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Veröffentlicht am 20.08.2024

Eindringlicher und bewegender Roman über eine zerrüttete Gastarbeiterfamilie - ein Highlight

Dschinns
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Hüseyin Yilmaz kommt in den 1970er Jahren als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland. Nach über dreißig Jahren Arbeit möchte er sich den Traum einer Eigentumswohnung in Istanbul verwirklichen. Am ...

Hüseyin Yilmaz kommt in den 1970er Jahren als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland. Nach über dreißig Jahren Arbeit möchte er sich den Traum einer Eigentumswohnung in Istanbul verwirklichen. Am Tag des Einzugs stirbt er überraschend an einem Herzinfarkt bevor er die Möglichkeit hat, seiner Frau Emine und den vier gemeinsamen Kindern die Wohnung zu präsentieren. Zur Beerdigung in der Türkei kommen die vier Kinder aus Deutschland sowie seine Frau Emine, die ebenfalls in Deutschland mit Hüseyin lebte.

Jedes Familienmitglied erzählt seine Geschichte, es gibt insgesamt sechs Kapitel. Die Autorin spielt gekonnt mit Rückblenden, in denen wir mehr über die Vergangenheit der Personen erfahren. Nach außen wirken die Yilmaz wie die typische Gastarbeiterfamilie, schaut man jedoch hinter die Fassade, zeigen sich enorme Probleme innerhalb der Familie.
Hüseyin, der klassische Gastarbeiter, möchte nach der Plackerei in Deutschland wieder zurück zu seinen Wurzeln in die Türkei und erscheint oft als strenger, unnahbarer Ehemann und Vater.
Emine spricht kaum Deutsch und wird von ihren Mitmenschen oft für einfältig und ängstlich gehalten. Die älteste Tochter Sevda durfte erst später mit nach Deutschland ziehen, sie sollte sich in der Türkei zuerst noch um die Großeltern kümmern. Sie erfährt kaum Bildung in Deutschland, wird erst spät zu einem Deutschkurs geschickt und soll, so wie Hüseyin es für sie vorsieht, früh heiraten und ihre Rolle als vorbildliche Ehefrau einnehmen. Der älteste Sohn Hakan erscheint auf den ersten Blick als klischeehafter Macho und Nichtsnutz. Das dritte Kind Peri darf studieren gehen und schält sich aus der Rolle des Gastarbeiterkindes heraus. Auch Ümit, das jüngste Kind, hat seine Probleme, er hadert mit der türkischen Abstammung und seiner eigenen Identität.

Für keines der sechs Familienmitglieder ist Deutschland zu einer Heimat geworden. Auch innerhalb der Familie merkt man schnell, dass es hier an vielem für ein verträgliches Miteinander fehlt: Toleranz, Liebe und vor allem Kommunikation. Es scheint vielmehr als wären die Yilmaz eher zufällig miteinander verwandt und ziehen, sobald sie können, jeder in eine andere Richtung aus.
Besonders an "Dschinns" ist die Erzählweise, die einen teilhaben lässt am Schicksal der Familie und in Rückblenden die Geschichte der einzelnen Mitglieder erzählt. Oft klischeehaft, aber eindrucksvoll erzählt die Autorin die Familiengeschichte, in der jeder Charakter eine eigene Sprache bekommt und deshalb auch so glaubwürdig wirkt. Es ist ein Roman, der nachhallt, in dem sich Menschen mit Migrationshintergrund oft wiederfinden können und Menschen ohne diesen Hintergrund wahrscheinlich viel Neues mitnehmen können. Mir bleibt der Roman im Gedächtnis, da er gewaltig und kraftvoll ist und so viele Probleme wie Rassismus, Identitätsfindung und Feminismus behandelt.

Für mich eine klare Empfehlung und ein neues Lesehighlight!

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Veröffentlicht am 16.08.2024

Ungewöhnliche Nachbarn in einer außergewöhnlichen Geschichte mit verschiedenen Textformen

Der Hausmann
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Thea und Tim müssen eine neue Wohnung suchen - das heißt, mit schmalem Budget in die nicht gerade beliebteste Randlage ziehen. Thea verdient ihr Geld in einem Start-Up Unternehmen für veganes Hundefutter. ...

