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Veröffentlicht am 28.01.2019

Vor dem Ruhestand

Agathe
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Ein Psychiater blickt sehnsuchtsvoll auf seinen baldigen Ruhestand, den er sich mit 72 Jahren ja auch verdient hat. Die letzten fünf Monate - soviel Zeit gibt er sich noch - plant er mehr oder weniger ...

Ein Psychiater blickt sehnsuchtsvoll auf seinen baldigen Ruhestand, den er sich mit 72 Jahren ja auch verdient hat. Die letzten fünf Monate - soviel Zeit gibt er sich noch - plant er mehr oder weniger "abzufrühstücken", die Termine mit den Patienten nur abzusitzen.

Doch dann passiert so einiges - aus heiterem Himmel muss er für eine unvorhersehbare Zeitspanne ohne seine Sekretärin, die die Praxis quasi "schmeisst" auskommen. Vor ihrem Weggang drückt sie ihm jedoch entgegen der klaren Absprache noch eine neue Patientin aufs Auge - eben Agathe. Sie ist anders als alle bisher dagewesenen und durch sie beginnt er seine Arbeit und auch sich selbst in einem anderen Licht zu sehen.

Man schreibt das Jahr 1948 und der Protagonist ist über 35 Jahre in seiner Praxis in Paris tätig. Ich habe mich gefragt, wie er darin quasi unbeschadet zwei Weltkriege und mehrere Regierungen, von denen vor allem eine ziemlich extrem war, überstehen konnte.

Die dänische Autorin Anne Cathrine Bomann schreibt sehr fokussiert, sie klammert das Umfeld, sämtliche Entwicklungen, die für ihre Geschichte aus ihrer Sicht nebensächlich sind, komplett aus. Mich als Historikerin hat das bei der Lektüre sehr gestört, denn dadurch wurden gewisse Entwicklungen für mich kaum nachvollziehbar, ja eigentlich unlogisch.

Ich weiß, als Leser sollte man sich nicht auf derartige Nebenschauplätze versteifen, aber der Leser ist ja ebenso wie der Autor ein Individuum, das von zahlreichen Einflüssen geprägt ist und somit auch - bewusst oder unbewusst - unzählige Erwartungen mit sich bringt. In diesem Falle passte die Ausführung der Autorin definitiv nicht zu den Erwartungen der Leserin!

Auch mit dem Stil hatte ich durchaus meine Probleme, wenn ich auch stellenweise die unterhaltsamen, ja humorvollen Einsprengsel durchaus genießen konnte. Doch leider erschien mir der Roman trotz seiner Kürze zu häufig als zu langatmig und als zu belanglos in seinen Schilderungen - die Botschaften der Autorin, so scheint es, gingen häufig an mir vorbei - um ihn uneingeschränkt genießen zu können.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Figuren
  • Geschichte
  • Gefühl
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 27.01.2019

Friedrichshain, du meine Hoffnung

Allee unserer Träume
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So wie heute die coolen Berliner auf Friedrichshain, das angesagteste Viertel überhaupt, ihre Hoffnung, nein: vielmehr ihre Zukunft setzen, so setzten in den frühen Jahren der DDR auch manche ...

So wie heute die coolen Berliner auf Friedrichshain, das angesagteste Viertel überhaupt, ihre Hoffnung, nein: vielmehr ihre Zukunft setzen, so setzten in den frühen Jahren der DDR auch manche derer, die damals an diese Staatsform glaubten - und auch einige, die dies nicht taten, alles, was möglich war, darauf. Besonders auf die Karl-Marx-Allee, die zunächst Stalinallee hieß und etwas ganz Großes werden sollte - aus dem Schutt und Staub, zu dem Berlin auch in diesem Stadtteil im Zweiten Weltkrieg geworden war, sollten neue Gebäude, wahre Prachtbauten, wie Phönix aus der Asche aufsteigen. Kurzum: hier sollte die neue Prachtallee der DDR entstehen, die bis ins Herz der Stadt, nach Mitte also, führen sollte.

