Profilbild von Svanvithe

Svanvithe

Lesejury Star
offline

Svanvithe ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Svanvithe über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 11.01.2018

Wiedersehen in Dorset

Wiedersehen in Dorset
0

1939 wird die dreizehnjährige Poppy Brown aus London evakuiert und aufs Land nach Dorset geschickt. Sie ist eine von drei Millionen Menschen, die während des zweiten Weltkrieges die Hauptstadt und anderen ...

1939 wird die dreizehnjährige Poppy Brown aus London evakuiert und aufs Land nach Dorset geschickt. Sie ist eine von drei Millionen Menschen, die während des zweiten Weltkrieges die Hauptstadt und anderen Großstädten verlassen, um den Bombardierungen zu entgehen, und findet Aufnahme auf Squire's Knapp, dem großen Anwesen der wohlhabenden Familie Caroll.

Poppy teilt nun das Los vieler anderer Kinder: Allein und weit weg von ihren Eltern, mit nur wenig Hab und Gut, leidet sie unter der Trennung und weiß nicht, ob sie ihre Familie im Londoner Stadtteil West Ham jemals wieder sieht. Sie ist verängstigt, und die Bewohner des Hauses, insbesondere die unterkühlte Mrs. Carroll, machen das Leben nicht unbedingt leichter für sie.

Einer der Lichtblicke ist jedoch Guy Carroll. Poppy schwärmt von Anfang an hingebungsvoll für ihn, wenngleich er für sie unerreichbar scheint. Denn da ist zum einen seine Herkunft, zum anderen Amy, Guys Verlobte. Ungeachtet der Umstände nimmt diese Poppy unter ihre Fittiche und wird zu ihrer Verbündeten. Poppy hängt an ihr und hebt sie auf ein Podest. Umso größer ist ihre Enttäuschung, als Amy, die Person, die sie immer für einen Engel gehalten hat, vor der drohenden Gefahr außer Landes flieht und damit Guy ebenfalls im Stich lässt, der in den Krieg zieht.

Auch Poppy muss nach London zurückkehren, weil sie dort gebraucht wird. Während die Jahre vergehen, der Krieg kein Ende zu nehmen scheint, wächst sie zu einer hübschen jungen Frau heran, die sich neuen Herausforderungen stellt und an ihrem Ziel arbeitet, Krankenschwester zu werden.

Was hält das Schicksal noch für sie bereit, und wird sie Guy eines Tages wiedersehen?

Lily Baxter hat sich bei Poppys Geschichte in "Wiedersehen in Dorset" von den Erlebnissen ihrer eigenen Mutter inspirieren lassen, die das Los jener Kinder teilte, die wegen der Bombardierungen fernab ihrer Familie aufs Land geschickt wurden. Es ist zu spüren, dass die Autorin daneben zudem eigene Kindheitserinnerungen in die Handlung einfließen lassen hat. Diese liest sich mit Leichtigkeit, der Schreibstil fordert den Leser aber auch nicht. Das eine oder andere Mal fehlt es zudem an Ausdruckskraft, und mit Hinweis auf die Übersetzung ist es eher fraglich, ob ein Wort wie „schnieke“ im Englischen Verwendung findet.

Zwar wartet das Geschehen mit ein paar Wendungen auf, ist hingegen im Ganzen nicht überraschend. Vielmehr überfrachtet Lily Baxter das Schicksal von Poppy und driftet dadurch - wenn auch nur im geringen Maße - ins Sentimentale ab. Etwas weniger Dramatik wäre hier von Vorteil gewesen.

Auflockernd für den Erzählfluss ist das Auftauchen bestimmter Produkte der damaligen Zeit. So gibt es unter anderem Pralinen von Rowntree's und Cadbury's Nussschokolade, Brylcreem-Pomade und Gibbs-Zahnpasta, es werden Woodbines und Kensitas-Zigaretten geraucht und „Run, Rabbit, Run“, „Any Old Iron“ und „Knees up Mother Brown“ gehört.

