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Veröffentlicht am 14.03.2017

„Mia, sagen Sie, komm zur Sache.“

Der Sommer ohne Männer
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S. 211 „Mia, sagen Sie, komm zur Sache.“

Nach dreißig Ehejahren wünscht sich Boris eine Pause von Ehefrau Mia – die „Pause“ ist
zwanzig Jahre jünger als letztere und eine kultivierte Neurowissenschaftlerin, ...

S. 211 „Mia, sagen Sie, komm zur Sache.“

Nach dreißig Ehejahren wünscht sich Boris eine Pause von Ehefrau Mia – die „Pause“ ist
zwanzig Jahre jünger als letztere und eine kultivierte Neurowissenschaftlerin, seine Kollegin. Die prämierte Dichterin Mia dreht durch, landet für eineinhalb Wochen in der Psychiatrie und zieht sich danach für den Sommer in die Nähe ihrer Mutter, 90, zurück in die Kleinstadt ihrer Jugend.

Mia kommt gefühlt nicht wirklich zu Sache, auch wenn die Ich-Erzählerin den Leser teils direkt anspricht wie eingangs zitiert – der Roman plätschert so dahin mit seinen verschiedenen Themen – von Mias Kindheit (distanzierter Vater, liebende Mutter), über Ehemann Boris (vöööööllig überraschend: ebenfalls distanziert; Mia scheint dabei dummerweise überspannt), zu den alternden Freundinnen der Mutter in diesem sehr speziellen Mikrokosmos eines Seniorenwohnheims, über das temporäre Domizil Mias in einem gemieteten Haus mit jungen Nachbarn (in der Krise, seinetwegen, natürlich), inklusive der Ränkespiele der frühpubertierenden Mädchen in dem Kurs, den Mia abhält…. .

Das alles wirkt auf mich in den besten Momenten wie einer der kopflastigsten Filme Woody Allens, am ehesten aus der Perspektive Diane Keatons – auch wenn die erklärte New Yorkerin Siri Hustvedt die erklärte New Yorkerin Mia früh nach Minnesota schickt, an die Stätte beider Jugend. Phasenweise nervt das: da werden nacheinander genannt Filme mit Cary Grant, Jane Austen, Heisenberg und Leibniz‘ Monadologie – und das ist nur eines von vielen vielen vielen Beispielen, die ich häufig als bloße Phrasen und aufgesetzt empfand, von den vielen Text-Fetzen aus Lyrik und Prosa zu schweigen oder seitenweise Geschlechtertheorien zitiert durch alle Jahrhunderte.

Wäre das Buch denn nicht so beruhigend kurz gewesen, ich hätte wohl abgebrochen, wenn, ja wenn es nicht gleichzeitig mit so wunderschönen Aphorismen gespickt gewesen wäre.
S. 61 „Zeit ist nicht außerhalb von uns, sondern in uns. Nur leben wir mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, und die Gegenwart ist zu kurz, um überhaupt erfahren zu werden; sie wird nachher behalten, und dann ist sie entweder kodifiziert oder fällt der Amnesie anheim.“

Dummerweise reicht mir das nicht, wenn es mich schwer nervt, wie Mia „ihrem“ (ja, das ist -leider – wörtlich, ihrem) Boris mangelnde Dankbarkeit vorwirft, manifestiert im Ehebruch – ernsthaft? Und das neben der ganzen pseudofeministischen Phrasendrescherei und dem mir seltsam verklemmt anmutenden Darstellen eigener Lust-Erfahrungen? Das reißen dann leider auch die an sich schönen Nebengeschichten zu Abigails verborgenen Stickereien oder dem Trick, eine jugendliche Mobbingerfahrung aus mehreren Perspektiven zu erleben zu lassen, nicht mehr heraus.

S. 248 "Ein Buch ist eine Zusammenarbeit von demjenigen, der liest, und dem, was gelesen wird, und bestenfalls ist dieses Zusammentreffen eine Liebesgeschichte wie jede andere."

Ich habe mich nicht verliebt. Ich habe nicht einmal geflirtet.