Die Autoren Ulrike Gerold und Wolfram Hänel beschreiben in ihrem Roman "Allee unserer Träume" das Schicksal der Architektin Ilse, die Teil des Teams ist, das diese Allee plant und zu errichten beginnt - auch über Ilses Leben vor und nach dieser Zeit. Ilse war eine von denen, die eher in die Sache hineingerieten - von der Staatsform als solcher war sie nicht überzeugt: was für sie wichtig war, war die Realisierung ihrer Ideale in ihrem Spezialbereich, der Architektur.

Fiktive Schicksale sind es, die die Autoren schildern, doch hinter allem steckt ein Körnchen Wahrheit - wenn auch Lichtgestalten der DDR-Architektur wie Hans Scharoun nicht im Roman vorkommen, haben er und seine Kollegen doch jeweils ein Pendant im Roman. Eines, das zwar nicht unbedingt 1:1 an das jeweilige "Vorbild" angelehnt ist, aber sich in das Team fügt, zu dem Besonderen, was daraus und aus der Arbeit wird, beiträgt.

Ilse ist die einzige Frau des Teams und auch, wenn sie als Architektinnicht wie heute ihren Weg gehen kann, steht sie ihren Mann - auf eine sehr eigene, verwegene Art und Weise.

Ilses Schicksal hat - wie man sich denken kann - Höhen und Tiefen, ebenso wie die Beschreibung ihrer Person. Manche Ausführungen werden zu sehr in die Länge gezogen, dagegen werden andere Stationen ihres Lebens, die möglicherweise wichtig gewesen wären, nur nebensächlich abgehandelt. Die Zeit der Nationalsozialisten kommt fast gar nicht zur Sprache. Und so kann sich der Leser ein nur unvollständiges Bild davon machen, was Ilse und die andere Figuren bewegte, was sie prägte und was sie abstieß.

Ein unglaublich spannendes Thema "verbraten" die beiden Autoren in diesem Roman, doch leider, leider vermögen sie - zumindest aus meiner Sicht - nicht durchgehend, es vollkommen auszufüllen, ihm Leben einzuhauchen, den Leser zu bewegen, ihn ins (Ost)Berlin der 1950 Jahre zu versetzen. Dabei hätten einige wenige Sätze an der ein oder anderen Stelle, auch das Weglassen manch anderer Ausführungen genügt, um dies zu ändern.

Eine spannende Zeit, über die hier ein nicht ganz so spannender Roman geschrieben wurde! Dennoch - es sollte jeder Leser entscheiden, ob ihm das alles reicht, oder ob ihm zu viel fehlt. Für mich ist dies ein vielversprechender Roman, aus dem wesentlich mehr hätte werden können!

Veröffentlicht am 27.01.2019

An jedem Finger eine Frau

Die zehn Lieben des Nishino
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hat Nishino, der Held dieses Romans, der sich in zehn einzelnen Geschichten wie in Perlen um seine Person rankt. Es sind zehn Frauen, mit denen er "etwas hat" - zehn jedenfalls, die zu Wort kommen, denn ...

hat Nishino, der Held dieses Romans, der sich in zehn einzelnen Geschichten wie in Perlen um seine Person rankt. Es sind zehn Frauen, mit denen er "etwas hat" - zehn jedenfalls, die zu Wort kommen, denn es sickert wieder und wieder durch, dass er es nicht nur bei diesen zehn belassen hat.

Zehn Frauen, die er liebte und die ihn liebten? Nein, so klar ist die Sache längst nicht: so manch einer der Frauen war die Vergänglichkeit ihrer Beziehung zu Nishino bereits von Beginn an klar und deutlich bewusst und sie ließ sich gefühlsmäßig gar nicht so richtig auf ihn ein.

Dabei ist Nishino doch auf der Suche nach der wahren Liebe, nach der Frau für ihn. Wir erleben ihn in verschiedenen Altersstufen; als jungen Mann ebenso wie als Mittfünfziger und es ist immer die Außenwahrnehmung, durch die er uns nahegebracht wird oder eben auch gerade nicht.

