Profilbild von SimoneF

SimoneF

Lesejury Star
offline

SimoneF ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit SimoneF über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 11.12.2025

Die eigene Seele verkaufen

Chamäleon
0

Shai Tamus ist ein gemäßigt-linker israelischer Journalist, dessen beruflicher Stern seit Jahren im Sinken begriffen ist. Einst wurden seine Artikel vielbeachtet und er war ein gern gesehener Gast in Fernsehstudios, ...

Shai Tamus ist ein gemäßigt-linker israelischer Journalist, dessen beruflicher Stern seit Jahren im Sinken begriffen ist. Einst wurden seine Artikel vielbeachtet und er war ein gern gesehener Gast in Fernsehstudios, doch inzwischen interessiert sich kaum noch jemand für ihn, jüngere Kollegen haben ihn längst überholt. Auch Shais Kinder führen ein zunehmend eigenes Leben. Gleichzeitig läuft die Karriere seiner Frau als Kuratorin in einer Galerie so richtig an, und der reiche und weltgewandte Galeriebesitzer scheint sie sehr zu beeindrucken. Shai fühlt sich unverstanden und ungerecht behandelt, und entfremdet sich dadurch mehr und mehr von seinem gewohnten intellektuellen Milieu. Immer stärker wendet er sich dem rechten Spektrum um die neue Regierung zu, und als er die Chance erhält, im rechtspopulistischen Channel als Fernsehgast aufzutreten, ergreift er diese.

Shai ist ein Opportunist, der bereit ist, für Anerkennung und Aufmerksamkeit seine Überzeugungen zu verkaufen. Er lässt sich einflüstern, was er zu schreiben und vor den Kameras zu sagen hat und dürstet danach, von den Mächtigen wahrgenommen zu werden. Als Protagonist war er mir alles andere als sympathisch, da ihm Charakterstärke und Rückgrat fehlen, doch er wirkt sehr menschlich. Shais Verhalten zeigt, wie ein geringes Selbstwertgefühl, verletzter Stolz, gekränkte Eitelkeit und der Glaube, vom Leben benachteiligt zu werden, dazu führen, dass sich Menschen extremen Parteien zuwenden und sich von starken Führungspersönlichkeiten angezogen fühlen. Auch wenn „Chamäleon“ natürlich in erster Linie besonders auf die aktuelle politische und gesellschaftliche Lage in Israel Bezug nimmt, zeigen sich hier generelle Mechanismen, die sich auf andere Situationen und Länder übertragen lassen.

Es werden zwar keine Namen genannt, doch es ist offensichtlich, welche politischen Personen im Roman gemeint sind. Auch Kanal 14 ist deutlich erkennbar. Yishai Sarid kritisiert mit klaren Worten die aktuelle israelische Regierung und beschreibt, wie Journalisten instrumentalisiert und zur Marionette degradiert werden. Sehr lesenswert!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.11.2025

einfühlsam erzählt

Und mir bleibt der hässliche Hund
0

Felix (16) verliert bei einem Verkehrsunfall von einem Moment auf den anderen seine Eltern und seine Schwester. Lediglich Bolt, der Familienhund, mit dem Felix bisher nie etwas anfangen konnte, überlebt. ...

Felix (16) verliert bei einem Verkehrsunfall von einem Moment auf den anderen seine Eltern und seine Schwester. Lediglich Bolt, der Familienhund, mit dem Felix bisher nie etwas anfangen konnte, überlebt. Um mit der Situation fertigzuwerden, beginnt Felix schließlich eine Therapie, wo er im Wartezimmer auf den gleichaltrigen Mo trifft. Die beiden freunden sich an und lernen durch Zufall Marie kennen, die in einer Drogerie jobbt. Gemeinsam verbringen sie den Sommer, und Mo und Felix beginnen, sich in Challenges ihren Ängsten zu stellen.

Franziska Hörner gelingt es, ein schwieriges Thema rund um Ängste, Trauer und Verlust hoffnungsvoll und leicht zu erzählen. Felix und Mo beschließen, auf eigene Faust eine Art Konfrontationstherapie zu machen, um ihre Ängste und Panikattacken zu überwinden – das ist nicht ohne Risiko. Zum Glück begleitet sie dabei Marie, die warmherzig und besonnen alles im Blick hat. Ganz nebenbei entwickelt sich noch eine einfühlsam erzählte, zarte Liebesgeschichte.

Das Buch ist nicht ganz frei von Klischees: So werden deutsche Familien eher emotional unterkühlt dargestellt, im Gegensatz zur überschwänglichen Herzlichkeit arabischer Familien. Während es die deutschen Figuren kaum schaffen, etwas halbwegs Genießbares auf den Tisch zu bringen, schmeckt es bei Mos Familie immer fantastisch. Diese Stereotype haben mich beim Lesen leider gestört.

Aufgrund des ernsten Hintergrunds und der nachdenklichen Grundstimmung halte ich die Altersempfehlung von 13 Jahren aufwärts für sehr passend, zumal auch erste sexuelle Erfahrungen thematisiert werden.