Hinsichtlich der Figuren hat die Autorin ein Augenmerk auf ihre Hauptfigur gelegt. Im Wesentlichen gelingt es der Autorin gut und in einem soliden Rahmen, Poppys Entwicklung vom unsicheren und zurückhaltenden 13-jährigen Mädchen aus der Arbeiterklasse zur selbstbewussten jungen Krankenschwester im historischen Kontext der Kriegsjahre darzustellen sowie ihre charakterlichen Eigenschaften deutlich zu machen. Gleichfalls überzeugt sie mit der Beschreibung der Empfindungen ihrer Protagonistin.

Poppy hat das Herz am rechten Fleck. Da sie aus ihrem vertrauten Umfeld herausgerissen wird, ist sie zunächst verunsichert, zumal sie, die eigentlich immer viel Trubel um sich hatte, nunmehr allein und sowohl ohne Familie als auch Freunde dasteht und sich behaupten muss. Dies ist von Erfolg gekrönt, so dass Poppy mehr und mehr Verantwortung übernimmt, ihre positiven Züge wie Großherzigkeit und Hilfsbereitschaft verstärken sich. Auch verliert sie nie die Freude an den einfachen Dingen.

Die Liebesgeschichte wird angenehm zurückgenommen erzählt. So spielt auch der Part von Guy eine kleinere Rolle, füllt diese aber entsprechend den Vorgaben aus. Gleichwohl entspricht das Bild von Guy dem eines britisch unaufgeregten jungen Mannes seiner Kreise, der geradlinig und ehrenhaft handelt, seine Pflicht gegenüber dem Vaterland erfüllt.

Daneben fügen sich die Nebenfiguren mehr oder weniger intensiv ein und beleben das Geschehen.

Die Geschichte unterhält mit einem manierlichen Plot, der im Ansatz, das Schicksal einer jungen Frau in Kriegszeiten zu schildern, durchaus positiv zu werten ist. Allerdings vermag sie es letzten Endes nicht, den Leser durchgängig zu begeistern und so nachdrücklich in Erinnerung zu bleiben.

Veröffentlicht am 31.12.2017

Mit Sehnsucht verfeinert - mit Herz erzählt

Taste of Love - Mit Sehnsucht verfeinert
0

Auch mit ihrem vierten Band ihrer Reihe „Taste of Love“ vermag es Poppy J. Anderson, uns mit einer lebendigen und mitreißenden Geschichte zu unterhalten. Wir treffen dabei in dezentem Maße alte Bekannte ...

Auch mit ihrem vierten Band ihrer Reihe „Taste of Love“ vermag es Poppy J. Anderson, uns mit einer lebendigen und mitreißenden Geschichte zu unterhalten. Wir treffen dabei in dezentem Maße alte Bekannte und werden recht schnell mit den neuen Helden vertraut. Der Autorin ist es gelungen, sympathische Charaktere zu entwickeln, mit denen wir auf Tuchfühlung gehen können.

Hailey und Scott.

Einst ein Traumpaar, sehr verliebt, kurz vor der Hochzeit, himmelhochjauchzend glücklich. Doch dann geschieht etwas, Hailey trennt sich, verlässt Boston und jettet durchs Land und um die Welt.

Nun ist sie zurück, selbstbewusste Souschefin im Bonfire, fokussiert auf ihre Arbeit. Stress und Hektik, die in einer Restaurantküche an der Tagesordnung sind, belasten sie in keinster Weise. Schließlich hat sie ein hohes Ziel: eines Tages will sie Küchenchefin sein. Ihr Ehrgeiz, ihre Ambitionen und Durchsetzungskraft sprühen aus jeder Pore ihres Körpers. Sie macht es sich nicht leicht, obwohl sie es könnte. Schließlich ist ihr Vater Bill vermögend. Nein, Hailey ist versessen darauf, ihren Weg ohne – zumindest finanzielle – Unterstützung zu gehen.

