung der beiden deutschen Staaten zu 75. Mal, und es sind genau 60 Jahre vergangen, seit durch den erfolgreichsten aller Fluchttunnel 57 Menschen in den Westen gelangten. Passend hierzu erscheint das Hörbuch "Der Tunnelbauer" von Maja Nielsen, in dem die bewegende Geschichte von Joachim (Achim) Neumann erzählt wird, der selbst kurz nach dem Mauerbau mit 18 Jahren in den Westen floh und am Bau mehrerer Fluchttunnel beteiligt war, unter anderem an dem erwähnten Tunnel 57.

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive von Achim und seiner Freundin Christa, der Achim von Westberlin aus zur Flucht aus der DDR verhelfen möchte, erzählt. Im Hörbuch werden beide von unterschiedlichen Sprecher*innen dargestellt: Mio Lechenmeyer verstimmlicht Achim und Diana Gantner liest Christa. Beide haben eine sehr angenehme Stimme und ein gutes Sprechtempo, so dass ich ihnen sehr gerne zugehört habe. Ihr Vortrag lässt die Risiken einer Flucht, die dramatischen Umstände der Fluchttunnel und die emotionale Belastung und Anspannung aller Beteiligten lebendig werden. Besonders gut gefällt mir, dass der echte Achim Neumann am Anfang und Ende selbst zu Wort kommt (auch eine ganz tolle Stimme, ich hätte ihm gerne noch länger zugehört!). Im Nachwort erzählt er, was aus den realen Vorbildern der im Hörbuch erwähnten Fluchthelfer geworden ist (Alle im Hörbuch vorkommenden Personen hat es tatsächlich gegeben, aus Datenschutzgründen werden sie aber bis auf Christa und Achim nicht mit ihrem richtigen Namen genannt.). Dies rundet das Buch hervorragend ab.

Maja Nielsen hat den Inhalt perfekt auf eine jugendliche Zielgruppe ab ca. 14 Jahren abgestimmt. Geschickt verwebt sie Informationen über die ideologische Ausgangssituation in der DDR, das gesellschaftliche Klima und die Gefahren einer Republikflucht für den Flüchtenden und seine Angehörigen mit einer spannend erzählten Geschichte.

Fazit: Gleichzeitig lehrreich und sehr lebendig erzählt "Der Tunnelbauer" ein beeindruckendes Stück deutscher Geschichte. Ich möchte es jedem Jugendlichen und auch allen Lehrern der Mittel- und Oberstufe dringend ans Herz legen.

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Veröffentlicht am 07.04.2024

Bissig und skurril

Lil
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Lil Cutting, eine – rein fiktive – Geschäftsfrau im New York um 1880, ist durch ihre „unweiblichen“ Eigenschaften – Durchsetzungsvermögen, Geschäftssinn, Eigenständigkeit und Unabhängigkeit – vielen in ...

Lil Cutting, eine – rein fiktive – Geschäftsfrau im New York um 1880, ist durch ihre „unweiblichen“ Eigenschaften – Durchsetzungsvermögen, Geschäftssinn, Eigenständigkeit und Unabhängigkeit – vielen in der „besseren Gesellschaft“ ein Dorn im Auge, insbesondere ihrem eigenen Sohn, der ebenso untalentiert wie moralisch verkommen ist und nach dem Tod seines Vaters an das Familienvermögen kommen möchte. Mithilfe eines ehemaligen Studienfreundes, der inzwischen Direktor einer psychiatrischen Privatklinik ist, will er seine Mutter, die durch die Trauer um ihren Mann geschwächt ist, für geistesgestört erklären und für den Rest ihres Lebens wegsperren lassen. Doch er unterschätzt Lils Kampfgeist und ihre Freunde…
Der Roman besteht aus zwei Erzählebenen. In der Rahmenhandlung erzählt Sarah, Ururururenkelin Lils und schwer krebskrank, im Jahr 2018 die Geschichte ihrer Ahnin ihrem Hund Miss Brontë (ein literarischer Gruß an die drei britischen Schriftsteller-Schwestern, die alle unter männlichem Pseudonym veröffentlichten?). Die Binnenerzählung um Lil Cutting spielt überwiegend in den Jahren 1880 und 1881.
Der Schreibstil ist sehr ungewöhnlich, und ich musste mich zunächst etwas einfinden. Konnte ich mich mit Miss Brontë als sprechendem Dobermann noch abfinden bzw. dies als eine Illusion Sarahs interpretieren, waren mir die sprechenden Pflanzen dann doch etwas zuviel. Insgesamt wäre etwas weniger Skurillität mehr gewesen, und gelegentlich driftet die Handlung zu sehr ins Alberne. Auch der Sprachduktus vieler Personen, u.a. der Sandbergs, passt für mich nicht ins ausgehende 19. Jahrhundert. Die Figurenzeichnung bleibt mir generell zu sehr im Gut-Böse-Schema verhaftet, mir fehlen Zwischentöne und Ambivalenz (auch wenn Zuspitzungen natürlich zur Satire gehören). Inhaltlich überzeugt mich die Handlung stellenweise nicht, viele Ereignisse folgen zu schnell aufeinander, die aus Gründen der Logik besser über einen größeren Zeitraum verteilt hätten werden sollen, hinzu kommen inhaltliche Ungenauigkeiten (eine Person stirbt 1882 an einer Fischgräte, doch bereits im Frühjahr 1881 wird darauf Bezug genommen). Lils Figur bleibt merkwürdig blass, tritt selbst kaum in Erscheinung und wird vor allem aus der Sicht Dritter beschrieben.
„Lil“ ist eine scharfzüngige und bitterböse Satire auf die verlogene, dekadente Gesellschaft der „Erlauchten Vierhundert“ und wirft ein grelles Licht auf den Antisemitismus, den Rassismus und die Misogynie der damaligen Zeit sowie auf den entwürdigenden Umgang mit psychisch erkrankten oder körperlich beeinträchtigten Menschen. Lils Erlebnisse in der Psychiatrie ließen mich an die Erfahrungen der Mutter im Film „Der fremde Sohn“ denken (gespielt von Angelina Jolie), und die Vorstellung davon, wie viele Frauen unter fadenscheinigen Begründungen psychisch pathologisiert und für immer weggesperrt wurden, ist schwer erträglich. Die Kritik an den wenig wissenschaftlichen und von Willkür geprägten Anfängen der Psychologie und Psychiatrie nimmt im Buch einen großen Raum ein und ist auch historisch belegbar. Zweifelhaft hingegen ist Sarahs pauschale Kritik an psychiatrischen Einrichtungen und Ärzt*innen der Gegenwart. Auch heute gibt es sicher noch immer schwarze Schafe und schwerwiegende Fehldiagnosen (wie in anderen Fachrichtungen auch), doch das undifferenzierte Abqualifizieren einer gesamten Fachrichtung erscheint mir nicht gerechtfertigt und hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack.