Thea und Tim müssen eine neue Wohnung suchen - das heißt, mit schmalem Budget in die nicht gerade beliebteste Randlage ziehen. Thea verdient ihr Geld in einem Start-Up Unternehmen für veganes Hundefutter. Tim bleibt zu Hause, schmeißt den Haushalt und schreibt mehr schlecht als recht an seiner Graphic Novel. Er lernt sie unterschiedlichen Nachbarn besser kennen: Maxim, ein ukrainischer junger Flüchtling und Dagmar, eine rüstige Rentnerin, die alleine wohnt. Alles läuft erstmal gut bis Tim die Tür aufmacht und ihm ein Fremder ins Gesicht schlägt...

Das Cover sticht heraus mit seinen grellen und bunten Farben. Die einzelnen Szenen erscheinen erstmal willkürlich, es zeigt sich beim Lesen aber, dass sie sehr gut zur Geschichte passen. Unbedingt sollte man sich das Cover nach dem Lesen nochmal genauer ansehen.
Das Besondere an dem Buch sind die verschiedenen Textformen: das meiste erfährt man aus Tims Sicht, er erzählt aus der Ich-Perspektive in normaler Romanform. Außerdem kommen die Graphic Novel, an der Tim schreibt, vor, sowie die Aufsätze des Deutsch-Lernhefts von Maxim, dem ukrainischen Flüchtling. Nicht zu vergessen sind die Blogeinträge von Dagmar, der rüstigen Rentnerin, die in ihrem Blog "Sparen mit Dagmar" über ihr Leben und ihre Altersarmut schreibt.
Man steigt sehr gut in die Geschichte ein und die verschiedenen Textformen bringen eine unglaublich gute Abwechslung in die sonst so strikt und konform geschriebenen Romane, die man normalerweise liest.
So unterschiedlich Thea und Tim auch sind, repräsentieren sie für mich viele junge Menschen, die in Start-Ups arbeiten und vor sich hin leben ohne viel an morgen zu denken. Tim wirkt hier stets sympathischer, wahrscheinlich auch, weil er aus seiner Sicht schreibt. Thea ist mir von allen Personen am undurchsichtigsten geblieben, weil man von ihr nur die Chatverläufe mit ihrer Kollegin und Freundin liest.
Maxim schließt man ins Herz trotz seiner bulligen Statur und seinem gebrochenen Deutsch. Er hat seit dem Krieg in der Ukraine einiges erlebt, auch das wird das erzählt. Man bekommt aber auch seine Fortschritte beim Deutsch lernen mit und seine Versuche, die deutsche Kultur zu verstehen. Auch Dagmar bleibt im Gedächtnis, sie erscheint zunächst ruppig, da sie scheinbar als Einzige den Hausflur putzt. Tim freundet sich sowohl mit Maxim als auch mit ihr an und zeigt ihr die ihr unbekannte Welt des Internets. Schnell postet sie regelmäßige Blogeinträge auf ihrem eigenen Blog, der immer erfolgreicher wird und einen als Leser lachend zurücklässt.

Generell ist das Buch humorvoll und abwechslungsreich geschrieben, man kann es immer mal wieder weg legen und kommt trotzdem gut in die Geschichte wieder rein. So humorvoll das Buch auch rüber kommt, behandelt es doch einige wichtige Themen unserer Zeit wie die Flüchtlingssituation und deren mehr oder weniger gelungene Integration, Altersarmut und -einsamkeit, Geldsorgen und die Klimakrise, die in Tims Graphic Novel thematisiert wird. Ohne den Zeigefinger zu heben und anzuklagen zeichnet Wlada Kolosowa hier die Geschichte eines ganz normalen Mietshauses einer deutschen Großstadt mit ihren unterschiedlichen Bewohnern und deren Sorgen.

Ein gelungenes und humorvolles Buch über unterschiedliche Menschen auf engem Raum, das zeigt, dass wir alle miteinander auskommen können, wenn man einen Schritt auf den anderen zugeht. Für mich auch wegen der unterschiedlichen Textformen ein Highlight, das sich gut weg liest und einem trotzdem im Gedächtnis bleibt!

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Veröffentlicht am 16.08.2024

Zauberhaft und berührend - ein Highlight

Mr. Parnassus' Heim für magisch Begabte
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Linus Baker ist Sachbearbeiter in der Sonderabteilung des Jugendamtes für magisch begabte Kinder. Er ist ein vorbildlicher Mitarbeiter, immer pünktlich, immer schnell, lässt sich nichts zu Schulden kommen. ...

