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Veröffentlicht am 27.07.2018

Im Grunde ein Krieg gegen sich selbst?

Der Krieg der Enzyklopädisten
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Amerikas Generation der Jahrtausendwende hat eine neue Stimme, beziehungsweise gleich zwei: denn der vorliegende Roman wurde gleich von zwei Autoren gemeinsam geschrieben, die hier aufs Eindrucksvollste ...

Amerikas Generation der Jahrtausendwende hat eine neue Stimme, beziehungsweise gleich zwei: denn der vorliegende Roman wurde gleich von zwei Autoren gemeinsam geschrieben, die hier aufs Eindrucksvollste die Zerissenheit ihrer Generation, der neuen Kriegsgeneration der Jahrtausendwende spiegeln.

Kriegsgeneration, welch hässlich Wort! Sind wir Kinder der 1950er und 1960er, auch der frühen Siebziger doch elegant um diese extreme und tragische Entwicklung herumgekommen, jedenfalls ist den meisten von uns - sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten - die Nähe bpw. zum Falklandkrieg der 1980er oder auch den Kriegen der 1990er Jahre auf dem Golf und dem Balkan erspart geblieben. Doch hat sich im neuen Jahrtausend gleich in den ersten Jahren nicht nur durch 09/11 eine neue, aggressive Komponente eingeschlichen, die quasi die ganze Welt beeinflusst, Kriegsherde an gleich mehreren Stellen auf der ganzen Welt, in die vor allem die junge amerikanische Generation mit voller Wucht hineingezogen wurde, wenn auch in vielen Fällen eher zufällig. Inzwischen haben wir uns fast schon daran gewöhnt, dass Einheiten der NATO-Länder an allen Ecken und Enden der Welt stationiert sind, doch hier geht es um den Beginn des Jahrtausends, der Roman spielt hauptsächlich im Jahr 2004.

So ist es auch bei Mickey Montauk, der seit Jahren als Reservist gemeldet ist und dann doch nach Bagdad kommt, sogar einen ganzen Platoon befehligen muss. Dabei hat er gerade noch zusammen mit seinem Freund Hal Corderoy die coolsten Feste im hippen Seattle gegeben, als "die Enzyklopädisten" waren sie Trendsetter sowohl durch ihre ständig modifizierten Artikel auf Wikipedia wie auch durch ihre Happenings, die im Grunde stets wilde Partys waren. Ein klares Ziel, so schien es, hatten beide nicht vor Augen.

Doch Montauk wurde durch den Krieg schnell gezwungen, erwachsen zu werden, während Corderoy in seiner Planlosigkeit weiter dahindriftet. Der Kontrast zwischen der Ziellosigkeit in der Heimat und dem harten Alltag in Bagdad, bei dem man selten wählen kann und wo es stets um Leben und Tod geht, ist eindrucksvoll gespiegelt. Montauk muss Verantwortung übernehmen, Corderoy ist noch immer nicht bereit dazu.

Ein Roman über eine Welt, die vor einigen Jahren noch die unsere war und nun schon wieder in einem schnellen Wandel zu einer anderen, eher noch bedrohlicheren wird, auch dadurch, dass wir noch nicht wissen, was uns erwartet. Jedenfalls haben Terror und Gewalt seit Beginn des Jahrtausends nicht abgenommen, ganz im Gegenteil. Ein Phänomen, an das wir durch dieses Buch auf jeder Seite erinnert werden, wenn es auch ein wenig zu ausschweifend daherkommt, um als Ganzes wie eine Bombe einzuschlagen. Jedenfalls erzielt es bei mir eine solche Wirkung. Aber es ist auf jeden Fall ein Buch, das etwas Neues beschreibt, Ereignisse, die erst vor recht kurzer Zeit eine Rolle gespielt haben, auch wenn es womöglich schon in wenigen Jahren als historischer Roman zu lesen ist, so schnelllebig, wie es heute zugeht.

Ein Buch, das mich bewegt, aber nicht vollends gepackt hat, dafür war der starke Tobak dann doch zu schwere Kost. Wer jedoch die Zerissenheit einer - seiner? - Generation spüren will, der sollte sich durch dieses Werk kämpfen!