Folgebuch: Jane Austen. Überredung (Persuasion)

Veröffentlicht am 12.03.2017

„Du bist niemand ohne den Blick des anderen“

Monteperdido – Das Dorf der verschwundenen Mädchen
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„Du bist niemand ohne den Blick des anderen“ S. 374


„Kriminalkommissarin Sara Campos, Abteilung für Kriminalverbrechen. Dürfen wir reinkommen?“ S. 25 Ein Auto liegt verunglückt in der Schlucht nahe des ...

„Du bist niemand ohne den Blick des anderen“ S. 374


„Kriminalkommissarin Sara Campos, Abteilung für Kriminalverbrechen. Dürfen wir reinkommen?“ S. 25 Ein Auto liegt verunglückt in der Schlucht nahe des einsamen Bergdorfes Monteperdido, mit einem toten Mann darin. Fünf Jahre nach ihrem Verschwinden wird Ana bei diesem Fahrzeug gefunden. Aber die damals elfjährige verschwand nicht allein, sondern mit Lucía, der gleichaltrigen Nachbarstochter, ihrer besten Freundin. Doch wo ist Lucía und was ist passiert?

„Jede Erklärung war eine Rechtfertigung, und das Letzte, was jemand hören wollte, der einen geliebten Menschen verloren hatte, war eine Rechtfertigung. Es gab keine Begründung, die das Leid aufwog. Diese Entschuldigungen anzunehmen bedeutete, dass es keinen Schuldigen gab. Als könnte das Leid des Mörders das Leid des Opfers aufwiegen.“ S. 53

Zwei verschwundene sehr junge Mädchen, von denen eines im Auto eines Mannes wieder auftaucht –so einfach ist das hier nicht, und das ist noch untertrieben. Dadurch eignet sich dieser Krimi meines Erachtens auch für die Leser, die nichts von Sadisten lesen möchten – ein „Cozy Krimi“ ist das hier jedoch bei weitem nicht und „normal“ wird zu einem dehnbaren Begriff. Nichts ist hier so, wie es auf den ersten Blick scheint. „Dieses Kaff ist wie ein gottverdammtes schwarzes Loch.“ S.405 bemerkt Polizistin Sara frustriert einmal. Gleichzeitig hat mich der Erzählstil aber auch stark beeindruckt, besonders bezüglich der Charaktere. Gut oder Böse? Geschenkt. Fast jeder hat seine Geheimnisse, die möglichst verborgen bleiben sollen – ungut nur, wenn dadurch noch ganz andere Dinge verborgen oder auch, oft fälschlich, vermutet werden. Beschädigte Ermittler? Das Klischee braucht der Erzähler nicht, hier sind fast alle irgendwie „verletzt“, ohne dass das überzogen wirkt, es scheint vielmehr als unvermeidbar im Verlauf des Lebens.

Begeistert bin ich von der psychologischen Komponente der Erzählung – der Autor psychologisiert nicht, er erklärt Gefühle und Handlungen nicht ausschweifend, er wirft da einfach nur Sätze hin, die es genau auf den Punkt bringen. So lässt er Quim, den älteren Bruder der weiterhin verschwundenen Lucía bemerken: „Seit so vielen Jahren duckte er sich vor dem Frust seines Vaters. Dabei wusste er, dass sein Vater weniger darunter litt, dass seine Tochter verschwunden war, sondern vor allem damit haderte, dass er nicht in der Lage war, sie zu finden.“ S. 365

„Monteperdido“ erzählt zeitlich und räumlich begrenzt, springt dabei aber in der Perspektive teils sehr schnell und kurzfristig zwischen mehreren Personen, bleibt jedoch in der Distanz der dritten Person. Das treibt die Erzählung voran. Autor Augstín Martínez nutzt die Enge des düsteren abgelegenen Pyrenäenortes Monteperdido, um sein Romandebüt fast wie ein Kammerspiel zu gestalten, bei dem die Enge, die Landschaft und die Härte der Natur in den Bergen wie ein weiterer Akteur wirken – der Autor ist bislang als Drehbuchautor tätig; kaum ein Wunder, wie gut ich das Buch visualisieren konnte.

Leseempfehlung! Und einen Film fände ich auch toll...

Veröffentlicht am 06.03.2017

„Wenn du es erzählen kannst“

Keiner hört dein Schweigen
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„Wenn du es erzählen kannst“ S. 112 – das hört Andrea zu den schlimmen Erlebnissen vor sechs Jahren, bei denen ihre Freundin Caroline damals starb. Dabei will doch eigentlich nicht Andrea hier Hilfe bekommen, ...