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Veröffentlicht am 04.04.2024

Diskriminierung der Samen an den Nomadenschulen

Die Zeit im Sommerlicht
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Vor einiger Zeit habe ich eine Reportage über das Volk der Samen gesehen, und so hat mich die Beschreibung des Romans "Die Zeit im Sommerlicht" sofort interessiert. Sehr gefühlvoll erzählt Ann-Helen Laestadius, ...

Vor einiger Zeit habe ich eine Reportage über das Volk der Samen gesehen, und so hat mich die Beschreibung des Romans "Die Zeit im Sommerlicht" sofort interessiert. Sehr gefühlvoll erzählt Ann-Helen Laestadius, selbst Samin,  anhand der Protagonistinnen Else-Maj, Marge, Jon-Ante, Nilsa und Ann-Risten von den Nomadenschulen und den lebenslangen psychischen und auch körperlichen Folgen, an denen die ehemaligen Schüler und Schülerinnen dieser Einrichtungen litten. Bis in die 1960er Jahre hinein mussten Kinder samischer Rentierzüchter gesonderte Nomadenschulen besuchen, auf denen sie nur nach vereinfachtem Lehrplan unterrichtet wurden und wo Ihnen die samische Sprache und Kultur verboten war. Die Personen des Romans sind fiktiv, doch die Autorin schreibt in ihrem Nachwort, dass ihre Mutter noch eine solche Schule besuchen musste und die erzählte Geschichten auf realen Begebenheiten beruhen. Demnach waren die Kinder auf den Internaten der Nomadenschulen systematischer  Diskriminierung, Rassismus, Willkür und körperlicher Gewalt ausgesetzt. 

Der Roman springt immer wieder zwischen zwei Zeitebenen hin und her: In den frühen 50er Jahren begleitet er die noch jungen  Protagonist
innen auf die Nomadenschule, und 1985/1986 zeigt er das Leben der inzwischen ca. 40jährigen Erwachsenen und ihrer Familien. Die Erfahrungen der Schulzeit haben bei allen tiefe Spuren hinterlassen, wirken bis in die nächste Generation hinein, und jeder versucht auf seine eigene Weise damit umzugehen. In jedem der 54 Kapitel steht eine/einer der fünf Protagonistinnen im Mittelpunkt, und wir erleben die Geschehnisse aus seiner bzw. ihrer Sicht. Besonders ans Herz gewachsen sind mir hier Marge und Jon-Ante. Mit viel Liebe beschreibt die Autorin den Familienzusammenhalt der Samen und die tiefe Zuneigung zwischen Eltern, Großeltern und Geschwistern, die ohne große Worte auskommt. Ebenso deutlich wird, welch hohen Stellenwert die Rentiere nicht nur wirtschaftlich, sondern auch emotional und kulturell für die Samen haben. Die Bedrohung des Lebensraums der Rentiere durch Bergbau, Forstwirtschaft, Tourismus und Umweltverschmutzung ist daher für die Samen von existenzieller Bedeutung und klingt auch im Roman immer wieder an. So führt Jon-Antes Tätigkeit als Bergmann zu  innerfamiliären Diskussionen, und auch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wird thematisiert. 

Der Schreibstil des Romans hat mir sehr gut gefallen. Er ist voller Wärme und Zuneigung für die Figuren und das Volk der Samen, und dabei gleichzeitig klar und direkt. Deutlich spürbar ist die Kritik an den Verantwortlichen der Nomadenschulen und der schwedischen Kirche, die Trägerin der Schulen war. Das Schicksal der Kinder hat mich sehr bewegt, und die Misshandlungen der Kinder erinnern an ähnliche Berichte aus Kinderheimen und Internaten auch in Deutschland. Es macht mich immer wieder sprachlos, mit welcher Gefühlskälte sogenanntes pädagogisches Personal den  Kindern begegnet ist. 

Ein sehr lesenswertes Buch, das die Minderheit der Samen und ihre systematische Unterdrückung in den skandinavischen Ländern bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts in den Mittelpunkt rückt.

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