Ich würde dieses Buch vor allem jugendlichen Leser:innen empfehlen, die sich auf eine leise erzählte, ernsthafte Geschichte einlassen möchten.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.11.2025

Eher zäh und mit Schwächen in der Konstruktion

Das Geheimnis der weißen Weihnacht
0

Da ich ein großer Fan der Kriminalromane von Agatha Christie, Josephine Tey und Dorothy L. Sayers bin und auch Gladys Mitchell immer wieder zu diesem Kreis gerechnet wird, war ich neugierig auf „Das Geheimnis ...

Da ich ein großer Fan der Kriminalromane von Agatha Christie, Josephine Tey und Dorothy L. Sayers bin und auch Gladys Mitchell immer wieder zu diesem Kreis gerechnet wird, war ich neugierig auf „Das Geheimnis der weißen Weihnacht“. Für mich war es der erste Roman der Autorin.

Hauptfigur ist die Psychiaterin Mrs Bradley, die wohl in mehreren von Mitchells Romanen ermittelt. Sie verbringt die Weihnachtstage bei ihrem Neffen und dessen Frau in den Cotswolds, wo die beiden seit kurzem ein Gut besitzen. Über die Feiertage werden einige Gäste erwartet. Es kommt zu merkwürdigen Vorfällen, anonyme Briefe tauchen auf, und nach einem heftigen Wintereinbruch gibt es einen Toten. Mrs Bradleys Neugier ist geweckt und sie beginnt, eigene Hypothesen aufzustellen und zu ermitteln.

So vielversprechend die Ausgangslage klingt, wurde ich mit diesem Krimi leider nicht warm. Die Figuren blieben blass und wenig greifbar, die Handlung drehte sich immer wieder im Kreis und wurde zusehends langatmiger, so dass es für mich eine eher zähe Lektüre war und die Spannung auf der Strecke blieb. Die ausgedehnten Beschreibungen von Landschaft, Spaziergängen und einer Treibjagd machten es nicht besser. Auch sprachlich konnte mich Mitchell nicht überzeugen, da sich einige Phrasen immer wieder wiederholen. Von der Leichtigkeit und dem feinen Humor einer Christie oder Sayers ist auch nichts zu spüren.

Ärgerlich fand ich, dass man als Leser:in über den genauen Wortlaut der anonymen Briefe im Dunkeln gelassen wird und so weniger Wissen hat als die Figuren im Buch. Man erfährt lediglich in vagen Andeutungen, worum es geht. Für mein Empfinden sind die Theorien, die Mrs Bradley im Buch verfolgt, teils recht abwegig und auch logisch widersprüchlich. Da der Roman um das Jahr 1950 spielen dürfte (definitiv nach dem Zweiten Weltkrieg), fragte ich mich auch, ob es damals in Bezug auf Gerichtsbarkeit, polizeiliche Ermittlungen, Testamentsvollstreckung und gewisse Rechtsgeschäfte tatsächlich in England so stümperhaft zuging, dass diese Theorien überhaupt eine realistische Grundlage gehabt haben könnten.

Konzeptionell kann Mitchell für mich nicht mit Christie und Sayers mithalten. Mir fehlen ein klarer roter Faden, Rafinesse und eine stringente Handlung. Auch nach Beendigung des Buches konnte mich der Fall in der Rückschau nicht überzeugen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.11.2025

feinfühlig erzählt

Fräulein Hedwig
0

Christoph Poschenrieder begibt sich auf Spurensuche im Leben seiner Großtante Hedwig, Jahrgang 1884. Wenig ist zunächst bekannt über die Frau, die zeitlebens alleinstehend blieb, überaus fromm war und ...

Christoph Poschenrieder begibt sich auf Spurensuche im Leben seiner Großtante Hedwig, Jahrgang 1884. Wenig ist zunächst bekannt über die Frau, die zeitlebens alleinstehend blieb, überaus fromm war und bereits als junge Frau zunehmend nervenkrank wurde. Als die Nationalsozialisten an die Macht kommen, wird dies für Hedwig lebensbedrohlich.

Poschenrieder stützt sich bei seiner Recherche vor allem auf die Aufzeichnungen von Hedwigs Schwester Marie und Briefe. Da diese vor allem die frühen Jahre abdecken, bleibt ein großer Teil von Hedwigs Leben im Dunkeln bzw. spekulativ. Der Autor macht jedoch stets kenntlich, wo er sich auf Quellen bezieht und wo er behutsam eigene Vermutungen anstellt.

An Hedwigs Leben wird deutlich, welchen enormen Einfluss damals die Kirche besaß, sowohl als gesellschaftlich als auch in Bezug auf die persönliche Entwicklung insbesondere junger Frauen. Kirchliche Moralvorstellungen trugen massiv zur systematischen Unterdrückung von Frauen bei und waren Teil der patriarchalen Strukturen. Generell hatten Mädchen zurückzustecken und, wenn nötig, zum Familieneinkommen beizutragen, um den männlichen Geschwistern ein Studium zu ermöglichen. Das wurde als so selbstverständlich wahrgenommen, dass den Brüdern später nicht einmal in den Sinn kam, sich dankbar zu zeigen und sich ihrerseits um die Schwestern zu kümmern. Hedwig steht so exemplarisch für viele Frauen ihrer Generation, die qua Geschlecht in besonderem Maße fremdbestimmt und in den Möglichkeiten, die sich ihnen boten, benachteiligt waren.