Denn es sind ebendiese zehn Frauen, die nacheinander zu Wort kommen und über ihre Erlebnisse mit Nishino, von denen keines länger als ein paar Monate währte, einige sogar wesentlich kürzer.

Abstand, das ist ein Begriff, der mir während der Lektüre wieder und wieder im Kopf herumgeisterte - denn richtige Nähe findet an keiner Stelle statt. Nein, es scheint so, als würden die Frauen und Nishino sich gegenseitig jedes Mal verpassen. Entweder die Gefühle sind nicht gleichzeitig da, oder überhaupt nur einseitig oder aber man wird sich erst im Nachhinein darüber klar.

Die japanische Autorin HIromi Kawakami vermag es, dies mit stilistischen Mitteln eindrucksvoll zu illustrieren. Nicht jedoch eindringlich - dafür ist ihr Stil zu unterkühlt, zu sachlich. Einen Roman wie diesen - es ist mein erster aus ihrer Feder - habe ich bisher noch nicht gelesen und er hat mich gewissermaßen fasziniert. Andererseits blieb da jedoch eine gewisse Leere. Eine, die von der Autorin möglicherweise beabsichtigt war, mich jedoch ein wenig befremdet hat. Wie das eben so ist bei Neuem, mit dem man sich erst vertraut machen muss!

Veröffentlicht am 19.01.2019

Auf der Suche nach einer Romanfigur

Ein gewisser Monsieur Piekielny
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Die litauische Hauptstadt Vilnius sowie ein rätselhafter Mann, eben Monsieur Piekielny, weckten mein Interesse für diesen Roman, der sich schließlich in einer Suche nach einem Autor aus vergangenen Zeiten, ...

Die litauische Hauptstadt Vilnius sowie ein rätselhafter Mann, eben Monsieur Piekielny, weckten mein Interesse für diesen Roman, der sich schließlich in einer Suche nach einem Autor aus vergangenen Zeiten, nämlich Romain Gary verlor.

Der Ich-Erzähler: das ist wirklich der Autor dieses Romans, der junge Francois-Henry Désérable. Als Leser weiß man aber nie, ob er auch Wahres berichtet, denn er hat seine Ausführungen hinter der Klassifizierung "Roman" verschanzt.

Ich in meiner Naivität habe mir, als ich zu diesem Buch griff, nicht bewusst gemacht, dass hier eigentlich dem Autor und Träger des Prix Goncourt Romain Gary nachgespürt wird, der mich - wie viele andere Träger dieses durchaus anerkannten Preises - nicht die Bohne interessiert. Dabei kannte ich ihn bereits seit meiner Kindheit, war ich doch begeisterte Leserin des Bertelsmann-Bandes "Autoren in Wort und BIld", den meine Eltern als einen Quartalskauf besorgt hatten und den ich mindestens einmal in der Woche zur Hand nahm.

Inzwischen weiß ich etwas mehr: jüdischer Abstammung aus Litauen, ein Zeitgenosse und Freund von Albert Camus, Autor einiger bekannter Romane, vor allem von " Frühes Versprechen", Schullektüre in Frankreich, das hier nicht nur einmal zur Sprache kommt. Eine dort erwähnte Figur, nämlich dieser Monsieur Piekielny, ist es, der den Spürsinn des Autors Désérable weckt, als er in Vilnius, der Hauptstadt Litauens, zufällig vor das ehemalige Wohnhaus von Romain Gary gerät.

Auch wenn eine Eloge die nächste jagt - mich konnte das Buch nicht begeistern. Ich muss vielmehr ständig an das Prinzen-Lied "Alles nur geklaut" denken und das nicht nur deswegen, weil mich Stil und Art der Auseinandersetzung des Autors mit dem Thema nicht nur einmal an Modianos "Ein junger Hund" erinnert. Ausgerechnet Modiano, den Désérable nicht nur einmal erwähnt und trotz des errungenen Nobelpreises nicht gerade mit Lorbeeren umkränzt.