Veröffentlicht am 27.07.2018

Mix aus Jodi Picoult und Sara Gruen

Das Geheimnis der Schwimmerin
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Es geht um ein Familiengeheimnis - warum nur sind die Frauen der Familie Watson seit Jahrhunderten immer ertrunken? Und zwar immer am 24. Juli? Simon, ein Nachfahre der Familie, findet ein altes Buch, ...

Es geht um ein Familiengeheimnis - warum nur sind die Frauen der Familie Watson seit Jahrhunderten immer ertrunken? Und zwar immer am 24. Juli? Simon, ein Nachfahre der Familie, findet ein altes Buch, das diese Geschichte erzählt. Vielmehr findet das Buch ihn - und kündet vom Geheimnis einer ganzen Familie, einer Familie im Schaustellermilieu.

Ein Roman um ein tief verborgenes Familiengeheimnis und das in einem aussergewöhnlichen Setting - damit stellt sich die Autorin Erika Swyler in die Tradition von Jodi Picoult, wobei sie thematisch näher an Sara Gruen rückt. Aber kann sie diese großen Fußstapfen - denn beide Genannten sind zweifelsohne Könnerinnen ihres Metiers -, in die sie tritt, tatsächlich ausfüllen?

Ich meine, nicht ganz, denn obwohl mir diese ruhige, ja gelassene Erzählweise sehr zusagt, fehlt es ihr, gerade auch im Vergleich zu den beiden anderen Autorinnen, an durchgängiger Spannung. Zudem geht es hier stellenweise ein wenig umständlich und behäbig zu - mich durchzuckte beim Lesen immer wieder der Gedanke, ob die Autorin jetzt endlich zum Punkt, sprich zum Thema findet. Dennoch ein netter Roman für zwischendurch - allerdings eher ein "Kann" als ein "Muss"!

Veröffentlicht am 27.07.2018

Es beginnt mit einem Knall

Die Flügel der Freiheit
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Nämlich mit einem, der dem großen Reformator Luther höchstpersönlich entweicht und neben Geräusch auch Gestank mit sich bringt. Nicht nur zu Beginn des Romans geht es ganz schön deftig zur Sache auf der ...

Nämlich mit einem, der dem großen Reformator Luther höchstpersönlich entweicht und neben Geräusch auch Gestank mit sich bringt. Nicht nur zu Beginn des Romans geht es ganz schön deftig zur Sache auf der Wartburg, in Wittenberg und an den übrigen Schauplätzen des Romans. Luther selbst wird eine eher derbe Sprache nachgesagt und daran hält sich der Autor in seinen Schilderungen durchaus, passt zeitweise auch seine eigenen Beschreibungen - wie eben ganz zu Beginn - diesem Stil an. Ein spannendes Thema - die Bedrohung der Reformation vor allem durch Thomas Münzer, den einstigen Luther-Schüler ist der Garant für packende Lesestunden.

Doch es geht nicht nur um Luther, der Leser wird auch Zeuge vom Schicksal des jungen Barthel, in Wittenberg Geselle bei Luthers treuem Freund, dem Maler Lucas Cranach, dessen Liebesgeschichte mit Dorothea auch etwas fürs Herz bietet
Wie so viele kann ich mich dem Sog, ja, man könnte schon auf Neudeutsch sagen, dem Hype des Lutherjahres 2017, in dem wir im Oktober auf 500 Jahre Reformation blicken, nicht entziehen und lese mich quasi durch die zahlreichen Angebote.

Tilman Röhrig schreibt seit vielen Jahren historische Romane und ist für fundierte Recherchen und sowohl spannungsreiche als auch unterhaltsame Schilderungen bekannt. Mit "Die Flügel der Freiheit" ist ihm wieder ein opulenter und farbenprächtiger Roman mit Aufs und Abs gelungen, den ich trotz gelegentlicher Längen sehr gerne gelesen habe und allen Luther-Interessierten ans Herz legen will.