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Buches ist Hedwigs sich mit den Jahren verschlimmernde psychische Erkrankung, die sich während des Nationalsozialismus zu einem großen Risiko entwickelt. Auch hier wird an Hedwigs Beispiel der menschenverachtende Umgang der Nazis mit Nervenkranken deutlich.

Man spürt, wie nahe Christoph Poschenrieder das Schicksal von Hedwig geht, und sein feinfühliger, ruhiger und nachdenklicher Schreibstil gefiel mir auf Anhieb. Gerade die sachliche, um Authentizität bemühte Herangehensweise hat mich mehr berührt als dies ein historischer Roman gekonnt hätte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.11.2025

Vor allem für Fans

Unser wilder Hof
0

Ich bin eher zufällig über dieses Buch gestolpert und kannte Geraldine Schüles Social-Media-Account bisher nicht. Parallel zur Lektüre habe ich mir jedoch die Reels, Bilder und Story-Highlights auf Instagram ...

Ich bin eher zufällig über dieses Buch gestolpert und kannte Geraldine Schüles Social-Media-Account bisher nicht. Parallel zur Lektüre habe ich mir jedoch die Reels, Bilder und Story-Highlights auf Instagram angesehen.

Geraldine und Patrick leben seit zwei Jahren mit ihren beiden Kleinkindern auf einem unsanierten, baufälligen Hof in Süddeutschland, ohne warmes Wasser (bis auf einen Boiler in der Dusche), ohne Heizung, in provisorisch hergerichteten Räumen. Neben dem Mammutprojekt der Sanierung, das überhaupt nur möglich ist, weil Patrick Zimmermann und Architekt ist, betreiben sie Landwirtschaft und versuchen, so autark wie möglich zu leben. Und, nicht zu vergessen: Sie sind als Content Creatoren eben auch Unternehmer, die sich durch Klicks und bezahlte Werbepartnerschaften finanzieren. So sympathisch und authentisch Account und Buch auch auf mich wirken, schwingt bei mir immer ein leises Misstrauen gegen inszenierten und werbefinanzierten Content mit.

Geraldine schreibt vor allem über ihren und Patricks gemeinsamen Lebensweg von der Jugendfreundschaft über gemeinsame abenteuerliche Reisen bis hin zur Ehe, und ihre ungewöhnlichen Wohnmodelle: Vor dem Hofprojekt lebten sie jahrelang auf 20qm in einem umgebauten Zirkuswagen.

Das Buch ist unterhaltsam und kurzweilig geschrieben, wenn auch eher einfach im Stil. Das macht sich vor allem an den wiedergegebenen Dialogen bemerkbar, die recht platt klingen.

Die Energie und Zuversicht der beiden ist wirklich beeindruckend, und wo andere (und ganz sicher auch ich) vor allem Risiken sehen, sehen die beiden Chancen. Nur mit dieser Lebenseinstellung ist ein Projekt wie die Sanierung des denkmalgeschützten Hofs überhaupt machbar, der bei Kauf nicht nur statisch ein Desaster war, sondern auch völlig vermüllt. Mir bleibt beim Lesen und auch beim Anblick der Videos oft nur, den Kopf zu schütteln, wenn ich lese und sehe, wie ein Kleinkind bei staubigen Arbeiten oder dem Entrümpeln von völlig zugemüllten Räumen ungeschützt mitten im Dreck sitzt oder in der Rückentrage dabei ist. Abgesehen vom Feinstaub, Schimmelsporen, Krankheitserregern aus Tierkot (Mäuse, Ratten) ist bei Sanierung immer mit Schadstoffen wie Asbest, Mineralfasern, PCB oder PCP zu rechnen. Das gilt auch für alte Öfen wie die Küchenhexe. Die Unbedarftheit der Eltern ist in meinen Augen extrem riskant.

Was kann man als Leser:in Positives aus diesem Buch mitnehmen? Dass es wichtig ist, an die Realisierung seiner Träume zu glauben, Vertrauen die eigenen Fähigkeiten zu haben, und dass nicht immer alles perfekt sein muss, um glücklich zu sein.

Für Fans von Geraldine, die noch mehr über sie und ihre Familie erfahren möchten, bestimmt ganz interessant. Ansonsten ein Buch, das man nicht gelesen haben muss. Geraldine und Patrick haben sich sicherlich ein ungewöhnliches Projekt vorgenommen, stehen allerdings auch noch ziemlich an Anfang. Ob sie dieses wirklich meistern, wird erst die Zeit zeigen. Für meinen Geschmack kommt dieses Buch ein paar Jahre zu früh: Die Aussagekraft wäre wesentlich überzeugender, wenn sie die Sanierung bereits zum großen Teil erfolgreich abgeschlossen hätten.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere