Notizen
Süden und WestenIm Sommer 1970 beschließt Joan Didion zusammen mit ihrem Mann eine Reise in den Süden zu unternehmen. Von New Orleans aus geht es nach Mississippi und wieder zurück. Dabei sammelt sie Notizen, ihre Gedanken ...
Im Sommer 1970 beschließt Joan Didion zusammen mit ihrem Mann eine Reise in den Süden zu unternehmen. Von New Orleans aus geht es nach Mississippi und wieder zurück. Dabei sammelt sie Notizen, ihre Gedanken zu den Menschen des Südens, zu deren Veröffentlichung es bis jetzt noch nicht gekommen ist.
Obwohl es sich nur um Notizen handelt, spricht daraus eine poetische Aufmerksamkeit. Joan Didion erweist sich als aufmerksame Zuhörerin, ohne dabei zu werten, lässt den Süden auf sich wirken. Und ihn dieser klaren Form bekommen wir als Leser:innen diesen Süden dann präsentiert, in seiner gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Komplexität. Ohne es zu wissen, würde man beim Lesen deutlich zwei Dinge merken: Zunächst einmal springt einem sofort ins Auge, dass wir uns gerade am Beginn der 70er Jahre befinden. Der Süden beginnt sich offiziell von Rassentrennung und Co. zu verabschieden, dennoch ist in den meisten Köpfen der Gedanke von getrennten Welten tief verankert, und diejenigen, die meinen, sie stehen auf der progressiven Seite, wollen es mit dem guten Willen nicht übertreiben. Auch erkennt man im Süden der 70er Jahre den Süden der 2020er wieder. Wirtschaftliche Abgehängtheit, Bevölkerungsverlust und der störrische Unwille gegen die anderen Landesteile und der daraus resultierende Zusammenhalt. Joan Didion hat mit Mississippi, Alabama und Louisiana 3 Bundesstaaten besucht, die heute noch wirtschaftlich und gesellschaftlich hinterherhinken. Besonders interessant wäre es für mich allerdings gewesen, einen direkten Vergleich der Staaten zu sehen, die heute mehr und mehr den Sprung in die Wirklichkeit geschafft haben und zu den neuen Hotspots des amerikanischen Lebens werden. Georgia oder North Carolina in den 70er Jahren und 50 Jahre später wäre beispielsweise für mich wirklich interessant zu sehen gewesen.
Alles in Allem gibt das Buch aber einen wirklich guten Einblick in die moderne Identität des Südens und hat sich als nachdenklich machende, reizende und unterhaltsame Lektüre herausgestellt.