Veröffentlicht am 27.07.2018

Rumble in the Jungle

Ali
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Ja, diesen legendäre Kampf in Kinshasa gegen George Foreman mit K.O.-Sieg in der 8. Runde führt jeder im Munde - und längst nicht nur diejenigen, die sich fürs Boxen interessieren. Für Mohammed Ali aka ...

Ja, diesen legendäre Kampf in Kinshasa gegen George Foreman mit K.O.-Sieg in der 8. Runde führt jeder im Munde - und längst nicht nur diejenigen, die sich fürs Boxen interessieren. Für Mohammed Ali aka Cassius Clay hingegen sollte sich jeder interessieren, denn er war ein ganz besonderer Mensch, der so viel mehr auf dem Schirm hatte als Boxen. Nicht nur, dass er 1967 den Titelverlust und den Weg ins Gefängnis in Kauf nahm: wohlgemerkt aufgrund von Kriegsdienstverweigerung!

Der Mann hat unendlich viel getan sowohl für den Frieden als auch gegen den Rassenhass - nicht nur in den Staaten und beileibe nicht nur seinen guten Namen in den Ring geworfen. Für alle, die mehr über ihn erfahren wollen, kommt dieses Buch gerade richtig, denn es zeigt Facetten des großen Mannes, die man nicht unbedingt kennt.

Ali mit Frau und Töchtern am heimischen Abendbrottisch, aber auch im Kampf gegen (mir jedenfalls) unbekanntere Gegner: der Boxer steht hier schon im Mittelpunkt, doch erfährt man auch so einiges über das Drumherum und vor allem sind die Fotos nicht zu unterschätzen, die Ali auch von unerwarteten Seiten zeigen. Jede Menge Zitate gibt es dazu, die mir mal wieder vor Augen geführt haben, dass dies tatsächlich ein ziemlich arroganter Kerl war - aber wer, wenn nicht er konnte es sich leisten!

Ein tolles Buch, vor allem auch deswegen, weil an seinem Ende eine Zeittafel steht - ich liebe ja sowas, um einen wirklich umfassenden Überblick über eine Person zu erhalten. Eine gelungene Abrundung eines gelungenen Buches!

Veröffentlicht am 27.07.2018

Die Familie muss sich neu orientieren

Der perfekte Sohn
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Im Alter von erst 47 Jahren erleidet Ella einen Herzinfarkt - und ist klug genug, das nicht nur als Warnung, sondern als Stoppschild zu sehen, starb doch ihre Mutter im selben Alter. Und Ella wird noch ...

Im Alter von erst 47 Jahren erleidet Ella einen Herzinfarkt - und ist klug genug, das nicht nur als Warnung, sondern als Stoppschild zu sehen, starb doch ihre Mutter im selben Alter. Und Ella wird noch gebraucht - von Sohn Harry, der ,mit dem Tourette-Syndnrom eine ausgesprochen ungewöhnliche Belastung bzw. Behinderung hat und vom smarten Ehemann Felix, der als Investment-Banker bisher nur die Kohle nach Hause brachte, sich jedoch von Harry möglichst distanzierte.

Jetzt geht das nicht mehr, da Ella ausfällt, ist Harry nun auf seinen Vater angewiesen, der nicht die geringste Ahnung hat, wie er mit dieser Situation umgehen soll.

Eine Familie auf dem Prüfstand: werden Harry und Felix zueinander finden, sich gegenseitig vertrauen können? Wie man sich denken kann, ist dies eine Geschichte mit Höhen und Tiefen, die mich nur stellenweise berührte. Vor allem, da es mich als Leserin zu sehr in den amerikanischen Alltag katapultierte, ganz ohne Übergänge (was dann wohl der Übersetzung und deutschsprachigen Redaktion geschuldet ist, die hier möglicherweise hätte einiges mit Anmerkungen versehen bzw. ein eigenes Nachwort einbauen können. Aber man findet sich zurecht - es ist eben eine Geschichte aus dem Leben.

Es geht um Vertrauen, um das Bereitsein, sich aufeinander einzulassen, miteinander einen Weg zu gehen, auch in schwierigen Zeiten. Ein emotionaler Familienroman, der unter die Haut geht.