„Wenn du es erzählen kannst“ S. 112 – das hört Andrea zu den schlimmen Erlebnissen vor sechs Jahren, bei denen ihre Freundin Caroline damals starb. Dabei will doch eigentlich nicht Andrea hier Hilfe bekommen, sondern Unterstützung leisten. Doch von vorn.

Für die Profilerin Andrea und ihren Mann Greg läuft es rund in der kleinen Familie mit Tochter Julie. Doch als in einem Krankenhaus in Birmingham ein völlig verstörtes und verwahrlostes junges Mädchen auftaucht, ahnt Andrea noch nicht, in welcher Achterbahnfahrt des Horrors sie dadurch landen wird.

Katherine „Katie“ Archer und ihre zwei Jahre ältere Schwester Tracy waren vor acht Jahren plötzlich spurlos verschwunden, damals 9 und 11 Jahre alt. Man fand drei Jahre später kinderpornographische Bilder der beiden, nie jedoch die Kinder selbst. Katie ist jetzt plötzlich wieder aufgetaucht, als Siebzehnjährige mit schlimmsten Spuren der Misshandlung. Von Tracy fehlt jede Spur und Katie scheint die Sprache verloren zu haben – und schon ist Andrea wieder in einem neuen Fall, denn das Mädchen vertraut denen nicht, die sie befragen - Männern.

Kaum ertragbar sind die Rückblenden in die Vergangenheit der Schwestern direkt nach der Entführung: „Es gab nur Matratzen, Decken und den Eimer. Sonst nichts.“ S. 22 Es sollte bei dieser Entführung nicht um Lösegeld gehen…. Auch der Blick in die Gedankenwelt der geflüchteten Katie ist heftig: „Man würde sie nach Tracy fragen. Aber was sollte sie sagen?
Sie hörte die grauenvollen Schreie ihrer Schwester. Es war jetzt zwei Tage her, aber sie waren in ihrem Kopf immer noch nicht verstummt.“ S. 11

Einfühlsam bemüht sich die Profilerin um das völlig verstörte junge Mädchen, der acht Jahre ihres Lebens fehlen, deren Vater in der Zeit ihrer Gefangenschaft starb, die keine normale Pubertät erleben konnte. Flachbildfernseher hatte es vorher noch nicht gegeben und völlig andere Autos; das ganze Ausmaß wird hier klug angerissen. Andrea ist schockiert über das, was sie herausfindet: „Der Überlebenstrieb erstaunte sie immer wieder. Menschen hielten die furchtbarsten Dinge aus.“ S. 144 Aber wer da zu Andrea „Wenn du es erzählen kannst“ sagt und warum und an welche Grenzen Andrea und Greg im Buch geführt werden – nun, dass möchte ich hier nicht verraten, das kann jeder selbst nachlesen.

Das Buch, der sechste Fall mit Andrea Thornton, die aus Deutschland stammt, aber in Großbritannien verheiratet ist, dürfte auch ohne Vorkenntnisse der anderen Bücher zu lesen sein; was aus Vor-Bänden relevant ist, wird von Autorin Dania Dicken kurz angerissen. Dafür ist der Text aber ziemlich harter Tobak und absolut ungeeignet für Leser, die nichts von sexueller Gewalt lesen wollen. Das Buch entpuppte sich als nervenzerfetzender Pageturner, der aber durchaus neben einiger Action gerade zum Schluss hin in weiten Teilen klarmacht, in welch kleinen Schritten traumatisierte Opfer nur befragt werden können. Anders wäre es aber auch beim Lesen kaum zu ertragen.

Veröffentlicht am 05.03.2017

„Was ich ihm gebe, kann er nicht festhalten. Was er mir gibt, halte ich mit aller Kraft fest.“

Der alte König in seinem Exil
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„Was ich ihm gebe, kann er nicht festhalten. Was er mir gibt, halte ich mit aller Kraft fest.“ S. 178

„Hier hast du deinen Hut.“
„Das ist recht und gut. Aber wo ist mein Gehirn?“
[…]
„Dein Gehirn ist ...

