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Veröffentlicht am 08.12.2022

Turbulente Zeiten

Labyrinth der Freiheit
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Wir treffen in diesem 3. Band der Wege-der-Zeit Reihe die drei loyalen Freunde wieder - Carl, Artur und Isi - die wir schon seit ihrer Jugendzeit begleiten dürfen, damals in Thorn/Westpreußen. Sie haben ...

Wir treffen in diesem 3. Band der Wege-der-Zeit Reihe die drei loyalen Freunde wieder - Carl, Artur und Isi - die wir schon seit ihrer Jugendzeit begleiten dürfen, damals in Thorn/Westpreußen. Sie haben den Krieg mehr oder weniger gut überstanden und leben weiterhin in Berlin. Sie stehen fest zusammen und nichts scheint ihre Freundschaft erschüttern zu können, obwohl die Zeiten hart sind.
Direkt zu Beginn des Buches entgehen die Drei nur knapp einem Mordanschlag, wobei Isi besonders hart getroffen wird, da sie ihr ungeborenes Kind verliert. Artur setzt alles daran, die Täter ausfindig zu machen und zur Rechenschaft zu ziehen. Schon bald ist klar, dass eine rechte Gruppierung dahinter steht, die Jagd auf die Verantwortlichen geht los, und die Freunde müssen so manche heikle Situation durchleben, denn die 20er Jahre waren alles andere als golden.
Zumindest politisch gesehen baut sich allerhand Bedrohliches auf. Es sind eher düstere Zeiten, besonders in wirtschaftlicher Hinsicht: die Inflation nimmt enorme Ausmaße an, überall herrschen Armut und Angst. Sehr gut gefallen hat mir, dass ich soviel Hintergrundinformationen zur Zeit nach dem ersten Weltkrieg bekommen habe, die Weimarer Republik und ihre turbulenten Zeiten. Der Autor hat intensiv recherchiert und hier ein Bild zusammengefügt, das den Leser die Atmosphäre der Unsicherheit der damaligen Zeit spüren lässt. Das hat mich sehr beeindruckt.
Auch die Darstellung der drei Hauptpersonen ist sehr gelungen, in all ihren Schattierungen. Wir lernen Isi von einer ganz anderen Seite kennen, als sie in ausweglose Trauer abdriftet, wir treffen Carl als rücksichtslosen Mann, der andere Menschen zu seinen Zwecken ausnutzt und Artur, der sonst nur hemmungslos um sich schlägt, entpuppt sich als feinfühlig und verletzlich.
Von Anfang an hat das Buch mich wieder sehr angesprochen, und ich war schnell versunken im Berliner Alltagsgeschehen mit seiner aufgewühlten Atmosphäre. Der flüssige Schreibstil sorgt für beste und kurzweilige Unterhaltung. Auch der Humor kommt nicht zu kurz (z.B. die vielen Küsse von Alma, oh nein!). Großartige, detailreiche Beschreibungen, liebevoll skizzierte Figuren, historischer Hintergrund und eine große Bandbreite von Gefühlen sind die Hauptzutaten für einen aufwühlenden Roman, den ich uneingeschränkt empfehlen kann und der die volle Sternchenzahl verdient hat. Man wünscht sich, dass man die drei Freunde nochmal wieder trifft und es einen vierten Band gibt....

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Veröffentlicht am 28.11.2022

Wo sind die Grenzen der Schuld?

Als die Welt zerbrach
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Den ersten Teil 'Der Junge im gestreiften Pyjama' fand ich sehr ergreifend, habe den Film dazu mehrere Male geschaut und mich immer wieder gefragt, was wohl mit den Hauptcharakteren nach Kriegsende geschah ...