Daneben zeigt sich Scott zunächst als schwer einschätzbar. Was vor allem daran liegt, dass wir ihn aus Hailey Sicht erleben. Und die scheint äußerst getrübt zu sein. Als sie auf der Eröffnungsparty des Bonfire nach drei Jahren wieder treffen, empfindet Hailey Scotts Lächeln als aufgesetzt und stellt fest, dass seinen Augen der humorvolle Schimmer von früher fehlt. Er wirkt auf Hailey härter, ernster, geschäftsmäßiger, ja emotionslos und kalt. Doch schnell wird deutlich, dass Hailey sich ein falsches Bild zurechtgelegt hat. Ist das möglicherweise ein Entschuldigungsversuch für das, was drei Jahre zuvor geschehen ist?

Denn tatsächlich ist Scott witzig, cool und hartnäckig – hierbei jedoch rücksichtsvoll. Vielleicht hat er sich früher einiges (besonders von Hailey) gefallen lassen. Das ist vorbei, inzwischen ist er fähig, sich durchzusetzen. Und ihr damit ungemein ähnlich.

Unverkennbar ist, dass beide noch Gefühle füreinander haben und aufeinander „abfahren“. Scott sieht in Hailey immer noch die Frau seines Lebens, hat es nie aufgegeben, daran zu glauben, dass sie eines Tages zu ihm und einer gemeinsamen Zukunft zurückkehrt, ist bereit, um sie zu kämpfen. Aber hier haben wir den Knackpunkt des Ganzen: Hailey ist stur und kein Mensch, der zu Kompromissen neigt, wenn sie meint, verletzt worden zu kein. Ihr fällt es schwer, jemandem zu verzeihen.

Nur gibt es etwas zu verzeihen, und wenn ja, wird es den beiden gelingen?

Poppy J. Anderson schreibt mit Enthusiasmus und Emotionalität und versprüht einen wunderbaren Humor, der sich allerdings nicht durchgängig durch die Handlung zieht. Denn „Mit Sehnsucht verfeinert“ liest sich teilweise angespannter als seine Vorgänger, was darin begründet ist, dass das thematisierte Geschehen, von dem wir nach und nach in Rückblenden erfahren, mit einem gewissen Grad an Ernsthaftigkeit versehen wurde. Das ist gut, und es verleiht der (Liebes)Geschichte einen besonderen Reiz. Und wenngleich es nur ein Ende für Hailey und Scott geben KANN, kommt dieses überraschend schnell und wirkt leider etwas kurz abgehandelt.

Unabhängig davon hat die Autorin ein Händchen für ihre Protagonisten. Es ist wohltuend erfrischend, auf welche Weise sie deren Gefühlswelt schildert und darstellt, dass diese normal und durchaus fehlerhaft sind und sich ihren Platz im Leben suchen. Nicht allein das im Mittelpunkt stehende Pärchen profitiert davon, auch die Nebenrollen wie beispielsweise Haileys Vater Bill machen die Geschichte rund.

Poppy J. Andersons „Mit Sehnsucht verfeinert“ ist mit Herz erzählt und verzaubert den Alltag.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Charaktere
  • Humor
  • Gefühl
  • Lesespaß
Veröffentlicht am 29.12.2017

Der gefährlichste Ort der Welt

Der gefährlichste Ort der Welt
0

Wo befindet sich „Der Gefährlichste Ort der Welt“?

Auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage, führt uns Lindsey Lee Johnson mit ihrem Debütroman an eine Mittelschule in Mill Valley im sonnigen ...

Wo befindet sich „Der Gefährlichste Ort der Welt“?

Auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage, führt uns Lindsey Lee Johnson mit ihrem Debütroman an eine Mittelschule in Mill Valley im sonnigen Kalifornien nahe San Francisco, an der ganz normale Schüler lernen. Oder etwa nicht?