„Was ich ihm gebe, kann er nicht festhalten. Was er mir gibt, halte ich mit aller Kraft fest.“ S. 178

„Hier hast du deinen Hut.“
„Das ist recht und gut. Aber wo ist mein Gehirn?“
[…]
„Dein Gehirn ist unter dem Hut.“
Der Vater nahm den Hut ab, schaute hinein und erwiderte: „Das wäre aber ein Wunder.“

S. 130 Das ist nur eine der surrealen, fast kafkaesken Szenen in diesem Buch. Sein Vater erkrankt an Alzheimer – und darüber schreibt der Sohn, der österreichische Autor Arno Geiger, dieses kurze Büchlein.

Er schreibt über den Fortschritt der Krankheit, vom Beginn, vor der Diagnose, als mit dem Vater noch wegen vermeintlicher Sturheit geschimpft wurde, „…denn wir schimpften mit der Person und meinten die Krankheit.“ S. 7 Doch, natürlich, die Krankheit schreitet voran. Anhand der eigenen Erfahrungen der ganzen Familie – Geiger hat noch drei Geschwister, zu Beginn teilt man sich die Pflege – übermittelt die Lektüre ein Gefühl davon, was sich ändert, nur ein Gefühl, denn jeder Mensch und damit auch jeder Erkrankte ist anders. Die Bilder, die verwendet werden, lassen regelmäßig den Schriftsteller durchblicken, der den Umgang mit Sprache und sprachlichen Bildern gewohnt ist. So bezeichnet er den Zustand der mittleren Demenz: „Als wäre man aus dem Schlaf gerissen, man weiß nicht, wo man ist […] Man versucht sich zu orientieren, es gelingt nicht.“ S. 8f. Das ist hilfreich, weil solche Bilder eindringlicher sind, als viele Fachbücher dieses zu vermitteln vermögen.

Es wird auch über das Leben des Vaters erzählt, um Erklärungen für genau für ihn typische Verhaltensweisen bis in die Krankheit hinein zu liefern; natürlich sind diese Abschnitte nicht zu verallgemeinern. Aber sicherlich kann man aus dem Nachforschen Geigers die Lehre ziehen, zum einen die jeweilige Vergangenheit vor dem Vergessen zu retten, als auch immer das Individuum hinter dem Kranken zu sehen. Viele weitere Erfahrungen in der Pflege werden anderen helfen können.

An einigen Stellen war mir das bildhafte in der Sprache etwas zu viel; fast wirkt es, es betrachte der sprachbegeisterte Autor den Vater als eine Art Satz- und Wortfindungsmaschine, wobei natürlich jeder seinen eigenen Weg zum Umgang mit fordernden Situationen finden muss, soll und darf. Genau hier liegt für mich die Problematik solcher Bücher: vom aktuellen „In jedem Augenblick unseres Lebens“ von Tom Malmquist über die in weiten Strecken sehr amüsanten Erinnerungen von Joachim Meyerhoff bis hin zu Jan Philipp Reemtsma „Im Keller“: Wer bin ich, die Erinnerungen und Gefühle anderer in autobiographischen Texten zu bewerten? Andererseits wird natürlich niemand zu Niederschrift und Veröffentlichung gezwungen – und die liebevolle innewohnende Poesie dieser Niederschrift trägt durchaus recht weit.

Veröffentlicht am 04.03.2017

Die Suche nach dem Mittelpunkt des Universums

Der Architekt des Sultans
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„Die Feindseligkeit ist ein Käfig, das Talent ist ein gefangener Vogel. Zerbrich den Käfig, lass den Vogel frei und in die höchsten Höhen fliegen.“ S. 181 Diesen Rat gibt Meister Sinan seinem Schüler Jahan, ...

„Die Feindseligkeit ist ein Käfig, das Talent ist ein gefangener Vogel. Zerbrich den Käfig, lass den Vogel frei und in die höchsten Höhen fliegen.“ S. 181 Diesen Rat gibt Meister Sinan seinem Schüler Jahan, denn nachdem sein Stiefvater die Mutter getötet hatte, zermürben ihn Rachegelüste. Die Ausbildung bietet einen Ausweg, denn „Jeder Handwerker, jeder Künstler schließt einen Bund mit dem Göttlichen“

Unter jedem Bauwerk …liegt, tief unter dem Fundament, der Mittelpunkt des Universums. Dieses Wissen wird dich mit größerer Sorgfalt und Liebe arbeiten lassen.“ S. 213 Der Suche nach diesem Mittelpunkt des Universums nun begegnet Jahan immer wieder.