Linus Baker ist Sachbearbeiter in der Sonderabteilung des Jugendamtes für magisch begabte Kinder. Er ist ein vorbildlicher Mitarbeiter, immer pünktlich, immer schnell, lässt sich nichts zu Schulden kommen. Für einen neuen, sehr geheimen Auftrag wird er für mehrere Wochen in ein Waisenhaus auf eine einsame Insel geschickt. Dort ist Mr. Parnassus der Leiter und betreut Kinder und Jugendliche, die in kein Raster zu passen scheinen. Mit seiner sonst so regelkonformen Arbeitsweise kommt er dort nicht weit. Er lässt sich ein auf die ihm völlig fremde Welt und erlebt das größte Abenteuer seines Lebens.

Am Anfang dachte ich, dass das Buch eher für Jugendliche und Fantasyliebhaber geschrieben ist aufgrund des verspielten Covers. Ich wurde eines Besseren belehrt und habe ein neues Highlight entdeckt!
Zu Beginn bin ich noch nicht in den Bann der Geschichte gezogen worden, da erst einmal Linus Leben als Beamter und seine Einsamkeit und Stille zu Hause beschrieben wurden. Das war auch wichtig für die Geschichte, zeigt es doch Linus eintöniges und trockenes Leben, das er schon sein Leben lang führt. Sobald es allerdings zu dem Spezialauftrag kommt, den Linus betreuen soll, nimmt die Geschichte direkt an Fahrt auf. Der Autor beschreibt die Geschichte, die Charaktere und die Umgebung mit unglaublich viel Liebe zum Detail. Die Kinder des Waisenhauses und Mr. Parnassus muten zuerst seltsam an und man kann Linus Beklemmung und sein Hadern mit der Situation nachvollziehen. Er als strikter Beamter kommt mit seinem Regelwerk der Behörde hier nicht weiter. Die Kinder werden einzeln beschrieben und sind einem sofort sympathisch trotz ihrer Eigenheiten. Sie sind einfach zauberhaft und man schaudert richtig mit, wenn ihre Geschichten und Vergangenheiten erzählt werden. Sie sind alles andere als "normal", aber im Verlauf der Geschichte merkt man selbst: was ist schon normal? Sollten wir nicht alle gleich behandeln und uns auf neue Gegebenheiten, Personen und Orte einlassen? Wie Kinder nun mal sind, nähern sie sich auch Linus an und schließen ihn ins Herz.
Die Veränderung in Linus Sicht- und Denkweise wird im Verlauf unglaublich gut beschrieben, denn er lässt sich auf diesen Prozess ein, nimmt sich die Zeit ohne Vorurteile sein Gegenüber kennenzulernen.
Auch Mr. Parnassus ist ein ganz wundervoller Charakter: herzensgut, geduldig und ruhig kümmert er sich um Kinder, die sonst durch das Raster der Gesellschaft fallen und verstoßen werden. Er ist stets um das Wohl der Kinder bemüht und schafft es mit seiner ihm ganz eigenen Art auch Linus "weichzuklopfen" und ihm zu zeigen, dass das Leben mehr bereit hält als sein Regelwerk und die Arbeit in der Behörde, wenn man sich darauf einlässt.
Als Leser schließt man jeden Charakter ins Herz und wünscht sich vor allem für die Kinder mehr Toleranz und Akzeptanz. Auch das Ende passt perfekt zur Geschichte und hätte nicht besser beschrieben werden können.

Für mich ein Jahreshighlight und eine ganz klare Empfehlung! Die Geschichte hallt nach und lässt einen mit Hoffnung zurück auf ein besseres Miteinander, wenn jeder einen kleinen Schritt nach vorne auf den anderen zugeht.

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Veröffentlicht am 15.08.2024

Emotionales und mitreißendes Buch über Schuld, Lügen und Heimweh

Heimweh
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Sommer 1987: sechs junge Leute sind im Auto auf dem Weg zum Meer als sie einen Unfall haben, den drei Personen nicht überleben. Es sterben ein junges Paar, das am nächsten Tag hätte heiraten sollen und ...

Sommer 1987: sechs junge Leute sind im Auto auf dem Weg zum Meer als sie einen Unfall haben, den drei Personen nicht überleben. Es sterben ein junges Paar, das am nächsten Tag hätte heiraten sollen und eine Brautjungfer. Die zweite Brautjunger sowie Martin, ein Arztsohn, und Connor, der eigentlich nicht zur Clique gehört, überleben. Da Connor am Steuer saß, wird er nach England geschickt und bricht den Kontakt zu seinen Eltern und seiner Schwester ab. Connors Schwester Ellen und Martin heiraten, doch die Ehe wird für Ellen unglücklich verlaufen.
Jahre später wird Finbarr, Ellen und Martins Sohn, in New York auf Connor treffen, von dem keiner mehr etwas gehört hatte, und diese Begegnung wird eine Reihe von unglaublichen Ereignissen auslösen.