Schauen wir auf die Achtklässler. Einer ragt auf jeden Fall heraus aus diesem Verbund der 13-Jährigen: Tristan Bloch – unbeholfen und seltsam, blass und allein durch seine übergroßen Jogginghosen außergewöhnlich – macht den schwerwiegenden Fehler, „sein Herz in die Welt hinauszuschicken“ und seiner Klassenkameradin Cally Broderick einen von Grund auf ehrlichen Liebesbrief zu schreiben. „Liebe Calista, du denkst wahrscheinlich nicht, dass dich hier in der Schule jemand sieht, aber ich sehe dich. Dich richtig sieht, meine ich… Calista, ich liebe dich, glaubst du, du könntest mich auch lieben?" (Seite 30)

Calista, unsicher und unangenehm berührt ob dieser unerwarteten Zurschaustellung von Gefühlen setzt eine Maschinerie in Gang, von der sie letzten Ende mitgeschleift wird. Sie zeigt den Brief ihrer Freundin Abigail Cress, die ihn an Ryan Harbinger weiterreicht. Der veröffentlicht ihn im Netz auf Facebook, und eine bösartige Anti-Tristan-Kampagne beginnt. Die Folgen sind verheerend: Tristan, der sich am liebsten in seinem Zimmer verkriechen möchte, weil er sich dort vor den Anfeindungen und Gehässigkeiten seiner Mitschüler sicher glaubt, hält dem Druck nicht stand und springt von der Golden Gate Bridge in den Tod.

Und nun müssen Cally und ihre (vermeintlichen) Freunde im Verlauf der Zeit mit dem Geschehen zurechtkommen. Die Autorin belässt es nicht dabei, das Dasein einiger Teenager in der achten Klasse zu beleuchten. Vielmehr spannt sie den Bogen weiter über die elfte bis hin zur zwölften Klasse und beschreibt aus der jeweiligen Perspektive des Einzelnen die Auswirkungen, die Tristans Tod auf denjenigen und alle anderen hat. Hierbei bleibt die bedrückende Erinnerung allgegenwärtig, wenn die Jugendlichen versuchen, einen Weg, einen Sinn, eine Zukunft zu finden, während sie sich an ihren Platz in der sozialen Ordnung klammern und alles tun, was sie können, um zu überleben.

Doch wenn man aus einen Ort wie Mill Valley stammt, ist das Entkommen (fast) unmöglich.

"Dieser Ort war so speziell, in seiner Schönheit und seinen Beschränkungen, dass kein anderer Ort ihnen wirklich stimmig erscheinen würde. Sie konnten nicht vergessen, dass diese Welt für sie geschaffen worden war, dass sie in dieses perfekte Nest hineingeboren worden waren, und trotzdem hatten sie darauf bestanden, unglücklich zu sein. Hatten auf dem Dunkel beharrt." (Seite 295)

Lindsey Lee Johnson fängt überzeugend das Innenleben ihrer Protagonisten ein. Ihre Charaktere sind sorgfältig und tiefgründig gezeichnet, widersprüchlich in dem, was sie tun, unberechenbar und gleichzeitig auch berechenbar. Denn sie wollen zwar anerkannt und verstanden werden, dem Alltag entfliehen, allerdings auch unauffällig sein, nicht aus der Masse herausragen.

Es sind Jugendliche, denen es gut geht, die sich alles leisten können, deren soziales Umfeld stimmt. Im noblen Mill Valley herrscht eine Welt des Überflusses und materiellen Wohlstandes, es fehlt an nichts. Und doch hat diese Pracht einen Haken: Zumindest einigen Jugendlichen mangelt es an Ethik und Moral, weil sie ihnen nicht vermittelt wird. Denn von ihnen wird zwar einiges erwartet, was mitunter schon an Überforderung grenzt, jedoch Hilfestellungen und Unterstützung durch die Eltern erfahren sie nur im geringen Maße, gar nicht, oder sie lehnen sie ab. Weil die Eltern in vielen Fällen entweder abwesend oder von ihrer Arbeit vereinnahmt und abgelenkt sind, entsteht zur körperlichen auch eine emotionale Trennung. Und das Schlimmste, dies ist den Jugendlichen bewusst.

Glück sieht jedenfalls anders aus.