Den ersten Teil 'Der Junge im gestreiften Pyjama' fand ich sehr ergreifend, habe den Film dazu mehrere Male geschaut und mich immer wieder gefragt, was wohl mit den Hauptcharakteren nach Kriegsende geschah (natürlich mit Ausnahme von Bruno). Als ich gelesen habe, dass es eine Fortsetzung gibt, war ich sehr gespannt und wurde nicht enttäuscht. Das Buch ist sehr ergreifend und beschäftigt den Leser auch über die Lektüre hinaus.
Brunos Schwester Gretel ist mittlerweile über 90 Jahre alt, verwitwet, lebt alleine in London, hat sporadischen Kontakt zu ihrem Sohn und ein paar anderen Bekannten. Natürlich hat sie nie die dramatischen Ereignisse von damals vergessen können, ganz im Gegenteil haben sie ihr ganzes Leben geprägt. Vor allem empfindet sie tiefe Schuldgefühle, sie kann sich nicht davon befreien, ihr ganzes Leben wird davon durchtränkt und verhindert entspanntes Glücklichsein. "Schuld schlich sich in jeden glücklichen Moment und flüsterte einem ins Ohr, dass man kein Recht auf dieses Glück habe" (S. 139).
Sehr geschickt wechselt der Autor immer wieder die Perspektive zwischen heute und der Vergangenheit, wobei wir nach und nach immer mehr über Gretels Leben erfahren. Dieses Leben war geprägt von Einsamkeit und tiefen Schuldgefühlen. Sie hat zwar immer einzelne Menschen an ihrer Seite, aber nur ganz wenigen gegenüber öffnet sie sich , um ihr Gewissen zu erleichtern und sich zu erklären. Sogar das Verhältnis zu ihrem Sohn ist distanziert, sie kann keine Nähe zu ihrem Kind entwickeln, denn immer ist die Erinnerung an Brunos dramatisches Lebensende präsent und an die furchtbaren Geschehnisse überhaupt. Gretel versucht zu vergessen, aber die Schuldzuweisung an sich selbst ist zu dominant.
Das Buch ist sehr spannend geschrieben, fesselnder als so mancher Krimi. Besonders wenn sich die Lage wieder mal zuspitzt, hält man die Luft an. Auch in Lesepausen beschäftigte mich der Inhalt. Am liebsten hätte ich das Buch nicht aus der Hand gelegt, der zweite Band ist eine gleichwertige Fortsetzung des Vorgängers.
Meine Meinung über Gretel ist zwiegespalten, wobei mir die ältere Gretel deutlich sympathischer ist. Als junge Frau wirkt sie neben ihren Selbstvorwürfen irgendwie selbstverliebt und fordernd, während sie als ältere Frau zwar immer noch dominant ist, aber ein selbstbestimmtes Leben führt.
Das Buch hat mich tief beeindruckt, seine Spuren hinterlassen und verdient zweifellos fünf Sterne.

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Veröffentlicht am 06.11.2022

Maske der Gleichgültigkeit

Café Leben
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Henrietta Lockwood, 32 Jahre alt, lebt nach starren Regeln und scheut Kontakte. Nur ihre Eltern zählen zu ihren festen Kontakten, aber auch dieses Verhältnis ist unterkühlt und wirkt erzwungen. Sie hat ...

