Die eigene Seele verkaufen
ChamäleonShai Tamus ist ein gemäßigt-linker israelischer Journalist, dessen beruflicher Stern seit Jahren im Sinken begriffen ist. Einst wurden seine Artikel vielbeachtet und er war ein gern gesehener Gast in Fernsehstudios, ...
Shai Tamus ist ein gemäßigt-linker israelischer Journalist, dessen beruflicher Stern seit Jahren im Sinken begriffen ist. Einst wurden seine Artikel vielbeachtet und er war ein gern gesehener Gast in Fernsehstudios, doch inzwischen interessiert sich kaum noch jemand für ihn, jüngere Kollegen haben ihn längst überholt. Auch Shais Kinder führen ein zunehmend eigenes Leben. Gleichzeitig läuft die Karriere seiner Frau als Kuratorin in einer Galerie so richtig an, und der reiche und weltgewandte Galeriebesitzer scheint sie sehr zu beeindrucken. Shai fühlt sich unverstanden und ungerecht behandelt, und entfremdet sich dadurch mehr und mehr von seinem gewohnten intellektuellen Milieu. Immer stärker wendet er sich dem rechten Spektrum um die neue Regierung zu, und als er die Chance erhält, im rechtspopulistischen Channel als Fernsehgast aufzutreten, ergreift er diese.
Shai ist ein Opportunist, der bereit ist, für Anerkennung und Aufmerksamkeit seine Überzeugungen zu verkaufen. Er lässt sich einflüstern, was er zu schreiben und vor den Kameras zu sagen hat und dürstet danach, von den Mächtigen wahrgenommen zu werden. Als Protagonist war er mir alles andere als sympathisch, da ihm Charakterstärke und Rückgrat fehlen, doch er wirkt sehr menschlich. Shais Verhalten zeigt, wie ein geringes Selbstwertgefühl, verletzter Stolz, gekränkte Eitelkeit und der Glaube, vom Leben benachteiligt zu werden, dazu führen, dass sich Menschen extremen Parteien zuwenden und sich von starken Führungspersönlichkeiten angezogen fühlen. Auch wenn „Chamäleon“ natürlich in erster Linie besonders auf die aktuelle politische und gesellschaftliche Lage in Israel Bezug nimmt, zeigen sich hier generelle Mechanismen, die sich auf andere Situationen und Länder übertragen lassen.
Es werden zwar keine Namen genannt, doch es ist offensichtlich, welche politischen Personen im Roman gemeint sind. Auch Kanal 14 ist deutlich erkennbar. Yishai Sarid kritisiert mit klaren Worten die aktuelle israelische Regierung und beschreibt, wie Journalisten instrumentalisiert und zur Marionette degradiert werden. Sehr lesenswert!