Zum Beispiel für Ryan, dessen Mutter all das überwacht, was er tut, einschließlich seiner Hausaufgaben, die zudem ständig mit den Lehrern redet und ihm keinerlei Freiräume zu lassen scheint, darüber hinaus aber überhaupt keine Ahnung von dem hat, was ihm durch den Kopf schwirrt, von der Wut in seinem Herzen, von der Sehnsucht nach weiß der Himmel was. Im Grunde also ist er einsam, sensibel, was seine Handlung – er setzt den Brief von Tristan ins Netz – umso schockierend erscheinen lässt.

Oder Abigail, mit Selbstzweifeln behaftete und verschlossene Einser-Schülerin, sie lässt sich auf eine Affaire mit ihrem Englischlehrer ein, weil er sie durch Fragen dazu bringt, sich zu öffnen, und sich so sanft Zugang zu ihr verschafft.

Nick, der einerseits dealt, andererseits auf Grund seiner Intelligenz in der Lage ist, anstelle seiner Mitschüler Tests für die Zulassung zum College zu absolvieren, die er sich teuer bezahlen lässt. Unter anderem von Dave, der selbst unter dem Gewicht der elterlichen Erwartung zusammenzubrechen droht und trotz Verbot, seine Ersparnisse für die „Hilfe“ von Nick aufwendet.

Elisabeth, von erlesener Schönheit, aber gemieden, weil sie als eingebildet und unerreichbar gilt und sich außerhalb des komplexen sozialen Gefüges befindet und keinerlei Drang verspürt, sich darin einen Platz zu verschaffen, lässt sich von Nick überreden, im Haus ihrer Eltern eine Party zu feiern, die letztlich aus dem Ruder läuft und in einem Desaster endet.

Im Besonderen für Emma, beliebt, hinreißend, bezaubernd, amüsant. Durch einen Autounfall dermaßen verletzt wird ihr Traum vom Tanzen zerstört. Allerdings endet ihr Schmerz damit nicht.

Und letzten Endes Calista, voller Schuldgefühle wendet sie sich den schulischen Hippies, einer sozialen Randgruppe, zu.

Lindsey Lee Johnson schreibt ungezwungen, leicht verständlich, offensiv und fließend. Sie findet den passenden Ton, um (nicht nur) den jugendlichen Leser zu unterhalten und zu fordern, bleibt beim Wesentlichen und findet geschickt die Mischung, eine deutliche Stellung gegen die Handlungen ihrer Protagonisten einzunehmen, sich hierbei zugleich einer eigenen Wertung zu enthalten. Sie erlaubt einen Blick hinter die Kulissen, überlässt es aber dem Leser, das Geschehen einzuschätzen und zu beurteilen.

Eines wird wieder einmal deutlich: „Der gefährlichste Ort der Welt“ ist weniger ein wahrnehmbarer Raum wie die Mittelschule in Mill Valley, sondern vielmehr der virtuelle Raum des Internets, in dem das öffentliche Beschämen, Demütigen, Beschimpfen, Verleumden eine für die Jugendlichen akzeptable Art und Weise der Kommunikation ist, während sie sich scheinbar zur Ehrlichkeit und aufrichtigen Freundschaft nicht in der Lage sehen, um von den eigenen individuellen Ängsten, Hoffnungen und Wünsche abzulenken. Wie gleichermaßen traurig und erschütternd!

Nur Tristan hat dies nicht begriffen: Einen Brief zu schreiben, von Liebe zu sprechen, aufrichtig, ohne zu beschönigen. Wie konnte er nur so blind, ja so furchtlos sein?

Veröffentlicht am 20.11.2017

Das Echo der Zeit

In einem anderen Licht
0

Vor zwei Jahren verändert ein Querschläger aus der Kalaschnikow eines Dschihad-Kämpfers das Leben von Miriam. Er trifft nicht sie, sondern ihren Mann Gregor, zweiundvierzig Jahre alt, Fotojournalist aus ...

Vor zwei Jahren verändert ein Querschläger aus der Kalaschnikow eines Dschihad-Kämpfers das Leben von Miriam. Er trifft nicht sie, sondern ihren Mann Gregor, zweiundvierzig Jahre alt, Fotojournalist aus Hamburg, kriegserfahren und trotzdem nicht gleichgültig. Mitten ins Herz. Es ist ein irrwitziger Zufall, Gregor ist einmal am falschen Ort zur falschen Zeit.