Mir hat der Einstieg ins Buch gut gefallen, wenn es auch am Anfang etwas unübersichtlich war, die Personen auseinanderzuhalten und den Zeitsprüngen zu folgen. Das Buch erzählt die Geschichte vom Unfall 1987 bis ins aktuelle Jahr 2019 in Zeitsprüngen und aus verschiedenen Blickwinkeln. Der Unfall verändert eine ganze Kleinstadt und der Schuldige ist schnell gefunden: Connor Hayes. Zuerst tut er sich schwer, im "Exil" in England zurechtzukommen, aber er erkennt den sich bietenden Neuanfang. Er ist unglaublich stark und bekommt sein Leben trotz der ihm zugesprochenen Schuldigkeit in den Griff. Das Heimweh, dass er trotzdem nach Hause hat, zerreißt einem fast das Herz.
Auch Ellen möchte man am liebsten schütteln, dass Marin Coulter nicht der Richtige ist und ihr nicht gut tut. Noch mehr Fahrt nimmt die Geschichte auf, als Jahre später Ellens Sohn Finbarr unwissend seinen Onkel Connor in New York trifft. Spätestens da hatte mich die Geschichte völlig in ihren Bann gezogen und ich wollte das Buch nicht mehr weg legen. Ab da verändert sich alles und nichts ist mehr so, wie die ganze Kleinstadt es nach dem Unfall für wahr hielt.

Das Buch behandelt so viele wichtige Themen: Sehnsucht, Verlust, Selbstfindung, der Zusammenbruch einer Familie und ganzen Kleinstadt und nicht zuletzt Heimweh. Graham Norton gelingt es hier, eine unglaublich spannende Stimmung zu erzeugen und zu mehr Toleranz und weniger Vorverurteilung aufzurufen ohne anklagend zu klingen. Eine klare Empfehlung für alle, die einen spannenden und emotionalen Roman suchen!

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Veröffentlicht am 14.08.2024

Sehr spannend, ein Pageturner

Der Plan – Zwei Frauen. Ein Ziel. Ein gefährliches Spiel.
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Meg kämpft für Gerechtigkeit. Sie schleicht sich in das Leben skrupelloser Männer, die Frauen ausnehmen und sich an ihnen bereichern und nimmt ihnen ihr Geld und den guten Ruf. Sie möchte den Mann fallen ...

Meg kämpft für Gerechtigkeit. Sie schleicht sich in das Leben skrupelloser Männer, die Frauen ausnehmen und sich an ihnen bereichern und nimmt ihnen ihr Geld und den guten Ruf. Sie möchte den Mann fallen sehen, mit dem alles angefangen hat. Aber auch eine andere Frau möchte Rache, Meg ahnt nicht, dass die Frau ihr auf den Fersen ist...

Da ich das erste Buch von Julie Clark regelrecht verschlungen habe, habe ich mich umso mehr auf das zweite Buch gefreut - und wurde nicht enttäuscht.
Das Buch ist abwechselnd aus der Sicht von Meg und der Journalistin Kat geschrieben. Zur Übersicht ist vor dem Kapitelanfang vermerkt, von wem es handelt und in der welcher Zeit man sich gerade befindet. Da Meg und Kat aus ihrer Sicht die Geschichte erzählen, wird eine unglaublich gute Spannung aufgebaut und die Gefahr ist immer zum Greifen nah. Als Leser gerät man immer wieder in die Spirale aus Manipulationen, Lügen und Betrügereien. Man weiß nie: wem kann ich trauen, was ist wahr?
Megs radikales Verhalten konnte ich am Anfang nicht nachvollziehen, aber nach und nach erfährt man mehr über sie und kann sie besser verstehen. Generell zeichnet Julie Clark hier zwei unglaublich starke Persönlichkeiten. Vor allem das Ende mit vielen Wendungen und einem wie immer grandiosen Finale lässt die Spannung nochmal steigen.

Von mir eine klare Empfehlung, ein toller psychologisch und rhetorisch sehr guter Thriller, der den Puls in die Höhe treibt!

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