Henrietta Lockwood, 32 Jahre alt, lebt nach starren Regeln und scheut Kontakte. Nur ihre Eltern zählen zu ihren festen Kontakten, aber auch dieses Verhältnis ist unterkühlt und wirkt erzwungen. Sie hat ihren Job verloren, da sie anderen Menschen gegenüber empathielos ist und sich auch so verhält. Ihr einziger Freund ist ihr Hund Dave, der auch ein Außenseiter ist, da Henrietta ihn als unverträglich deklariert und mit ihm nur ihre eigenen Wege geht.
Nun hat Henrietta einen neuen Job bei einer palliativen Krebsambulanz gefunden, sie soll die Lebensgeschichten todgeweihter Menschen aufschreiben, damit diese etwas für ihre Nachwelt hinterlassen. Hier kommt nun die zweite Hauptprotagonistin zum Zug, denn Annie Doyle hat nur noch ein paar Wochen zu leben. Sie hatte ein schweres Leben, keine Kinder und möchte ihren Freunden ihre Geschichte präsentieren, die von zwei besonders schweren Schicksalsschlägen geprägt ist. Annies Schwester, mit der sie sich sehr gut verstand, verschwand spurlos und galt als im Kanal ertrunken. Die zweite Katastrophe war ihre Ehe mit einem Mann, der sie ständig schikanierte und sie als sein Eigentum betrachtete. Sie schaffte es nicht, sich von ihm zu lösen, bis das Schicksal sie durch einen Unfall von ihrem Peiniger befreite.
Durch die Auseinandersetzung mit Annies Leben kommen sich die beiden Frauen näher und Henrietta erkennt Parallelen zu ihrem eigenen Leben. Genau wie Annie hat sie einen Verlust erlitten, der ihr Leben geprägt hat. Ganz allmählich freunden sich die beiden Frauen an, doch die Deadline kommt bedrohlich näher. Und so erfahren wir als Leser nach und nach die Lebensgeschichte der beiden Frauen und sehen, was sie geprägt hat.
Und ganz allmählich legt Henrietta ihre Maske der Empathielosigkeit ab und empfindet Spuren von Liebe. Das klingt erstmal kitschig, aber das ist es nicht, man kann regelrecht spüren, wie sie anfängt, sich Sorgen zu machen und Interesse am Wohlergehen von Annie zu zeigen. Henrietta kann zum ersten Mal nach 23 Jahren weinen, was mich sehr berührt hat und was ich gut nachempfinden konnte.
Ich fand das Buch sehr spannend, obwohl es kein Krimi ist, denn die Lebenswege, die sich immer mehr füllten, sorgten für Interesse und Neugier. Teilweise haben die Ereignisse mich so berührt, dass ich in Gedanken noch lange damit beschäftigt war.
Bleibt noch zu sagen, dass ich den Schreibstil der Autorin sehr flüssig fand und mich im Café Leben wohlgefühlt habe. Die Autorin konnte die jeweilige Atmosphäre sehr gut einfangen und hat mit diesem Buch ein überzeugendes Erstlingswerk präsentiert.

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Veröffentlicht am 24.10.2022

Zu den Wurzeln der Wut

Verbrenn all meine Briefe
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Alex Schulmans 'Die Überlebenden' ist mir in sehr guter Erinnerung geblieben, denn es geht darin um traumatisierende Kindheitserlebnisse. Deshalb war ich sehr gespannt auf den Nachfolgeband und wurde nicht ...