Seitdem begleitet Miriam die Trauer. Wie ein Rabe sitzt sie in ihrer Brust und regiert sie, mal zurückhaltend und mahnend, mal fordernd und laut, aber immer ist sie da. Dank der Liebe zu ihrem Sohn Max und einer Therapie hat sie zumindest die Kraft gefunden, weiterzuleben und wieder zu arbeiten. Miriam ist ebenfalls Journalistin, hat inzwischen das Ressort gewechselt. Für ihre Frauenzeitschrift recherchiert Miriam in Vorbereitung der Verleihung eines Preises für Zivilcourage die Lebensgeschichte von deren Stifterin Dorothea Sartorius. Dies gestaltet sich schwierig, denn Dorothea lebt sehr zurückgezogen. Als es dann zu einem Treffen kommt, thematisiert Miriam auch die anonymen Aufforderungen „Fragen Sie Dorothea nach Marguerite“, die sie erhalten hat. Dorothea reagiert verhalten, weist Miriam jedoch einen Weg.

Während eines Aufenthaltes an der Schlei – Miriam hat für sich und Max einen Kurs gebucht, bei dem sie das Drachenbauen erlernen können – stößt sie auf Spuren, die nochmals jene Zeit des RAF- Terrorismus des Jahres 1972 auf den Plan rufen.

Doch was hat die integre Wohltäterin Dorothea Sartorius damit tun?

Miriam bietet sich die Gelegenheit, in die Vergangenheit zurückzugehen – sie lernt die Briefeschreiberin Elisabeth kennen, eine alte Frau, die in einem Kloster lebt und die Härte, Kompromisslosigkeit und Hass umgibt. Miriam nimmt Gegenwärtiges wahr. Denn da ist Bo, der Gaukler, der Drachenbauer, der nicht nur für Max zur Vaterfigur wird, sondern bei dem sich auch Miriam wohlfühlt. Sie muss also Zukünftiges bedenken, eine Balance finden, zwischen allem abzuwägen.

„Mensch sein… Gerade stehen, sich nicht einschüchtern lassen, auch wenn es unbequem ist. Fragen stellen, neue Antworten finden, sich öffnen, auch für das Fremde, das Andere...“, lässt Katrin Burseg Dorothea Sartorius auf die Frage von Miriam, was denn für sie Zivilcourage bedeute, antworten. Und nicht nur Miriam möchte ihr glauben, dass sie genau die unzweifelhafte Mäzenin ist, für die sie alle halten.

Katrin Burseg erzählt „In einem anderen Licht“ davon, dass einen die Vergangenheit – so verdrängt sie auch ist – eines Tages wieder einholen kann, dass eine Abrechnung immer möglich ist. Es ist eine Geschichte, die nach Wahrheit fragt. Nach Wahrhaftigkeit. Die ein Bild von Liebe zeichnet, sich mit Hass auseinandersetzt und mit Freundschaft und Verrat, sich jedoch mit einer Wertung für Richtig oder Falsch zurückhält.

Burseg schreibt stringent und glaubhaft, überzeugt mit einem Maß an Weisheit. Sie ist äußerst authentisch und feinsinnig in ihrem Erzählton. Besonders die Trauer von Miriam ist sehr anschaulich. Durch die Manifestierung in einem inneren Raben wird sie für den Leser greif- und spürbar. Hierbei wahrt die Autorin den Rahmen, die Gefühlswelt von Miriam, vor allem ihre Melancholie, ihre ständigen Zweifel werden stimmig geschildert, ohne jemals Sentimentale abzugleiten.

An Miriams Seite sind es vor allem Frauen, die die Autorin in den Mittelpunkt rückt. Und obwohl die männlichen Figuren eher in der zweiten Reihe agieren, fügen sie sich harmonisch in die Handlung ein und runden diese ab.

So ist "In einem anderen Licht" einerseits ein leises Buch, andererseits eines, das etwas zu sagen hat und darum gelesen werden sollte.