Nun ja, meine Meinung ist eine überaus subjektive - vielleicht werden Sie ja den vielen Lesern folgen können, die ein begeistertes Loblied singen.

Veröffentlicht am 19.01.2019

Eine ungewöhnliche Versammlung

Die Aussprache
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Es ist eine ausgesprochen ungewöhnliche Versammlung, die hier im Geheimen auf dem Heuboden eines dementen alten Mannes stattfindet in Molotschna, einer Mennonitenkolonie in Kanada, deren Mitglieder ebenso ...

Es ist eine ausgesprochen ungewöhnliche Versammlung, die hier im Geheimen auf dem Heuboden eines dementen alten Mannes stattfindet in Molotschna, einer Mennonitenkolonie in Kanada, deren Mitglieder ebenso abgeschieden wie - aus Sicht der sogenannten modernen Welt - rückständig leben und sich Gott anvertraut haben.

Umso ungeheuerlicher, was sich gerade dort zugetragen hat! Über Jahre hinweg hat eine Gruppe von Männern Frauen und Mädchen betäubt und mißbraucht - Nachts im Schlaf. Nur durch Zufall wurden die Schuldigen entdeckt und stehen nun in der Stadt vor Gericht.

Acht Frauen, Vertreterinnen dreier Generationen aus zwei Familien, wollen nicht wie die anderen einfach weitermachen, sondern sich wehren, indem sie etwas ändern. Die Versammlung dient der Entscheidung: soll gekämpft oder gegangen werden?

Da alle Frauen Analphabethinnen sind, haben sie August Epp, der eine Außenseiterposition in der Kolonie einnimmt, gebeten, ihre Sitzungen zu protokollieren.

Diese Protokolle, in denen jedoch auch der Blick auf Augusts eigenes Leben, seine Vergangenheit gerichtet wird, sind die Grundlage dieses Romans, der einerseits eine große Trauer, andererseits eine ungeheure Kraft beinhaltet, die ich während meiner Lektüre als sehr faszinierend empfand.

Die kanadische Autorin Miriam Toews war mir bisher nur vom Namen her bekannt und was bin ich froh, dass sich das nun geändert hat. Denn in ihrem Roman zeigt sie auf, dass es selbst in der ausweglosesten Situation einen Ausweg gibt - egal wie schutzlos auch die Suchenden sind. Sie zeigt klar die Werte auf, die dafür grundlegend sind: Mut, Zusammenhalt und auch Zuversicht.

Ein überaus ungewöhnlicher Roman, dessen besonderer Charme darin besteht, dass ein Mann über die Belange der Frauen berichtet: natürlich auch über seine eigenen, doch die dienen eher als Ergänzung zu den zentralen Entwicklungen - und die ranken sich nun mal um die acht Frauen, die sich dort zusammengefunden haben.

Ein sehr lakonischer, ja sparsamer Stil ist es, den Autorin Miriam Toews hier verwendet und gerade dadurch ist die Klarheit der Worte, der Gedanken, so ungeheuer eindringlich.

Stellenweise hat sie mich in ihrer Hinwendung zum Ursprünglichen an Louise Erdrich erinnert, auch wenn es nicht um die indigene Bevölkerung Nordamerikas, sondern um Mennoniten geht. Doch in ihrer Auseinandersetzung mit der jeweiligen außenstehenden Bevölkerungsgruppe ähneln sie sich in meinen Augen. Ein Roman wie ein Blitzeinschlag: Eigentlich passiert nicht viel, aber es steckt eine ungeheure Kraft hinter der ganzen Geschichte. In der ganzen Ernsthaftigkeit, der Achtung der Autorin vor dem Schicksal ihrer Protagonistinnen steckt eine gewisse Leichtigkeit, sogar ein nicht erwarteter Übermut, stellenweise auch Humor - all das kommt überraschend, fügt sich aber ausgesprochen stimmig in die Entwicklungen ein.

Ein Roman, den ich jeder Frau empfehle. Nein, eigentlich empfehle ich ihn jedem, dem die Geschicke der Frauen - ob im Besonderen oder Allgemeinen - am Herzen liegen!