Im 16. Jahrhundert ist im Osmanischen Reich nicht viel Zeit für die Bedürfnisse des einzelnen: die Kluft zwischen Herrschenden und Beherrschten ist groß, Willkür, Vetternwirtschaft und Intrigen greifen um sich, der Brauch der Knabenlese führt dem Heer unermüdlich Nachwuchs zu, indem Jungen aus benachbarten Ländern ihren Familien entrissen und zwangsislamisiert werden. Zwar ist auch diesen ein Aufstieg bis ins oberste Amt des Großwesirs, des vom Herrscher eingesetzten Regierungschefs, möglich – aber die Luft ist dünn. In der Herrscherfamilie selbst ist es in dieser Zeit guter Brauch, dass der Thronfolger beim Tod des Vaters sich aller jüngeren Brüder als Konkurrenten entledigt – mit der Bogensehne, damit das edle Blut nicht vergossen werde, dann folgt gern der Bau eines prächtigen Mausoleums für die edlen Toten.

Eigentlich hatte es Jahan als Begleitung des jungen weißen Elefanten Chota in den äußeren Ring des Palasts geschafft und sich dort als Mahut, als Elefantenführer, verdingt – aber seine Neugier und sein Talent führten ihn mit Sinan zusammen, dessen Schüler er wird. Der Originaltitel des Buches lautet passender „The Architect’s Apprentice“, „Der Lehrling des Architekten“, denn Jahan ist die Hauptperson dieses Romans. Ähnlich wie in „Der Name der Rose“ beginnt die Erzählung als Rückblick des gealterten Jahan, werden spätere Entwicklungen teils bereits angedeutet.

Meister Sinan, der wichtigste Architekt der klassischen osmanischen Architektur, gilt als der „Michelangelo des Osmanen“ und ist nur eine von vielen fiktionalisierten historischen Persönlichkeiten des 16. Jahrhunderts dieses Romans. Autorin Elif Shafak erläutert in ihrem Nachwort, gelegentlich Zusammenhänge an ihre Bedürfnisse für die Geschichte angepasst zu haben, auch ein Glossar ist im Nachwort enthalten. Dadurch lässt sich die opulente Geschichte recht flüssig lesen, nachdem ich gerade zu Beginn häufiger Nachschlagen (und Wikipedia konsultieren) musste. Dennoch fremdelte ich noch einige Zeit – ich suchte „den roten Faden hinter der Geschichte“. Eine Besprechung in der Süddeutschen Zeitung vom 10.08.2015 Lesen Sie die Rezension bei buecher.de
(direkter Link ist kostenpflichtig) nennt den Roman „eine Liebeserklärung an das alte Istanbul der vielen Völker, Sprachen und Religionen – und damit auch eine Absage an die derzeitige Politik der Türkei.“

Mag man den Roman unter diesem Blickwinkel lesen (ich war ja zugegebenermaßen nicht aus dem Roman heraus selbst auf diesen Gedanken gekommen), findet man einerseits die gesuchte Geschichte hinter der Geschichte, aber auch ganz anderen Zugang zu Schlüsselsätzen des Buches wie „Jahan kam der Gedanke, dass sich die meisten Gotteshäuser in zwei Kategorien einteilen ließen: Es gab diejenigen, die in den Himmel ragten, und diejenigen, die den Himmel der Erde näherbringen wollten. Sehr selten begegnete man einer dritten Art, auf die beides zutraf.“ S. 261 Und schließt letztlich aus seinen Erfahrungen „Wir sollten Kuppeln bauen, die den Menschen zeigen, dass es einen Gott gibt, und dass Er keine Gott der Sünde und der Hölle ist, sondern ein Gott der Liebe und Barmherzigkeit.“ S. 535

Trotz der wunderschönen Geschichte, ihrer bestechenden Üppigkeit und der grandiosen Fabulierkunst Shafaks fehlte mir hier der klarere Zugang von zum Beispiel „Der Geruch des Paradieses“ zum Kern der Geschichte, obgleich die Autorin auch dort mehrere Deutungen zulässt.

„Der Mittelpunkt des Universums lag weder im Osten noch im Westen, sondern dort, wo ein Mensch sich der Liebe ergab.“ S. 574