Veröffentlicht am 03.11.2017

Begegnungen

Slawa und seine Frauen
0

In „Slawa und seine Frauen“ erzählt Felix Stephan eine wahre Geschichte. Eine über seinen Großvater Slawa. Und irgendwie auch über seine Mutter, dessen Tochter. Denn die findet als Fünfzehnjährige heraus, ...

In „Slawa und seine Frauen“ erzählt Felix Stephan eine wahre Geschichte. Eine über seinen Großvater Slawa. Und irgendwie auch über seine Mutter, dessen Tochter. Denn die findet als Fünfzehnjährige heraus, dass der Mann ihrer Mutter nicht ihr leiblicher Vater ist. Vielmehr stammt sie aus einer Beziehung zu eben jenem Slawa, Wjatscheslaw Falbusch, einem ukrainischen Juden, der ein charakterloser Mann gewesen sein soll und sich – angeblich – nicht eine Sekunde um seine Tochter bemüht habe.

Es dauert unter anderem aus diesem Grund (ein weiterer ist, dass Mutter und Tochter in ihrem ganzen Leben kein persönliches Gespräch geführt haben, was unverzichtbar ist, wenn man mehr über den tatsächlichen Vater herausfinden will) noch einige Jahrzehnte, bis Stephans Mutter auf die Idee kommt, ihren Vater ausfindig zu machen. Das Schicksal will es, dass sie ihren Vater wirklich findet, allerdings lebt er nicht mehr. Doch da sind noch seine ukrainische Witwe Olga und die Halbgeschwister Ljuda und Sanja, und wie es scheint, ist die verlorene deutsche Tochter herzlich willkommen. Einer Reise in die Ukraine steht nichts mehr im Wege...

Felix Stephan weiß, seine Leser zu unterhalten, er ist ein geübter Schreiber. Schließlich verdient er als Kulturjournalist sein Geld vor allem damit, seine Meinung über Bücher oder Filme zu Papier zu bringen. Nun steht er auf der anderen Seite.

Der Titel ist etwas weit hergeholt, denn so viel Frauen gibt es in Slawas Leben gar nicht, und eine Beschreibung der Beziehungen steht auch nicht unmittelbar im Vordergrund. Vielmehr schildert Felix Stephan seine ganz persönlichen Eindrücke als Begleiter seiner Mutter auf drei Reisen (zwei in die Ukraine, eine nach Israel).

Obwohl er sich dabei stilistisch nahe der Realität hält, sind seine Wahrnehmungen folgerichtig nicht neutral, sondern von seiner eigener Anschauung und Wertung geprägt. So gelingt es ihm mühelos, die Gegensätze zwischen einem Deutschland des Wohlstandes und der Ukraine mit zu großen Teilen vorhandenen sozialen Elends darzustellen. Begegnungen mit Menschen, ihre Fähigkeit, sich den Gegebenheiten anzupassen und sich trotz ihrer Sorgen und Nöte ihre Herzlichkeit zu bewahren oder sich ein schöneres Bild von einer nicht so vollkommenen Vergangenheit zu machen, rufen beim Autor einen gewissen Grad an Skepsis oder Verwunderung hervor.

Seine Darstellung spickt Felix Stephan mit Ironie und Humor, die im Verlaufe des Geschehens etwas verloren gehen, wodurch sie an Frische und Schwung verliert und den Leser nicht mehr genug „mitnimmt“. Daneben bleibt die eigentliche Hauptperson teilweise auf der Strecke, weil über Slawa in einem eher geringen Maße berichtet wird.

„Wir erforschten weniger das Leben von Slawa als die Geschichte, die Olga von ihrem Mann erzählen wollte. Wir waren in einem Slawa-Falbusch-Erlebnispark unterwegs, den Olga entworfen hatte.“ (Seite 172)

Und am Ende ist der Leser ebenfalls unschlüssig: Vielleicht war Slawa Falbuschs Leben ein verzweifeltes oder ein zweifelndes. Ob es ein zweifelhaftes war, mag dahingestellt sein.