Alex Schulmans 'Die Überlebenden' ist mir in sehr guter Erinnerung geblieben, denn es geht darin um traumatisierende Kindheitserlebnisse. Deshalb war ich sehr gespannt auf den Nachfolgeband und wurde nicht enttäuscht.
Auch hier geht es um das familiäre Miteinander. Alex realisiert, dass seine Familie (seine Frau und seine Kinder) bisweilen Angst vor ihm hat. Dies beunruhigt ihn, denn er ist davon überzeugt, dass er eine Wut in sich trägt, die wegen unerheblichen Anlässen plötzlich ausbricht. Woher kommt diese Wut?
Nachdem er gemeinsam mit einer Psychologin festgestellt hat, dass familiäre Disharmonien sich besonders häufig in der Familie mütterlicherseits befinden, beschließt er, dem Phänomen auf den Grund zu gehen. Er befürchtet, dass diese innerlich festgelegte Wut sonst auch im Verhalten seiner Kinder Fuß fasst. Also beginnt er mit Recherchen und fokussiert diese auf seinen Großvater Sven Stolpe, der ein erfolgreicher Schriftsteller war und in seinen Werken viel Persönliches einfließen ließ.
Der Roman beinhaltet drei Handlungsstränge. Zunächst die Gegenwart, in der sich Alex der Gefahr bewusst wird und handelt.
Sehr signifikant ist das Jahr 1932, denn da lernt seine Oma Karin, die bereits mit Sven verheiratet ist, ihre große Liebe kennen und lässt sich darauf ein. Aber ihre Ehe ist ein Gefängnis, aus dem sie nicht ausbrechen kann, eine 'Amour fou', sehr leidenschaftlich, aber mit folgenschweren Auswirkungen für die Liebenden. Als Sven Karins Untreue bemerkt, macht er ihr das Leben zur Hölle, und es gibt für Karin kein Entrinnen.
Der dritte Handlungsstrang beschreibt persönliche Erinnerungen, die Alex durch Besuche bei seinen Großeltern in den späten 80ern bewahrt hat und die seine Gedanken untermauern.
Der Autor beschreibt atmosphärisch dicht, wie zerrissen sich Karin zwischen den beiden Männern fühlt und wie verfahren ihre Lage ist. Man leidet förmlich mit ihr. Überhaupt empfindet man tiefes Mitleid, denn schon kurz nach der Verlobung fängt sie an, sich Svens Wünschen unterzuordnen und damit ihr eigenes Glück aufzugeben. Sven erkennt ihre prekäre Situation und demütigt sie auf brutale Weise, manchmal nur wegen Kleinigkeiten. Einige Szenen sind sehr berührend, und man muss erstmal darüber nachdenken.
Der Schreibstil gefällt mir außerordentlich gut, denn er vermittelt Spannung so intensiv, wie sie in vielen Krimis nicht entsteht. Deshalb möchte ich eine eindeutige Lese Empfehlung aussprechen.

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Veröffentlicht am 15.10.2022

Wiedersehen und Abschied

Die Wunderfrauen
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Jetzt wird es wohl ein endgültiger Abschied von den Wunderfrauen sein, nachdem ich bereits mit diesem Zusatzband nicht gerechnet hatte. Aber ich hatte mir ein Wiedertreffen erhofft.
Es war wie ein Wiedersehen ...

Jetzt wird es wohl ein endgültiger Abschied von den Wunderfrauen sein, nachdem ich bereits mit diesem Zusatzband nicht gerechnet hatte. Aber ich hatte mir ein Wiedertreffen erhofft.
Es war wie ein Wiedersehen mit alten Freundinnen, denn die vier Frauen sind mir doch ans Herz gewachsen. Ich fand es interessant zu erfahren, was in den vergangenen 20 Jahren passiert ist, denn mittlerweile sind sie zwischen ca. 60 und 70 Jahre alt. Ihre Freundschaft hat alle Schicksalsfügungen überlebt.
Das Buch ist eine Mischung aus diversen Romantypen, denn vom Kriminalroman bis zur Liebesgeschichte ist alles dabei. Für mich war es sehr spannend zu lesen, genau wie die drei Vorgängerbände. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass Leser, die die Reihe bisher nicht kannten, Probleme haben, sich zurechtzufinden.
Dabei hat die Autorin in geschickter Weise alte Erinnerungen geweckt und darin neue Geschichten, auch aus der Vergangenheit, eingewoben. Schon im Prolog bahnt sich ein Kriminalfall an, und man rätselt, wer die Beteiligten sein könnten.
Das Buch macht Hoffnung und schenkt Trost, denn allen Frauen öffnen sich im Alter neue Perspektiven. Und auch diesmal zeigt sich wieder, dass der Zusammenhalt der vier Freundinnen jeder einzelnen Kraft gibt.
Der Schreibstil ist angenehm zu lesen und leicht verständlich. Der Perspektivenwechsel bereichert die Handlung. Auf jeden Fall macht sich auch Weihnachtsstimmung breit, denn alte Bräuche werden liebevoll geschildert.
Auf den letzten 20 Seiten gibt es einen Ausblick auf die neue Romanreihe der Autorin.
Es heißt nun leider Abschied nehmen, aber nicht ohne vorher eine Leseempfehlung auszusprechen, und zwar für die gesamte Reihe.

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