Perfektionismus ist kein Kompliment. Was zählt, ist Kreation.
Die HochhausspringerinStellen Sie sich vor, Sie lebten in einer Welt, die unnahbarer und kälter der unseren nicht sein könnte. In der Optimierung und Anpassung des Individuums an die Gesellschaft maßgebend sind. Digitalisierung ...
Stellen Sie sich vor, Sie lebten in einer Welt, die unnahbarer und kälter der unseren nicht sein könnte. In der Optimierung und Anpassung des Individuums an die Gesellschaft maßgebend sind. Digitalisierung und Überwachungskultur allgegenwärtig. Gefühle und persönliche Wünsche zweitrangig. Freundschaft und Liebe hinter einer Wand aus Leistungsdruck und dem Zwang sich ständig beweisen zu müssen verschwinden. Und dann vergleichen Sie diese Welt mit der Ihren. Und stellen fest, dass sich die beiden Welten nicht einmal so unglaublich voneinander unterscheiden, wie sie zunächst geglaubt hatten...
In dieser Welt lebt Hitomi, eine junge Wirtschaftspsychologin, die für eine Agentur namens PsySolutions arbeitet und damit beauftragt wurde, Riva Karnovski zu observieren. Riva ist Hochhausspringerin, ein perfekt funktionierender Körper, der sich seinen Weg in die Spitze der Gesellschaft gekämpft hat, von allen geliebt und bewundert während er sich von 1000 Meter hohen Hochhäusern schwingt. Doch plötzlich springt Riva nicht mehr. Plötzlich beantwortet sie keine Fanposts mehr, geht nicht mehr hinaus, sitzt nur noch in ihrer Wohnung und starrt vor sich hin. In einer Welt, in der sich alles um Image und Leistung dreht, ist das natürlich vollkommen unakzeptabel und Hitomi soll Riva durch ständige Beobachtung und Kameraanalyse wieder zu ihrem alten Ich verhelfen.
In ihrem Debüt „Die Hochhausspringerin“ erzählt Julia von Lucadou von der ehrgeizigen und zielstrebigen Hitomi Yoshida, die fest davon überzeugt ist, Riva aus ihrer Verschanzung herauszuholen, dabei jedoch immer wieder von ihren eigenen Gedanken und Gefühlen aus der Bahn geworfen wird.
Mich hat an diesem Buch am meisten der Werdegang Hitomis interessiert. Zu Beginn ist man noch sehr gespannt darauf, wie es mit Riva weitergeht, doch bald merkt man, dass sich Hitomis Leben und Gedanken in den Vordergrund der Handlung schieben. Das Buch wird aus der Perspektive von Hitomi erzählt, sodass Rivas Rehabilitation zwar weiterhin ein wichtiger Handlungsstrang bleibt, jedoch nicht mehr hundertprozentig ausschlaggebend ist. Nach und nach verliert Hitomi ihre Ehrgeizigkeit, wird unsicher, unkontrolliert. Sie versucht, alles richtig und gut zu machen, doch ihre Vergangenheit und der Wunsch nach Liebe und Geborgenheit in dieser kalten, überwachten Welt lassen sie unvorsichtig werden.
Zu Beginn war das Buch für mich ein wenig holprig, ich musste mich erst einmal einlesen und mich an die Situation gewöhnen, in die der Leser urplötzlich hineingeworfen wird. Doch nach ein paar Kapiteln war ich dann voll drin und wollte kaum mehr aufhören zu lesen. Der sehr klare und direkte Schreibstil der Autorin hat mich irgendwie gefesselt, es werden nur wenige Details erzählt und sich auf das Wesentliche beschränkt, wodurch sich das lieblose und kalte Leben für mich noch mehr verdeutlicht hat. Ganz wichtig finde ich bei Romanen immer, dass man das Ende nicht erahnen kann, und das war hier definitiv nicht der Fall! Jede Seite ist neu, interessant und regt zum Nachdenken an.
Das Thema wurde sehr interessant umgesetzt. Eine Dystopie, in der (vielleicht?) versucht wurde unsere (mögliche) Zukunft darzustellen. Und so schwarz auf weiß ziemlich erschreckend wirkt. Es gibt definitiv Parallelen zu unserer jetzigen Welt, sei es die immer weiter fortschreitende Digitalisierung oder der wachsende Leistungsdruck. Und doch muss man sich immer in Erinnerung rufen, dass es am Ende doch nur Fiktion ist, zwar sinngemäß realistisch, aber immer noch Fiktion. Meinen größten Respekt an die Autorin, sich so eine intelligente, kranke Welt auszudenken, das hat mich während des gesamten Buches immer wieder erstaunen lassen. So weit weg von uns, und doch irgendwie unglaublich nah!
„Die Hochhausspringerin“ gehört definitiv zu den Büchern, die lange zum Nachdenken anregen. In Anbetracht der Tatsache, dass ich mit Büchern die in der Zukunft spielen immer nur sehr wenig bis gar nichts anfangen kann, ist dieses Buch ein klarer Volltreffer! Mich hat es berührt und einmal angefangen zu Lesen wollte ich auch wissen, wie es weitergeht. Doch eine Sache, finde ich, muss an dieser Stelle noch einmal betont werden: Nachdem man das Buch zu Ende gelesen hat, wirkt die Zukunft irgendwie erschreckend und man denkt sich, dass man auf keinen Fall in so einer Welt leben will. Dass wir uns mit unkontrollierbarer Sicherheit in einen Überwachungsstaat verwandeln, in der niemand mehr seine Freiheiten ausleben kann. Und das stimmt nicht! Wir haben unsere Zukunft selbst in der Hand, und wenn wir so nicht leben wollen, dann müssen wir das auch nicht. Wir haben das gute Recht uns auf unsere Zukunft zu freuen, müssen versuchen, nicht immer nur alles schlecht zu machen und das was kommt so zu nehmen wie es ist und das Beste daraus zu machen. Gemeinsam. Mit ganz viel Liebe.